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Elisabeth Rauterberg
Aufgaben und Perspektiven für die Begleitung Sterbender


Wir sind hier zusammengekommen, um den gesellschaftlichen Umgang mit Leben und Tod gemeinsam und über die Grenzen von Institutionen hinaus zu überdenken. Wenngleich Sterben und Tod in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert werden, haben die anschaulichen und bewegenden Beiträge meiner Vorredner/innen deutlich gemacht, wie sich viele Menschen in unserem Land – Wissenschaftler, Fachleute und Laien – für eine humane Sterbebegleitung, d.h. für eine neue Kultur des Sterbens engagieren. Dabei geht es – und darüber sind wir uns alle einig – nicht um eine aktive Sterbehilfe, wie sie beispielsweise in den Niederlanden möglich ist, sondern darum, Schwerkranke, Sterbende und Trauernde nicht an den Rand des Versorgungsnetzes zu drängen, sondern vielmehr Angebote zu machen, die es Schwerstkranken ermöglicht, im Kreis von Angehörigen und/oder Freunden wieder menschenwürdig zu sterben.

„Dem Sterben Raum geben", diese Metapher von Udo Schlaudraff, Klinikpastor in Göttingen, trifft – so meine ich – unser aller Anliegen. Inkurabel Kranke, wie beispielsweise Krebskranke, durchleben und durchleiden oft einen langen und schmerzvollen Leidensweg bis zum Tod, auf dem sie häufig in unserem Versorgungssystem allein gelassen werden. Bei bis zu 50% Singlehaushalten in deutschen Großstädten und einer Erosion der traditionellen Familienstrukturen müssen wir neue Pflege- und Versorgungsmodelle für unheilbar Kranke anbieten. Gleichzeitig öffnet sich auch die Palliativmedizin erst allmählich für ganzheitliche, am Menschen orientierte Ansätze. Um beim Beispiel der Krebskranken zu bleiben, heißt das, über das Ziel „Reparatur" um jeden Preis hinauszugehen und auch die symptomatische (hier: vor allem die Schmerzbekämpfung) und psychologische Dimension der Tumorerkrankung in die Palliativtherapie mit einzubeziehen, d.h. die Lebensqualität der Kranken zu berücksichtigen.

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1. Fördermaßnahme des Bundesministeriums für Gesundheit

Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine „gleichlautende" Forderung der Teilnehmer der 4. Großen Krebskonferenz aufgenommen und gehandelt. Im Rahmen der 2. Phase des Modellprogramms zur Verbesserung der Versorgung von Krebspatienten fördert der Bundesminister für Gesundheit seit 1991 an 18 Krankenhäusern 13 – in den alten und fünf in den neuen Bundesländern – die Einrichtung von Palliativstationen mit insgesamt knapp 20 Millionen DM. Ziel dieser Fördermaßnahme ist es, durch einen besonderen therapeutischen Ansatz die physische und psychische Stabilisierung von unheilbar kranken Krebspatienten zu erreichen und ihnen, wenn möglich, zu einer Rückkehr in die häusliche Umgebung zu verhelfen oder zu einem menschenwürdigen Sterben im Krankenhaus beizutragen. Dabei soll die bestmögliche Lebensqualität für schwerstkranke Krebskranke auch in der letzten Lebensphase erhalten und ein Sterben in Würde ermöglicht werden.

1.1. Förderkonzept

  • Ziel dieser Maßnahme ist es, die heute vielfach als inhuman beklagte Situation sterbender Menschen im Krankenhaus zu verbessern.
  • Dazu werden Palliativstationen eingerichtet, auf denen schwerkranke und sterbende Krebspatienten durch speziell geschultes Personal betreut werden.
  • Die Palliativstation sollte mit einer Schmerzambulanz sowie mit einem Tumorzentrum oder Onkologischen Schwerpunkt zusammenarbeiten.
  • Die Palliativstation sollte von einer Abteilung des Krankenhauses organisiert und verwaltet werden, jedoch keinem Fachbereich ausschließlich zugeordnet sein.
  • Die Palliativstation soll vor der Entlassung der Patienten eng mit den Hausärzten, Sozialstationen, Hospizdiensten und freiwilligen, ehrenamtlichen Helfern zusammenarbeiten.
  • Es sollte eine besondere räumliche Ausstattung vorhanden sein (wie Gemeinschaftswohnraum, Übernachtungsmöglichkeit für Angehörige und Freunde).
  • Neben der medizinischen Versorgung, insbesondere der Symptomkontrolle und Schmerzbekämpfung und Aufnahmekriterien für die Patienten, die stationäre Palliativbehandlung benötigen, wird Wert auf die psychosoziale und seelsorgerische Betreuung gelegt.
  • Es erfolgt eine wissenschaftliche Begleitung und Bewertung der Modellmaßnahme, vor allem hinsichtlich der Kosten und des Personalbedarfs von stationären Palliativpflegeeinheiten.

Der Umfang der Förderung ist aus der Karte zu entnehmen (siehe Abbildung 1).

1.2.Bisherige Ergebnisse der Förderung

Der Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung der Modellmaßnahme Palliativstationen des Instituts für Sozialwissenschaften e.V. (BOSOFO) wird voraussichtlich erst im April vorliegen. Ich kann daher derzeit nur einige Zwischenergebnisse präsentieren:

  1. Erhebungsverlauf
    In 27 Monaten wurden 1.839 Behandlungsfälle von 1.162 Patienten durch die Begleituntersuchung erfaßt.
  2. Verweildauer
    durchschnittlich 17 Tage (fallbezogene Verweildauer)
  3. (Wieder-)Aufnahmen
    • 71% der Patienten wurden nur einmal aufgenommen,
    • bei 17% der Patienten kam es zu einer zweimaligen,
    • bei 9% sogar zu einer drei- bis viermaligen Aufnahme,
    • knapp 4% werden öfter als viermal aufgenommen, wobei im Einzelfall maximal 10 Aufnahmen erreicht werden.

    Abbildung 1 :
    Standorte der Modelleinrichtungen

  4. Gründe für die Aufnahme
    • bei mehr als 60% der Befragten: Schmerzen,
    • bei mehr als 50% der Befragten: andere körperliche Beschwerden,
    • bei ca. 30% der Befragten: Ernährungsschwierigkeiten,
    • bei ca. 25% der Befragten: die soziale Situation,
    • bei ca. 11% der Befragten: psychische Probleme.

In fast 70% der Fälle führten zwei oder mehr der genannten Gründe zur Aufnahme.

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2. Wie können wir in Zukunft eine humane palliative Versorgung sichern – Aufgaben und Perspektiven aus der Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit?

Hier zeichnen sich insbesondere drei Schwerpunkte im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit ab:

1. Qualitätssicherung in der Palliativmedizin (Schmerzmanagement)

Für die vergleichsweise neuen Konzepte der stationären Palliativversorgung mit ihrem ganzheitlichen Versorgungsansatz gibt es noch keine Leitlinien für die medizinische und psychosoziale Versorgung der Patienten. Um so wichtiger ist es, die qualitätsrelevanten Merkmale des Behandlungsgeschehens und der Behandlungsresultate zu dokumentieren. Derzeit wird daher eine Basisdokumentation für Palliativeinheiten entwickelt, die dazu dienen soll, auch zukünftig die Qualität der Behandlung auf diesen Stationen zu sichern und das Behandlungsspektrum zu definieren.

Das Finalstadium der Krebserkrankung bedeutet für viele Patienten das Auftreten von mehr oder minder ausgeprägten Schmerzen. Die Angst, diesen Schmerzen hilflos ausgeliefert zu sein, ist aber unbegründet. Durch die Anwendung der vielfältigen Möglichkeiten der modernen Schmerztherapie läßt sich bei allen Patienten eine Verminderung des Schmerzes und in nahezu allen Fällen eine weitgehende Schmerzfreiheit erreichen. Dies ist besonders deshalb so wichtig, weil der unbehandelte Schmerz zum beherrschenden Krankheitssymptom werden kann.

Da das Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation zur Behandlung von Krebsschmerzen in Deutschland nur sehr zögerlich umgesetzt wird, hat das Bundesministerium für Gesundheit eine Expertise in Auftrag gegeben, die eine Analyse der Faktoren zum Inhalt hat, die die Ärzte von der Verschreibung von Opiaten abhalten. Ferner sollen noch in diesem Jahr in enger Abstimmung mit den Fachgesellschaften für Deutschland Standards für Diagnostik und Therapie verschiedener Schmerzformen erarbeitet werden, die dann modellhaft in Modellvorhaben in die ambulante und stationäre Versorgung implementiert werden sollen.

2. Förderung der Zusammenarbeit von Ärzten und Selbsthilfegruppen

In den letzten Jahren hat sich die Bedeutung der Selbsthilfegruppen insbesondere für die Krebskranken mehr und mehr gezeigt. Sie ergänzen das Versorgungsnetz sowohl in der Akutphase, z.B. unmittelbar nach operativen Eingriffen, als auch besonders in der Nachsorgephase, Besucherdienste, Gesprächsgruppen und Sportgruppen u.a. bringen die Betroffenen zusammen und tragen zur besseren Bewältigung der schweren Erkrankung auch in der Sterbephase bei.

Das Bundesministerium für Gesundheit fördert derzeit ein Vorhaben zur besseren Kooperation von Ärzten und Selbsthilfegruppen, indem eine Kontaktstelle bei drei Krankenversicherungen in den neuen Bundesländern finanziert wird, die dazu beitragen soll, daß Ärzte vermittelt werden, die bereit sind, Vorträge und Gruppenberatungen zu Einzelthemen durchzuführen, und die auch die Informationen über die verschiedenen medizinischen Selbsthilfegruppen in der Region vermitteln.

3. Hilfestellung bei der Überführung der Modellprojekte in die Regelfinanzierung und -versorgung

Auf der Grundlage der bisher vorliegenden Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchung des o.g. Institutes hat das Bundesministerium für Gesundheit im Oktober 1994 ein Gespräch mit Vertretern der Spitzenverbände der Krankenkassen sowie der AGLMB durchgeführt, um die Anschlußfinanzierung zum Jahresende auslaufender Förderung des Bundesministeriums für Gesundheit sicherzustellen. In dem Gespräch einigte man sich darauf, daß die Spitzenverbände eine Empfehlung für die Übernahme der geförderten Einrichtungen in die Regelfinanzierung formulieren würden, die den örtlichen Pflegesatzverhandlungen zugrundegelegt werden können.

Mit diesem Einblick in unser Modellvorhaben zur besseren Versorgung von Krebspatienten konnten Sie erkennen, daß sich das Bundesministerium für Gesundheit hierzu dem Thema der heutigen Veranstaltung seit einigen Jahren widmet. Die Palliativstationen sind jedoch nur ein Mosaikstein in dem Gesamtkonzept zur Pflege und Versorgung Sterbender, die ohne eine funktionierende hausärztliche Versorgung ihre eigentlichen Aufgaben nicht erfüllen kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999

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