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Gudrun Schaich-Walch
Einführung


Nach vier Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag kann ich sagen, daß wir Gesundheitspolitiker uns überwiegend mit der Frage der Optimierung der Gesundheitsversorgung der Menschen und zwar in medizinischer und finanzieller Hinsicht beschäftigen. Der Tod des Menschen kommt dabei nur im Rahmen der Sterbeversicherung vor. Das Anrecht eines jeden Menschen auf einen humanen selbstbestimmten Tod findet in unserer parlamentarischen Arbeit im Gesundheitsausschuß kaum Raum. Die Kleine Anfrage meines Kollegen Horst Schmidbauer zu der Versorgung sterbender Menschen in Deutschland vom Dezember 1993 bildet eine erfreuliche Ausnahme.

Die mangelnde Beschäftigung mit diesem Thema im parlamentarischen Raum spiegelt den gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod wider. Unsere moderne Gesellschaft tut sich mit dieser menschlichen Grenzsituation extrem schwer.

Wir leben in einer Gesellschaft, die nun schon über einen langen Zeitraum hinweg von den sogenannten alten Menschheitsgeißeln „Pest, Hunger und Krieg" verschont blieb und die es sich glücklicherweise leisten kann, nahezu allen alle Errungenschaften zugänglich zu machen. Die Fortschritte der Medizin und der medizinischen Technik verschieben das Sterben immer weiter. Täglich werden immer wieder bestehende Grenzen überschritten. Die Möglichkeiten der Medizin scheinen nahezu unbegrenzt.

Die Folge ist, daß heutzutage die Endlichkeit des Lebens und der Umgang mit dem Tod immer mehr an den Rand gedrängt wird. Tod und Sterben haben ihre natürliche Einbettung in unseren Lebensalltag weitestgehend verloren. Der Tod erscheint immer mehr als Versagen von Medizin und Technik denn als ein natürlicher Vorgang, zu dem jeder Mensch individuell einen Standpunkt entwickeln muß. In der gesellschaftlichen Realität haben sich Tod und Sterben aus dem Bereich von Familie in die Institutionen Pflegeheim – Akutkrankenhaus und schlußendlich auf die Intensivstation verlagert. Alte und kranke Menschen sterben in Intensivstationen, wobei der Blick des medizinischen Personals auf die technischen Apparaturen gerichtet ist. Apparaturen, hinter denen man sich auch gut verstecken kann. Zuwendung und Begleitung des Sterbenden findet in solchem Kontext selten statt. Die Endlichkeit des Lebens wird im Inneren nicht mehr akzeptiert. Wir können vom Leben nicht mehr loslassen.

Weitere gesellschaftliche Wandlungen haben den Umgang mit dem Tod schwerer gemacht. Beispielsweise finden wir heute keine Großfamilien mehr, in deren Obhut Menschen bis zum Ende ihres Lebens sein können und in denen in der Regel die Frauen die Rolle der Pflegenden bis zum Tod tragen. Zwar gibt es auch heute noch Familien, in denen Töchter und Schwiegertöchter Familienmitglieder pflegen. Je mehr jedoch auch Frauen erwerbstätig sind und je mehr Familien davon abhängig sind, daß zwei Einkommen die Existenz sichern, um so geringer die Chance, daß eine Pflege zu Haus möglich ist. So sterben die Menschen heute zumeist im Krankenhaus – 90% der städtischen und 60% der ländlichen Bevölkerung –, obwohl die meisten das Bedürfnis haben, zu Hause zu sterben.

Immer mehr Menschen leben als sogenannte Singles. Sie werden auch am Ende ihres Lebens allein stehen. Für sie gibt es nicht einmal mehr rein theoretisch die Möglichkeit des Sterbens in der Obhut eines nahen Menschen.

Der Umgang mit dem Tod fällt vielen Menschen auch deshalb schwer, weil der Umgang mit dem Tod nicht mehr eingeübt werden kann. Wir werden an Sterbende und Tote via Film und Fernsehen herangeführt, bleiben aber in der Regel bei einer distanzierten Haltung. Jemand hat das – wie ich meine recht zutreffend – „die Pornographie des Todes" genannt.

Mit diesem kurzen Streifzug habe ich exemplarisch die Änderung der tatsächlichen Lebens- und Lebensendesituation der Menschen deutlich machen wollen. Der Schluß daraus – und darin sind wir uns über Parteigrenzen einig – ist: Wir brauchen zum einen eine neue Sterbe- und Trauerkultur. Und wir brauchen eine Versorgung der sterbenden Menschen, die der aktuellen Situation in unserer Gesellschaft und dem Anrecht eines jeden Menschen auf einen selbstbestimmten, würdigen, schmerzfreien und humanen Tod Rechnung trägt.

Welche Konsequenzen und Forderungen ergeben sich hieraus?

Die aus England stammende Hospizidee hat seit ihren Anfängen Ende der sechziger Jahre immer mehr Raum gewonnen. Die Notwendigkeit der institutionellen Absicherung der umfassenden Begleitung Schwerstkranker und Sterbender und deren Angehöriger ist kontinuierlich in das Bewußtsein der politisch Verantwortlichen gedrungen. Dies wollen wir heute nicht schwerpunktmäßig diskutieren. Die Frage Hospizidee ja oder nein ist längst positiv entschieden.

Allerdings hat dieses Bewußtsein noch nicht den Schritt in die politische Umsetzung geschafft. Ziel unserer gemeinsamen Veranstaltung ist es, ein Stück auf diesem Weg voranzukommen.

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen Horst Schmidbauer vom Dezember 1993 macht deutlich, daß nur wenig gesichertes Datenmaterial über die Versorgung mit Hospizen in der Bundesrepublik vorliegt und ich gehe davon aus, daß sich dies innerhalb eines Jahres auch noch nicht gravierend verändert hat.

„Die Zahl der durch Hospize oder Hospizdienste versorgten Menschen ist der Bundesregierung nicht bekannt", lautete eine der Aussagen der Bundesregierung. Und als Begründung wird angegeben: „Die Vielzahl der in diesem Gebiet tätigen Initiativen und Institutionen erschwert den Überblick sehr."

Weitere Angaben verdeutlichen das schlechte Zahlenmaterial, so schwanken die Zahlenangaben zu den Einrichtungen in der gesamten Bundesrepublik zwischen 200 und 4.000 Einrichtungen. Oder – als weiteres Beispiel – geht eine Quelle von zwei Hospizen auf 10 Millionen Einwohner aus.

Härtere Daten gibt es zu stationären Hospizen und Palliativeinrichtungen. 1993 wurde von 20 stationären Hospizen und 21 Palliativstationen an Krankenhäusern ausgegangen. Die von der Bundesregierung geförderte Modellmaßnahme „Palliativstationen in Krankenhäusern" wird demnächst einen Endbericht vorlegen, von dem wir Aufschlüsse über den Aufbau solcher Stationen und – politisch gravierender – Informationen für eine notwendige Änderung in der Konzeption im Hinblick auf die Überleitung der Maßnahmen in die Regelversorgung gewinnen können. Ich hoffe, daß uns hierzu später Frau Prof. Dr. Rauterberg, die im Gesundheitsministerium unter anderem für diesen Bereich zuständig ist, schon Näheres berichten kann.

Des weiteren fördert die Bundesregierung zwei Hospize, eines von ihnen wissenschaftlich begleitet. Sodann existiert im Rahmen des Bundesaltenplans ein Modellprojekt „Kriseninterventionsteam – Begleitung älterer Menschen in lebensbedrohlichen Situationen". Vielleicht können wir auch hierzu später einige Informationen über die Projektansätze und die Ergebnisse bekommen. Es sterben jedoch nicht nur alte Menschen. In den nachfolgenden Referaten werden wir vor Augen geführt bekommen, daß aus den unterschiedlichen Krankheiten ganz unterschiedliche Bedürfnislagen der zu Betreuenden und deren Familien und Freunde entstehen.

So komme ich jetzt zu den Zielvorstellungen, bei denen es wohl auch parteiübergreifend keinen Dissens gibt.

  1. Es muß ein ausgewogenes, engmaschiges und vernetztes Angebot von ambulanten, teilstationären und stationären Diensten und Einrichtungen zur Versorgung Sterbender eingerichtet werden.
  2. Dieses Angebot muß so geschaffen sein, daß die Versorgung ambulant vor stationär geschieht und daß das Angebot auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten ist. Stichwort: Das richtige Angebot zur richtigen Zeit.
  3. Das Angebot muß umfassen:
    • den palliativen Bereich,
    • eine qualifizierte schmerztherapeutische Versorgung,
    • die Möglichkeit der schnellen Intervention in Krisenphasen,
    • Bewältigungsangebote für Angehörige und Freunde.

    Um diese Ziele erreichen zu können ist es notwendig:

    1. daß palliative und speziell auch schmerztherapeutische Fachkenntnisse verpflichtender Bestandteil der Ausbildung von Ärzten und Pflegefachkräften werden müssen,
    2. daß darüber hinaus die Auseinandersetzung mit dem Tod, die Sterbebegleitung, einschließlich der Begegnung mit den Angehörigen unter medizinischen, psychologischen, religiösen, kulturellen und ethnischen Aspekten, stärkere Bedeutung in der Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften gewinnen muß,
    3. daß ehrenamtliche ambulante Betreuer qualifiziert und ihnen die Möglichkeit von Supervisionen gegeben werden müssen,
    4. daß auf Länderebene und/oder kommunaler Ebene Konzepte zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Sozialstationen, Hospizen, Altenpflegeheimen und Krankenhäusern geschaffen werden müssen, was möglicherweise auch eine Aufgabe der öffentlichen Gesundheitsdienste sein könnte,
    5. und das zuletzt, jedoch als eines der wichtigsten Elemente – und daran wird sich der Streit, so denke ich, am ehesten entzünden –, die Umsetzung all dessen muß auf finanziell sichere Füße gestellt werden.

    Hier besteht große Unsicherheit, da die Finanzierung zwischen den Krankenkassen, Pflegeversicherungen, Sozialhilfe, Kriegsopferfürsorge, Unfallversicherungen, Eigenleistungen und Aufwendungen der Träger der Hospizinitiativen geregelt werden muß.

    Hinsichtlich der Ausbildung muß mit den Ländern ein Konsens gefunden werden.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999

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