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Claus Leggewie
Institutionelle Rahmenbedingungen für eine Einwanderungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland




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I. Einleitung: Zum Begriff der Institution

Die Themenstellung setzt vorab die genauere Klärung des Begriffs „Institution" voraus. In einem weiteren und allgemeinen Sinne sind Institutionen soziale Handlungsregelmäßigkeiten und -gewohnheiten von relativer Konsistenz und Dauer. Anders gesagt: Besondere Einrichtungen (von lat. instituere: einsetzen/einrichten) strukturieren die Vielfalt sozialer Interaktionen, die sich in post-traditionalen Gesellschaften selbst begründen müssen und ebenso legitimationspflichtig wie -bedürftig sind. Institutionen zwängen menschliche Handlungsoptionen ein, sie verbürgen den sozialen Akteuren aber auch Sicherheit (im Sinne der gegenseitigen Berechenbarkeit von Handlungserwartungen und -resultaten) und garantieren eben dadurch individuelle Handlungsfreiheit.

Politische und im engeren Sinne staatliche Institutionen sollen auf diese Weise allgemein verbindliche Entscheidungen herbeiführen und dauerhaft sichern. Dem zu diesem Zwecke vereinbarten staatlichen Gewaltmonopol stehen dazu üblicherweise die Medien Gesetz und Geld, äußerstenfalls auch Gewaltanwendung zur Verfügung. Politische Institutionen erschöpfen sich aber in modernen Verfassungsstaaten nicht in der staatlichen Herrschaftsausübung. Auch Öffentlichkeit gehört wesentlich zum „Set" politischer Institutionen, sie erst schafft Raum und Resonanzboden, also in einem umfassenden Sinne den zivilgesellschaftlichen Rahmen des Politischen. Politische Institutionen haben somit immer eine herrschaftliche und eine zivilgesellschaftliche Dimension.

Bezogen auf das neue, noch nicht klar definierte, in der öffentlichen Diskussion wie in der politischen Klasse hochumstrittene Politikfeld Migration, ist nun im engeren Sinne nachzudenken über die Form der Institutionalisierung transnationaler Migrationsprozesse, speziell der Einwanderung, d.h. an alle staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen, die Wanderungsprozesse in die Bundesrepublik Deutschland bzw. in den Geltungsbereich des Schengener Abkommens steuern. Sie tun dies einerseits, indem sie räumliche und soziale Mobilität anreizen bzw. ihren konkreten Umfang und Verlauf organisieren, andererseits, indem sie ihr quantitative Grenzen (von 0 bis n) setzen oder ihr eine besondere Qualität verleihen wollen. Recht und Verwaltung sind in der aktuellen „Proto-Politik" die herausragenden Instanzen, in allen vorliegenden, noch tentativ gehaltenen und unausgereiften Konzepten künftiger Einwanderungspolitik. Dabei beschränkt sich die Einwanderungsdebatte meist auf Probleme der interkulturellen Wahrnehmung, auf die Darlegung von Szenarien der ökonomischen und sozialpolitischen Soll-Erfordernisse und die sozioökonomischen und identitären Folgeprobleme für Entsender- und Empfangsgesellschaften.

Neuerdings werden auch konkrete rechtliche Normierungen und Setzungen des Einwanderungsprozesses diskutiert. Gleich ob die vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen als Einwanderungsförderung oder Zuwanderungsbegrenzung konzipiert werden, fehlt den Politikpostulaten in der Regel institutionelle Phantasie. Meist zielen die Erwartungen der Einwanderungsbefürworter auf die Einrichtung eines „Einwanderungsministeriums" oder einer ähnlichen Behörde ab. Das ist, angesichts der politischen Stimmung in der Bundesrepublik und in den meisten europäischen Ländern, aber auch im Blick auf Erfordernisse eines „schlanken Staates", eine ebenso phantastische wie phantasielose Konzeption. Denn mit dieser konventionellen Überlegung, die sich auf die Üblichkeiten politischer Steuerung und die Gewohnheiten erfahrener Immigrationsgesellschaften stützt, wird die Komplexität des Politikfeldes erheblich unterschritten.

Im folgenden möchte ich erstens den Paradigmenwechsel von der Ausländer- zur Einwanderungspolitik beschreiben, zweitens das bestehende Dispositiv einwanderungspolitischer Institutionen beschreiben und auf dieser Grundlage ein Reformkonzept skizzieren, das das staatliche Handlungssystem mit zivilgesellschaftlichen Aktionsfeldern verknüpft.

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II. Von der Ausländer- zur Einwanderungspolitik

Die Institutionen, die den Einwanderungsprozeß in die Bundesrepublik derzeit steuern, sind im wesentlichen der Markt und das Recht, konkreter die Nachfrage des deutschen Arbeitsmarktes und die Angebote der Sozialtransferstellen (vor dem Hintergrund der ökonomischen und politischen push-Faktoren in den Emigrationsregionen) sowie die Bestimmungen der deutschen Ausländer- und Asylgesetze. Auf ihnen beruht die Gewährung von je nach Wanderungsgrund, Herkunftsland und Familienstatus gestaffelten Aufenthaltsberechtigungen unterschiedlicher Dauer und die Erteilung der individuellen Arbeitserlaubnis. Insofern ist der Einwanderungsprozeß nach Deutschland hochgradig verregelt und institutionell begrenzt. Grundlage dieser Regulierung ist die territoriale Souveränität der Bundesrepublik Deutschland (Staatsangehörigkeit) im Rahmen der Europäischen Union (Freizügigkeit), vor dem Hintergrund einer durch „wilde" Mobilität und „offene Grenzen" gekennzeichneten Weltgesellschaft.

Der durch restriktive Administrierung beschränkten, marktbezogenen Institutionalisierung des Einwanderungsprozesses seit 1945 (Ost-West-Migration ethnisch deutscher Flüchtlinge) bzw. 1955 (Süd-Nord-Migration sogenannter Gastarbeiter) kann man idealtypisch die administrative Zwangspraxis der DDR gegenüberstellen, die als geschlossene Organisationsgesellschaft ebenfalls kleine Kontingente ausländischer Arbeitskraft einführte und die Mobilität der Angeworbenen im eigenen Land nachhaltig kontrollierte und zeitlich begrenzte. In beiden deutschen Staaten war die Regulierung des Immigrationsprozesses unter den leitenden Gesichtspunkten der vorübergehenden Befriedigung von Arbeitsmarktbedürfnissen und der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit des Empfängerlandes konzipiert, wobei das repressive Medium des Ausländerrechts als Mittel zur Gewährung zeitlich und räumlich limitierten Aufenthalts herausragte. Die handelnden Akteure waren damit Ausländerämter und Gerichte.

Diesen markt- und planwirtschaftlichen Steuerungsversuchen, die in ihrer rechtsstaatlichen Qualität wie in ihren Effekten hochproblematisch sind, steht nun vermehrt der Wunsch gegenüber, den Prozeß der Immigration von seiner Entstehung an bis in seine langfristigen Wirkungen hinein, d.h. über Generationen hinweg, politisch zu gestalten, also nach den Wünschen der Einwanderungsgesellschaft und zugleich im Sinne der Immigranten institutionell zu reformieren. Kann dies gelingen? Steuerungsoptimisten trauen staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen eine derartige Leistung zu, Pessimisten schließen dies, ebenso wie in anderen Tätigkeitsfeldern des politisch-administrativen Systems (z.B. der Umwelt-politik), als chancenlos aus. Sie reduzieren die Leistungen der zuständigen Institutionen auf die Kommunikation des Wanderungsproblems mit anderen gesellschaftlichen Institutionen bzw. Subsystemen.

Will man Regelung und Gestaltung transnationaler Wanderungsprozesse nicht dem Wildwuchs des Marktes überlassen oder auf die Zuteilung von Aufenthaltsrechten an der Landesgrenze bzw. durch Ausländerbehörden beschränken, muß man ein Geflecht behördlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen in Betracht ziehen, die den gegebenen Wanderungsströmen eine konsensfähige Richtung geben, und zwar nach vorab erarbeiteten und revidierbaren Zielgrößen. In der Regel wird eine solche Aufgabe, wie gesagt, einem noch einzurichtenden Ministerium oder einer entsprechenden Einrichtung zugewiesen. Doch auch ohne ein solches steht eine reformorientierte Perspektive nicht vor einer migrationspolitischen Tabula rasa, eher sind die gegebenen institutionellen Bedingungen „umzurahmen" bzw. neu „einzurahmen".

Derzeit ist die bei uns vorwiegend als „Ausländerpolitik" definierte Einwanderungspolitik

a) eher exklusiv als inklusiv, denn sie zielt auf Reduzierung, Rückführung oder Konservierung nicht-deutscher ethnischer Minderheiten, nicht auf deren politische Einbürgerung. Eine entsprechende Novellierung des bestehenden Staatsangehörigkeitsrechts ist daher die erste Voraussetzung und conditio sine qua non aller weiteren institutionellen Innovationen.

b) Sie zielt auf die Ausdünnung und baldige Beendigung des in Gang gekommenen Immigrationsprozesses ab, nicht auf die langfristige Vorbereitung künftiger Einwanderung und die politische Verarbeitung bisherigen Immigration.

c) Es dominiert damit der Aspekt der Sicherheit der einheimischen, nicht der gleichberechtigten Integration der eingewanderten Bevölkerung, die vorrangig als Klientel einer defensiven und paternalistischen Sozialpolitik oder als Schutzobjekt gegen fremdenfeindliche Stimmungen und Akte aufgefaßt wird.

An die Stelle dieser restriktiven, rückwärtsgewandten und repressiven Orientierung muß eine inklusive, mittel- und langfristige und subsidiär-partnerschaftliche Konzeption treten. Will man sich dabei institutionell nicht überheben oder unrealistische Forderungen stellen, muß aber migrationspolitisch das Rad nicht neu erfunden werden. Eine bessere Einwanderungspolitik kann auf (west)deutsche Erbschaften, ausländische Vorbilder, Erfahrungen mit der Institutionalisierung anderer neuer Politikfelder (Umwelt, Frauen) sowie quasi-soziale Bewegungen der letzten Jahre zurückgreifen.

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III. Institutionelle Erbschaften



1. Deutschland

In der Bundesrepublik ist seit Beginn der fünfziger Jahre und insbesondere seit den siebziger Jahren ein ganzes Dispositiv zur Regulierung von Migrationsprozessen angelegt worden, dessen Mangel nicht allein in der verkümmerten Zielperspektive („Deutschland ist kein Einwanderungsland") lag – mit der Folge einer falschen, kurzfristig-transitorischen Problemdefinition –, sondern auch in der mangelnden Koordination und Abstimmung zwischen den staatlichen Agenturen, auf welche die Bearbeitung von Migrationsfolgen ressortmäßig verteilt war. Sie seien hier zunächst in der Abfolge ihrer historischen Genese und im Bezug auf ihre Hauptaufgaben benannt:

a) Bereits in den Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik entstand unter ausgesprochen mißlichen finanziellen und administrativen Bedingungen eine Infrastruktur zur Aufnahme von Displaced persons, insbesondere von Heimatvertriebenen, also ethnischen Deutschen, die Opfer der „Aussiedlungspolitik" in Ostmitteleuropa nach 1945 geworden waren. Sicherlich war dieser letztlich rund 12 Millionen Menschen umfassende Vorgang nicht als „Immigration" intendiert und deklariert. Aber er warf von seiner Struktur her (übrigens auch von den aus der Ansiedlung resultierenden sozialen und kulturellen Konflikten mit den Einheimischen) analoge Probleme auf, die mit einer im Lauf der Jahre perfektionierten und in ihrem Erfolg bewundernswerten Integrationspolitik administriert wurden. Auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene wurden, zum Teil im Ministeriumsrang auf Bundes- und Länderebene, eigenständige Behörden eingerichtet, die auf Basis des Bundesvertriebenengesetzes der sozialen, schulischen und kulturellen Eingliederung dienten, alle Lebensberei-che der Neuankömmlinge erfaßten, innerhalb der Bundesrepublik zwischen Abgabe- und Aufnahmeländern umverteilten und auch die materielle Entschädigung der entwurzelten und zum großen Teil mittellosen Vertriebenen besorgten (Lastenausgleich). Daneben bildeten diese eigene Verbände und Parteien (am wichtigsten: GB/BHE), die bis in die Gegenwart hinein als einflußreiche Interessenvertretungen in der Öffentlichkeit und im politischen System auftraten. Auch wenn dieses staatliche und gesellschaftliche Instrumentarium nicht explizit zur Steuerung eines Einwanderungsprozesses aufgeboten wurde, ist es als institutionelle „Lernerfahrung" der frühen Bundesrepublik bei der Aufnahme und Eingliederung von Fremden von exemplarischer Bedeutung, bleibt jedoch als Repertoire und Erfahrungsschatz späterer Immigrationspolitik fast unberücksichtigt.

b) Mit Erreichen der Vollbeschäftigung und der zunehmenden Knappheit an bestimmten Arbeitskräften entwickelte die Bundesrepublik in Gestalt auswärtiger Anwerbestellen ein Vermittlungssystem für sogenannte Gastarbeiter im Mittelmeerraum, einschließlich der Türkei. Diese Aufgabe fiel überwiegend in den Bereich der Arbeitsverwaltung, die sich den fliegenden Wechsel (Rotation) kurzfristig importierter Arbeitskraft vorstellte, nicht jene Immigration, die sich binnen zweier Jahrzehnte faktisch herausbildete und mit dem 1973 von derselben Arbeitsverwaltung gesetzlich implantierten Inländerprimat in Gestalt des Familiennachzugs erst recht festigte. Wieder ohne es recht wissen zu wollen, war damit ein Mechanismus des gezielten Arbeitskräfteimports (ungelernter, junger, männlicher Arbeiter) installiert, an das in gewandelter Form und anderen Kontexten anzuknüpfen wäre, sofern die Bundesrepublik und andere europäische Staaten nach realistischen Szenarien bald erneut an Arbeitskräftemangel, vor allem aber an einer dramatischen Überalterung zu leiden haben werden.

c) Ebenfalls formell in den Kompetenzbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales fiel das nach 1978 in Etappen herausgebildete Büro des Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, das vor dem Hintergrund der allmählichen Etablierung von Einwandererfamilien und ersten ethnischen und soziokulturellen Konflikten unter sozialliberaler Ägide aufgebaut wurde, seit 1982 aber nach finanzieller und personeller Ausstattung sowie Rang und Einfluß gegenüber Kabinett, Bundestag und Ministerialbürokratie marginal blieb. Zielperspektive dieses unklar veran-kerten Büros war, vor dem Hintergrund aufkommender Xenophobie, der ersten Einwanderergeneration politische Artikulationsmöglichkeiten zu schaffen (Forderung nach kommunalem Wahlrecht, Bildung von Ausländerbeiräten) und die schulische Situation und berufliche Bildung der zweiten Generation zu verbessern. Dazu sind unter den bisherigen Amtsinhabern wichtige Anstöße gegeben worden, aber dank der gewollten Machtlosigkeit des Amtes, das weder über parlamentarische Rechte noch über den notwendigen Zugang zum Bundeskanzler verfügt und sich zur politischen Mehrheitslinie der christlich-liberalen Koalition quasi-oppositionell verhält, erschöpfte sich seine Funktion in Beratung und Öffentlichkeitsarbeit. Seine Möglichkeiten waren, mangels Geld und Gesetzesinitiative, auf reine Überzeugungsarbeit beschränkt, also auf das „weiche" Medium Persuasion angewiesen, wobei die oft unerhörten Ratschläge (von der Mahnung einer liberalen Regelung des Familiennachzugs bis zum Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts) ungehört blieben und sich die Öffentlichkeitsarbeit auf die Funktion einer Klagemauer beschränkte.

d) Denn die faktische Regulierung des Einwanderungsprozesses lag in den Händen der Innenministerien und der ihnen unterstellten Regierungs- und Ordnungsbehörden – als Zuständigkeit für Ausländer, die angesichts der besonderen Restriktivität und informellen Barrieren im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht um so ironischer wirkt und die vorrangige Einstufung der Ausländer als Sicherheits- und Ordnungsproblem verrät. Unter diesem Gesichtspunkt sind, ohne allzu pauschal sein zu wollen, die Denkfigur der Inneren Sicherheit, durch vermeintlich grundgesetzwidrigen Ausländerextremismus genährt, und das Juristenmonopol die hinderlichsten Faktoren einer zeitgemäßen und wirklichkeitsbewußten Migrationspolitik. Diese verkomplizierte sich Ende der siebziger Jahre noch, da sich ein großer Teil der Einwanderer mangels anderer Zugangsmöglichkeiten und der Besonderheit dieses Rechtsgutes als Asylbewerber deklarierte. Voraussetzung einer jeden Einwanderungspolitik, die diesen Namen verdient, wären folglich die Aufhebung der Monopolstellung und definitorischen Vormacht der Bundes- und Länderinstitutionen des Inneren und das Ende der Fokussierung der Migrationsbewältigung um die Ausländerämter. Eine wie auch immer zu nennende oberste Immigrationsbehörde darf nicht im Bannkreis einer restriktiv und repressiv ausgerichteten Innenadministration verbleiben.

e) Dies gilt ebenso für die ansonsten vorherrschende Zuordnung zum Ressort Arbeit und Soziales, die sich in der Ära der Gastarbeiterbeschäftigung herausgebildet hat, in der Immigranten als Familien ausländischer Arbeitnehmer mit einschlägigen beruflichen Qualifikationsproblemen gedeutet und entsprechende kompensatorische Politiken ausgebildet wurden. Dazu ist anzumerken, daß auf diese Weise die erste und große Teile der zweiten Generation arbeitsmarkt- und sozialpolitisch verhältnismäßig gut integriert waren (und sind) und vor allem das Niveau der Arbeitslosigkeit sogenannter ausländischer Jugendlicher im europäischen Maßstab niedrig liegt. Dies beruht nicht nur auf den (mittlerweile historisch gewordenen) Bedingungen der westdeutschen Exportwirtschaft, die eine Zeit lang Gastarbeiterbeschäftigung alternativ zu Rationalisierungsmaßnahmen betrieb, sondern auch auf dem Subsidiaritätsmuster der Sozialpolitik, womit die Betreuung der ausländischen Arbeitnehmer wesentlich an die großen, religiös oder gewerkschaftlich gebundenen Wohlfahrtsverbände delegiert wurde. Deren Erfahrung muß bei jeder künftigen Einwanderungsinstitution berücksichtigt werden, sofern sie Abstand nehmen können von der Fixierung auf lohnabhängige und relativ unqualifizierte Arbeitskraft. Denn berufliche Eingliederungsanstrengungen müssen durch die beträchtliche Anhebung des Bildungsniveaus der ausländischen Wohnbevölkerung und ihrer Orientierung an freiberuflichen und selbständigen Tätigkeiten zunehmend als Mittelstandsförderung konzipiert werden. Ähnliches gilt für die Schul- und Bildungspolitik, die mit einer wachsenden Kluft zwischen jungen Einwanderern ohne jede berufliche Qualifikation, also einem potentiellen Subproletariat, und mit Zugangsberechtigungen zu Fachhochschulen und Universitäten rechnen und sich zugleich von traditionellen Erfordernissen (muttersprachlicher und nachholender Unterricht) auf die Betonung kultureller Eigenständigkeit (z.B. islamischer Religionsunterricht) umstellen muß. Arbeitsmarkterfordernisse, sozialpolitischer Defizitausgleich und ethnisch-kultureller Partikularismus bilden eine Einheit, die in der herkömmlichen Ausländerpolitik zu stark departementalisiert wurde. Dadurch entstanden Koordinationslücken, aber auch viele administrative Verdoppelungen.

f) Zum Dispositiv der Einwanderungspolitik gehörte schließlich die kommunale Doppelstruktur aus Ausländerbeiräten und Ausländerbeauftragten, die als faktische Gegengewichte zu den Ausländerbehörden wirkten, ein zusätzliches sozialpolitisches Instrumentarium darstellten und mit dem Büro der Ausländerbeauftragten kooperierten. Dieser auch durch Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften vermittelte Zusammenhang kann als lokalstaatlich gestützte ethnisch-kulturelle Selbstorganisation gewertet werden, die zugleich eine politische Ersatzfunktion übernahm. Denn angesichts der eingeschränkten politischen Betätigungsmöglichkeiten boten sie Möglichkeiten zur Interessenaggregation und -artikulation der ausländischen Wohnbevölkerung, jedenfalls der ersten Generation, auch unterhalb der regelrechten Repräsentation. Differenzierung und Individualisierung der Einwanderer können durch diese Struktur aber nur unzureichend aufgefangen werden. Dennoch bot sie in den vergangenen Jahrzehnten eine Plattform zur Formulierung reformpolitischer Initiativen (besonders zugunsten des kommunalen Wahlrechts und der doppelten Staatsangehörigkeit sowie zur Liberalisierung des Ausländerrechts), zumal die entsprechenden Stellen in der Regel von Personen des rot-grünen Spektrums geleitet werden und an seine Netzwerke angeschlossen sind. Aufbauend auf diesen Erfahrungen, aber auch auf den Mängeln dieser Ansätze zur Selbstorganisation kam es 1989 zu einer rot-grünen Koalitionsvereinbarung, die das Frankfurter Amt für Multikulturelle Angelegenheiten ins Leben rief. Im Unterschied zu den bisher beschriebenen Einrichtungen versucht das AMKA, als Querschnittsamt tätig zu sein, das alle Immigranten betreffenden Fragen und darüber hinaus alle Problem der kulturellen Differenzierung einer Metropolengesellschaft zu bündeln; dabei sollen nicht quasi-gewerkschaftlich oder als Ombudsstelle die partikularen Interessen der Einwanderer vertreten werden (dies geschieht faktisch in der Einzelfallhilfe und in den vom AMKA eingeleiteten Integrationsprojekten auch), sondern es soll Kommunikation in der Stadtgesellschaft entstehen. Von diesem Konzept her, aber auch aufgrund der ausgebliebenen Abtretung herrschaftlicher Funktionen durch bestehende Abteilungen der Stadtverwaltung, ist die vorherrschende Ressource der politischen Intervention wiederum das Mittel der Persuasion, also der kommunikativen Veralltäglichung multikultureller Koexistenz. Hiermit wurde erstmals – jedenfalls vom Konzept her – die Zentralisierung der (lokalen) Immigrationspolitik in einem Querschnittsamt betrieben, und zugleich wurde diese (überwiegend informelle) Funktion wiederum an die „zivile Gesellschaft" zurückdelegiert, also dezentralisiert. In der Praxis erreichte die Akzeptanz des AMKA in der Frankfurter Stadtverwaltung nie das gewünschte Niveau; zugleich haben sich deutliche Entfremdungser-scheinungen zwischen dem Amt und der „Basis" ergeben, wie sich die gewählten Vertreter der ausländischen Bevölkerung Frankfurts ihm gegenüber verstehen. Unbestritten, wenn auch wiederum nicht unumstritten ist, daß mit diesem Amt erstmals das Konzept des Multikulturalismus institutionalisiert worden ist, und zwar in dem Verständnis einer weitgehenden kulturell-religiösen Ausdifferenzierung unter dem Dach republikanischer Staatsbürgerschaft. Auf Landesebene haben sich ähnliche Einrichtungen herausgebildet oder in diese Richtung entwickelt; zu nennen ist hier vor allem die Berliner Senatsverwaltung der Ausländerbeauftragten, das Hessische Büro für Einwanderer oder die Ausländerbeauftragten der Länder (z.B. Niedersachsen).

g) Das vollständigste Dispositiv der Immigrationspolitik – von der Erfassung im Ausland bis zu Eingliederung im Inland – ist wie zu Beginn der Geschichte der Bundesrepublik auf ethnische Deutsche gerichtet, die als Aussiedler seit den siebziger Jahren in großer Zahl nach Deutschland aufgenommen werden. Auch dieser Transfer liegt in den Händen der Innenverwaltung, die die Stelle eines „Aussiedlerbeauftragten" eingerichtet hat, die sich um die Organisation des gesamten Wanderungsprozesses bis hin zu relativ großzügigen Eingliederungshilfen kümmert. Auch in diesem Fall wird wieder ein mehrere hunderttausend Menschen umfassender Emigrationsprozeß einigermaßen perfekt verwaltet, womit die Bundesrepublik deutlich demonstriert, daß Aufnahmemöglichkeiten und finanzielle wie institutionelle Ressourcen zur Verfügung stehen, sofern eine politische Notwendigkeit dafür gesehen wird und der politische Wille besteht. Auf ähnliche Weise transformierbar wären die Bundesstellen für die Anerkennung von Asylbewerbern.

Überblickt man dieses in der Geschichte der Bundesrepublik entwickelte und im Kranz von a) bis g) beschriebene Dispositiv bundesdeutscher Einwanderungspolitik, so zeigt sich

erstens die Vorherrschaft des restriktiven bzw. repressiven Regulierungsmodus in Gestalt der Innenbehörden, wobei als Hauptmedium der Politik das Recht anzusehen ist;

zweitens die strikte Trennung des Immigrationsmodus zwischen der (gewünschten) Einwanderung ethnischer Deutscher aus Osteuropa, für die das gesamte Instrumentarium entwickelt worden ist, und der unerwünschten bzw. nicht-deklarierten Einwanderung nicht-deutscher ethnischer Min-derheiten aus Staaten außerhalb der Europäischen Union, die unterinstitutionalisiert geblieben ist;

drittens die Departementalisierung der migrationspolitischen Aufgabenfelder nach aufenthaltsrechtlichen, sozialpolitischen, bildungspolitischen und sonstigen Gesichtspunkten, die nur mangelhaft miteinander koordiniert und vernetzt sind;

viertens die ausgeprägte Doppelstruktur von herrschaftlichen Institutionen und Selbstorganisationsversuchen, die nur selten miteinander verschränkt werden und im übrigen auch von einer parteipolitischen Arbeitsteilung durchzogen sind, wobei sich eine reformpolitische Domäne der Grünen herausgebildet hat;

fünftens die Konzeptualisierung der Immigrationspolitik anhand der Problemlagen und Bedürfnisse der ersten Generation und entlang der Paradigmen der industriellen Beziehungen der Arbeitsgesellschaft, womit die wachsende Eigenartigkeit und Heterogenisierung der Inländer ohne deutschen Paß und die Verlagerung von arbeits- zu kulturgesellschaftlichen Problemlagen in der zweiten und dritten Generation zu schwach repräsentiert bleibt;

sechstens die Konzentration der diversen Politiken auf die Eingliederung der in Deutschland lebenden Minderheiten, während die Infrastruktur für künftige Migrationsprozesse – mit der wesentlichen Ausnahme des Arrangements für Aussiedler – vakant bleibt;

siebtens die im internationalen Vergleich deutlich werdende Minderausstattung der Immigrationspolitik nach Rang und Einfluß in der Ministerial- und Behördenstruktur.

2. Die Politik klassischer Einwanderungsländer

Der letzte Aspekt zeigt sich, wenn man nicht nur die Ressortausstattung in klassischen Einwanderungsländern (wie den USA und Kanada) in Betracht zieht, sondern auch im Blick auf die meisten Länder der EU, in die Einwanderung in meist erheblich geringerem Umfang erfolgt, wo in der Regel aber Ministerien oder Bundesämter zuständig sind, deren Ausstattung und Einfluß den in der Bundesrepublik vorherrschenden Büros der Ausländer- oder Aussiedlerbeauftragten aber weit überlegen ist. Diese haben sich in den vergangenen Jahren intensiv um Anschauungsunterricht in den genannten Ländern bemüht, wobei sie in den Vereinigten Staaten eine etablierte, in Quotierung und Antidiskriminierungspolitik, auch affirmative action erfahrene Administration, in Kanada eine unter dem offiziellen Konzept des Multikulturalismus um sprachlichen Ausgleich zwischen den anglophonen und frankophonen Regionen, neuerdings auch um Einbeziehung der Ureinwohner und neuen Immigranten bemühte Verwaltung und in Großbritannien ein ausgearbeitetes Instrumentarium der equal opportunity-Politik kennengelernt haben. Für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, das de facto eines der attraktivsten Einwanderungsländer der Welt ist, können die dort gemachten Erfahrungen, auch die konterproduktiven Wirkungen und nicht-intendierten Folgen der eingeschlagenen Strategien von höchstem Nutzen sein.

Ich möchte hier aus der Fülle der Erfahrungen nur zwei herausgreifen, die besondere Akzente gesetzt haben: das australische Modell multikulturell orientierter Einwanderungspolitik und das niederländische Modell der kommunalen Antidiskriminierungspolitik.

a) Australiens Einwanderungspolitik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von der Präferenz für die Kontinuität des White Australia zugunsten von Einwanderern nicht-europäischer, vor allem asiatischer Herkunft geöffnet und dabei das Paradigma des multiculturalism zum handlungsleitenden Konzept erhoben. Das bis 1987 bestehende Department of Immigration, das Zugang und Ansiedlung zahlenmäßig geringer und nach Qualifikation und Eignung quotierter Einwanderergruppen regulierte, ist durch ein direkt dem Premierminister zugeordnetes Office of Multicultural Affairs ergänzt worden. Es versteht sich als Aufsichtsbehörde für Zugangsgleichheit unter den diversen ethnischen Minderheiten, denen Subventionen für kulturelle Aktivitäten, Übersetzungsdienste u.ä. zukommen, und tritt als Anwalt und Monitor für kulturelle Gleichstellung gegenüber der australischen Öffentlichkeit wie der Verwaltung auf Bundes- und Länderebene auf. Damit soll zugleich die kulturelle Verschiedenheit der Neu-Australier aufrechterhalten und ein gemeinsames Politik- und Staatsbewußtsein der (künftigen) Republik gewährleistet werden, wobei die Förderung kultureller Autonomie und die Betonung eines gesamtaustralischen Patriotismus keinen Widerspruch bilden. Angelehnt ist die-ser Struktur z.B. ein öffentlich-rechtlicher, multikultureller Fernseh- und Rundfunksender und nicht zuletzt eine politiknahe wissenschaftlich-akademische Infrastruktur, deren Forschungsergebnisse über Struktur, Dynamik und Konflikthaltigkeit des Einwanderungsprozesses systematisch in die politische Planung eingespeist wird.

b) An der niederländischen „positiven Aktion", die sowohl naturalisierten Einwanderern aus (ehemaligen) niederländischen Besitzungen wie Immigranten aus dem Mittelmeerraum zugutekommt, ist vor allem die Verbindung lokalstaatlicher Ämter mit halbstaatlichen Stiftungen und privaten, zivilgesellschaftlichen Initiativen interessant. Damit kann eine bessere Verbindung des herrschaftlichen Instrumentariums (vom Strafrecht bis zur Beschäftigungspolitik öffentlicher Verwaltungen und Unternehmen) mit der zivilen Selbstorganisation sowohl der Immigrantenvereine wie der alteingesessenen Bevölkerung im Kampf gegen Rassendiskriminierung und für effektive Gleichstellung hergestellt werden. Die auf lokaler Ebene unter einem nationalen Dachverband arbeitenden Antidiskriminierungsbüros, eine Mischung aus Ombudsleuten und Meldestelle, treten mit diesem Synergieeffekt erfolgreicher gegen diskriminierende Akteure, auch in der Verwaltung, selbst auf, sowohl als Kontroll- wie als Beratungs- und Supervisionsorgane. Sie setzen vor allem auf kooperative außergerichtliche Lösungen (z.B. in Konflikten mit Wohnungsvermietern und mit der Polizei) und befördern zivilrechtliche Schutz- und Entschädigungsmaßnahmen, von denen Lern- und Abschreckungseffekte ausgehen. Dabei arbeiten sie ohne großen finanziellen und bürokratischen Aufwand in einem Netzwerk aus professionellen und ehrenamtlichen Stellen und fördern die Eigenaktivität der ethnischen Gruppen ebenso wie die Lernbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft. Sie haben so ein elaborierteres Interventionsmedium der Persuasion, als dies staatlichen Ämtern zur Verfügung steht. Maßnahmen „affirmativer" Politik, die eine strikte Quotierung nach der ethnischen Zusammensetzung der (Stadt)Gesellschaft voraussetzt, sind hierbei nicht angestrebt, sondern nur eine punktuelle und flexiblere Förderung der aktiven ethnischen Gruppen.

Institutionelle Phantasie kann die Bundesrepublik also nicht nur aus der Praxis klassischer Einwanderungsbehörden, d.h. aus den von ihnen gewählten Verfahren der Kontingentierung und Quotierung schöpfen, sondern auch aus einem republikanisch fundierten, pragmatischen Konzept des Multikulturalismus und aus einem nicht-etatistischen Muster der Konfliktbewältigung, das nicht ausschließlich, auch nicht in erster Linie auf dem repressiven Instrumentarium des staatlichen Gewaltmonopols beruht und die Erfahrungen sozialer Bewegungen, migrationspolitischer Initiativen und privater Stiftungen aufnimmt.

3. Erfahrungen aus der Institutionalisierung neuer Politiken

In diesem Zusammenhang kann man die Erfahrungen nachvollziehen, die insbesondere die Umwelt- und Frauenbewegung in den letzten Jahrzehnten mit ihrer Institutionalisierung, d.h. Verrechtlichung und Verregelung, und Professionalisierung, gemacht haben. Aus beiden, zunächst staatsfernen und bürokratiefeindlichen Strömungen sind mittlerweile Ministerien hervorgegangen, die teils eigenständig, teils in Personalunion mit anderen Ressorts die Vorhaben der Bewegungen in politische Planungs- und Handlungskonzepte übersetzen. Diese Transformation kann man als Ausdruck eines „ehernen Gesetzes" der Bürokratisierung sozialer Bewegungen, aber auch als Bestandteil eines regelmäßigen Zyklus sozialer Institutionalisierung ansehen.

Interessant an diesen Vorbildern, die keinesfalls schematisch auf die im übrigen weit weniger strukturierte und massenwirksame „antirassistische Bewegung" übertragen werden sollen, sind vor allem folgende Aspekte:

Erstens die Schwierigkeiten der neu und anfangs vor allem aus Legitimationsüberlegungen gebildeten Ressorts, Zuständigkeiten aus etablierten, eifersüchtig über ihre Kompetenzen wachenden Ministerien und Ämtern abzuziehen und in einen sinnvollen Zusammenhang und eine vernünftige Binnenorganisation zu versetzen. Die Grundentscheidung besteht darin, ob eine derartige Umverteilung und sachbezogene Zentralisierung ratsamer ist als eine themenbezogene Inspiration und Sensibilisierung der bestehenden Behörden. Eine Alternative zur Konzentration der Aufgaben in einem Bundesamt oder einem kommunalen Dezernat ist ja auch die Delegation von Spezialisten in die verschiedenen Hierarchiestufen der bestehenden Ämter (wie z.B. im Fall der Rotterdamer Stadtverwaltung) oder die Ansiedlung einer kleineren Behörde in der politischen Machtzentrale, wie dies beim australischen Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Fall ist. Eine ähnliche Wirkung erzielen Frauengleichstellungsinstanzen, sofern sie durch einen entsprechenden gesetzlichen Auftrag legitimiert und mit angemessenen Interventionsressourcen ausgestattet sind. Auf jeden Fall müssen sie auf Kabinetts- oder Magistratsebene hinreichend repräsentiert sein.

Zweitens hat die Allokation von Aufgaben und Machtressourcen in einer Behörde Ausstrahlungseffekte auf die Gesamtgestaltung der Politik, wie man am Beispiel einer ökologisch orientierten Verkehrspolitik oder an der Veränderung der Energie- und Wirtschaftspolitik durch umweltorientierte Richtlinien der Politik veranschaulichen kann; ähnlich dürfte es sich verhalten, sobald ein entsprechender Paradigmenwechsel von der Ausländer- zur Einwanderungspolitik erfolgt bzw. allgemeiner ein exklusives Politikmuster durch ein inklusives verdrängt wird. So würde eine institutionalisierte Immigrationsperspektive neue Weichenstellungen in der Altersvorsorge, in der Bildungs- und Kulturpolitik und nicht zuletzt in der Wirtschaftspolitik freisetzen.

Drittens zeigt sich an den genannten Politikfeldern, daß die Institutionalisierung eines neuen Politikbereichs zunächst interne, d.h. auf das politisch-administrative System selbst bezogene Effekte hat (etwa durch Umweltschutz als Staatszielbestimmung oder durch die Quotierung in Parlamenten, Parteien und öffentlichen Dienst), bevor sie mit den klassischen Medien (Geld, Gesetz, Gewalt) und neuartigen Überzeugungsprogrammen die externen Steuerungsadressaten, also die diversen gesellschaftlichen Akteure erreicht und ihnen Verhaltensänderungen aufherrscht oder nahelegt. So begann die Selbstaufklärung des politisch-administrativen Systems in Sachen Gleichberechtigung und Ressourcenschonung, so begänne auch eine Migrationspolitik, hier mit einem neuen Staatsangehörigkeitsrecht, das zunächst die Diskriminierung durch Staatsangehörigkeit beseitigt, bevor sie den Maßgaben des Artikel 3 GG folgt und Diskriminierungen nach Herkunft, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit verhindern und, besser noch: ihnen vorbeugen könnte. So kämen dann die Forderungen der gegen Diskriminierung und Fremdenhaß eingestellten Teile der Gesellschaft, ob sie nun in Antifa-Komitees oder Lichterketten zusammengefaßt und bewegt sind, zu einer gewissen Machtstellung.

Viertens ist erkennbar, daß Gewicht und Richtung der staatlichen Politiken anders bestimmt werden, solange ihnen eine gesellschaftliche Bewe-gung auf den Fersen bleibt, sie als Kontrollwesen und Beratungsorgan begleitet und überschießende Ziele formuliert. Es gibt weiterhin eine Umwelt- und Frauenbewegung, so muß es auch fürderhin eine multikulturelle Bewegung geben, die ihre Ziele nicht in der administrativen Kleinarbeitung der Migration erschöpft sieht und die ihren Sachverstand auch auf institutionalisierte Weise den Entscheidungsinstanzen vermittelt. Die gesellschaftliche Expertise über alle mit Migration und Integration verbundenen Fragen ist weit stärker entwickelt als das Bewußtsein der politischen Klasse, ähnliches gilt für das brachliegende Know-how mancher Verbände und freien Initiativen. Dem steht aber die gewollte Selbstmarginalisierung und die zum Teil verbalradikale Attitüde der antirassistischen Gruppen entgegen, während im übrigen eine nicht aus Betroffenen und Anwälten der Migration zusammengesetzte Öffentlichkeit kaum besteht.

Aus diesen Einsichten folgt, daß eine inklusive, langfristig angelegte, nicht-paternalistische Einwanderungspolitik vor allem drei Probleme institutionell lösen muß:

erstens die institutionelle Allokation und Vernetzung der bestehenden Regulierungsinstrumente, z.B. in Gestalt von „Querschnittsämtern";

zweitens die systematische Koppelung von herrschaftlichen mit halb- und nicht-staatlichen Einrichtungen, als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips auch in diesem Politikfeld;

drittens die Politikverflechtung der zentralen mit regionalen und kommunalen Instanzen.

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IV. Skizze der institutionellen Struktur künftiger Einwanderungspolitik

Aus der beschriebenen Infrastruktur folgt im Kontext einer reformulierten Einwanderungspolitik für die Bundesrepublik Deutschland eine Reallokation der verstreuten migrationspolitischen Kompetenzen aus den bisherigen Zuständigkeiten und Ressorts. Denkbar wäre ein Bundesamt für Migration, Integration und multikulturelle Angelegenheiten, das

a) Aufgaben der Kontingentierung und Quotierung im In- und Ausland bündelt, und zwar nunmehr für alle Gruppen von Immigranten (Einwanderer, Aussiedler, politische und Bürgerkriegsflüchtlinge);

b) die wesentlichen integrationspolitischen Aufgaben der schulischen und beruflichen Bildung, der Wohnraumversorgung, des Sprachunterrichts, der Übersetzerdienste etc. übernimmt bzw. koordiniert.

Diese immigrationspolitische Exekutive sollte durch die Position eines/r dem Bundestag berichtspflichtigen und dort redeberechtigten Einwanderungsbeauftragten mit der Legislative verbunden werden und wäre eng an die entsprechenden Einrichtungen auf Länder- und Gemeindeebene sowie an die Wohlfahrtsverbände und Ausländerbeiräte anzubinden. Das Bundesamt müßte, solange es nicht als eigenständige Einrichtung im Ministeriumsrang vorgesehen ist, einem Ministerium zugeordnet, aber als interministerielle Einrichtung aufgebaut sein. Ebenso wie an Bundestag und Bundesrat wäre die enge Bindung an die europäischen Institutionen vorzusehen.

Diesem exekutiven, mit der Legislative verbundenen Komplex stehen in kooperativer Weise gegenüber

a) eine Art „Kommunikative" aus Vertretungen der ethnisch-kulturellen und einheimischen Selbstorganisationen, die sich als zivilgesellschaftliche Lobby- und Promotionsagentur versteht und in einer Art „Gesellschaft für Migration und Multikulturelle Angelegenheiten" zusammenschließen kann,

b) eine Art „Konsultative" in Gestalt eines wissenschaftlichen Sachverständigenrates mit jährlicher Berichtsaufgabe, dem dringend ein gut ausgestattetes, interdisziplinäres Forschungsinstitut zur Verfügung stehen müßte,

c) kommunale, halb-staatlich organisierte Antidiskriminierungsstellen, die über ein qualifiziertes Schlichtungs- und Mediationsinstrumentarium verfügen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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