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Otto Schily:
Einführung in das Thema


Sehr geehrte Damen und Herren,

zu der heutigen Konferenz darf ich Sie herzlich willkommen heißen. Daß mir die Ehre zuteil wird, die Konferenz mit einer kurzen Ansprache zu eröffnen, hat nicht nur mit meiner Funktion innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion zu tun, sondern soll auch ein Zeichen dafür sein, daß für uns das Thema, dem Sie sich in den nächsten Stunden widmen werden, einen hohen Rang einnimmt.

Weil ich selbst nur Gast in diesem Hause bin, darf ich es Frau Dr. Mehrländer überlassen, die Referenten der heutigen Veranstaltung vorzustellen und den Tagesablauf näher zu erläutern. Erlauben Sie mir aber, einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken.

Wahrscheinlich sind die meisten von Ihnen nicht zum ersten Mal einer Einladung des Gesprächskreises Arbeit und Soziales der Friedrich-Ebert-Stiftung gefolgt, um das Thema „Einwanderung" und das Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern zu diskutieren. Unser heutiges Zusammentreffen reiht sich ein in die ganze Serie von ähnlichen Veranstaltungen, die der Gesprächskreis organisiert. Darin kommt zum Ausdruck, daß die Friedrich-Ebert-Stiftung – zu Recht – ebenso wie die SPD dem Thema „Einwanderung" einen hohen Stellenwert zumißt. Zugleich wird aber deutlich, daß es einer sehr gründlichen und beharrlichen Arbeit bedarf, um bei den Problemen, um die es geht, zu vernünftigen und praxistauglichen Ergebnissen zu gelangen. Für die parlamentarische Alltagsarbeit ist es von großem Nutzen, wenn in Institutionen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung eine solche gründliche Arbeit stattfindet. Gerade auch die Aktivitäten des Gesprächskreises Arbeit und Soziales der Friedrich-Ebert-Stiftung sind für die Politik eine wertvolle Unterstützung. Wie immer sind es aber nicht die Institutionen an sich, sondern einzelne Menschen, die eine Sache voranbringen. Lassen Sie mich daher an dieser Stelle ausdrücklich Frau Dr. Ursula Mehrländer, der Leiterin des Gesprächskreises, und Herrn Günther Schultze für ihre engagierte Tätigkeit sehr herzlich danken. In diesen Dank schließe ich selbstverständlich die weiteren Mitwirkenden ein.

Unseren besonderen Dank und hohe Anerkennung hat der Gesprächskreis um so mehr verdient, als es sich um Fragen handelt, die einfache Antworten nicht zulassen.

Die Erfahrung lehrt: Unterschiedliche Aufgabenstellungen führen zu unterschiedlichen Erwartungen. Das gilt im Verhältnis der Friedrich-Ebert-Stiftung zur SPD auch für die Frage, ob ein Einwanderungsgesetz – und wenn ja, welches – von der Sozialdemokratie anzustreben ist. Der Freiheit des wissenschaftlichen Diskurses innerhalb einer politischen Bildungseinrichtung stehen nicht selten echte oder vermeintliche politische Zwänge in der politischen Praxis gegenüber. Politik wird um so erfolgreicher sein, als es ihr gelingt, Gedanken und Ideen, die im gesellschaftlichen Raum entstehen, in praktische Politik umzusetzen.

In dem im vergangenen Jahr veröffentlichten SPD-Regierungsprogramm wird die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes angekündigt. Das ist ein Auftrag auch an die Bundestagsfraktion für ihre Parlamentsarbeit.

Nüchtern sollten wir uns allerdings auch eingestehen, daß die in dem Regierungsprogramm enthaltene Forderung nach Schaffung eines Einwanderungsgesetzes im Gegensatz zu anderen Politikbereichen sehr allgemein gehalten ist. Oder anders gesagt: Bisher scheint es noch keine verbindlichen konkreten Vorstellungen darüber zu geben, wie ein Einwanderungsgesetz im Detail aussehen könnte. Es wird Sie daher auch nicht überraschen, daß die Bundestagsfraktion auf diesem Feld noch nicht sehr weit vorangekommen ist. Allerdings hat die Arbeitsgruppe Migrationspolitik ihre Arbeit aufgenommen und bemüht sich um ein Gesamtkonzept sozialdemokratischer Migrationspolitik mit dem Ziel der Beschlußfassung in der SPD-Fraktion und der Partei. Sie bereitet eine Große Anfrage mit dem Titel „Migrationspolitik im Vereinten Deutschland – gibt es einen Konsens zwischen der Bundesregierung, den politischen Parteien und der öffentlichen Meinung?" vor sowie eine weitere Große Anfrage zum Thema „Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland. Leben in einer interkulturellen Welt". Die Arbeitsgruppe Migrationspolitik sucht die Zusammenarbeit mit überregionalen sowie regionalen Verbänden und Vertretern von Migranten, schwerpunktmäßig mit Migranten türkischer, griechischer, spanischer und italienischer Nationalität. Sie sucht außerdem die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, mit in der Migrationsarbeit tätigen Mitgliedern von Universitäten, Vertretern der Arbeitsverwaltung und anderen, mit dem Arbeitgeberverband, dem Institut der deutschen Wirtschaft, den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern. Geplant ist für Herbst 1995 oder Frühjahr 1996 eine ausländerpolitische Konferenz der in der SPD organisierten Migranten.

Ich habe Ihnen versprochen, eine kurze Ansprache zu halten, darum muß ich darauf verzichten, auf Detailprobleme einzugehen und beschränke mich auf einige grundsätzliche Bemerkungen.

Leider besteht die Gefahr, daß wir im hitzigen Streit um Begrifflichkeiten das Wesentliche aus dem Auge verlieren. Nach Einschätzung von politischen Beobachtern geschieht aber genau das bei der Debatte um die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht. Jeder verstehe etwas anderes darunter, wird behauptet, und viele verschanzen sich nur zu gern hinter Worten, um Gesinnungsfestigkeit vorführen zu können. Gibt es eine eindeutige Definition, was ein Einwanderungsland ist? Versuchsweise könnten wir folgende Begriffsbestimmung einführen: Einwanderungsland ist ein Staat, der der dauerhaften Verlegung des Lebensmittelpunktes einer Migrantin oder eines Migranten bewußt zustimmt und aufgrund dieser Entscheidung alles Notwendige für eine erfolgreiche Integration der Neubürger tut. So gesehen wäre die Bundesrepublik Deutschland nicht Fisch und nicht Fleisch. Abgesehen von den Aussiedlern hat es klare staatliche Angebote für Migrantinnen und Migranten nie gegeben. Ein Nicht-Einwanderungsland ist Deutschland gewiß aber auch nicht. Wir sprechen von einem De-facto-Einwanderungsland. Daß inzwischen in Deutschland Millionen Migrantinnen und Migranten eine neue dauerhafte Heimat gefunden haben, kann nur bestreiten, wer vollständig den Blick für die Realitäten verloren hat.

Jenseits aller Auseinandersetzungen um politische Begriffsbestimmungen will ich aber eines sehr klar herausstellen: Eine ängstliche Abwehrhaltung gegenüber Migration, wie sie die Bundesregierung vorexerziert, ist eine Torheit. Migration war immer ein lebendiges, ein innovatives Element in der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes. Wer ein Land oder ein Volk unter Quarantäne stellen will, wer der Illusion einer – überhaupt nicht wünschenswerten – Homogenität eines Volkers huldigt, ist schlecht beraten.

Wenn wir über Migrationspolitik reden, gibt es selbstverständlich auch einen Zusammenhang mit dem Parteienkompromiß zu Asyl und Zuwanderung vom 6. Dezember 1992. Es macht wenig Sinn, die alten Streitpunkte wieder aufzunehmen. Bei der Erarbeitung eines sozialdemokratischen Einwanderungsgesetzes müssen wir an die entstandene Sachlage anknüpfen.

Die SPD hat sich nach dem Asylkompromiß für eine deutliche Erleichterung der Einbürgerung unter Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit eingesetzt. Das ist der Kern sozialdemokratischer Integrationspolitik. Sie ist für uns ebenso wichtig wie Zuzugssteuerung. Ein sozialdemokratisches Einwanderungsgesetz wird deshalb notwendigerweise beide Elemente enthalten müssen. Dieser Hinweis scheint mir notwendig, weil auch in der SPD nicht selten die Diskussion um Zuzugsregelungen übergewichtig wird.

Wenn Zuwanderung grundsätzlich als positiv, sogar als notwendig anzusehen ist, heißt das nicht, die Augen davor zu verschließen, daß der Aufnahme von Zuwanderern psychologische und infrastrukturelle Grenzen gesetzt sind, die wir nicht nach Belieben verschieben können. Für ein sozialdemokratisches Einwanderungsgesetz ist deshalb auch unabdingbare Voraussetzung, daß wir die einheimische Bevölkerung von seiner Notwendigkeit überzeugen können. Umgekehrt heißt das: Der nachvollziehbare Wunsch von Millionen armer Ausländerinnen und Ausländern, in Deutschland ein neues und möglichst besseres Leben beginnen zu können, wird durch ein Einwanderungsgesetz nicht erfüllbar sein. Ich weiß, daß das hart klingt. Es ist aber ein Gebot der Ehrlichkeit gegenüber den Einwanderungswünschen in aller Welt, klar zu sagen, was geht und was nicht geht. Wir müssen deshalb in der SPD darauf achten, daß von unserer Einwanderungsdiskussion keine mißverständlichen Signale ausgehen, die im Ausland unerfüllbare Hoffnungen wecken.

Ein Einwanderungsgesetz wird im übrigen nur dann plausibel sein, wenn nicht bereits vorhandene Vorschriften neu zusammengestellt werden. Wir müssen uns mit der Frage befassen, ob neue Steuerungsinstrumente geschaffen werden können. Die Spielräume dafür sind äußerst eng. Wo sollen wir beispielsweise den Zuzug einschränken, wenn etwa bei einer plötzlichen Aufnahme einer großen Anzahl von Bürgerkriegsflüchtlingen die Gesamtquote nur dadurch eingehalten werden kann, daß die Zuwanderung aus anderen Gruppen gedrosselt wird? Darauf gibt es, wie ich glaube, bisher noch keine schlüssige Antwort. Eine gewisse Skepsis erscheint mir angebracht, ob der sicher zu überdenkende Aussiedlerzuzug als Regulativ allein ausreicht. Die Quotendiskussion wird sich voraussichtlich auch auf andere Gruppen erstrecken. Dann wird man unweigerlich prüfen, welchen Weg andere westeuropäische Länder gehen. Und wir werden recht bald bemerken, welche schwierigen Fragen sich uns noch stellen werden.

Zum Abschluß lassen Sie mich noch der Behauptung widersprechen, daß SPD und CDU/CSU in der Ausländerpolitik nicht mehr voneinander zu unterscheiden seien. Dem ist nicht so. Die Ausländerpolitik der CDU/CSU erschöpft sich im wesentlichen in der stereotypen Aussage, daß der Asylkompromiß zwar greife, gleichwohl aber immer noch zu viele Asylbewerber kämen. Anders bei uns. Unser zentrales ausländerpolitisches Vorhaben, die Erleichterung der Einbürgerung mit Zulassung der Doppelstaatsangehörigkeit, habe ich schon erwähnt. Dazu kommen eine Reihe weiterer parlamentarischer Initiativen. Zwei Gesetzentwürfe möchte ich Ihnen nennen: Eine Novelle soll Starrheiten im Ausländergesetz von 1990 beseitigen, die der Lebenssituation der betroffenen Ausländerinnen und Ausländer nicht gerecht werden. Mit einem Gesetz über eine Asylbewerber-Altfallregelung möchten wir außerdem erreichen, daß Asylbewerber, die sehr lange im Verfahren sind, die Perspektive auf einen Daueraufenthalt erreichen. Das dient auch der Entlastung der Asylverfahren. Alle unsere Initiativen verbindet ein Grundsatz: An der sozialverträglichen Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung halten wir fest, aber wir nutzen jeden Spielraum, um den mit uns und unter uns lebenden Ausländerinnen und Ausländern das Leben zu erleichtern. Das liegt im deutschen Interesse. Denn nur eine als ständiger Reformprozeß begriffene Ausländerpolitik beugt Verwerfungen in unserer aus Alteingesessenen und Zugewanderten bestehenden Gesellschaft vor. Damit wird auch ein gesellschaftliches Klima vorbereitet, ohne daß ein Einwanderungsgesetz nicht vorstellbar ist.

Eine kleine Information möchte ich Ihnen zum Schluß nicht vorenthalten. Wie Sie vielleicht wissen, wurde in der letzten Legislaturperiode eine Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" eingesetzt. Diese Kom-mission konnte ihre Arbeit nicht abschließen. Sie empfahl in ihrem Zwischenbericht die Wiedereinsetzung in der 13. Legislaturperiode und zwar auch deshalb, weil die Zusammenhänge zwischen demographischer Entwicklung und Zuwanderungsbedarf noch nicht eingehend untersucht werden konnten. Nach dem Willen der SPD-Bundestagsfraktion wird diese Enquete-Kommission nun wieder eingesetzt, auch im Blick auf die Einwanderungsproblematik. Aus der Arbeit der Enquete-Kommission werden sich hoffentlich auch neue Erkenntnisse und Vorschläge für eine vernünftige Einwanderungspolitik ergeben. Für Ihre Tagung wünsche ich Ihnen viel Erfolg.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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