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TEILDOKUMENT:
Jürgen Burckhardt:
Diese Konferenz zum Thema "Fremdenfeindlichkeit und Rassismus - Herausforderung für die Demokratie" war Teil einer Reihe ähnlicher Veranstaltungen, mit denen die Friedrich-Ebert-Stiftung zur Auseinandersetzung über ausländerfeindliche und auch rechtsradikale Tendenzen in unserer Gesellschaft beitragen will. Dies ist nach den schrecklichen Ereignissen von Solingen aktueller denn je. In seiner letzten politischen Botschaft an den Weltkongreß der Sozialistischen Internationale im Reichstag im September 1992 hat Willy Brandt angemahnt: "Vergeßt nicht: Wer Unrecht lange geschehen läßt, bahnt dem nächsten den Weg." Und Wolfgang Thierse, Mitglied des Deutschen Bundestags und Stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei hat in einem Zeitungsbeitrag schon im Januar 1992 geschrieben: "Fremdenhaß ist kein ostdeutsches Phänomen ... die Tatsachen sprechen eine ganz eindeutige Sprache." Solingen zeigt das erneut furchtbarerweise. Fremdenfeindlichkeit und Gewalt - das sind nicht gleichsam individuelle Eigenschaften von Menschen, sondern sie sind Ergebnisse gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Krisen. Wir alle machen hier die bittere Erfahrung, daß dadurch die dunklen Seiten einer Gesellschaft nach oben gespült werden und leider häufig "Politikverdrossenheit" statt aktives Engagement das Verhalten vieler bestimmt. Von Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, stammt die Einschätzung, daß ein Antisemit nicht immer fremdenfeindlich ist - aber jemand, der Ausländer haßt, immer auch ein Antisemit ist. Er zeigt damit die Verbindung auf zwischen Anschlägen auf Asylbewerberheime, Ausländerwohnungen und der Schändung jüdischer Friedhöfe. Frau Cornelia Schmalz-Jacobsen, Mitglied des Deutschen Bundestages und Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Ausländer, hat immer wieder betont, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist: Zwei Drittel der ausländischen Jugendlichen sind bereits in Deutschland geboren; viele andere sind sehr jung mit ihren Eitern hierher gekommen und gemeinsam mit deutschen Kindern aufgewachsen in deutschen Kindergärten, deutschen Schulen. Gerade sie müssen sich in besonderer Weise von Ausländerfeindlichkeit belastet fühlen, weil sich viele von ihnen hier inzwischen besser zurechtfinden als in ihrer eigentlichen Heimat. Integrationsbereitschaft der Zuwanderer und Akzeptanzbereitschaft der deutschen Bevölkerung - beides gehört zusammen. Und die Politik ist angefordert, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber bei aller berechtigten Sorge sollten wir die deutsche Situation nicht isoliert sehen: Fremdenhaß ist eben nicht nur - wie wir wissen - ein deutsches Problem, wenngleich bestimmte Ausprägungen und eine besondere Verantwortung aufgrund unserer Geschichte vor allem uns zu schärferen Fragen veranlassen müssen. Wie weit reichen die Gründe dafür zurück: "liegen (sie) im prekären Selbstverständnis dieser Nation?", wie Enzensberger in seinem Buch "Die Große Wanderung" (1992) vermutet? - für das er übrigens vor kurzem den Preis des politischen Buches unserer Stiftung erhalten hat. Es ist deshalb notwendig - gleichsam als eine "logische Konsequenz" - die Frage nach der "deutschen Identität in einem vereinten Europa" zu stellen. Niemand anders als Alfred Grosser ist geeigneter, hierzu einen Beitrag zu leisten. Bereits an anderer Stelle hat er auf die Gefahren hingewiesen, die mit dem Begriff "Identität" verknüpft sind: "Das Wort 'Identität' auf den Innenbereich unserer Gesellschaft angewendet, ist ein schlimmes Wort gegen die Integration der Einwanderer. Es bedeutet die Vervielfachung von Teilidentitäten." (95. Bergedorfer Gesprächskreis, Hamburg 1992, S. 89) Wir wollten mit dieser Konferenz versuchen, auf Fragen zu antworten wie z.B.: Wo liegen die Ursachen für Fremdenhaß und Antisemitismus? Wie kann Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aktiv entgegengetreten werden? Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Offenheit unseres Landes zu wahren, die Demokratie zu sichern, sie aber auch angesichts neuer Herausforderungen im positiven Sinne fortzuentwickeln? Vor mehr als 40 Jahren - 1952 - hat Willy Brandt hier in Berlin eine Mahnung ausgesprochen, die auch für unsere heutige Diskussion noch Bedeutung hat: "Wo Rassenhaß herrscht, ist mit der menschlichen Würde auch die kulturelle Freiheit und mit ihr die Freiheit überhaupt wie die Kultur in tödlicher Gefahr. Ein Volk, das sich der Pest des Antisemitismus nicht zu erwehren versteht, schwächt, erniedrigt und entehrt sich selbst." Und 1992 hat er dann in seinen "Erinnerungen" die Überzeugung hinzugefügt: "Aus der Geschichte lernen? So ein Volk es tut, geht es ohne Schmerz nicht ab. Aber wieviel Boden ist zu gewinnen. Boden, auf dem es Unglück überwindet und sich in Würde wiederfindet." An dieser Stelle sei ausdrücklich der Franziska und Otto Bennemann-Stiftung gedankt, die uns durch ihre finanzielle Förderung diese Konferenz sowie die Veröffentlichung der Broschüre ermöglicht hat. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999 |