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TEILDOKUMENT:




Ottmar Schreiner:
Sozialdemokratische Innovationspolitik und Perspektiven für die Mitbestimmung




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Ausgangslage

  1. Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Globalisierung und Individualisierung heißen die "Megatrends". Davon kann die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht unberührt bleiben. Weiterhin von Bedeutung sind die organisatorischen Änderungen im Betriebsablauf wie lean production und der Trend zu kleineren Betrieben. Außerdem ändern sich durch die Informations- und Kommunikationstechnik mit der räumlichen Trennung von Produktion und Arbeitsplatz die Bedingungen für die Mitbestimmung.
  2. Die Globalisierung stellt sich zunächst eher als Gefahr für Arbeitnehmerrechte generell und speziell für die Mitbestimmung dar. Jedenfalls widerspricht sie tendenziell dem mit der Globalisierung einhergehenden Trend einer Deregulierung, d.h. einer ungezügelten Marktwirtschaft. Mitbestimmung wird aus Sicht mancher Arbeitgeber zum Standortnachteil. Andererseits zwingt der äußere Druck und der strukturelle Wandel zum Zusammenhalt. Ein perfektes Zusammenspiel der Kräfte kann daher ein starker Wettbewerbsvorteil sein.
  3. Die Individualisierung zusammen mit der zunehmenden Bildung und beruflichen Qualifikation verstärkt die Forderung nach Mitsprache. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wollen ihre Interessen einbringen. Individualisierung kann aber auch mit einem eher sinkenden Interesse an einer kollektiven Interessenvertretung verbunden sein, das Augenmerk konzentriert sich dann auf die unmittelbare Mitbestimmung am Arbeitsplatz.
  4. Kleinere Betriebe, abgespaltene Betriebseinheiten, flexible Arbeitszeiten und sogar neue Arbeitsformen wie Telearbeit stellen ganz neue Aufgaben für die Mitbestimmung dar.
  5. Zu prüfen wäre noch, ob der Bedarf an Mitbestimmung durch diese Entwicklung objektiv steigt oder vielleicht sogar zurückgeht. Dabei spielt die jeweilige Grundposition eine wichtige Rolle: Sieht man die Mitbestimmung nur als Mittel zur Gestaltung von Betriebsabläufen an oder als Grundbaustein einer demokratischen Gesellschaft, der über die aktuelle Bedeutung für den jeweiligen Betrieb hinausreicht?


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Ziele sozialdemokratischer Politik

  1. Leitlinie ist im wörtlichen Sinne die soziale Demokratie. Mitbestimmung ist ein Grundbaustein zur Gestaltung der Arbeit, gewissermaßen eine Ausprägung eines Rechtes auf Arbeit. Gerade in einer Zeit schneller und heftiger Veränderungen ist es für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen besonders wichtig, auf die Bedingungen ihrer Arbeit Einfluß nehmen zu können. Mitbestimmung soll den Wandel allerdings nicht verhindern, sondern ihn begleiten. Grundlage unserer Politik ist daher das gesellschaftliche Konsensmodell, das schon bisher in der Formel von der "vertrauensvollen Zusammenarbeit" zum Ausdruck kommt. Mitbestimmung sollte also in erster Linie auf einen Ausgleich der Interessen hinwirken. Hierfür braucht man feste Regeln und abgesicherte Rechte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einerseits, aber auch klare Grenzen. Flexible Regelungen sollen dabei eine Anpassung an die Bedürfnisse einzelner Branchen und in Abhängigkeit von der Betriebsgröße zulassen. Das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers ist zu berücksichtigen. Mitbestimmung soll nicht zur Innovationsbremse werden, sondern Innovationen fördern.
  2. Trotz der grundsätzlichen Orientierung am Konsensmodell dürfen Elemente des Gegenmachtmodells nicht ausbleiben. "Wissen ist Macht" gilt auch im Betrieb. Im Vordergrund steht daher ein Ausbau der Informationsrechte. Zu einer demokratischen Gesellschaft gehört der möglichst freie Zugang zu Informationen, wobei gut informierte Belegschaften in der Regel auch produktiver sind.
  3. Konkret geht es um einen besseren Zugang zur Mitbestimmung in Klein- und Mittelbetrieben. Schon die Prozedur bis zur Errechnung eines Betriebsrates ist oft mit vielen Hürden verbunden. Zu oft können Arbeitgeber faktisch sogar die Gründung eines Betriebsrates verhindern. Darüber hinaus muß die Mitsprache bei allen organisatorischen Maßnahmen und der Gestaltung des Arbeitsplatzes ausgebaut werden.
  4. Für die SPD ist auch die europäische Ebene wichtig. Die sehr ungleichen Traditionen der Mitbestimmung in den Mitgliedstaaten der EU schließen eine Harmonisierung auf absehbare Zeit aus. Aber gewisse Mindeststandards müssen verbindlich sein. Außerdem ist eine Mitbestimmungsregelung für die Europäische Aktiengesellschaft längst überfällig.


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Ansätze für eine sozialdemokratische Innovationspolitik

Die SPD hat noch keine fertigen Konzepte. Erste Schlußfolgerungen sind aber möglich aufgrund der zweijährigen Vorarbeiten und den vorangehenden Workshops der FES und einzelnen Aktivitäten der SPD-Bundestagsfraktion.

  1. Es geht um eine Weiterentwicklung und Flexibilisierung der Arbeitnehmermitwirkung auf Basis der bisherigen Instrumente. Im Vordergrund steht eine Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes und der dazugehörigen Wahlordnung, um die Situation in Kleinbetrieben zu verbessern. Das Wahlverfahren muß vereinfacht und beschleunigt werden.

    Sowohl der Arbeitnehmer- als auch der Unternehmensbegriff müssen darum künftig neu und sozialverträglich definiert werden, damit die Schutzwirkung des Arbeitsrechts nicht unterlaufen und die Umwidmung klassischer Arbeitnehmerbereiche in weitgehend ungeschützte (schein-)selbständige Tätigkeiten verhindert wird. "Überall arbeiten können" darf nicht mit "keinen Feierabend haben" gleichbedeutend sein.
  2. Die Mitsprache am Arbeitsplatz selber ist gegebenenfalls in einem Arbeitsvertragsgesetz zu regeln. Arbeitsschutz und betrieblicher Umweltschutz müssen einbezogen sein. Eine interessante Diskussion besteht derzeit über das Verhältnis von gesetzlichen und vereinbarten Rechten. Es wäre durchaus zu prüfen, bei einer grundsätzlichen Erweiterung der Mitbestimmungsrechte die einzelnen Regelungen tarifdisponibel zu stellen. Das heißt, die Tarifvertragsparteien könnten von den gesetzlichen Regelungen abweichen und dabei wiederum Betriebsöffnungsklauseln vereinbaren. Dies würde den Flexibilitätsspielraum erheblich vergrößern und trotzdem die Mitbestimmung insgesamt verbessern.
  3. Regelungsbedarf besteht eindeutig im Zusammenhang mit den Informations- und Kommunikationstechniken. Hierzu hat die SPD-Fraktion bereits in ihrem Antrag "Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft" (BT-Drs. 13/5197) erste Forderungen aufgestellt.
  4. Die Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat ist ein erheblicher Pluspunkt in der europäischen Sozialpolitik. Das Umsetzungsgesetz in Deutschland ist allerdings sehr restriktiv ausgefallen, hier sind gewisse Verbesserungen denkbar. Wichtiger aber noch ist endlich eine Einigung über die Mitbestimmungsregelung bei der Europäischen Aktiengesellschaft.
  5. Die SPD wird die Weiterentwicklung der Mitbestimmung in ihrem Wahlprogramm verankern. Sie soll Bestandteil einer Innovationspolitik sein, die die Vorteile des Standortes Deutschland ausbaut und einer partnerschaftlichen Unternehmenspolitik Vorschub leistet. Als zweites Standbein kommt noch die Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital hinzu.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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