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TEILDOKUMENT:




Ruth Brandherm:
Zusammenfassung


Die Mitbestimmung galt in der Nachkriegszeit in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesrepublik als Garant für die Artikulation und den Ausgleich von Interessen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Ist sie heute überholt, oder kann sie ein Vehikel für die Umsetzung einer gleichermaßen sozial wie auch ökonomisch orientierten Modernisierungsstrategie sein? Mit dieser Frage setzen sich die Beiträge dieser Broschüre auseinander.

Die ökonomischen Erfordernisse und den Regulierungsbedarf von Innovationen analysieren Martin Baethge / Jürgen Kädtler. Sie stellen einen ökonomischen Sachzwang für Innovationen und einen Wandel der Innovationsdynamik fest, der zu einer deutlichen Beschleunigung und Verkürzung von Veränderungsprozessen führt. Der Rückgriff auf bewährte Verfahren und die Orientierung an bisher erfolgreichen Prinzipen wird hinfällig. Zwar gibt es keinen Königsweg zur Entfaltung von Innovationen; Innovationsfördernde bzw. -hemmende Bedingungen lassen sich gleichwohl identifizieren. Aufgrund ihrer hierarchischen Organisations- und Entscheidungsstrukturen und der traditionellen Unternehmenskultur gelten deutsche Unternehmen für den neuen Typus der Innovationsdynamik als nicht gut vorbereitet. Die Vorstellung, durch Deregulierungsmaßnahmen eine Steigerung der Innovationsfähigkeit zu erzielen, halten die Autoren für abwegig. Vielmehr sind gut integrierte Sozialbeziehungen, verläßliche Regulierungen und ein Mindestmaß an institutioneller Absicherung Grundlagen für Innovationsfähigkeit. Diese These wird auf der betrieblichen, überbetrieblichen und der gesellschaftlichen Ebene näher ausgeführt. Politische Regulierungen sind aber nicht nur aufgrund ihres möglichen ökonomischen Nutzens zu befürworten, sondern Modernisierungsprozesse verlangen nach Gestaltung, wenn soziale Ausgrenzung und verstärkte Ungleichheit vermieden werden sollen.

Cornelia Girndt liefert Beispiele für eine Mitbestimmungspraxis, in der Betriebsräte entscheidende Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung von Modernisierungsstrategien sind. Krisenhafte Entwicklungen können Chancen für neue Arrangements zwischen der Unternehmensseite und den Betriebsräten bieten und den Weg für eine neue Beteiligungskultur freimachen.
Dies erfordert auf allen Seiten ein Umdenken und das Infragestellen der bisherigen Rollen und setzt hohe fachliche und soziale Kompetenz voraus. Betriebliche Vertrauenspakte bieten einen verläßlichen Handlungsrahmen und gewährleisten, daß die Kosten für die notwendigen Anpassungsprozesse nicht einseitig den Beschäftigten angelastet werden. Bezeichnend für solche Arrangements ist, daß einerseits mehr Aufgaben an Mitarbeiter delegiert werden, andererseits die Arbeit des Betriebsrates stärker auf strategische Fragen ausgerichtet wird. Noch ist die Rolle des Betriebsrates als Co-Manager und die Aktivierung der Beschäftigten die Ausnahme. Sie zu verankern oder gesetzlich zu regeln, wäre zeitgemäß und notwendig. Die Befürchtung, daß mitbestimmte Beteiligungs- und Abstimmungsprozesse betriebliche Entscheidungen verzögern und blockieren, wird durch Beispiele widerlegt.

Gerhard Leminsky schlüsselt Mitbestimmung, Beteiligung und Tarifpolitik als Kernelemente industrieller Beziehungen auf und weist auf ihre Verankerung in der Wirtschafts- und Sozialstruktur der Bundesrepublik hin. Der Beitrag konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Mitbestimmung/Beteiligung und Beschäftigung/Arbeit und stellt Überlegungen für die Weiterentwicklung einer sozialdemokratischen Mitbestimmungspolitik vor. Dabei wählt er eine langfristige Perspektive, die von der Frage ausgeht, wie für die Ziele Gleichberechtigung, persönliche Entfaltung und wirtschaftliche Mitgestaltung ein zeitgemäßer Rahmen gefunden werden kann. Modernisierung und Innovation, Kernelemente des sozialdemokratischen Zukunftsentwurfs, verlangen Investitionen in Erziehung, Bildung, Forschung und Entwicklung, setzen aber auch verläßliche Rahmenbedingungen und die Begrenzung persönlicher Risiken voraus, um die Bereitschaft und Motivation bei den Menschen sicherzustellen. Hier liegen Anknüpfungspunkte für Beteiligung und Mitbestimmung. Zukünftig muß allerdings verstärkt den pluralisierten Lebensstilen und vielfältigen betrieblichen Anforderungen Rechnung getragen werden. Damit die persönliche Entfaltung sozialstaatlich geschützt wird, sollen verläßliche Regelungen vereinbart werden. Für sozialdemokratische Politik liegt die Herausforderung darin, hierfür den Rahmen abzustecken und Arbeit/Beschäftigung und Mitbestimmung/Beteiligung in einem Konzeptansatz zu verbinden. Die direkte Beteiligung der Beschäftigten und die sozialstaatliche Verankerung neuer Formen der Mitbestimmung sind vorrangige Handlungsfelder.

Ottmar Schreiner betont, daß die SPD in ihrem Wahlprogramm die Weiterentwicklung der Mitbestimmung als Element einer sozialdemokratischen Innovationspolitik begreift und als Grundbaustein sozialer Demokratie definiert. Da Mitbestimmung auf den Ausgleich von Interessen und auf die Herstellung von gesellschaftlichem Konsens ausgerichtet ist, kann sie dazu beitragen, den sozio-ökonomischen Wandel zu gestalten und zu fördern. Auch zukünftig bleiben feste Regeln und formale Rechte bedeutsam, allerdings müssen neue Lösungen gefunden werden, um die Barrieren für Mitbestimmung in Klein- und Mittelbetrieben zu beseitigen und die Mitsprachemöglichkeiten auszubauen. In einem zusammenwachsenden Europa sind Mindeststandards zu vereinbaren, adäquate Regelungen und Instrumente zu schaffen. Elemente einer sozialdemokratischen Innovationspolitik sind die Weiterentwicklung der Arbeitnehmerbeteiligung und die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Um Spielräume bei der Anwendung von Mitbestimmungsrechten zu erweitern, könnte darüber nachgedacht werden, einzelne Regelungen tarifdisponibel zu gestalten.

Die Notwendigkeit der Anpassung des kollektiven Arbeitsrechtes an die Veränderungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene ist aus Sicht von Ursula Engelen-Kefer nicht strittig. Das konservative Leitbild eines flexiblen, aber ansonsten unmündigen Arbeitnehmers stößt jedoch nicht nur auf den Widerstand der Gewerkschaften, sondern auch an wirtschaftliche Grenzen und steht im Widerspruch zu den Anforderungen, denen Unternehmen im globalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Qualifizierte und motivierte Mitarbeiter, die eigenverantwortlich Autonomiespielräume ausschöpfen, sind das wesentliche Kapital moderner Unternehmen. Mitbestimmung und Beteiligung sind in diesem Sinne Innovationsressourcen und gleichzeitig Grundbedingungen für die Weiterentwicklung des Sozialstaates. Dies erfordert "eine Wende der Wendepolitik". In der Reformdiskussion zum Betriebsverfassungsgesetz ist die Modifizierung des Betriebsbegriff von zentraler Bedeutung. Die Gewerkschaften fordern außerdem eine Vereinfachung und Entbürokratisierung des Wahlverfahrens. Ein weiterer zentraler Punkt in der Novellierungsdebatte ist der Arbeitnehmerbegriff, der erweitert und den faktischen Veränderungen angepaßt werden muß. Darüber hinaus sind Zuständigkeiten der Betriebsräte in Mitbestimmungsfragen zu erweitern und Initiativrechte z.B. zur Beschäftigungssicherung vorzusehen. Der Ausbau individueller Beteiligungsrechte für Beschäftigte trägt einer veränderten Unternehmenskultur Rechnung als auch den Ansprüchen der Beschäftigten nach mehr Mitsprache und Mitentscheidung im Betrieb.

Wilfried Kuckelkorn verweist auf eine gemeinsame soziale Tradition der Mitbestimmung in Europa, obwohl in den Ländern sehr unterschiedliche Formen und Institutionen existieren. Nachgewiesenermaßen orientieren sich Unternehmen, die langfristig am Markt erfolgreich sind, nicht allein an Kostenargumenten, sondern betrachten die Mitarbeiter als wichtigen Produktions- und Innovationsfaktor. Da Fortschritte bei der Weiterentwicklung der Mitbestimmung auf nationaler Ebene kaum zu erwarten sind, gewinnt in dieser Frage die europäische Ebene an Bedeutung. Die Verabschiedung der Richtlinie über europäische Betriebsräte stellt eine in Deutschland bisher sehr wenig beachtete Neuerung dar. 1.500 Unternehmen haben bisher freiwillige Vereinbarungen dazu abgeschlossen. Sie variieren im Hinblick auf die Rechte der Interessenvertretung deutlich. Eine europaweite Vereinheitlichung der Interessenvertretungsstrukturen wird durch die Richtlinie nicht gefördert. Vielmehr wird dadurch eine Koordinierung der Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen möglich; eine Praxis, die auf Unternehmensseite bereits besteht. Diese Entwicklung verändert die Betriebsratsarbeit grundlegend und stellt neue Anforderungen an die Betriebsräte. Die Europäisierung der Interessenvertretung im Zeitalter der Globalisierung ist aber nur ein erster Schritt. Die Zukunftsaufgabe ist die Organisation einer weltweiten Interessenvertretung innerhalb multinationaler Unternehmen und darüber hinaus auch für Branchen sowie die Mitsprache der Interessenvertretung bei Unternehmensentscheidungen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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