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II. Die Sozialpolitik der EU - Eine Bestandsaufnahme



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1. Vorbemerkung

Vom ursprünglichen Sinne des Wortes 'sozial' her betrachtet würden zur Sozialpolitik der EU alle Maßnahmen zu rechnen sein, die
- gemeinschaftsfördernd sind sowie
- die Ordnung(en) der Gesellschaft(en) in Europa betreffen.

Integrationspolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Einführung eines gemeinsamen Außenschutzes (Zollunion) und die Schaffung eines gemeinsamen Marktes (Binnenmarkt) wären, gemessen an ihrer gemeinschaftsfördernden Wirkung, an erster Stelle einer gemeinschaftsfördernden Sozialpolitik zu nennen. Sie laufen darauf hinaus - wie im Falle einer Eheschließung -, die Partner gegenüber Dritten zu bevorzugen und die Fähigkeit des Bundes zu stärken, im weltweiten Wettbewerb zu bestehen. Der Zollschutz impliziert eine Bevorzugung des inländischen Anbieters, die Waren- und Dienstleistungsverkehrsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit begünstigen die Wirtschaftsbürger der Union, sorgen zugleich für eine Verbesserung der Startbedingungen im Wettbewerb. Jedoch werden gemeinschaftsfördernde Maßnahmen im Alltag der EU nicht der Sozialpolitik zugerechnet. Es sollen daher im folgenden nur solche Maßnahmen aufgeführt werden, die vom europäischen Gesetzgeber unter Sozialpolitik der Europäischen Union subsumiert werden, hierunter befinden sich ganz überwiegend nur Maßnahmen, die die Ordnung der Gesellschaft unmittelbar beeinflussen sollen.

Die Sozialpolitik der EU wird in erster Linie durch das Primärrecht (EU-Vertrag, insbesondere EG-Vertrag nebst Protokollen, vom 7. Februar 1992) [ Vgl. Presse - und Informationsamt der Bundesregierung, Europäische Union. Europäische Gemeinschaft. Die Vertragstexte von Maastricht mit den deutschen Begleitgesetzen, 1997.] und das Sekundärrecht der EU (Richtlinien, Verordnungen, Beschlüsse, Empfehlungen) sowie Urteile des Europäischen Gerichtshofs definiert. Daneben ist die Praxis der Anwendung des Rechts durch die Organe der EU und der Mitgliedstaaten für die reale Sozialpolitik der EU von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der Abschluß der Regierungskonferenz in Amsterdam am 16./17. Juni 1997 hat einen Entwurf für ein neues Vertragswerk - den Amsterdamer Vertrag - hervorgebracht, der neue sozialpolitische Bestimmungen der EU vorsieht [ Der Entwurf wird überarbeitet und muß nach Zeichnung des endgültigen Vertragstextes im Oktober 1997 durch die Parlamente ratifiziert werden.] . Zunächst wird die Sozialpolitik der EU im Hinblick auf ihre Ziele, Methoden und Träger in vereinfachander Form nach dem (noch) gültigen Rechtsstand und anschließend nach den im Amsterdamer Vertrag neu aufgenommenen Bestimmungen dargestellt.

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2. Handlungsspielraum der Gemeinschaft



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2.1 .... nach dem gültigen Vertragsrecht

Im EU-Vertrag werden im Zielkatalog der Union (Titel I, Art. B, Ziele der Union) auch sozialpolitische Ziele genannt. Im Wortlaut heißt es: "Die Union setzt sich folgende Ziele: Die Förderung eines ausgewogenen und dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, insbesondere durch Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen, durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und durch Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, die auf längere Sicht eine einheitliche Währung ... umfaßt; ...". Am Ende des Art. B werden Bedingungen für die Zielverwirklichung genannt: "Die Ziele der Union werden nach Maßgabe dieses Vertrags entsprechend den darin enthaltenen Bedingungen und der darin vorgesehenen Zeitfolge unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, wie es in Art. 3b des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft bestimmt ist, verwirklicht". In Art. 2 des EG-Vertrags wird ergänzend hierzu ausgeführt: "Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 3a genannten gemeinsamen Politiken oder Maßnahmen eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein beständiges, nicht-inflationäres und umweltverträgliches Wachstum, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern." Unter den in Art. 3 aufgeführten gemeinsamen Maßnahmen sind unter i eine Sozialpolitik mit einem europäischen Sozialfonds und unter j die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts aufgeführt.

Bemerkenswert an der Zielformulierung ist, daß in einem Atemzug mit den Zielsetzungen auch Methoden [ Hervorgehoben werden neben der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen, der Errichtung einer Wirtschafts - und Währungsunion auch die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und die Sozialpolitik mit einem europäischen Sozialfonds.] und Restriktionen für die Verwirklichung der Ziele genannt werden. Neben den Bedingungen des Vertrags wird die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips hervorgehoben. Dieses Prinzip besagt gemäß Art. 3b (Einzelermächtigung; Subsidiarität) des EG-Vertrags: "Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr im Vertrag zugewiesenen Befugnisse und Ziele tätig. In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die Maßnahmen gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrags erforderliche Maß hinaus."

Nach dem ersten Teil des EG-V (Grundsätze) kommen besondere Teile, in denen Maßnahmen der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Sozialpolitik definiert werden. Die Artikel 48 - 51, die die Freizügigkeit der Arbeitskräfte regeln, schreiben das Verbot jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung von Arbeitnehmern in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen vor. Weiterhin verpflichtet sie den Rat, gemäß dem Verfahren des Art. 189b durch Richtlinien und Verordnungen alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fortschreitend herzustellen. Als erforderliche Maßnahmen werden genannt:

- Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Arbeitsverwaltungen,

- Beseitigung nationaler Vorschriften und Praktiken, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer behindern,

- die Beseitigung aller Fristen und sonstigen Beschränkungen in innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder zwischenstaatlichen Übereinkünften, die den Arbeitnehmern der anderen Mitgliedstaaten für die freie Wahl des Arbeitsplatzes andere Bedingungen als den inländischen Arbeitnehmern auferlegen,

- die Schaffung geeigneter Verfahren für die Zusammenführung und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu Bedingungen, die eine ernstliche Gefährdung der Lebenshaltung und des Beschäftigungsstands in einzelnen Gebieten und Industrien ausschließen.

In Art. 51 (System zur Sicherstellung der Ansprüche und Leistungen) ist der Rat aufgefordert, einstimmig auf Vorschlag der Kommission die Maßnahmen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu beschließen, die für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendig sind; genannt sind hier die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs für die Berechnung der Leistungen und die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen.

In Titel Vlll des EG-Vertrags (Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung und Jugend) heißt es in Art. 117 (Abstimmung der Sozialordnungen), daß die Mitgliedstaaten sich über die Notwendigkeit einig sind, "... auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen. Sie sind der Auflassung, daß eine solche Entwicklung sich sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Gemeinen Marktes als auch aus den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben wird." In dieser Formulierung sind sowohl das Konzept der Angleichung durch Wettbewerb als auch das Konzept der Harmonisierung durch Begebung von (sekundärem) Gemeinschaftsrecht eingeschlossen.

Art. 118 (Zusammenarbeit in sozialen Fragen) enthält den Auftrag an die Kommission, "... eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, insbesondere auf dem Gebiet der Beschäftigung, des Arbeitsrechts und der Arbeitsbedingungen, der beruflichen Ausbildung und Fortbildung, der sozialen Sicherheit, der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten, des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit, des Koalitionsrechts und der Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zu diesem Zweck wird die Kommission in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen tätig, gleichviel ob es sich um innerstaatliche oder um internationalen Organisationen gestellte Probleme handelt."

Art. 118a (Verbesserung der Arbeitsumwelt; Mindestvorschriften) verpflichtet die Mitgliedstaaten, sich zu bemühen, die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zu fördern und sich die Harmonisierung der in diesem Bereich bestehenden Bedingungen bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel zu setzen. Hierzu kann der Rat nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses unter Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen. Diese Richtlinien sollen keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von Klein- und Mittelbetrieben entgegenstehen. Nach Art. 118b (Dialog zwischen den Sozialpartnern) soll sich die Kommission bemühen, den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf europäischer Ebene zu entwickeln.

Art. 119 (gleiches Entgelt für Männer und Frauen) verpflichtet jeden Mitgliedstaat, den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden, und Art. 120 (bezahlte Freizeit) verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestrebt zu sein, die bestehende Gleichwertigkeit der Ordnungen über die bezahlte Freizeit beizubehalten.

Art. 121 (Übertragung von Aufgaben auf die Kommission) sieht die Möglichkeit vor, daß der Rat einstimmig der Kommission Aufgaben übertragen kann, welche die Durchführung gemeinsamer Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit der in den Art. 48 - 51 erwähnten aus- oder einwandernden Arbeitskräfte, betreffen.

Nach Art. 122 (Bericht über die soziale Lage) hat die Kommission in ihrem Jahresbericht an das Europäische Parlament stets ein besonderes Kapitel über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft abzulassen. Das Europäische Parlament kann die Kommission auffordern, Berichte über besondere, die soziale Lage betreffende Fragen auszuarbeiten. Art. 123 (Errichtung und Zweck des Europäischen Sozialfonds) schreibt die Errichtung eines Europäischen Sozialfonds vor, dessen Zweck es ist, innerhalb der Gemeinschaft die berufliche Verwendbarkeit und die örtliche und berufliche Mobilität der Arbeitskräfte zu fördern sowie die Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung zu erleichtern. Die Verwaltung des Fonds unterliegt der Kommission (Art. 124), die hierbei von einem Ausschuß unterstützt wird, der aus Vertretern der Regierungen sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände besteht.

In Titel XIV (Wirtschaftlicher und Sozialer Zusammenhalt) setzt sich die Gemeinschaft das Ziel, eine Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhangs zu ermöglichen, um eine harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes zu fördern. Insbesondere setzt sie sich zum Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete, einschließlich der ländlichen Gebiete, zu verringern. Zu diesem Zweck führen und koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik in der Weise, daß die genannten Ziele erreicht werden. Außerdem tragen Maßnahmen der Gemeinschaft sowie die Errichtung des Binnenmarktes zu der Zielverwirklichung bei. Die gemeinschaftliche Politik wird mit Hilfe der Strukturfonds (Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft - Abt. Ausrichtung, Europäischer Sozialfonds, Europäischer Fond für regionale Entwicklung), der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzierungsinstrumente durchgeführt.

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2.2 ... nach dem künftigen Recht des Amsterdamer Vertrags

Der Entwurf des neuen EU-Vertrags vom 16./17. Juni 1997 sieht neue sozialpolitische Kompetenzen der EU vor. Es wurde von den Staats- und Regierungschefs in Amsterdam beschlossen, das Vertragsrecht im Bereich der Sozialpolitik um das "Protokoll über die Sozialpolitik" - auch Sozialcharta genannt -, das im Maastrichter Vertrag (EU-Vertrag, Protokolle) beigefügt ist [ Das Protokoll besagt, daß 11 der seinerzeit 12 Mitglieder der EU ein Abkommen beschlossen haben, in dem sie sich verpflichten, auf dem durch die Sozialcharta 1989 vorgezeichneten Weg weiterzugehen. Das Protokoll er mächtigt sie, die Organe, Verfahren und Mechanismen des Vertrags in Anspruch zu nehmen, um Maßnahmen zur Umsetzung des Abkommens zu beschließen und anzuwenden. Das Vereinigte Königreich und Nordirland sind nicht Partner des Abkommens und nicht von Rechtsakten oder Beschlüssen der seinerzeit 11 Staaten betroffen. Nach Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags wird das Abkommen obsolet und Titel Vllll und die darauf bezug nehmenden Rechtsvorschriften und Entscheidungen werden für das Vereinigte Königreich und Nordirland wirksam.] , zu erweitern. Das Protokoll wird in den Titel Vlll "Sozialpolitik, allgemeine berufliche Bildung und Jugend" des EG-Vertrags eingegliedert.

Die neuen Bestimmungen in Titel Vlll erweitern zunächst den sozialpolitischen Zielkatalog der EU. In Art. 117 wird unter anderem gesagt, daß die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten folgende Ziele verfolgen:

- Förderung der Beschäftigung,

- Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.

- einen angemessenen sozialen Schutz,

- den sozialen Dialog,

- die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und

- die Bekämpfung von Ausgrenzungen.

Die Gebiete, auf denen die Ziele verfolgt werden, werden im einzelnen aufgezählt: Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, Arbeitsbedingungen, Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenztes Personen unbeschadet des Art. 127, Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz.

Als Instrumente für die Realisierung der Ziele werden mehrere genannt:

- Abstimmung der Sozialordnungen durch das Wirken des Gemeinsamen Marktes,

- Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie

- die im Vertrag vorgesehenen Verfahren, zum Beispiel Erlaß von Mindestvorschriften durch Richtlinien, Förderung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten durch Initiativen, die die Hebung des Wissensstandes und die Bewertung von Erfahrungen zum Ziel haben.

Die Gemeinschaft ist bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der Sozialpolitik an eine Reihe von Bedingungen gebunden. So muß sie der Vielfalt der einzelstaatlichen Gepflogenheiten, insbesondere in den vertraglichen Beziehungen, sowie der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Gemeinschaft zu erhalten, Rechnung tragen und darf keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen. Die Vertragsparteien äußern in dem neuen Art. 117 auch die Auffassung, daß sich eine Entwicklung [ Worauf sich "eine solche Entwicklung" bezieht, ist nicht recht klar. Gemeint sein dürfte die Verbesserung der sozialen Lage in der Gemeinschaft gemäß dem Zielkatalog.] sowohl aus einer Abstimmung der Sozialordnungen durch den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt als auch aus den in diesem Vertrag vorgesehenen Kompetenzen zur Begebung von gemeinsamen Rechtsvorschriften und der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Wege der Kooperation der Mitgliedstaaten ergeben wird. Das Prinzip der Einstimmigkeit ist bei Abstimmungen des Ministerrates in folgenden Zielbereichen vorgesehen: Soziale Sicherheit und sozialer Schutz der Arbeitnehmer, Schutz der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags, Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen einschließlich der Mitbestimmung, Beschäftigungsbedingungen der Staatsangehörigen dritter Länder, die sich regelmäßig im Gebiet der Gemeinschaft aufhalten, finanzielle Beiträge zur Förderung der Beschäftigung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen, jedoch unbeschadet der Bestimmungen über den sozialen Fonds. Mitgliedstaaten können Aufgaben, die sich aus Richtlinien der Gemeinschaft ergeben, an die Sozialpartner delegieren. Mitgliedstaaten sind nicht gehindert, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu treffen, die mit dem Vertrag vereinbar sind. In einer Erklärung für die Schlußakte bezüglich des Art. 118 wird festgehalten (Ziffer 6), welche Bereiche im einzelnen nicht in den Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft fallen. Diese Bereiche sind das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht; diese Bereiche bleiben in der nationalen Zuständigkeit.

In Art. 118a wird der Kommission die Aufgabe übertragen, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern und alle zweckdienlichen Maßnahmen zu erlassen, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern, wobei sie für Ausgewogenheit bei der Unterstützung der Parteien sorgt. Vertragliche Vereinbarungen auf Gemeinschaftsebene, die aus dem Dialog heraus zustande kommen, können durch einen Beschluß des Rates (einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit, je nach Gegenstand) auch auf Gemeinschaftsebene durchgeführt werden.

Art. 118c überträgt der Kommission die Aufgabe, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu fördern, damit die sozialpolitischen Ziele erreicht werden. Die Abstimmung der Politik der Mitgliedstaaten soll durch Studien, Konsultationen, Stellungnahmen, insbesondere auf folgenden Gebieten erleichtert werden: Beschäftigung, Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen, Grundausbildung und berufliche Weiterbildung, soziale Sicherheit, Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Arbeitshygiene, Koalitionsrecht und Recht auf Aushandlung von Tarifverträgen.

Art. 119 verpflichtet die Mitgliedstaaten unmittelbar, den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit anzuwenden. Mitgliedstaaten werden durch den Vertrag jedoch ausdrücklich nicht behindert, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung beziehungsweise zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen.

Nach Art. 120 schließlich muß die Kommission künftig jährlich einen Bericht über den Stand der Verwirklichung der in Art. 117 genannten sozialpolitischen Ziele sowie über die demokratische Lage in der Gemeinschaft erstellen und dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß übermitteln.

Für die Sozialpolitik der EU sind neben dem EU- und den EG-Vertrag auch der EGKS-Vertrag und der EURATOM-Vertrag maßgebend. Die einschlägigen Bestimmungen dieser Vertragswerke werden hier nicht näher beschrieben.

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3. Die Nutzung des Handlungsspielraums durch die Organe



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3.1 Freiheit der Methodenwahl

Das Vertragsrecht definiert den Möglichkeitsbereich für das Tätigwerden der Gemeinschaft. Dieser ist hinsichtlich der Sozialpolitik mehrmals seit Beginn der europäischen Integration im Jahr 1951 erweitert worden. Die Einheitliche Europäische Akte und der Maastrichter Vertrag brachten jeweils Änderungen im "Sozialrecht" mit sich. Der Amsterdamer Vertrag wird voraussichtlich die Ziele, Gegenstände und Instrumente der Sozialpolitik der EU - geht man nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs - stärker als alle Vertragsrevisionen zuvor ausweiten. Entscheidend für die konkrete Sozialpolitik ist jedoch, wie die Organe von dem vielfältigen Angebot des Vertrags zur konkreten Ausgestaltung der Sozialpolitik Gebrauch machen. Für die Wirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und öffentliche Haushalte ist vor allem entscheidend, welche der im Vertrag offerierten Methoden von den Organen bevorzugt werden. Folgende Konzepte einer Sozialpolitik stellt der Vertrag zur Auswahl:

- Angleichung des nationalen Sozialrechts durch Wettbewerb (Wettbewerbskonzept),

- Angleichung des nationalen Sozialrechts durch Erlaß von Gemeinschaftsrecht (Regulierungskonzept),

- Informationsbereitstellung, Förderung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und Sozialpartner mit dem Ziel der Angleichung der nationalen Sozialnormen und Standards (Kooperationskonzept) und

- die Finanzierung von Sozialmaßnahmen der EG aus EG-Mitteln (Transferkonzept).

Soweit Unterschiede im Sozialrecht die Freizügigkeit beeinträchtigen, haben die Organe nach dem Vertrag keine Freiheit der Methodenwahl. Das Wettbewerbskonzept ist hier a ausgeschlossen.

Im folgenden wird versucht, an der Entwicklung des Sekundärrechts abzulesen, welchen Gebrauch die Organe in der Vergangenheit von der Methodenvielfalt gemacht haben. Es wird anschließend versucht, die Einflugfaktoren des Verhaltens der Organe zu identifizieren. Aus dem Befund könnten Aussagen über die künftige Ausrichtung der Sozialpolitik abgeleitet werden.

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3.2 Schaffung eines gemeinsamen Marktes

Am Anfang der praktischen Sozialpolitik der Europäischen Gemeinschaft stand die Aufgabe im Vordergrund, einen gemeinsamen Arbeitsmarkt zu schaffen. Dazu war es erforderlich, Barrieren gegen die Freizügigkeit der abhängig Beschäftigten, die sich aus dem nationalen Recht ergaben, abzubauen.

Die Schaffung eines gemeinsamen Arbeitsmarktes für abhängig Beschäftigte und Selbständige wurde durch Begebung gemeinsamer Rechtsvorschriften mit bindender Wirkung für die Mitgliedstaaten bewerkstelligt [ Alternativ wäre möglich gewesen, durch zwischenstaatliche Vereinbarungen das Recht der Einwanderung, der Wahl des Wohnsitzes, der Auswanderung, der Annahme eines Arbeitsplatzangebotes und die Ansprüche aus den sozialen Sicherungssystemen gegenseitig anzuerkennen.] . Mit Verordnungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb des gemeinsamen Marktes (1968) und der Verordnung zur Anwendung der sozialen Sicherungssysteme für Wanderarbeitnehmer und deren Familien (1991) wurden wichtige Voraussetzungen für den gemeinsamen Arbeitsmarkt geschaffen. [ Die Verordnung zur Anwendung der sozialen Sicherungssysteme sah vor, daß die Leistungsansprüche der Wan derarbeitnehmer und ihrer Familien durch den Ortswechsel innerhalb der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt werden. Die Koordination der sozialen Sicherungssysteme deckt alle Bereiche der sozialen Sicherung ab.] Über die Jahre hinweg gab es eine Tendenz, die sich vor allem in der Rechtsprechung manifestierte, die soziale Lage der Wanderarbeitnehmer durch Stärkung ihrer Rechtsansprüche zu verbessern. [ Vgl. Barbara Seel, 1996.]

Die Kommission hat im Jahr 1996 zwei Vorschläge zur Änderung der Verordnung über die soziale Sicherheit von Wanderarbeitnehmern angenommen. Arbeitslosen soll unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit gegeben werden, ihren Wohnsitz in andere Mitgliedstaaten zu verlegen, ohne ihr Recht auf Arbeitslosenunterstützung zu verlieren. Auch sind Bestimmungen vorgesehen, die Vorruhestandsrentner einen besseren Rechtsstatus verleihen sollen. [ Europäische Kommission, Gesamtbericht über die Tätigkeit der Europäischen Union 1996, 1997, S. 243ff.] Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen des Exports von Dienstleistungen wurde vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat am 16. Dezember 1996 angenommen. Sie ermöglicht den entsandten Arbeitnehmern, in den Genuß der Mindestvorschriften des importierenden Landes zu kommen. Der Integration durch Erhöhung der Mobilität der Arbeitnehmer soll die Errichtung eines Netzes europäischer Arbeitsverwaltungen (EURES) dienen: Es wurde 1994 geschaffen. [ Europäische Kommission, 1997.]

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3.3 Erlaß europäischer Rechtsvorschriften (Regulierungskonzept)

Die Gemeinschaft hat sich in ihrer Gesetzgebung nicht darauf beschränkt, nationalstaatliche Barrieren gegen einen gemeinsamen Arbeitsmarkt abzubauen. Sie hat auch Rechtsvorschriften erlassen, die das Recht auf Vertragsfreiheit zugunsten der "Schwächeren", der Arbeitnehmer, der "Benachteiligten", der Frauen, einschränken.

3.3.1 Schaffung gemeinsamen Schutzes für abhängig Beschäftigte, Männer und Frauen

In den Jahren bis zur Revision des EG-Vertrags durch die Einheitliche Europäische Akte erließ der europäische Gesetzgeber insgesamt neun Richtlinien, die Standards bei den Arbeitsbedingungen setzen, und zwei Richtlinien, die die Chancengleichheit für Frauen und Männer regeln. [ Daneben gab es zwei Richtlinien auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit und eine auf dem Gebiet der Be rufsbildung, die von der Kommission unter der Überschrift Sozialpolitik aufgeführt werden. Europäische Kommis sion, Sozialpolitik. Nationale Umsetzungsmaßnahme, 1996.] Nach Annahme der Einheitlichen Europäischen Akte, die den Weg für die Vollendung des Binnenmarktes freimachen sollte, gab es eine Abkehr von dem bisherigen Konzept der Harmonisierung des Rechts. Keine Detailregelungen mehr, sondern nur noch Mindestanforderungen sollten vom europäischen Gesetzgeber definiert werden. Ein sozialpolitisches Aktionsprogramm [ KOM (89) 568 vom 29 11 1989.] sah Vorschläge für 21 Richtlinien vor, von denen aber bis heute nur wenige erlassen wurden. Die Richtlinien definieren ganz überwiegend nur Ziele und Mindestanforderungen. Wie diese in den nationalen Rechtsrahmen eingefügt werden und mit welchen Mitteln sie am besten zu verwirklichen sind, ist dem nationalen Gesetzgeber überlassen herauszufinden. Die bisher erlassenen Richtlinien betreffen überwiegend den sozialen Schutz, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. [ Beispielsweise Richtlinien über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest (91/328/EWG) und durch Karzinogene (90/394/EWG) sowie Richtlinien über den Schutz von Schwangeren und Wöchnerinnen am Arbeitsplatz (92/85/EWG), über den Jugendarbeitsschutz (KOM (94) 88, 1994), über Aspekte der Arbeitszeitge staltung (93/103/EG und 93/104/EG, 1993), über die Informationspflicht der Arbeitgeber hinsichtlich der im Ar beitsvertrag festgelegten Bedingungen (91/553/EWG, 1991).] Außerdem wurden einige Rechtsvorschriften vorgeschlagen, die das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit [ Art. 119 EG - Vertrag enthält die Anweisung an die Mitgliedstaaten, den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden; siehe auch Richtlinie des Rates 75/117 aus 1975.] und die Bedingungen bei Massenentlassungen betreffen. [ Beispielsweise Vorschlag für eine Richtlinie über Massenentlassungen, KOM (96) 620, 1996.]

Der europäische Gesetzgeber ist durch den Maastrichter Vertrag gehalten, das Prinzip der Subsidiarität zu beachten. Bei der Prüfung vieler sozialer Fragen scheint er zu dem Befund gelangt zu sein, daß die betreffenden Fragen besser auf der Ebene der Mitgliedstaaten gelöst werden können. Einen Bedarf an einem umfangreichen Rechtsetzungsprogramm in der nächsten Zeit schließt die Kommission aus. [ Europäische Kommission, Europäische Sozialpolitik. Weißbuch, KOM (94) 333, 1994.] Im Grünbuch zur europäischen Sozialpolitik spricht sich die Kommission dafür aus, die Vielfalt der nationalen Rechtsvorschriften als einen Reichtum zu begreifen, der die Europäische Union gegen neue und unvorhergesehene Ereignisse wappnet. [ Europäische Kommission, KOM (93) 551, 1993.] Auch die Mitgliedstaaten scheinen dieser Auflassung zuzuneigen. Hierfür spricht, daß von dem Sozialprotokoll zum EU–Vertrag wenig Gebrauch gemacht wurde.

3.3.2 Regulierungen nach dem Sozialprotokoll

Das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll zum Abkommen über die Sozialpolitik bietet eine Grundlage für gemeinsame Rechtsetzung der Signatarstaaten des Abkommens. Bei den Signatarstaaten scheint das Bestreben vorzuherrschen, sozialpolitische Rechtsetzung nach Möglichkeit im Rahmen des Vertragsrechtes der Europäischen Union zu halten. Im Jahr 1996 hat der Rat die Richtlinie über den Elternurlaub (96/34/EG) angenommen, die eine von den Sozialpartnern geschlossene Rahmenvereinbarung übernimmt; dieses Vorgehen stützt sich auf Art. 2, Abs. 4 des Sozialprotokolls. Die Sozialpartner wurden gemäß Art. 3 von der Kommission angehört. Diese trugen Anregungen zu folgenden Themen vor:

- Flexibilisierung der Arbeitszeit und der Absicherung der Arbeitnehmer,

- Verhinderung der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz,

- Regelung der Beweislast bei geschlechtsspezifischer Diskriminierung,

- Verhaltenskodex für gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit.

Die Kommission hat angeregt, den sozialen Dialog weiter zu entwickeln und für eine größere Wirksamkeit der Ergebnisse des sozialen Dialogs zu sorgen. [ KOM (96) 448, 1996.]

Der Vertrag über die Europäische Union eröffnet die Möglichkeit für Kollektivvereinbarungen. Damit sind Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern angesprochen, die gemeinschaftsweit wirksam sind. Diesem Instrument gemeinsamer Sozialpolitik unterhalb der staatlichen Ebene könnte in Zukunft mehr Gewicht beigemessen werden, wenn der Text des Sozialprotokolls des Maastrichter Vertrags Bestandteil des Vertragsrechts wird.

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3.4 Gemeinsame Sozialausgaben (Transferkonzept)

Die Europäische Union setzt finanzielle Mittel ein, um gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrags den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Die Finanzmittel werden im Haushalt der EG festgelegt und von den sogenannten Strukturfonds vergeben. Zu diesen Fonds gehören der Regionalfonds (EFRE), der Sozialfonds (ESF), der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung (EAGFL) und der Kohäsionsfonds; daneben gibt es noch zwei weitere Einrichtungen: das Finanzierungsinstrument zur Ausrichtung der Fischerei (FIAF) und Darlehen der Europäischen Investitionsbank. In ihrem ersten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt [ 23 KOM (96) 542, 1997.] gibt die Kommission an, daß die Mittel der Strukturfonds beträchtlich zugenommen haben, von 3,7 Mrd. ECU 1985 auf 18,3 Mrd. ECU 1992 und bis zum Jahr 1999 auf 33 Mrd. ECU steigen werden. Gegenwärtig machten die Mittel der Strukturfonds etwa ein Drittel der gesamten Gemeinschaftsausgaben aus und betrügen rund 0,45% des Bruttoinlandsprodukts der Gemeinschaft.

Die finanziellen Mittel von EFRE, ESF, EAGFL und FIAF werden zu 85% für die Erreichung von vier regionalpolitischen Zielen verwendet: [ Zur Aufteilung der Mittel und ihrer Zweckbestimmung im einzelnen siehe Europäische Kommission, Gesamtbericht 1996, S 125ff.]

- Anpassung der Regionen mit Entwicklungsrückstand (Mittelbindung im Jahr 1996 etwa 15,4 Mrd. ECU, davon 9,3 Mrd. im EFRE, 3,4 Mrd. im ESF, 2,4 Mrd. im EAGFL und 0,2 Mrd. für FIAF),

- wirtschaftliche Umstellung von Industriegebieten mit rückläufiger Entwicklung (Mittelbindung im Jahr 1996 etwa 2,7 Mrd. ECU, davon 2,1 Mrd. im EFRE und 0,6 Mrd. im ESF),

- Strukturanpassung in ländlichen Gebieten (Mittelbindung im Jahr 1996 0,8 Mrd. ECU),

- Anpassung sehr dünn besiedelter Gebiete (Mittelbindung im Jahr 1996 0,09 Mrd. ECU).

Drei weitere Ziele haben keine geographische Ausrichtung. Auf sie entfallen 15% der Fördermittel. Die Programme zielen auf den Abbau von Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit (Mittelbindung im Jahr 1996 2,8 Mrd. ECU), die Anpassung der Beschäftigung an den industriellen Wandel (Mittelbindung 0,3 Mrd. ECU im Jahr 1996) und die Anpassung in den Agrar- und Fischereisektoren (Mittelbindung des EAGFL im Jahr 1996 0,8 Mrd. ECU und des FIAF 0,07 Mrd. ECU).

Über 90% der Fondsmittel wird auf Initiative der Mitgliedstaaten entschieden. Im Zeitraum von 1994 bis 1999 werden über 300 Programme gemeinsam von den Mitgliedstaaten und der Kommission aufgestellt und genehmigt. 9% der Finanzmittel der Fonds werden für Maßnahmen verwandt, die die Organe der Gemeinschaft unabhängig von den Mitgliedstaaten definieren. Es gibt derzeit etwa 200 Programme der Gemeinschaft, die unter 13 verschiedene Themen subsumiert sind. Über die Mehrheit dieser Programme wird auf der Basis von Ausschreibungen durch die Kommission entschieden.

Die Kommission behauptet, daß die Finanzmittel der Strukturfonds zu einer Einkommensangleichung beigetragen haben. Nach ihren Schätzungen trügen die gegenwärtigen Maßnahmen der Strukturfonds dazu bei, daß die Gesamteinkommen, gemessen als Bruttoinlandsprodukt je Kopf der Bevölkerung, um 5% angeglichen würden. Weiterhin wird gesagt, daß der Ausgleichseffekt nicht in erster Linie durch Umverteilung zustande gekommen sei. Vielmehr würden die Finanzmittel für die Förderung von Investitionen und Humankapital verwendet. Hierdurch würden die wirtschaftlichen Grundlagen in den Empfängerregionen gestärkt und der Abstand zwischen den ärmeren und reicheren Mitgliedstaaten durch eine verbesserte Produktivkraft der schwächeren Regionen verringert. Hilfen aus den Strukturfonds hätten in der Programmperiode von 1989 bis 1993 in den Kohäsionsländern (Griechenland, Spanien, Irland und Portugal) ein zusätzliches jährliches Wachstum von 0,5% hervorgebracht. Die Kommission gibt jedoch keine Einschätzung der Wachstumseffekte auf die Länder, die ganz überwiegend die Finanzmittel für die Strukturfonds bereitstellen.

Der Kohäsionsfonds nahm im Jahr 1993 die Arbeit auf, im Jahr 1995 hatte er sein erstes vollständiges Tätigkeitsjahr. [ Vgl. Europäische Kommission, Gesamtbericht 1996, S. 140f.; Erster Bericht der Kommission über den wirtschaftli chen und sozialen Zusammenhalt, S. 91ff.] Die Verpflichtungsermächtigung für 1996 belief sich auf rund 2,4 Mrd. ECU; für den Zeitraum 1993 bis 1999 wird die Finanzausstattung mit rund 15,2 Mrd. ECU (in Preisen von 1992) angegeben. Im Jahr 1996 wurden 338 Vorhaben aus dem Kohäsionsfonds finanziert. Die Aufteilung der Mittel nach Kohäsionsländern war: Griechenland 17,9%, Spanien 54,9%, Portugal 18% und Irland 9,1%; 0,1% der Mittel entfiel auf technische Hilfe. Die Kohäsionsländer sollen durch die Mittel in ihrer Vorbereitung auf die Währungsunion unterstützt werden. [ Europäische Kommission, Erster Bericht der Kommission über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt,
S. 91ff.]
Sie sollen in die Lage versetzt werden, die Aufholbemühungen (zum Wohlstand der reicheren Länder) unter Wahrung der Haushaltsdisziplin fortzusetzen.

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3.5 Information und Förderung der Kooperation (Kooperationskonzept)

Im Rahmen ihres Auftrags zur Information betrachtet es die Kommission als ihre Aufgabe,

- die Bürger verstärkt und besser über ihre sozialen Rechte und über die Entwicklungen im Sozialbereich aufzuklären und

- den Kenntnisstand der nationalen staatlichen Einrichtungen über die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten zu verbessern.

Zum Zweck der Bürgerinformation unterhält sie Informationsbüros in den Mitgliedstaaten. Eine europäische Arbeitsvermittlungsstelle (EURES - European Employment Services) wurde geschaffen, die unter anderem mit der Information, der Beratung und der Vermittlung von Stellen für Arbeitsuchende in ganz Europa beauftragt ist. Die Kommission hilft, auf kommunaler und regionaler Ebene, gemeinschaftsweite oder grenzüberschreitende Netzwerke zu errichten, die die Kooperation der verschiedenen sozialpolitischen Akteure erleichtern sollen. In Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten unterhält die Kommission verschiedene Beobachtungsstellen, die dem Zweck dienen sollen, Informationen aus dem Sozialwesen der Mitgliedstaaten zu sammeln, zu analysieren und zu verbreiten. [ Im einzelnen handelt es sich um die Beobachtungsstelle für Beschäftigung (zu dieser gehören MISEP System zur gegenseitigen Unterrichtung über beschäftigungspolitische Maßnahmen, SYSDEM Europäisches Dokumentations system für Beschäftigung, NEC Netz der Koordinatoren für Beschäftigung) und die Beobachtungsstelle für die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen (darunter MISSOC System zur gegenseitigen Information über den sozialen Schutz in der Gemeinschaft), die Beobachtungsstelle für Familienpolitiken, die Beobachtungsstelle für nationale Maßnahmen zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, die Beobachtungsstelle für ältere Menschen sowie die Beobachtungsstelle für Zusatzrenten.] Die Kommission erstellt jährlich Berichte (Bericht über die Beschäftigung, die Demographie und den sozialen Schutz), die sie als analytische und empirische Grundlagen für die Sozialpolitik der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten heranzieht bzw. zur Verfügung stellt. Die Kommission bedient sich weiterhin des Instruments der Grün– und Weißbücher, um ihre Lagebeurteilung und ihre Vorstellungen von den Handlungsnotwendigkeiten kundzutun.

Bereitstellung von Information und Förderung des Erfahrungsaustausches sind Aufgaben, die von weiteren Organisationen, darunter zwei Stiftungen auf Gemeinschaftsebene, wahrgenommen werden; mit diesen arbeitet die Kommission jeweils zusammen. Bei den Stiftungen handelt es sich um die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens– und Arbeitsbedingungen und die Europäische Agentur für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Gesamtberichte der Kommission geben Auskunft über die laufenden Aktivitäten der Organe.

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4. Zusammenfassung der Bestandsaufnahme

Von der Methodenvielfalt, die die europäischen Vertragswerke bei der Verfolgung sozialer Ziele anbieten, haben die Europapolitiker in der Vergangenheit Gebrauch gemacht. Es wurde ein Gemeinsamer Markt mit Freizügigkeit für Selbständige und abhängig Beschäftigte geschaffen, es wurden europaweit gültige Sicherheits- und Gesundheitsstandards in der Arbeitsumwelt von Arbeitnehmern gesetzt und gemeinsame Regelungen für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen erlassen, staatliche und nicht-staatliche sozialpolitische Akteure mit Informationen über die Sozialsysteme versorgt, der Dialog mit den Sozialpartnern geführt, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten gefördert und das Instrument der Finanzhilfe zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts eingesetzt.

Die europäische Sozialpolitik in ihrer gegenwärtigen Form ist nicht aus einem einheitlichen Bauplan entstanden, sondern aus einem Verhandlungsprozeß hervorgegangen, dem es an Transparenz mangelte [ Die Transparenz der Entscheidungsfindung im Ministerrat zu erhöhen, ist eine alte Forderung, der im Amsterdamer Vertragsentwurf Rechnung getragen wurde.] und dessen Ergebnisse nicht vorhersehbar waren. Streit über den richtigen Weg ist im Ministerrat, der auch nach der Vertragsrevision durch den Maastrichter Vertrag die europäische Gesetzgebung dominiert, die Regel gewesen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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