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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 52]


Prof. Dr. Otfried Jarren
„Die Entwicklung der Medien und ihre Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten„


Vielen Dank für die Vorstellung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hätte, wenn ich jetzt was sagen sollte zum Thema Journalistenausbildung, noch einen Kommentar. Aber das ist nicht mein Part, das ist ganz angenehm.

Ich soll mich beschäftigen mit der Fragestellung des Verhältnisses von Politik zu Medien und will das in Abweichung zu den Überlegungen, die ich vorbereitet hatte, aufgrund der laufenden Diskussion spontan tun. Ich will dabei anknüpfen an die Aussage von Herrn Meyer. Wir haben es hier mit einer zentralen demokratietheoretischen Frage zu tun, die mir bislang in der Diskussion etwas unterbelichtet vorgekommen ist. Und ich möchte gerne noch mehr Deutlichkeit in die Diskussion bringen.

Wir haben es meines Erachtens – und das ist meine Ausgangs- oder meine leitende These – mit einem Strukturwandel zu tun, der keineswegs nur mit kleineren Veränderungen korrigiert oder mit besserer Ausbildung organisiert werden könnte. Wenn wir feststellen, dass es immer mehr Kampagnen gibt, wenn wir feststellen, dass politische Kommunikation teuer wird, paid media Einzug hält in Europa, wenn wir Qualitätsmängel feststellen müssen im Bereich der politischen Kommunikation, wenn wir feststellen, dass das ganze politische System - nicht nur das britische, sondern auch das italienische und vielleicht sogar das deutsche partiell von bestimmten Medienabhängigkeitsstrukturen beeinflusst wird - dann ist es in der Tat eine ganz zentrale demokratietheoretische Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Meines Erachtens ist Folgendes passiert: Das gesellschaftliche Vermittlungssystem, das sich traditionell zusammensetzt aus den Medien, den Parteien, den Kirchen, aus den Gewerkschaften, aus Verbänden und Vereinen, das gesellschaftliche Vermittlungssystem wandelt sich. Wir haben es mit Starken und Schwachen zu tun. Schwache sind Gewerkschaften, sie verlieren

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ihre Mitglieder; Parteien sind faktisch ohne Bedeutung in vielen Teilen der allgemeinen Kommunikation; Kirchen haben Mitgliederschwund. Alle diese haben früher stark dazu beigetragen, in der Gesellschaft sozusagen von oben nach unten, von unten nach oben zu vermitteln. Dazwischen getreten sind die Medien, und nicht mehr die Medien, wie wir sie mal kannten als Parteimedien, Gewerkschaftsmedien, Kirchenmedien oder die Medien, die sehr stark mit unserer lokalen, regionalen Kultur verankert sind, sondern reine Geschäftsmedien. Wir haben es zu tun mit einer Tendenz zur Ökonomisierung, die längst sich sozusagen weiter reingefressen hat in das Vermittlungssystem, als man es vielleicht auf den ersten Blick sieht.

Diese These werde ich jetzt verfolgen, und ich werde dabei drei Optiken wählen: Die erste Optik wird sich ein wenig mit der gesellschaftlichen Struktur beschäftigen, denn die muss man kennen, um zu begreifen, was auf der unteren Ebene, da wo wir handeln, passiert. Ich werde mir zum Zweiten die Organisationen anschauen, und zwar vor allem die Medienorganisationen, weil mein Fokus hier ja die Medien sein sollen. Und ich werde mich zum Schluss mit der Ebene beschäftigen, auf der man handelt, auf der man praktisch etwas tut, mit den Einzelnen und mit den Gruppen.

Bei der Veränderung, die wir auf der Strukturebene feststellen, haben wir es keineswegs mit Kleinigkeiten zu tun, sondern, wenn wir den Medienbereich beobachten, findet da etwas statt, das sich ankündigt als so genannte Branchenkonvergenz. Die Medien, traditionell eher mittelständisch, kleinteilig organisiert, werden zunehmend integriert in wesentlich größere Verbundsysteme. Da sind nicht nur die amerikanischen Merger zu sehen, Sie können auch nach Frankreich gucken, Vivendi als einen Konzern betrachten und viele andere mehr.

Wir haben es zu tun mit einer neuen Veränderung, nämlich dass Medien nicht mehr so normativ, unabhängig, kleinteilig, ideologisch orientiert, sondern zum Bestandteil werden, zu Marketinginstrumenten, zu Marketingtools – es heißt ja heute auch schon „Content„, also Content, den man braucht, um andere Ziele damit zu verfolgen. Die Tendenz zur Branchenkonvergenz ist gegeben. Sie vollzieht sich schleichend und gefährdet damit natürlich die eher mittel- und wirtschaftlich kleiner orientierte Publizistik in allen europäischen Ländern.

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Zweitens: Wir haben allein in Deutschland einen Konzentrationsprozess ohnegleichen. Dagegen war das, was die Studentenbewegung thematisiert hat, ja fast lächerlich.

Das Foto der Seite 54 der Druck-Ausgabe kann leider in der ONLINE-Version nicht wiedergegeben werden

Ottfried Jarren bei seinem Vortrag; am Podium (von links nach rechts) Dr. Martin Doerry, Karin Junker, Ulrike Helwerth, Monika Griefahn und Dr. Luc Jochimsen

Wir haben heute in Deutschland dank der Politik und mit aktiver Unterstützung der Politik zwei Großkonzerne, die mehr oder minder den Fernsehmarkt dominieren und die Stück für Stück auch in andere Verwertungsbereiche vordringen und von daher den Konzentrationsprozess weiter vorantreiben. Im Ergebnis heißt dies, dass die Tendenz zur Ökonomisierung sich schon auf der Branchenebene zeigt. Und natürlich schlägt diese Tendenz zur Ökonomisierung auf alle anderen Ebenen durch. Sie schlägt auf die Konzernebene, die Bereichsebene, auf die Objektebene durch und führt dazu, dass andere Verwertungsaspekte zunehmend relevanter werden als

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die vormaligen klassisch-publizistischen, distanzierten, eher beobachtenden Veränderungen.

Die so genannte Deregulationspolitik hat dazu ihren Beitrag geleistet. Die Normen für die Medien sind abgesenkt worden. Das deutsche duale System ist dafür ein Beispiel. Die harmlosen Richtlinien, die von Europa kommen, sind dafür ein gutes Beispiel, denn sie sind rein defensiv; sie sind nicht normativ verpflichtend – Wohin soll es denn gehen? – sondern sie schreiben nur Mindeststandards vor, und die sind sehr bescheiden. Immerhin gibt es sie, aber sie sind sehr bescheiden.

On the long run und in der historischen Perspektive betrachtet, haben wir es mit einer Veränderung im Vermittlungssystem zu tun, in dem die Medien, die wir heute haben, sich zunehmend loslösen von den Institutionen, mit denen sie einmal historisch verkoppelt waren: das Bürgertum mit seiner Presse, die Arbeiterschaft mit ihrer Presse, die Gewerkschaften mit ihrer Presse, die Kirchen mit ihrer Presse. Diese sind marginalisiert, faktisch nicht mehr vorhanden. Wir haben es dann zu tun gehabt mit einem eher offenen, aber nach publizistischen Regeln arbeitenden System und kommen zunehmend in eine Situation, in der nur noch Content Provider versuchen, maximierte Ziele, die sie ökonomisch realisieren wollen mittels der Tools, die sie dafür entwickeln, hinzubekommen.

Also die Entwicklung führt dazu, dass nicht mehr Medien für Organisationen Kommunikation organisieren von oben nach unten und von unten nach oben, also nicht Bürger organisieren, sondern es werden Kaufkraftgruppen organisiert, und die laufen ein Stück weit quer zu dem, was Politik will und was die Gesellschaft will. Darin sehe ich eine Menge an Friktionen und Problemen. Deswegen spreche ich von Entkopplung, die stattfindet, die meines Erachtens ein Strukturphänomen ist und nicht ganz einfach zu erklären, sondern erst im historischen Prozess an Bedeutung gewinnt.

Dazu trägt bei, dass auf der gesellschaftlichen Ebene, auf der Strukturebene eine Veränderung sich vollzogen hat, die auch dazu führt, dass die Ordnungsvorstellungen sich wandeln. In Deutschland beispielsweise legt eine Stiftung des Bertelsmann-Konzerns ein Papier vor und sagt dazu „Kommunikationsordnung„. Nicht die politischen Parteien, Kirchen oder

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Regierungen legen Papiere vor, nein, irgendwie ausgelagerte Denkzentren großer Konzerne, steuerlich begünstigt, produzieren solche Papiere, und die Politik berät noch mit. Das zeigt den Wandel, der auf der Strukturebene stattgefunden hat. Entstanden ist eine andere Vorstellungswelt, die letztlich dazu führt, dass auch diese Ökonomisierungstendenzen sich verschärfen.

Soweit zu der strukturellen Ebene, zu der Vorstellungsebene. Denn wenn wir über Demokratie reden, heißt es immer auch, dass wir uns Gedanken machen müssen darüber, was wir normativ wollen, was die Gesellschaft will und wie sie diesen Prozess organisiert. Dazu gehört eben die strukturelle Dimension und das Arbeiten an Leitbildern oder Vorstellungen, wie man beispielsweise Medien verfasst haben möchte.

Ich komme auf meine zweite Ebene mit der zweiten Optik: Es geht um die Frage von Organisation, also die organisationelle Ebene, die mit Medien zu tun hat. Da kann man feststellen, dass wir auch dort schon ein Stück weit diese Branchenkonvergenz nachvollziehen können. Es gibt zahllose neue Akteure. Die traditionellen Vermittler, die traditionellen Medien werden sozusagen zunehmend bedrängt oder konkurrenzieren sich mit neuen Akteuren.

Aus der Schweiz beispielsweise steigen große Banken in das Geschäft der Online-Kommunikation ein. Sie brauchen für das Transaktionsmedium Content und Traffic – das sind die Begriffe dafür. Dazu integriert man Medien oder publizistische Inhalte, um auf diese Weise möglichst viele auf das Portal zu ziehen und dort Geschäfte verschiedenster Art – in der Regel geht es um den Handel mit Wertpapieren – zu erleichtern. Neue Akteure mit anderen Interessen, mit anderem Kapital kommen stark in den Bereich der herkömmlichen Publizistik hinein.

Natürlich wirkt sich diese Ökonomisierung auch auf die Organisation insgesamt aus. Es nennt sich dann Kommunikationsmanagement oder auch redaktionelles Marketing. Das heißt, es müssen Redaktionen oder Verlage, einzelne Bereiche versuchen, für die verschiedenen Märkte oder Teilmärkte, für die so genannten Zielgruppen oder für bestimmte Werbezwecke kleinteilige Vorgaben zu realisieren.

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Heißt das eigentlich noch Beobachten der gesellschaftlichen Realität und der Reflexion? Oder heißt das stärker schon zu schauen, was als Output generiert werden muss, um ein Maximum zu erreichen?

Zweifellos gehören heute solche Instrumente auch dazu, publizistische Produkte zu optimieren. Aber die Ökonomisierung hat sich durchgezogen. Sie vollzieht sich ja selbst in der Forschung, in der ständig neue und andere Formen von Forschung und Forschungsergebnissen präsentiert werden.

Letzter Punkt in dieser Reihe, bevor ich auf die Kompetenzen eingehe, auf der organisationellen Ebene: Wir können feststellen, wenn wir empirisch hingucken, dass sich die neuen Organisationen, die als Vermittler tätig werden, anders organisieren. Sie organisieren sich nicht mehr so, dass sie Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport als Redaktionen aufbauen, sondern sie sind häufig gar nicht mehr binnenstrukturiert. Es bauen sich keine festen organisationellen Strukturen mehr auf, in denen so etwas wie Kompetenzzentren existieren, die sich auf Innenpolitik spezialisiert, um einen Teilbereich derselben kümmern. Nein, Generalisten dominieren. Und wir haben durch eigene empirische Studien und andere nachweisen können, dass das das vorherrschende Organisationsmuster ist.

Das führt dazu, dass Kampagnen entstehen müssen, weil Kompetenzen zur Verarbeitung von Informationen gar nicht vorhanden sind, weil Strukturen zur Verarbeitung der Informationen nicht vorhanden sind, weil – und dann kommen andere Faktoren, Frau Jochimsen sprach es an – Zeitstrukturen, Reflexionszeit, Nachdenklichkeit und anderes in diese Organisationsstrukturen gar nicht mehr eingebaut werden.

Redaktionelle Strukturen, meine Damen und Herren, sind aber eine Voraussetzung für die Wahrnehmung jeglicher Kompetenz. Man braucht das Gespräch; es bedarf des Austausches; es bedarf gewisser Vorgaben und organisationeller Unterstützung, um optimal bestimmte Ziele erreichen zu können.

Diese Kompetenz – und damit komme ich zu meinem engeren Thema, dem Verhältnis von Medien und Politik – betrifft natürlich auch die Frage, wie kompetent denn Journalismus mit Politik und politischen Themen generell

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umgehen kann. Da sehe ich Veränderungen allein dadurch, dass die redaktionellen Strukturen sich wandeln, und dass das Thema Politik unter kommerziellen Bedingungen allenfalls noch eine Randgröße darstellt, keine zentrale Größe mehr ist. Denn bei Infotainment kann man zwar versuchen – Herr Meyer hat es gezeigt –politische Inhalte auch noch mitzuvermitteln, aber eben auch, nicht im Mittelpunkt.

Letzte Perspektive und letzte Sicht mit meiner Optik: Ich komme auf Mikroebene der Handelnden, auf die Ebene dessen, was das Verhältnis von Medien zu Politik ausmacht. Zweifellos gibt es die Auseinandersetzung zwischen Journalisten und Politikern auf der einfachen Handlungsebene. Das ist das Thema, was jetzt in diesem zweiten Teil ja verhandelt werden soll. Ich glaube, dass hier viele Studien existieren, mit denen man arbeiten kann. Aus ihnen kommt deutlich heraus, dass wir es mit einem spannungsreichen Verhältnis insgesamt zu tun haben.

Was aber auch aus den Studien hervorgeht, das zeigt, dass die Art der Qualität dieser Interaktion sich gewandelt hat. Und zwar können Politiker durchaus glaubhaft nachweisen, dass die Interaktionspartner, mit denen sie es zu tun haben, schlechter qualifiziert sind. Das gilt nicht nur für die so genannten Berliner Verhältnisse, das zeigt sich auch aus kleinen Studien, über die landespolitische Berichterstattung oder aus anderen Feldern. Es hat damit zu tun, dass die Ausbildung, die elementare Ausbildung vielfach fehlt, weil die Verweildauer bei manchem privaten Radiosender so kurz ist, dass sich eigentlich keine Kompetenz aufbauen kann, so dass sich natürlich auch keine Routine entwickeln kann. Das Spannungsverhältnis verschärft sich ein Stück weit dadurch, dass die Kompetenz auf der Ebene der Interaktion - zu verstehen, was Politik gerade bearbeitet - abnimmt und zugleich der Druck zunimmt, das, was dort vermeintlich beobachtet worden ist, in ein Format zu gießen, das in der Regel sperrig zur Politik, steht und auch noch ein bestimmtes ökonomisches Vermittlungsinteresse erreichen muss.

Die Beschleunigung in der Produktion führt als weiterer Faktor dazu, dass die Bedingungen der Erzeugung von politischen Inhalten schwieriger und komplexer werden. Das führt zu Verwischungen. Sie wissen ja, dass die Reihe Christiansen nicht von einer Politikredaktion, sondern mit Recht von einer Unterhaltungsredaktion verwaltet wird. Aber viele glauben immer

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noch, das hätte etwas mit Politik zu tun. Gut, ist so, damit muss man dann leben.

Auf der anderen Seite, wenn wir jetzt auf die Politikseite überwechseln, stellt man fest, dass Politik auf diese Entwicklung etwas irritiert reagiert. Politik hat Angst, sich mit der Normenfrage auseinander zu setzen, ob alles, was dort Journalismus heißt, tatsächlich auch Journalismus ist.

Ich glaube schon, wir werden alsbald eine Diskussion haben müssen, worüber diskutiert werden soll. Was gehört denn eigentlich noch dazu? Und was versucht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten Verfassungsrecht in Anspruch zu nehmen? Aber das ist ein Lieblingsthema von mir, und das betrachte ich hier nur in Klammern.

Diese Veränderungen im Bereich des Vermittlungssystems führen dann – wie Herr Meyer dargestellt hat - zu einer Aufrüstung in der Politik. Public Relations nimmt zu, Inszenierung nimmt zu, die Spin Doctors kommen aus den USA herüber, halten sich hier auf und versuchen für teures Geld ihre müden Konzepte den Europäern anzudrehen. Diese Aufrüstung im Bereich der Public Relations ist festzustellen. Rüstung, Aufrüstung und Nachrüstung gehen sozusagen eine Spirale ein.

Und damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück, nämlich zu der Fragestellung: Wenn wir uns um die demokratietheoretische Frage des Verhältnisses von Medien zu Politik beschäftigen müssen, dann wissen wir, dass wir es mit einer sensiblen Frage zu tun haben, die letztlich darüber etwas sagen wird, wer sich in demokratischen Prozessen durchsetzen kann. Spin Doctors und Wahlkämpfe, nicht nur amerikanische, auch deutsche, kosten sehr viel Geld. Das ist eine Frage der Parteienfinanzierung. Die Frage, was wendet der Staat für die Organisation insgesamt auf, wirkt sich aus auf die Kandidatenauswahl, wirkt sich aus auch auf die Möglichkeiten von verschiedenen Beteiligten.

Wenn Politik in diesem Spiel der Loser sein sollte und langfristig sozusagen in eine marginalisierte Rolle käme, dann wäre das demokratietheoretische Fazit natürlich bedauerlich. Aber vielleicht steigen wir mit so einer These mal kritisch in die Diskussion ein. Vielen Dank. [Beifall]

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[Diskussion]

Ulrike Helwerth

Danke, Herr Jarren. Das dürfte genug Stoff geben sowohl für die Seite der Journalistinnen und Journalisten als auch der Politikerinnen. Herr Doerry, Herr Jarren hat unter anderem gesagt, es sind nicht mehr die Spezialisten gefragt, sondern die Generalisten, die ein Thema überfliegen, aber nicht mehr ins Detail gehen können. Er hat außerdem gesagt, politische Redaktionen spielten fast keine Rolle mehr und Politiker behaupteten, ihre Medienpartnerinnen und -partner, also die Journalistinnen und Journalisten, die ihnen täglich begegnen, würden immer inkompetenter. Ich nehme nicht an, dass Sie das unwidersprochen hinnehmen.

Dr. Martin Doerry

Das kann schon sein, dass es solche Erfahrungen gibt. Das kann ich ja im Einzelfall nicht nachprüfen. Ich muss allerdings sagen, dass wir umgekehrt ähnliche Erfahrungen machen. Also insofern kann ich das auch so zurückgeben. Ich bin mir nicht sicher, ob das Niveau in den letzten Jahren der politischen Auseinandersetzung zwischen Medien und Politikern, wenn man das mal so sehen will, insgesamt gestiegen ist. Möglicherweise liegt es überall ein wenig unter dem früheren.

Aber ich möchte noch mal zu einem Ausgangspunkt von Ihnen zurückkommen, Herr Jarren. Sie haben so eine historische Entwicklung in kurzen Worten geschildert, nämlich einerseits seien früher die Medien gekoppelt gewesen an Klassen, an Verbände, also an soziale Schichten und Organisationen wie Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, und heute sei nur noch Content-Vermarktung angesagt durch Konzerne, also die Ökonomisierung der Medien habe sich voll durchgesetzt. Das klingt für mich ein bisschen kulturpessimistisch. Und ich glaube, es war auch so gemeint.

Ich finde es dagegen ganz prima. Und ich will Ihnen auch sagen warum. Denn im Ernst, wir können doch nicht den Zeiten nachtrauern, in denen es eine Abhängigkeit gegeben hat der Medien, der Journalisten von Verbänden, von Parteien. Den alten Parteizeitungen wird niemand oder kaum jemand nachweinen, auch den Gewerkschaftsblättern und den Kirchenblättern nicht und auch den ganzen Zeitungen, die in der Weimarer Zeit oder in der Kaiserzeit jeweils bestimmten Parteien sehr nahe standen. Diese Zei-

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tungen sind heute mit Recht verschwunden oder vegetieren vor sich hin. Das hat dazu geführt, dass im Grunde genommen nur noch der Markt sozusagen der Arbeitgeber oder der Chef der Journalisten ist. Ich halte den Markt für am Ende objektiver als jede Partei. Ich weiß sehr wohl um die Probleme der Abhängigkeit vom Markt. Das ist mir völlig klar. Aber ich finde, dass wir uns aus dieser Fesselung der Medien an bestimmte Interessensverbände gelöst haben, ist eigentlich ein großer Fortschritt.

Ulrike Helwerth

Gute Frage. Frau Griefahn und Frau Junker, stimmt es tatsächlich, dass diese Entkoppelung stattgefunden hat und dass die Medien sich aus dem Griff der Politik befreit haben?

Karin Junker

Also wenn ich mir mal die klassischen Beispiele der Parteipresse angucke, in diesem Fall – ich bin ja bekanntlich in der SPD –, muss ich sagen, die Zeiten, als die verdienten Genossinnen und Kollegen die Parteizeitung betrieben, nicht dazu beigetragen haben, dass sie ein blühendes Leben entfaltet hätten und wir da heute auf großen Pfründen säßen. Wenn heute die Beteiligungen wirtschaftlich erfolgreich sind, dann hat es was damit zu tun, dass diese Medien professionell betrieben werden und eben nicht dem Einfluss der Parteizentrale unterliegen, was nicht heißt, dass sie sich nicht bestimmten Werten verbunden fühlen. Das muss man eben wirklich auseinanderhalten.

Nach wie vor werden natürlich Werte vertreten, werden Richtungen vertreten von Medien. Und das, glaube ich, hat sich auch nicht geändert. Die Darstellungsformen, die Formen der Verbreitung haben sich geändert. Ich habe immer ein Problem, wenn von objektiver oder neutraler Berichterstattung die Rede ist. Ich glaube, jeder und jede von uns steht irgendwo, was sich auch zeigt. Wichtig ist, dass es unter professionellen Gesichtspunkten geschieht – dass nicht einfach nur Richtungsjournalismus betrieben wird.

Wo ich ein bisschen Sorge habe ist, dass nicht immer die journalistische Distanz eingehalten wird – ich spreche jetzt auch mal als eine, die das

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Handwerk ausgeübt hat über viele Jahre – dass die journalistische Distanz manchmal verloren geht. Das ist etwas, an dem man immer auch arbeiten muss, egal auf welcher Ebene oder mit welcher Ausbildungsvoraussetzung; das ist ganz wichtig, glaube ich. Wenn die Distanz verloren geht zwischen Politik und Medien, dann wird es wirklich kritisch.

Ansonsten muss ich aber auch sagen, dass ich - vielleicht, weil ich eine bin, die von Printmedien kommt, auch wenn ich natürlich guten Einblick in das öffentlich-rechtliche und sonstige Medienwesen habe - dass ich manchmal Tendenzen des Kulturpessimismus feststelle, die ich nicht teile und die ich für problematisch halte, weil ich finde, dass Politik die Aufgabe hat, an diesen Prozessen gestalterisch teilzunehmen, und zwar in einem positiven Sinn gestaltend teilzunehmen. Und da muss ich zum Thema Markt sagen, der Markt kann und wird nicht alles richten. Die Erfahrungen haben wir ja nun vielfältig gemacht.

Weil wir es mit Kommerzialisierung und Ökonomisierung zu tun haben bleibt das Wichtigste, dass politische Rahmenbedingungen erhalten, geschaffen oder ausgebaut werden, die Pluralismus sichern und dies in Verbindung mit Professionalität. Das ist wirklich das Entscheidende. Ich teile die Auffassung, dass die Neigung, Sachkompetenz abzubauen und nur noch aktuelle Redaktionen zu machen, auf Kosten der Qualität geht. Ich glaube, dass es wichtig ist, Sachkompetenz, eine wesentliche Voraussetzung für eine qualifizierte Berichterstattung, in welchem Genre auch immer, zu erhalten und zu pflegen.

Weil das Beispiel Christiansen erwähnt wurde: Man muss zur Kenntnis nehmen, dass hier Themen vermittelt oder konsumiert werden, die durchaus politische Inhalte betreffen und dass dies ein Weg ist zu vermitteln, was auf anderem Weg eben in der Breite, in der Akzeptanz nicht geschieht. Ich sage das, auch wenn ich kein Fan dieser Einrichtung bin und eine Menge Kritik an ihr habe. Auch solchen Erkenntnissen darf man sich nicht verschließen. Deshalb ist es wichtig für diejenigen, die Medienpolitik betreiben und dafür die Rahmenbedingungen setzen, dass man diese Veränderungen akzeptiert, aber gleichzeitig für Rahmenbedingungen sorgt, die die Inhalte nicht preisgeben.

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Monika Griefahn

Meine Frage, ob die Presse wirklich unabhängiger ist durch den Markt, war mehr auf Herrn Doerry bezogen. Ist der Markt eigentlich das, was einen wirklich unabhängig macht? – Ich möchte nur mal daran erinnern, dass die Information für Journalisten von denjenigen, die den Markt beherrschen, natürlich auch „manipuliert„ wird, zum Beispiel durch eine wesentlich umfassendere oder auch attraktivere Information.

Nehmen wir das Beispiel: Sojamais. Jetzt kommt also die Geschichte mit BSE auf und alle sagen, prima, jetzt können wir Sojamais aus den USA importieren. Dort besteht ein Rieseninteresse, den Export zu erhöhen, weil das ein garantierter Markt ist. Jetzt wird das also als das Beste der Welt dargestellt, obwohl es vor einem Jahr noch eine sehr breit angelegte Kampagne von Umweltschützern gab, weil Sojamais in der Regel gentechnisch manipuliert ist oder auch die Nahrungsgrundlage für Brasilianer darstellt. Wenn jetzt also aus Brasilien und den USA große Mengen von Sojamais importiert werden, damit unsere Tiere gefüttert werden, braucht man die 7-fache Menge, als wenn der Mensch den Soja direkt essen würde. Diese Information fällt für das Publikum weg, weil sie nicht mit solchem großen Aufwand publiziert werden kann. Da stellt sich die Frage, ob der Markt das einzig richtige Kriterium ist oder das einzig hilfreiche, ob das immer stimmt.

Ich stimme Ihnen zu, die Kirchen-, Gewerkschafts-, oder Sonst-was-Blätter, die liest man vielleicht nicht mehr so gerne. Wenn man aber auch als Journalist von Medien und medialer Information überspült wird, nimmt man nicht eher die zur Kenntnis, die mit einer schönen Reise verbunden sind oder mit einer netten Präsentation.

Ich sehe, das ist auch die Frage zwischen Politik und Medien, dass egal, mit wem man es zu tun hat, ob mit Wirtschaftsleuten oder mit Politikern, natürlich die Briefmarkeninformation oder die zubereitete Information zunimmt. Wenn ich montags im Zug nach Berlin sitze, dann sehe ich eben viel mehr Leute mit dem FOCUS als mit dem SPIEGEL rumsitzen. Und da denke ich, na ja, das ist die BILD für Intellektuelle. Da hat man zubereitete Kurzinformation, die mich eher langweilt, aber vielleicht hat man eben auch nicht die Zeit, sich mehr Informationen zu holen. Das ist schon ein Problem, ob

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es überhaupt gelingt, die komplette Information und das Abwägen auf die Reihe zu bekommen.

Die Frage ist, ob dann Inszenierung, wie wir von Herrn Meyer gehört haben, ob die nicht dann überhaupt das Maß aller Dinge ist. Dass Herr Westerwelle wahrgenommen wird, weil er im Container war. Dann kommt die Frage auf: Welcher der Politiker geht in den Container und wer geht nicht rein? Und daran wird gemessen, ob der Politiker jetzt für die Jüngeren oder für die Älteren brauchbar ist. Die Frage ist: Wie wird da gegengesteuert? Und, haben Medien eigentlich noch die Möglichkeit, da gegenzusteuern?

Also für mich ist das ein großes Problem, dass man einfach untergeht, wenn man etwas konservativer oder politisch korrekter mit so etwas umgeht, dass man einfach keine Informationen über eine Sachfrage wie zum Beispiel, ob ein Recht auf Kultur oder ein Recht auf Medienfreiheit in der Charta untergebracht wird. Das ist einfach keine Meldung mehr wert. Ich würde gerne von Ihnen noch einmal wissen, wie Sie sich das vorstellen, wie man das machen soll, wenn eine sachliche Auseinandersetzung, die man nicht inszeniert, dann gar nicht mehr vorkommt?

Dr. Martin Doerry

Also vorweg, ich kann Sie trösten, noch verkauft der SPIEGEL jede Woche mehr als 200.000 Hefte mehr als der FOCUS. Aber in der Eisenbahn von Hamburg nach Berlin mögen andere Verhältnisse gelten.

Also ich wusste, dass ich Sie mit diesem Begriff „Markt„ etwas provoziere. Und natürlich weiß ich ganz genau um die Abhängigkeiten, die wir alle da jetzt eingehen müssen oder in denen wir uns alle befinden, wir Journalisten. Und ich weiß auch, dass es Journalisten gibt, die nicht über so sensible und umfangreiche Apparate verfügen zur Informationsgewinnung, wie das bei den Kollegen in den großen Tageszeitungen, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, im Fernsehen oder eben auch beim SPIEGEL der Fall ist. Das ist mir schon klar, dass es in vielen kleineren Redaktionen auch direkte Zugriffsmöglichkeiten auf die Redaktionssysteme gibt. Informationen werden von Industriemarketing-Organisationen oder Verbänden, direkt in die

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Textverarbeitungssysteme geliefert. Solche Gratisinformationen sind natürlich gefärbt Das ist mir schon klar. Da muss man differenzieren.

Das Beispiel Gensoja, das Sie eben genannt haben, scheint mir nicht ganz schlüssig. Als eine Alternative gesucht wurde für die Verfütterung von Tiermehl tauchte in vielen Tageszeitungen sofort das Argument auf, dass, wenn wir nun Soja importieren, das womöglich gentechnisch manipuliert ist. Also ich glaube, das hat sich sehr schnell durchgesetzt.

Ich möchte noch mal ganz kurz zurückkommen auf diese Frage: Wie abhängig sind die Medien vom kapitalistischen System, von dem wir uns ja alle ganz redlich ernähren? Das ist einfach eine Gratwanderung, der jeder Journalist täglich ausgesetzt ist; darüber muss er sich selbst am Ende Rechenschaft geben, ob er sich korrekt verhalten hat, also ob er einerseits Informationen genutzt und andererseits objektiv nach bestem Wissen und Gewissen weitergegeben hat. Dass jeder befangen ist, ist mir völlig klar. Ich will aber noch mal sagen: Ich halte diese Form der Abhängigkeit am Ende für erträglicher und vernünftiger als das, was es vor 100 oder 150 Jahren gegeben hat.

Ulrike Helwerth

Ich möchte noch mal zurückkommen auf das Stichwort, das Herr Jarren gegeben hat mit der PR-Aufrüstung in der Politik. Ich greife zurück auf eine eigene Erfahrung. Wir haben vor einigen Wochen in Berlin eine Veranstaltung gemacht mit führenden Politikerinnen und Parlamentsberichterstatterinnen. Das Thema war das schwierige Verhältnis zwischen Medien und Politikerinnen, warum Frauen, selbst hochrangige Politikerinnen, qualitativ und quantitativ in den Medien anders auftauchen als Männer. Was ich dabei interessant fand, was aber nicht ausdiskutiert wurde, war die Übereinstimmung von Politikerinnen und Medienfrauen darin, dass die Wahrnehmung einer Politik als erfolgreich oder nicht davon abhängt, wie medienkompetent die Person ist, die diese Politik vertritt. Eine Spitzenpolitikerin sagte es so: Wenn ich nicht in der Lage bin, in 25 Sekunden meine zentrale Aussage ´rüberzubringen, dann kann ich eine noch so gute Sachpolitik machen, dann habe ich meine Hausaufgabe nicht erledigt, nämlich die, meine Medienkompetenz zu erhöhen.

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Frau Jochimsen, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie mit diesem „ex und hopp„ und den immer kürzeren Zeiten nicht einverstanden sind. Teilen Sie als langjährige politische Journalistin diese Auffassung?

Dr. Luc Jochimsen

Ich finde es absolut richtig und in Ordnung, dass in einer Gesellschaft, die als Mediengesellschaft charakterisiert wird, natürlich derjenige, der im politischen Geschäft erfolgreich sein will, seine Hausaufgaben gemacht haben muss. Zu den Hausaufgaben gehört, sich der Öffentlichkeit verständlich zu machen über Medien. Daran finde ich erst mal noch gar nichts Gefährdendes.

Ich möchte wirklich noch mal zur Omnipotenz des Marktes zurückkehren. Denn Ihre Frage war doch, wie weit die Kommerzialisierung demokratiegefährdend ist. Von mir werden Sie kein besonders lobendes Wort über die Kirchenblätter und Gewerkschaftsblätter hören. Ob allerdings der Markt am Ende die Garantie und die Gewährleistung dessen ist, was wir alle dringend brauchen, da möchte ich schon ein großes Fragezeichen machen.

Nun muss man allerdings sagen, nicht umsonst haben die Gewerkschaften einmal den Satz „Wissen ist Macht„ als Motto ihrer Arbeit empfunden. Es ist sicherlich richtig, dass sie Wissen, Aufklärung und Information nicht mehr adäquat verbreitet haben über ihre Gewerkschaftsblätter. Das ist vollkommen richtig beobachtet. Aber irgendwas müssen sie ja tun, um weiterhin im Besitz von Wissen zu bleiben. Und woher verschaffen sie sich jetzt eigentlich Wissen? Woher informieren sie sich? Doch mit Verlaub nicht nur über die BILD-Zeitung. Die Frage ist also schon: Wie ist Pluralismus und Demokratiebeständigkeit zu gewährleisten?

Ich stehe auf dem Standpunkt: Der Markt hat nichts mit Demokratie zu tun. Im Markt setzt sich der durch, der eher zur Größe tendiert und wieder zum Monopol tendiert und zu immer größeren Zusammenhängen. Und das sehen wir doch auch. Ob da gesellschaftliche Pluralität und vor allem wirklich Wissen und Information vermittelt werden, da mache ich mein großes Fragezeichen.

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Dr. Martin Doerry

Ich glaube, wir müssen uns dennoch mit diesem Markt arrangieren und haben keine Alternative. Denn, danach möchte ich Sie jetzt fragen, was wäre denn die Alternative? Die alten Abhängigkeiten – wollen wir nicht mehr haben und die neue vom Markt wollen wir auch nicht. Was ist denn das dritte? Wo ist es?

Dr. Luc Jochimsen

Das dritte scheint mir der Auftrag der Verfassung zu sein. Pluralität scheint mir Information zu sein. Ich habe ja vorhin schon gesagt, es müsste eigentlich eine Möglichkeit geben, dass es einen Kultur- und Politikauftrag gibt neben der durchgängigen Kommerzialisierung. Sonst bleibt am Ende wirklich nur noch Big Brother übrig. Das ist doch absehbar. Und die Bits-und-Pieces-Pseudonachrichten, die so tun, als würden sie Informationen vermitteln, fallen dann völlig weg, verabredet zwischen den Eignern, die Medien besitzen und denen, die an der Macht sind. Verabredungen, nicht nur Inszenierungen, sondern Verabredungen, das sind heute die Nachrichten. Das sind die News.

Dr. Martin Doerry

Aber noch gibt es in Deutschland keine Tageszeitung und keine Wochenzeitung, die staatliche Alimente bekommt in irgendeiner Weise. Und ich glaube, die wird es auch nicht geben. Das wäre der einzige Weg, öffentlich-rechtliche Printobjekte zu schaffen, die dann nach den Regeln operieren, wie Sie sie gerade beschrieben haben. Das halte ich aber für utopisch. Das werden wir nicht hinbekommen.

Ulrike Helwerth

Bitte, Frau Junker.

Karin Junker

Man kommt nicht weiter, indem man Teile des Geschehens verteufelt. Das hat ja nun wirklich überhaupt keinen Sinn. Wir haben das duale System,

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wir haben kommerzielle Anbieter. Die Erscheinungsformen sind hier alle richtig beschrieben worden. Das ist der Zug der Zeit. Man kann sich dagegen nicht wehren. Deshalb will ich das noch mal sagen: Mir kommt es darauf an, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit das, was Frau Jochimsen hier vertritt, möglich ist und bleibt. Da ist Politik, auch wenn ich manchmal ziemlich wütend bin, nicht ganz so schlimm. Wenn ich das ´mal in die Debatte werfen darf: Wir haben Phönix, wir haben ARTE. Wir leisten uns ARTE mit weniger als einem Prozent Marktanteil, mit weniger als einem Prozent. [Beifall]

Ich gehöre zu denen, die das massiv vertreten und sich dafür einsetzen, dass es so bleibt. Und wenn ich gleich ganz schnell weg bin, das will ich hier gleich erklären, dann weil ich nämlich zum ARTE-Programmbeirat nach Brüssel muss.

Politik hat möglich gemacht, dass in diesem dualen System Angebote bestehen, die auch höchsten Ansprüchen genügen, und sehr viele Interessen abdecken, und zwar auch dann, wenn es dafür keinen großen Markt gibt.

Was wir brauchen, ist ein gesellschaftliches Engagement dafür, dass ein öffentlich-rechtliches System unter veränderten Bedingungen Bestand haben kann und dass dieses öffentlich-rechtliche System sich auch an allem beteiligen kann. Das ist in der Tat schon ein Vorteil gegenüber den privat organisierten Medien. Es hat sich bei den Printmedien ja gezeigt, dass hier sehr viel mehr Variabilität und Offenheit des Angebotes besteht als etwa im elektronischen Sektor. Da würde ich nach wie vor gewisse Unterschiede sehen. Aber das ist wirklich das, wofür wir eintreten müssen.

Es ist nicht so sehr die Frage: Wie gehen denn heute Journalisten und Journalistinnen mit den Produktionsbedingungen um? Die BBC hat längst diese Videoreporter. Ich habe mir das angeguckt. Das sind junge Leute, die das so wollen. Und wenn ich meine eigene Geschichte sehe - ich komme aus dem klassischen Printbereich - da hat man den Untergang der Welt gesehen, als es plötzlich Linotype gab und die Metagen aufgelöst wurden. Also ich habe das Zeitungsmachen noch ganz klassisch mit Blei erlebt und dann den Wegfall der Korrektoren. Es ist heute anders. Aber deswegen ist der Berufszweig nicht zusammengebrochen und auch nicht das journalistische Engagement. Es gibt immer noch wunderbare journalistische Erzeugnisse.

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Es gibt natürlich auch die BILD-Zeitung. Aber ich muss sie ja nicht lesen. Ich habe die Freiheit, mir das, was ich lesen will oder das, was ich gucken will oder medial konsumieren will, auszusuchen. Diese Freiheit haben wir hier in diesem Land und das ist ein hohes Gut. Das müssen wir verteidigen mit aller Macht. Das ist eine Frage der politischen Rahmenbedingungen.

Ulrike Helwerth

Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen auf dem Podium und möchte danach die Diskussion fürs Publikum öffnen. Sie finden hier in den zwei Gängen zwei Mikrofone . Vielleicht stellen Sie sich schon mal an und dann kann es gleich losgehen. Erst Frau Griefahn.

Monika Griefahn

Ich möchte das Plädoyer für den öffentlichen Rundfunk unterstützen, weil der in der letzten Zeit in Frage gestellt wird. Ich möchte nochmal betonen: Wenn das Internet für Leute unter 40 Jahre eine wichtige Informationsquelle wird, dann müssen öffentlich-rechtliche Anstalten auch Online gegen dürfen. Das darf nicht verhindert werden, das ist eine ganz wesentliche Sache. Auch die Möglichkeit der Informationsauswahl muss bleiben. Wir müssen als Politiker dafür sorgen, dass eine selektive Informationsbeschaffung möglich bleibt.

Prof. Dr. Otfried Jarren

Jetzt muss ich erst mal bekennen, dass auch ich den Bayernkurier und den Vorwärts immer grauselig fand und nicht gelesen habe, stimmt. Ich wollte auf etwas anderes aufmerksam machen, dass wir es zu tun haben mit einer Strukturveränderung im Vermittlungssystem. Das kann man versuchen dann strukturell verschieden abzusichern. Dazu gehört öffentlicher Rundfunk; auch entsprechend andere Angebote, die gemacht werden. Diese Strukturveränderung bleibt dennoch bestehen, weil die Möglichkeiten für das Publikum unter den Bedingungen von gegebener Lebenszeit und gegebener Medien-Wach-Aufmerksamkeits- und Nutzenszeit sozusagen eine Konstante ist. Da wird sich nicht viel ändern. Das heißt, die Zeit verteilt sich auf immer mehr oder auf weitere Angebote.

[Seite der Druckausg.: 70]

Die Frage ist: Wohin verteilt sie sich? Was wird an Zeit noch übrig bleiben, beispielsweise für politische Informationen? Das sehe ich gar nicht pessimistisch, auch nicht kulturpessimistisch, das ist erst mal ein Fakt, mit dem man leben muss. Dann wird man sehen, welche Produkte überleben, weil sie die nötige Refinanzierung oder Finanzierung schaffen.

Auf der Strukturebene wird aber meines Erachtens zu wenig getan. Es ist offenkundig, dass die Konzentrationsprozesse auch in diesem Land ganz massiv voranschreiten und nicht politisch gesteuert werden. Im Gegenteil. Das Argument Konvergenz ist ein schlechtes Beispiel, weil das nämlich eine Ausrede ist. Sie haben das ja auch deutlich gemacht. Es geht darum, dass diese Konvergenztendenzen stattfinden unter den Bedingungen der gleichen Player. Wir haben es mit den gleichen Akteuren zu tun, nicht mit unterschiedlichen. Es ist auch eine faule Ausrede, wenn man mit solchen Argumenten kommt und den Bereich nicht strukturell sieht.

Also: Das Vermittlungssystem ist für die Demokratie konstitutiv, weil darüber die Prozesse ablaufen, die von oben nach unten, von Regierung zum Volk und andersrum aufgebaut werden müssen. Diese Institutionen, die wir uns geschaffen haben, stehen auf relativ tönernen Füßen. Parteiversammlungen ziehen eben keine Massen mehr. Kirchentage vielleicht noch, aber die Kirche ansonsten auch nicht. Das betrifft auch andere Akteure. Ich glaube, dass man die Verletzbarkeit demokratischer Prozesse sehen muss, sie dauern lange, sie brauchen Zeit, man muss die Institutionen kennen. Dagegen steht ein Mediensystem – das wurde hier von allen betont - , das anscheinend in Teilbereichen weniger Kompetenz kennt, auf alle Fälle weniger Zeit kennt und sehr stark nach schnellen Lösungen verlangt. Das ist das, was man dann in weißen Flecken der Berichterstattung bei der ARD genauso zeigt wie bei anderen Sendern oder anderen Medienprodukten, die ich jetzt gar nicht aufzählen will.

Diese Probleme, meine Damen und Herren, muss man sehen. Wenn Sie eine Medieninhaltsanalyse machen, können Sie feststellen, dass das Parlament ein Auslaufmodell ist. Es kommt nämlich faktisch nicht mehr vor. Es kommen noch einzelne Personen vor. Das Parlament als Institution verliert an Bedeutung. Der Kanzler ist aufgestiegen. Grandios. Es sind Führerpersonen, rein von der Quantität – jetzt auch so gemeint – , die das Geschäft und die Politik beeinflussen. Da muss man sich nicht wundern, dass auch

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Kampagnen oder kampagnenähnliche Formen der Politik zunehmen. Das hat Herr Meyer untersucht. Dazu gibt es auch zahllose andere Studien.

Wir haben es zu tun mit einer Gesellschaft, in der bestimmte Formen im Mediensystem funktionieren. Dazu reichen die bisherigen Regelungen kaum aus. Einerseits gibt es die Konzentrationsproblematik, aber –das kommt dann leider auch auf dieser Liste zum Zug – andererseits muss die Reflexion auf der Ebene von Redaktion ausgebaut werden. Es muss mehr Selbstverpflichtung geschaffen und es müssen mehr Kompetenzmöglichkeiten geschaffen werden, um diesen Austausch sicherzustellen. Denn es gibt einen Unterschied zwischen denen, die Publizistik als klassisches Geschäft betreiben und sich publizistisch verstehen und den vielen Neuen, die auf den Markt kommen, die nach ganz anderen Regeln arbeiten, die ganz anders ihr Personal einstellen, die aber an Bedeutung gewinnen, insbesondere beim jüngeren Publikum.

Also wir haben es mit einer ziemlich komplexen Lage zu tun. Man muss aber sehen, dass es möglich ist, bestimmte Formen auf der Strukturebene systematischer und stärker anzugehen als es meines Erachtens jetzt versucht wird.

Ulrike Helwerth

Ich sehe keine Meldungen aus dem Publikum. Doch, bitte! Nein, ich will nicht schließen. Ich will den möglichen Diskussionsbedarf herausfinden und Sie um Ihre Wortmeldung bitten.

Teilnehmerin

Danke schön. Ich möchte vorweg sagen, dass ich an dieser Diskussion ausgesprochen positiv finde, dass die Frage der journalistischen Verantwortung nicht losgelöst diskutiert worden ist im Sinne von Anforderungen an die Journalisten als Personen, sondern in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gestellt und deutlich gemacht worden ist, dass das, was man von Journalismus erwarten kann, natürlich Ausdruck der Gesamtbedingungen ist.

[Seite der Druckausg.: 72]

Ich finde es auch sehr richtig, dass gesagt worden ist, dass wenn man einen Journalismus will, der die Chance haben soll, auch gegenüber den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten zu bestehen, man auch entsprechende Rahmenbedingungen braucht. Ich habe nur die Frage, ob die Rahmenbedingungen, die in unserer Politik, in unserer Medienpolitik gesetzt worden sind – Frau Griefahn hat die als vorbildlich beschrieben – ob diese Rahmenbedingungen eigentlich so vorbildlich sind und geeignet, das zu bewirken, was hier angesprochen worden ist.

Das erste Beispiel ist die Konzentrationsentwicklung, die Herr Jarren angesprochen hat. Es gibt eine Untersuchung der Landesanstalt für Rundfunk in Nordrhein-Westfalen, die nachweist, dass die Mehrzahl der Produzenten abhängig ist von den großen Häusern. Dies ist eine Entwicklung, die durch die Medienpolitik gefördert worden ist, nämlich durch den Rundfunkstaatsvertrag, der die Schwellen so gesetzt hat, dass sich die Häuser Bertelsmann und Kirch entfalten konnten. Das war politisch gewollt unter dem Gesichtspunkt: Unsere Wirtschaft soll wettbewerbsfähig sein.

Nur, das hat natürlich Konsequenzen. Das hat zum Beispiel Konsequenzen für die Journalisten, die nämlich – jedenfalls im privaten Sektor – eben nur diese beiden Wahlmöglichkeiten haben. Und es hat natürlich auch Konsequenzen für die ganze Angebotsszene, dass nämlich kleinere und mittlere Unternehmen kaum Chancen haben, in diesen Markt einzutreten und auch alternative Angebote zu bieten. Das hat eminente Auswirkungen auch auf das ganze System. Und ich denke, das muss man diskutieren unter dem Gesichtspunkt von guter oder schlechter Medienpolitik.

Und der zweite Aspekt, den ich nur beispielhaft ansprechen will, ist die Frage der inhaltlichen Verantwortung von Programmangeboten im privaten Bereich. Wir haben einen sehr gut ausgeprägten Jugendschutz. Da gibt es überhaupt nichts dran zu rütteln. Aber wir haben keine ordentlichen, vernünftigen Regelungen, wenn man sich die Landesmediengesetze anguckt mit Blick auf die Einhaltung journalistischer Standards im privaten Rundfunk. Alle Landesmediengesetze formulieren weiße Salbe. Da steht drin: Die Programme sollen die Vielfalt der Meinungen widerspiegeln. So was ist nicht justiziabel und es gibt also vor dem Hintergrund auch im inhaltlichen Bereich keine Möglichkeiten der Landesmedienanstalten, etwas zu tun.

[Seite der Druckausg.: 73]

Nun weiß ich auch, dass das ein sensibles Gebiet ist. Es geht nicht darum, dass sozusagen hoheitlich formuliert werden soll, wie Programm-Standards aussehen. Was mich erstaunt, ist dass die privaten Veranstalter, wenn es um die Talkshows geht, solche Standards ja selber formuliert haben, dass Menschen nicht bloßgestellt, nicht lächerlich gemacht werden sollen. Sie halten sich nicht daran, weil solche Standards eben nicht verbindlich gemacht werden. Man muss eben auch über diese Dinge nachdenken.

Die einzige Politik, die es heute in dem Programmbereich gibt, ist die, dass man sagt, wir stärken den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der macht ja dann schon die entsprechenden Programme, und dann wird der private Rundfunk sozusagen in der Konkurrenz entsprechend nachziehen. Nur wenn Sie sich die Wirklichkeit angucken, muss man sich die Frage stellen, ob diese Philosophie eigentlich irgendeinen Wirklichkeitsgehalt hat. Ich sehe nicht, dass der Gesetzgeber auf diesem Gebiet das Notwendige getan hat. [Beifall]

Das Foto der Seite 73 der Druck-Ausgabe kann leider in der ONLINE-Version nicht wiedergegeben werden

Ein Blick in den Saal während der Diskussion

[Seite der Druckausg.: 74]

Ulrike Helwerth

Die nächste Wortmeldung da hinten bitte.

Teilnehmer

Professor Meyer hatte vorhin gesagt, dass neben Konkurrenzdruck, Zeitdruck, auch der Wunsch des Publikums, also die Quote eine wichtige Rolle spielt. Es gibt ja ein interessantes Messsystem zur Feststellung der Quote. Wenn ich da richtig informiert bin, gibt die Werbung das ja vor gerade bei den Privaten, aber auch im Öffentlich-Rechtlichen - Stichwort: die Marktanteile bei den 14- bis 49-Jährigen. Ich habe von Experten erfahren, dass das Messsystem nicht mehr stimmt, dies sei per Zufall entdeckt worden. Ein wesentlicher Druck wäre doch genommen, wenn man das ganze Messsystem mal in Frage stellt.

Machen wir uns nichts vor, es wurde ja heute schon an anderer Stelle gesagt, dass die Gesellschaft sehr nach Zielgruppen selektiert wird. Wir kriegen keine Vollprogramme mehr, wahrscheinlich, obwohl sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk sehr ernsthaft bemüht. Die Frage ist ganz einfach, ob das mit den 14- bis 49-Jährigen noch stimmt. Wenn ich mich so umsehe, sind ja einige hier im Saal, die dann hier aus dieser Zielgruppe, aus diesem Messsystem hier rausfallen würden. Ich schließe mich da auch gerne ein. Die Frage ist ganz einfach: Man braucht Mut, unternehmerischen Mut in so einer Situation. Warum kommt denn niemand auf die Idee und besorgt sich das Kapital wie es zum Beispiel in England gemacht wurde und macht Fernsehen auf für die Ausgesteuerten – so will ich das mal sagen – für die über 49-Jährigen. Das könnte man doch machen. Jugendsender wie RTL2 machen das ja. RTL2 ist deshalb so erfolgreich mit Big Brother, weil sie diese Selektion vornehmen. Auch 1live beim WDR ist deshalb so erfolgreich, weil sie diese Selektion vornehmen.

Für mich ist die Frage wie die Gesellschaft dann insgesamt noch zusammengehalten werden kann. Das ist sicherlich eine interessante Frage. Aber es stecken auch viele Chancen in dieser Geschichte, die wir heute hier diskutiert haben und nicht nur Weltuntergangsstimmung.

[Seite der Druckausg.: 75]

Ulrike Helwerth

Danke. Bitte schön.

Weiterer Teilnehmer

Ich möchte noch einen Aspekt ansprechen der Medienentwicklung, die sicherlich große Auswirkung gehabt hat auf die Tätigkeit von Journalisten. Das ist zum einen das Aufkommen von Nichtregierungsorganisationen in den letzten 20, 30 Jahren, zum Beispiel im Umweltbereich, und verbunden damit in den letzten Jahren die Entwicklung des Internet. Das hat sicherlich dazu geführt, dass mit dem Aufkommen von Nichtregierungsorganisationen Journalisten mehr und mehr Sekundärinformationen und weniger Primärinformationen nutzen mussten. Das hat sicherlich auch seine Auswirkung auf die Journalistenausbildung gehabt, dass Journalisten mehr und mehr auch damit umgehen können müssen. Jetzt ist es aber in jüngerer Zeit so, dass Nichtregierungsorganisationen selber über das Internet quasi auch als Medien tätig werden und dadurch auch in Konkurrenz treten zu den klassischen Medien. Und da würde mich auch mal interessieren, wie stark sich das auf den Journalismus und auf die Journalistenausbildung niedergeschlagen hat.

Ulrike Helwerth

Danke schön. Ich gebe zurück zu einer Schlussrunde, einer freiwilligen Schlussrunde an das Podium. Ich habe Herrn Doerry auf der Liste. Ich weiß nicht, Frau Griefahn, Sie wollen um 18.15 Uhr gehen. Und Herr Jarren?

Dr. Martin Doerry

Bei mir dauert es nicht so lange. Ich könnte daran gleich anschließen. Natürlich sind jetzt mit der Ausweitung des Journalismus auf das Internet erst einmal sehr viele neue Jobs entstanden, was ja schon mal eine positive Entwicklung ist. Ich glaube man kann allgemein in vielen Verlagshäusern beobachten, dass da neue Angebote entstehen, das heißt, junge Journalisten finden zumindest leichter einen Einstieg in den Beruf als dies vor 10 oder 20 Jahren der Fall war. Das ist die positive Nachricht.

[Seite der Druckausg.: 76]

Die nicht so positive ist, dass das natürlich zunächst mal ein etwas eingeschränkter Bereich ist, dass die Möglichkeiten im Online-Journalismus, so wie sie sich zurzeit darstellen, reduzierte sind. Sie haben nicht die Möglichkeit, größere Artikel zu schreiben, Features, Reportagen usw., sondern sie produzieren Nachrichten, und wenn sie Pech haben, reproduzieren sie Nachrichten von dpa und anderen Agenturen.

Aber immerhin, das ist ein Einstieg in den Beruf. So wie sich das Internet entwickelt, so wie sich auch die verschiedenen elektronischen Formen im Internet entwickeln, bis hin zu Filmeinspielungen, da ist eine Menge Potenzial drin und ich glaube, für viele Journalisten auch ein wirklich spannendes Arbeitsfeld. ich bin da ganz optimistisch, dass sich das so entwickelt, dass das für Journalisten attraktiv werden wird, attraktiver als es zurzeit ist.

Ich finde, dieser Online-Bereich ist genauso wie der Bereich der Tageszeitungen heute Abend ein bisschen zu kurz gekommen. Deswegen ist auch diese kulturpessimistische Sicht, um diesen Begriff noch einmal aufzunehmen, die sich hier ein bisschen breit gemacht hat, nach meinem Eindruck nicht ganz fair. Es gibt insbesondere bei den deutschen überregionalen Tageszeitungen einen Qualitätsschub in den letzten Jahren, den wir alle offenbar als selbstverständlich hinnehmen. Wenn Sie sich die Tageszeitungen anschauen - auch die regionalen, über die lokalen kann ich nicht so viel sagen - wenn Sie sich die anschauen, welche Standards an unabhängiger Berichterstattung die inzwischen erfüllen, an selbstständigem politischen Urteil, und wenn Sie das vergleichen mit dem Verlautbarungsjournalismus, wie er in den fünfziger und sechziger Jahren in der deutschen Presse herrschte, dann ist das ein enormer Qualitätsschub. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Wenn wir diese verschlafenen Provinzblätter uns anschauen, die wir früher hatten, und diese durchaus regen, vielleicht nicht immer sprachlich besonders eleganten, aber wirklich gut gemachten professionellen Blätter – und insbesondere in der Bundesliga, also bei FAZ, FR, Süddeutscher und auch neuerdings der WELT haben wir eine journalistische Qualität, die vielen anderen das Leben schwer macht, vielen anderen, die bislang sich so im Alleinbesitz der journalistischen Standards wähnten. Und das ist ein Fortschritt, den man auch hoch schätzen sollte bei allem, was wir hier kritisch

[Seite der Druckausg.: 77]

zu den elektronischen Medien gesagt haben und was sicherlich mit Recht kritisiert wird. Da ist auch sehr viel Meinungsvielfalt, sehr viel Pluralismus, da läuft es in eine gute Richtung.

Monika Griefahn

Um das noch einmal klarzustellen, ich glaube nicht, dass ich Kulturpessimismus hier verbreitet habe oder verbreiten wollte. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass für junge Leute das Internet als Medium eine wichtige Rolle spielt. Und da ist das, was Sie eben gesagt haben, ein ganz wichtiger Punkt: Die Frage nach den Angeboten derjenigen, die selber eine Nachricht ´rüberbringen wollen, wie Nichtregierungsorganisationen. Ich glaube, wenn man eine Information ´rüberkriegen will, dann muss man heute als Nichtregierungsorganisation einen Online-Anschluß haben, einerseits um die Informationen zu bekommen, die man braucht, andererseits für Angebote an die Medien.

Ich bin in der Jury vom Alternativen Nobelpreis. Seit wir dort die Preisträger alle auf Internet-Angebot haben, ist es auch viel einfacher für Sie, mal schnell was nachzugucken, und das Büro wird nicht überflutet mit Nachfragen und muss nicht irgendwelche Dossiers in die ganze Welt schicken, weil man schnell nachgucken kann.

Was ich manchmal ein bisschen schade finde, ist - wenn mir jetzt einige, der Medienschaffenden berichten - dass das in Zukunft nur noch so laufen wird, dass man sich selektiv die Medien zusammensucht. Dann fällt die marginale Kommunikation weg. Also, wenn ich eine Tageszeitung lese, blättere ich auch über den Sportteil, obwohl ich den wahrscheinlich im Internet, wenn ich was suche, nicht anklicken würde. Durch das Blättern kriege ich aber automatisch mit, was da so abläuft. Ich kann wenigstens ein bisschen mitreden. Ich weiß zwar nicht intensiv Bescheid, aber ich weiß so ungefähr, wer da gerade eine Rolle spielt. Das fällt weg, wenn ich nicht mehr so ein Ding zum Durchblättern habe. Man muss schon dafür sorgen, dass man noch ein bisschen so eine breitere Übersicht hat, auch wenn man nicht in allem qualifiziert ist. Das ist etwas, wo wir uns noch einmal Gedanken darüber machen müssen.

[Seite der Druckausg.: 78]

Zu der Frage, ob Politik mit Verboten bei den Nachmittags-Talkshows und anderen Sendungen tiefer einsteigen muss: Die massive politische Kritik, die im Zusammenhang mit Big Brother und Nachmittags-Talkshows wegen der Würde des Menschen laut wurde, hat dazu geführt, dass es zu Begrenzungsmechanismen gekommen ist. Die gesetzliche Grundlage ist das Grundgesetz. Der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar.„ gilt für jeden.

Die Landesmedienanstalten tun sich relativ schwer mit der Kontrolle dieser Dinge. Bei der Big-Brother-Debatte hat die Hessische Landesmedienanstalt, die federführend tätig war, lange hin und her überlegt hat, ob sie da irgendwas tun kann. Man ist dort zu dem Ergebnis gekommen ist, man könne eigentlich nichts tun, und zwar nicht von der gesetzlichen Grundlage her, sondern weil man abwägen müsse zwischen Menschenwürde und Meinungsfreiheit, wenn die Würde des Menschen nicht vollkommen eingeschränkt würde. Die Frage ist, ob man nun alles gesetzlich regeln soll oder ob man Mechanismen, die schon existieren, nicht auch ausreizen soll.

Ulrike Helwerth

Danke, Frau Griefahn und auf Wiedersehen. Herr Jarren, bitte!

Prof. Dr. Otfried Jarren

Ja, ich wollte an der letzten Stelle noch mal einhaken, und zwar deshalb, weil man den Zusammenhang zwischen Strukturfragen und den Formen, wie etwas geregelt wird, schon sehen muss. Beispielsweise: Ist der Jugendschutz in der Tat geregelt? Es gibt sogar eine relativ intelligente deutsche Lösung dafür, für den privaten Rundfunk, der sozusagen Beauftragte vorsieht, und es gibt zudem eine private Initiative der Sender FSF (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen).

Es ist aber das einzige, was wir dort finden. Wir haben für die Presse den Deutschen Presserat. Der kümmert sich um die Presse. Aber es gibt keinen Deutschen Fernsehrat oder vergleichbares. Das heißt, wir Journalistinnen und Journalisten sind dort völlig unberücksichtigt. Das ist ein Defizit das sich beseitigen ließe, auch durch gesetzliche Regelungen. Nicht indem vor-

[Seite der Druckausg.: 79]

geschrieben wird, was man zu tun hat, aber dass es solcher Einrichtungen bedarf. So wie man im Staatsvertrag ja auch geregelt hat, dass es Jugendschutzbeauftragte gibt.

Also da muss der Gesetzgeber viel intelligentere Formen finden. Und dann kommen wir wieder zur Strukturfrage zurück. Sich darauf zu verlassen, dass die Medienkritik funktioniert, reicht nicht aus. Je mehr Konzernjournalismus sich breit macht, je weniger Medien wechselseitig Kritikfunktion wahrnehmen können, weil schlicht aus ökonomischen und Marketinggründen das nicht möglich ist, desto eingeschränkter ist die Möglichkeit zur Thematisierung oder zur wechselseitigen Medienkritik. Also den Zusammenhang muss man sehen und man muss wissen, dass mit jeder Konzentration eine Verkürzung des Marktes verbunden ist und eine Eingrenzung von Möglichkeiten der jeweils handelnden Chefredakteure und Redakteure.

Zum Internet noch ein Hinweis: Ich glaube, dass es eine Erweiterung darstellt, dass es wesentlich mehr Möglichkeiten der Darstellung gibt und der Selbstdarstellung für viele andere, dass die besondere Leistung einerseits darin liegt, dass es eine Recherchequelle ist, auch für den Journalismus, und andererseits natürlich nicht den Journalismus ersetzen wird, denn die Besonderheit des Journalismus besteht ja gerade in der Auswahl. Was wir ja wissen wollen ist: Wissen es auch die anderen? Wir koordinieren ja unsere sozialen Handlungen, indem wir gemeinsam die gleichen Nachrichten schauen oder die vergleichbaren Nachrichten ansehen, weil wir einfach wissen wollen, was ist sozusagen der gemeinsame Bestand. Das ist so etwas wie eine soziale Übereinstimmungshandlung. Wir würden völlig irritiert, wenn wir alle selbst Material der Nachrichtenagenturen selektieren müssten. Das würden wir gar nicht aushalten können. Das heißt also, ein solches Medium, was so eine Vielfalt generiert, ist für das soziale Handeln eben nur partiell interessant. Wenn ich ganz gezielt etwas suche, wenn ich spezielle Dinge brauche, optimal. Wenn ich mich aber vergewissern will, ob die Welt noch steht, sich dreht und was morgen passieren könnte, dann ist es weniger geeignet.

Ulrike Helwerth

Frau Junker.

[Seite der Druckausg.: 80]

Karin Junker

Um mit dem letzten anzufangen: Ich bin sehr gern bereit, das alles in Frage zu stellen. Aber es bleibt jedenfalls eine Tatsache, dass die von uns so geschätzten öffentlich-rechtlichen Angebote eher für die etwas älteren Jahrgänge sind, was das Konsumverhalten angeht. Und da läge mir schon sehr daran, eine größere Hinwendung zu einem jüngeren Publikum zu erreichen, und zwar nicht nur online, sondern auch über andere Produkte des öffentlich-rechtlichen Spektrums. Das bedeutet, dass man natürlich auch auf bestimmte Bedürfnisse eingehen muss. Das ist mit dem Radio natürlich auch sehr viel einfacher als mit dem Fernsehen, weil man da bestimmte Wellen einrichten kann, was beim WDR erfolgreich und von anderen ja durchaus auch betrieben wird.

Ich wollte aber noch einen anderen Punkt ansprechen. Es besteht ja eine große Einigkeit darüber, dass wir es mit einem wachsenden Angebot zu tun haben, was nicht immer auch bedeutet, dass damit eine Vielfalt der Angebote verbunden ist, sondern einfach eine Vielzahl. Wie ist mit dieser Vielzahl umzugehen – ich teile alle Ausführungen hier zu den strukturellen Fragen, darauf noch einzugehen würde zu weit führen. Aber ein Punkt ist mir eben noch wichtig: Wie mit dieser Vielzahl umgehen? Das betrifft glaube ich alle: Diejenigen, die Produkte machen; diejenigen, die sich informieren, um etwas journalistisch herzustellen; aber auch diejenigen, die es konsumieren. Und deshalb ist mir ein wichtiger Punkt neben der Sicherung des Pluralismus die Vermittlung von Medienkompetenz, weil ich schon finde, dass man hier Menschen befähigen muss, mit all dem umzugehen, und das nicht erst im Erwachsenenalter. Dies muss Bestandteil der gesamten Bildungsarbeit werden, dass eben Menschen befähigt werden, mit all dem verantwortlich umzugehen und dann auch entsprechend selektieren zu können. Und das bedeutet, dass die Politik noch ganz andere Anstrengungen zur Vermittlung von Medienkompetenz unternehmen muss. [Beifall]

Ulrike Helwerth

Herr Mielke, das war das Stichwort für Sie.

[Seite der Druckausg.: 81]

Dr. Friederich Mielke

Ich wollte zunächst auf den Online-Journalismus eingehen, ganz kurz zu den NGOs, den Non-Governmental Organisations. Wir sind uns heute einig, dass die Internet-Zeitung, dass der Online-Journalismus, was die Aktualität betrifft, nicht mehr zu schlagen ist. Die Zeitung wird immer schon veraltet sein in der Jetzt-Zeit weltweit. Internet heißt: „jetzt alles hier sofort„, das wird nicht zu schlagen sein. Dieser Fortschritt des Online-Journalismus ist sehr, sehr wichtig. Die Tageszeitung wird sich noch weiter und mehr auf Hintergrund, auf Reportage, auf die große Berichterstattung und die gesamte Zusammensetzung, auf den Kommentar, auf die Kommentierung der Geschehnisse spezialisieren.

Zur Frage der Qualität: Lieber Herr Doerry, erlauben Sie mir, eine Lanze für die journalistische Aus- und Fortbildung zu brechen. Ich muss das tun. Eins ist hochinteressant: Wir sind sehr stark nachgefragt, was kreatives Schreiben betrifft. Kreatives Schreiben heißt: schriftstellerischer, journalistischer, klarer, präziser, anschaulicher, konkreter Umgang mit der Sprache. Und mit allem Respekt, da werden wenige sagen können, wir machen es richtig. Wir wagen die These aufzustellen, dass 90 Prozent der Tageszeitungen in Deutschland heute nicht gut geschrieben sind. Es gibt da Klischees. Es gibt Füllworte. Es gibt massenweise Adjektive, die wir nicht brauchen. Es gibt Hoppelbegriffe mit drei-, vier-, fünfsilbigen Klemmkonstruktionen, die man einsilbig oder zweisilbig auf den Punkt bringen könnte. Unsere Seminare über kreatives Schreiben sind krachend voll, weil uns gesagt wird, ihr müsst mit dem geschriebenen, gedruckten Wort sparsam umgehen. Lernt das mal.

Zu sagen, ich werde einfach Journalist, ich habe ein Naturtalent, ich gehe zum SPIEGEL, und dann kann ich gut schreiben – das finde ich bedenklich. Wenn wir uns den SPIEGEL anschauen, so wird auch DER SPIEGEL, was auch immer das ist, nicht sagen: Unsere Sprache ist absolut so, wie sie sein sollte. Diese Lanze musste ich noch brechen.

Und drittens: Ganz kurz noch zur Medienkompetenz: Das betrifft nicht nur uns Konsumenten, sondern auch die Anbieter, auch die Journalisten selbst. Die sind ja Torwächter und Agenda-Setzer. Dafür brauchen wir Bildung, Medienbildung. Das gute deutsche Wort Bildung kommt wieder in die

[Seite der Druckausg.: 82]

Diskussion. Von den 2.500, 3.000 Meldungen, die jeden Tag über unsere Schreibtische kommen, müssen wir einige auswählen. Wie tun wir das? Mit welchen Kriterien? Die Bewertung von Nachrichten, um nicht in eine Trivialisierung der Welt abzurutschen. Erlauben Sie mir zu sagen: Elian, Levinsky oder auch Daum – das sind Dinge, die zu Gefahren werden, die so trivial sind, dass wir uns umdrehen sollten und sagen: „Als gebildete Menschen brauchen wir das eigentlich nicht. Gebt uns lieber faktische Information aus dem Bundestag oder aus der Dritten Welt oder aus der internationalen Politik oder aus den Wahlkämpfen oder woher auch immer. Das brauchen wir nicht.„ Also der leidenschaftliche Einsatz für Bildung, für Ausbildung, für Fortbildung und für einen kritischen Umgang mit dieser Flut von Trivialinformation. [Beifall]

Ulrike Helwerth

Ich bitte Frau Jochimsen.

Dr. Luc Jochimsen

Also ich finde, nachdem wir jetzt die Quote dieser Veranstaltung mehr als halbiert haben und bevor wir die letzte Reichweite verlieren, will ich eigentlich nur noch ganz kurz sagen: Hier ist immer wieder mit dem Begriff des Kulturpessimismus und einer Verklärung dessen, was mal war, gearbeitet worden. Das ist eigentlich nicht mein Plädoyer gewesen. Mir geht es nur darum, dass man genau wissen muss, was eigentlich ist und dass man sich Beschreibungen dessen, wie die Zustände sind, vor Augen halten muss, um so wichtiger, wenn junge Leute hier sind und sagen, ich ergreife den Beruf des Journalisten dennoch und nun erst recht. Aber was da an Schwierigkeiten auf sie zukommt, finde ich, darüber muss diskutiert werden und dass Veränderungen und Umbrüche auch dazu führen, dass sich eine demokratische Grundsubstanz möglicherweise bis zur Unkenntlichkeit verändert, auch das, finde ich, muss man zumindest zur Kenntnis nehmen, ohne des Kulturpessimismus gescholten zu werden. [Beifall]

[Seite der Druckausg.: 83]

Ulrike Helwerth

Danke, Frau Jochimsen. Damit möchte ich diese Veranstaltung beenden. Ich möchte mich herzlich bedanken für Ihr Kommen, besonders natürlich bei den Gästen hier auf dem Podium.

Ich hoffe, dass die JournalistenAkademie einen reichen Input bekommen hat für ihre weitere Arbeit, auch wenn der Bereich der Journalistenausbildung am knappsten wegkam bei der Diskussion. Aber ich glaube, das Themenspektrum und die Vielfalt war groß genug, um darauf aufbauen zu können.

Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg. [Beifall]


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