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Schweden als Beispiel für die Veränderungen der gewachsenen wohlfahrtsstaatlichen Lösungen und ihre Auswirkungen für die Frauen.
Ein Beitrag von Tullia von Sydow, Stockholm


A. Braun

Ja dann grüßen wir mit Frau von Sydow diejenige unter unseren Gästen, die den weitesten Weg hatte und die nun sozusagen aus der Logik des Ablaufes in den letzten Part heute abend geraten ist. Ich glaube aber, wir werden das doch noch konzentriert und aufmerksam verfolgen und auch noch diskutieren können. Verfahren wir wieder wie vorher, Sie stellen sich ein bißchen selber vor und dann gehen wir in die Darstellung Schweden. Bitte sehr.

Tullia von Sydow

Vielen Dank. Können Sie mich hören? Zunächst möchte ich mich für die Einladung zum Freudenstädter Forum bedanken. Gleichzeitig bitte ich Sie, mein nicht sehr gutes Deutsch zu entschuldigen, aber ich hoffe, wir werden uns trotzdem verständigen können. Ich glaube, ich bin die einzige Person hier mit einem sprachlichen Handicap. Darum muß ich leider meine Rede vom Blatt ablesen, was ich normalerweise, wenn ich meine Muttersprache spreche, nicht tue. Kai Förster hat mir versprochen mit eventuellen Fragen zu helfen. Zwecks besserer Verständlichkeit werde ich während meines Vortrages den Overhead-Projektor benutzen.

Als nächstes ein paar Worte über meine Person. Vor etwa 14 Jahren beendete ich meine Tätigkeit beim schwedischen Zentralamt für Gesundheit und Sozialwesen und bin jetzt ein Pensionär. Jetzt bin ich aber noch politisch aktiv im sozialdemokratischen Stadtteilausschuß und im Stockholmer Provinziallandtag, diese schweren Wörter! Ich arbeite vor allem mit Fragen, die mit Fürsorge und Betreuung älterer Mitbürger zu tun haben. Weiter bin ich aktiv in einem Verein namens „Forum 50 plus". Dessen Ziel es ist die Kenntnis über das Älterwerden zu verbessern und die Einstellung gegenüber Menschen mittlerem und höheren Alters zu verändern. Seit vielen Jahren leite ich auch Seminare, in denen Leute auf ihr Rentnerdasein vorbereitet werden.

Nun, zu meinem heutigen Thema. Ich will versuchen aufzuzeigen, was der schwedische Wohlfahrtsstaat für die schwedischen Frauen bedeutet hat. Ich will mich doch begrenzen und nur die Strukturen berühren, auf die Einzelheiten will ich nicht eingehen. Ich fange an mit diesen zwei Bildern. Hier sehen Sie Schweden und unsere Mutter Schweden, die hat eine große Angst um ihre Mitbürger. Sie sollen nicht zu Boden fallen. Aber das Netz hat doch große Löcher und leider sind die Löcher jetzt größer geworden. Und damit haben wir eine große Festung gebaut und wir wollen, daß diese Festung die Schweden vor Unglück schützt.

Jetzt kommen wir zur Sache: Der schwedische Wohlfahrtsstaat wurde im Verlauf der letzten 50 Jahre aufgebaut. Die grundlegenden Bausteine dabei waren die politischen Ziele der sozialdemokratischen Programme auf dem Gebiet der Sozialpolitik, der Familien- und Gleichberechtigungspolitik, der Bildungspolitik, der Wohnungspolitik und der Beschäftigungspolitik. Das Wohlfahrtssystem ist ein Mittel um Gleichberechtigung zu schaffen, aber es ist auch ein Werkzeug, mit dem jedem Einzelnen möglichst große Freiheit bei der Gestaltung seines Lebens gegeben werden kann.

Das schwedische Wohlfahrtsmodell besteht aus vier Teilen. Öffentliche Dienstleistungen, wie zum Beispiel Kinderbetreuung, Schulwesen, Krankenfürsorge und Altenbetreuung. Diese öffentlichen Dienstleistungen sind allgemein in dem Sinne, daß alle Eltern von Kleinkindern Anspruch auf Kinderbetreuung haben, daß alle Kinder Schulausbildung erhalten, daß jeder, der krank wird, ein Recht auf die gleiche gute Krankenpflege hat und daß alle alten Menschen von der Altenbetreuung umfaßt werden. Das Sozialversicherungswesen, das sind Pflichtversicherungen, wie zum Beispiel Renten- und Krankenversicherungen sowie Elternversicherungen, darin ist bezahlter Elternurlaub enthalten. Die Sozialversicherungen sind auch allgemein, in dem Sinne, daß jeder, der bestimmte Bedingungen erfüllt, in der Regel mit einer Berufstätigkeit verbunden einen Leistungsanspruch hat. Die Leistungen sind einkommensabhängig und gehen davon aus, daß eine finanzielle Grundsicherheit gewährleistet werden soll.

Einkommensunabhängige Leistungen, wie zum Beispiel das Kindergeld und die Altersrente, diese sind allgemein. Denn alle Kinder, Familien und jeder Bürger über 65 Jahre erhält sie ohne Einkommensnachweis. Bedarfsabhängige Leistungen und Unterstützungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Wohngeld, Sozialhilfe, Hilfe bei Drogenabhängigkeit und Unterbringung von Kindern in Heimen oder bei Pflegefamilien.

Diese Leistungen werden nur unter gewissen Voraussetzungen gewährt. Zunächst müssen Einkommen und Lebensumstände der betreffenden Personen ermittelt werden. Ein weiteres Merkmal des schwedischen Wohlfahrtsmodelles ist es, daß die Leistungen an den Einzelnen, nicht an die Familie gehen.

Das System der allgemeinen Wohlfahrt hat viele Vorteile. Es stärkt den Zusammenhalt in der Gesellschaft, es unterstützt Menschen mit einem niedrigen Einkommen, es fördert die Eigeninitiative und vermeidet, daß Menschen in der sogenannten Armutsfalle gefangen werden. Es reduziert die Bürokratie und macht sie weniger aufwendig und es begrenzt die Willkür. Es unterstützt die Einkommensangleichung.

Die schwedische Wohlfahrtspolitik nimmt die Gleichberechtigung auf dem sozialen und wirtschaftlichen Gebiet als strategisches Mittel, die so zwischen Männern und Frauen erreicht werden soll. Die Gleichberechtigungspolitik bezieht sich auf die Fähigkeit jedes Einzelnen durch Erwerbstätigkeit finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Ebenso wichtig sind Maßnahmen, die Männern und Frauen die gleichen Voraussetzungen bieten, um die Berufstätigkeit mit einer Elternschaft zu vereinbaren. Jeder Mensch, gleich welchen Geschlechts, soll die Möglichkeit haben sich im Rahmen seiner Fähigkeiten weiter zu entwickeln und an allen Bereichen des öffentlichen Lebens teilzunehmen.

Die Entwicklung zur Gleichberechtigung wurde durch ein starke Nachfrage nach Arbeitskräften ermöglicht, die vor allem auf die Ausweitung des öffentlichen Dienstleistungssektors in den 60er und 70er Jahren zurückzuführen ist, sowie durch konsequent durchgeführte Reformen im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik. Die Einführung der getrennten Besteuerung für Ehegatten und Ergänzungen im Eherecht, die eine finanzielle Unabhängigkeit aller Erwachsenen unterstützen, haben viel dazu beigetragen, die Haltung gegenüber der traditionellen Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern zu verändern. Bei der Familienpolitik ist das Ziel, allen Kindern gute Lebensbedingungen zu bieten und zur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern beizutragen. Während der letzten zwei Jahrzehnte sind einige Reformen in der Sozial- und Wohlfahrtspolitik eingeführt worden, die Frauen und Männern die Möglichkeit einräumen, Berufstätigkeit und Elternschaft miteinander zu vereinbaren. Die Elternversicherung beinhaltet verschiedene Arten der Beihilfen in Verbindung mit Geburt und Kinderbetreuung. Früher wurden diese Leistungen nur den Müttern gezahlt.

Seit ersten Januar 1995 umfaßt der bezahlte Elternurlaub 15 Monate in Verbindung mit einer Geburt. Wobei der Mutter und dem Vater jeweils die Hälfte des Urlaubs zusteht. Die Höhe des Elterngeldes beträgt 80 % des Bruttoeinkommens. Zusätzlich zu diesem Elterngeld haben alle Väter bei Geburt des Kindes Anspruch auf 10 Tage bezahlten Elternurlaub. Jeder Elternteil kann sich auch zur Betreuung eines erkrankten Kindes 60 Tage pro Jahr pro Kind gegen Erstattung des Einkommensverlustes beurlauben lassen. Fast alle Schwedinnen arbeiten bis zur Geburt des ersten Kindes und immer mehr Frauen kehren innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes wieder an den Arbeitsplatz zurück. Gute Einrichtung zur Kinderbetreuung sind ein Grundvoraussetzung für eine Gesellschaft, in der beide Elternteile berufstätig sind. In Schweden sind die Gemeinden für die öffentliche Kinderbetreuung zuständig. Seit den frühen 70er Jahren, als die Frauen in großer Zahl auf den Arbeitsmarkt drängten, erfolgte eine rasche Expansion dieser Einrichtungen.

1995 waren 80 % aller Frauen erwerbstätig. Besondere Anstrengungen sind auch gemacht worden, um alleinstehenden Müttern durch Ausbildung und Kinderbetreuung den Eintritt in den Arbeitsmarkt und somit finanzielle Eigenständigkeit zu ermöglichen.

Das Sozialversicherungswesen ist geschlechtsneutral. Aufgrund der hohen Erwerbstätigkeitsrate von 80 % bei Frauen und 85 % bei Männern im Jahre 1995 kommt die Mehrheit der Bevölkerung nach dem Rentenalter in den Genuß einer Zusatzrente, die sich auf das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit gründet. Hinzu kommt eine Grundrente, Volkspension, die jedem Rentner ohne Rücksicht auf früheres Einkommen zusteht. Alle Frauen die erwerbstätig gewesen sind, haben daher Anspruch auf sowohl die Zusatzrente als auch die Grundrente.

Die Sozialpolitik umfaßt unter anderem die gut ausgebaute Kinderbetreuung. Seit 1995 sind die Gemeinden verpflichtet, Kindern im Alter von einem bis sechs Jahren einen Platz in einer Kindertagesstätte oder Familientagesstätte bzw. in Form der Schulkinderbetreuung für die Altersstufen 6 bis 12 Jahre bereitzustellen, wenn die Eltern erwerbstätig sind oder studieren. Ab dem Alter von 6 Jahren haben alle Kinder einen Anspruch auf täglich 3 Stunden Vorschule, selbst wenn ein Elternteil nicht erwerbstätig ist oder studiert.

Die Altenbetreuung, die zu 82 % über die Kommunalsteuer finanziert wird, ist gut ausgebaut worden. Dadurch werden Frauen entscheidend entlastet. Die kommunalen Sozialbehörden sind für die Hauspflege zuständig. Im Rahmen der Hauspflege wird älteren Menschen, die in ihrer Wohnung leben und sich nicht mehr selbst versorgen können, Hilfe beim Einkaufen, Saubermachen, Kochen, Waschen und bei der Körperhygiene geleistet. Es gibt natürlich auch Altenwohnheime, Pflegeheime und Gruppenwohnungen für geistig Behinderte.

Mit Hilfe dieser Beispiele für das schwedische Wohlfahrtsmodell habe ich die große Bedeutung, die diese Einrichtungen für die Frauen haben und gehabt haben, gezeigt. Den Frauen wird ermöglicht, Kinderkriegen und Erwerbstätigkeit zu vereinbaren, wodurch sie ihre Altersrente absichern können. Die Betreuung von Kindern und Alten durch Einrichtungen hat die Frauen von einem Teil ihrer Versorgungslast befreit, die sie noch kürzlich an das Haus fesselte und sie wirtschaftlich abhängig machte. Obwohl wir in Schweden in den letzten Jahren aufgrund der großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen Schweden zu kämpfen hat, gewisse Veränderungen des Wohlfahrtssystems haben durchführen müssen, bestehen die grundlegenden Ziele nach wie vor. Das Wohlfahrtsmodell ist ein Weg zu Gleichberechtigung. Danke.

Zwischenfrage

Ich habe mal eine Frage zu Kindern. Mich hat ja beeindruckt, daß bei Erkrankung der Kinder bis 60 Tage Urlaub genommen werden kann. Also wenn nun eine Frau - ich habe in meinem Umfeld eine Frau, die hat 11 Kinder - die arbeitet dann (habe ich mal schnell ausgerechnet) nicht, wenn die alle mal krank werden, an 300 Tage im Jahr und das bei vollem Lohn? Bei vollem Lohn oder auch die 80 %?

T. v. Sydow

Aber wenn man 11 Kinder hat, dann können doch die ältesten Kinder vielleicht nach den jüngeren sehen. Aber doch es ist natürlich schwer, wenn man so viele Kinder hat. Aber nach meiner Erfahrung, sind nicht alle Kinder krank, und nicht alle so lange. Ich glaube also, es geht.

A. Braun

Der wesentliche Punkt ist, daß dies nicht eine Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeber ist, die sozusagen denjenigen bestraft, der besonders viele Leute beschäftigt, die das oft brauchen, sondern dies ist über eine Versicherung geregelt, die sozusagen das Risiko auf alle verteilt und dann diejenigen, die es brauchen, aus dieser Versicherung bedient. Also das Argument, damit würden dann Frauen, die viele Kinder haben bzw. Frauen, die Kinder haben, die öfter krank werden, auch Väter, die Kinder haben, die öfter krank werden, die würden dann sozusagen benachteiligt, das kann man da ausschließen, weil man das Risiko verteilt. Also nicht auf den Arbeitgeber abwälzt. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Modellen, die wir haben, daß man vom Arbeitsverhältnis für solche Familiensorgeleistungen Arbeitsbefreiung bekommt, wo es dann wirklich eine Belastung unmittelbar als zusätzliche Lohnkosten darstellt.

Jetzt haben wir eine ganze Reihe, ja, fangen wir mit Jutta an.

J. Rustleben

Wir haben vorhin gehört und auch gelesen, daß 80 % der Frauen in den Beruf zurückkehren bzw. berufstätig sind. Mich interessiert das Verhältnis von Vollbeschäftigung und Teilzeitarbeit, weil ich finde 80 % sind sehr viel. Ja, 85 waren die Männer.

T. v. Sydow

Nein, 80 % arbeitet nicht den ganzen Tag. Ich glaube 50 % haben Teilzeitarbeit. Halbe Tage oder 80 % ist sehr gebräuchlich.

A. Braun

Ist auch für Männer Teilzeit üblich?

T. v. Sydow

Nein.

K. Fölster

Die Teilzeitarbeit liegt sehr viel höher als in Deutschland und betrifft hauptsächlich Frauen. Der Anteil von Männern, die Teilzeit nehmen liegt aber auch höher als in Deutschland. Es kann für Kinderbetreuung sein, kann auch für Fortbildung sein, es kann für verschiedene Sachen sein. Aber es gibt auch ein Gesetz in Schweden, daß Eltern auf einen 6 Stunden-Arbeitstag gehen dürfen bis die Kinder, bis das Kind 8 Jahre ist, im öffentlichen Dienst bis es 12 Jahre ist. Nicht mit voller Bezahlung, dann eben auch Bezahlung für 6 Stunden. Und viele junge Eltern nehmen dieses in Anspruch und das ist ja Teilzeit. Teilzeit wird in Deutschland oft sofort als Halbtag verstanden, in Schweden wird Teilzeit eben variiert, z.B. 80 %.

T. v. Sydow

Ja das kommt. Aber es ist ganz bestimmt so, daß die Frauen mehr Teilzeit arbeiten, und man versucht alles mögliche als Motto, als Instrument, damit die Väter das auch mehr in Anspruch nehmen, daß es sich besser aufteilt. Man arbeitet um diese schweren Jahre zu überstehen, damit die Frau nach 10 Jahren zurück und wieder voll arbeiten kann. Diese Zahl von 80 % erwerbstätigen Frauen, das schließt auch die Frauen im Elternurlaub ein. Das ist wie die Krankenversicherung. Eine Elternversicherung funktioniert wie eine Krankenversicherung. Jeder zahlt ein und wenn der Fall eintritt, dann wird ja dieser Lohnkostenersatz daraus bezahlt. Das bedeutet, wenn eine Person in Elternurlaub ist, ist sie ja noch betriebszugehörig, ist sie ja noch in der Erwerbstätigkeitsstatistik, genau wie eine kranke Person. Und kommt ja da zurück.

Zwischenfrage

War es sehr schwierig, die Arbeitsplätze so zu teilen, in Deutschland hat man immer lange behauptet, es sei sehr schwer, Arbeitsplätze zu teilen. War es sehr schwierig, die Arbeitszeiten so einzuteilen, daß man nur 6 Stunden arbeiten kann, ohne daß es den Arbeitsablauf stört?

T. v. Sydow

Ja, aber man versucht es, und vielleicht kann die Frau in dieser Zeit eine andere Arbeit machen. Oder man versucht, diesen Zeitraum anders zu organisieren.

Zwischenfrage

In Deutschland wird auch immer befürchtet, ein gutes soziales Netz verleitet dazu, daß es ausgenutzt wird. Haben Sie diesen Eindruck auch? Daß es Menschen gibt, die dieses soziale Netz ausnutzen? D. h. mißbrauchen?

T. v. Sydow

Ja, doch. Mißbrauch haben wir leider überall. Nicht wahr?.

Zwischenfrage

Zur Finanzierung hätte ich noch eine Frage. Wie hoch sind die Beiträge? Ich meine, die Arbeitgeberbeiträge sind in Schweden doch höher als die Arbeitnehmerbeiträge. Es gibt doch wohl auch eine Mindestrente.

T. v. Sydow

Wir haben immer große Schwierigkeiten in Schweden auf diese Frage zu antworten. Je nachdem, ob man angestellt ist oder freiberuflich erwerbstätig ist, werden die Beiträge abgezogen. Das macht derjenige, der den Lohn auszahlt. Das kann man zwar Arbeitgeber nennen, da sagt man aber in Schweden, ja warum teilt ihr auch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, das sind doch alles Produktionskosten. Die haben Schwierigkeiten dieses zu beantworten.

K. Fölster

Nein, das wird abgezogen, und dieser Satz beträgt 25 % und dann kommt die Umsatzsteuer auch mit 25 %, das ist was abgezogen wird von allem, was man so kriegt.

G. Braun

I will try to answer the question. The person who works, the employee, pays from his gross income into social security ; approximately 21 % at the moment; the other part - also approximately 21 % - is payed by the employer. It is also taken away in one lumb sum from the income. So it is a difference, compared to the Swedish system; it is deducted from your gross income and the other part comes from the employer. So I think it is an important question to know how big is the one part and how big the other part.

K. Fölster

Ja, aber das ist natürlich auch eine Frage der Lohnsumme. Also es sind ja sowieso Arbeitskosten. Da sind wir uns einig. Deswegen antworten die Schweden immer so, ja warum teilt ihr das so auf? Das sind doch Arbeitskosten. Wenn ich eine Anstellung habe und ich einen Bruttolohn habe, ja, dann ist dieses andere, die Sozialabgaben abgezogen, bevor das auf mein Konto kommt. Also, ich bin ja nun deutsche Arbeitnehmerin und weiß, was Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkosten sind, aber ich merke immer wieder in Schweden, daß die das überhaupt nicht so verstehen. Genauso: wenn ich ein Referat halte, 500 Mark bekomme, dann bekomme ich die 500 Mark und die sozialen Abgaben sind schon weg.

A. Braun

Also, wenn wir es vergleichbar machen wollen, dann verlassen wir uns auf die Zitation der Gemeinschaft in dieser Vergleichsbroschüre und die behaupten mit Impressum von diesem Jahr, bei der Finanzierung der Grundrente, da beteiligen sich die Arbeitnehmer nicht, aber die Arbeitgeber zahlen 5,86 %, also 5,8 % der Lohnsumme und der Staat zahlt 42 % der Grundrenten. Bei der Zusatzrente beteiligen sich die Arbeitgeber mit 13 %. Auch die Selbständigen müssen sich mit 13 % der Lohnsumme beteiligen, die Arbeitnehmer zahlen keinen Beitrag. Insgesamt kann man dann natürlich sagen, es werden dann von dem Lohn 13 % Beitrag abgeführt. Aber die gehen eben nach der Regel, nach der man zwischen Arbeitnehmerbeitrag, Arbeitgeberbeitrag in der ganzen Europäischen Union unterscheidet, voll zu Lasten der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer. Nur die Selbständigen sind sozusagen selbst belastet. Und das macht eben diese Behauptung, daß die deutschen Unternehmen so ungeheuer stärker belastet werden als ihre sämtlichen Konkurrenten in der Gemeinschaft schon ein bißchen merkwürdig.

Adelheid Sauer

Gibt es einen Unterschied in der Höhe der Renten zwischen Männern und Frauen? Sie haben ja vorhin gesagt es gibt eine Grundrente und dann noch mal eine Rente, die nach dem Erwerbseinkommen berechnet wird. Gibt es dann auch so Unterschiede, wie wir es in Frankreich gesehen haben? Trotz der guten Kinderbetreuung und der hohen Erwerbsrate der Frauen.

T. v. Sydow

Gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Höhe der Rente? Nein.

A. Sauer

Aber Sie haben doch eine erwerbsbezogene Rente.

T. v. Sydow

Ja, die Grundrente ist dieselbe für alle, die Volkspension, das ist dieselbe für alle, ob Arbeit oder Nichtarbeit. Die Zusatzrente, die ist doch der Teil aus meiner Erwerbstätigkeit.

A. Braun

Auf das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit bezogen.

T. v. Sydow

Aber es ist natürlich so, daß die Frauen öfter Arbeiten gehabt haben, die nicht so gut bezahlt sind, so haben die Frauen nicht so eine gute Zusatzrente. So muß ich sagen, wenn ich zu dieser Frage spreche, daß wir zwei Gruppen von Pensionären haben. In Schweden haben die Männer, die eine Zusatzrente haben, eine sehr gute, und die Frauen, die eine Zusatzrente haben, haben eine, die nicht so hoch ist; diese Frauen sind eben auch für einige Jahr zu Hause gewesen während die Kinder klein waren. Deshalb haben so viele Frauen eine sehr kleine Zusatzrente. Und das ist nicht gut.

M. Veil

Sie haben in der zweiten Folie den schwedischen Sozialstaat dargestellt als eine Festung, und der Eingang in diese Festung war ein kleines Tor. Jetzt ist meine Frage, ist dieser Sozialstaat, der schwedische, offen für Migranten? Konkreter gefragt, die Grundrente, die steuerfinanzierte Grundrente und auch die Elternversicherung, gilt das auch alles für Migranten oder gibt es so etwas wie ein Wohnsitzprinzip, das heißt, daß man erst nach einer bestimmten Anzahl von Jahren - so wie in Holland - Anspruch auf eine vollständige Grundsicherung hat?

T. v. Sydow

Die Regeln für Migranten, was sagt man, für Einwanderer haben sich verändert über die Jahre. Aber viele Jahre war es so, daß diese Leute eine Grundrente in Schweden bekommen konnten, sie blieben damit viele Jahre da und wurden auch schwedische Mitbürger und wenn sie dann zurück nach Hause gingen, nahmen sie die Grundrente mit. Aber jetzt hat sich dies verändert. Jetzt kann man nicht eine Grundrente haben, wenn man nicht in Schweden bleibt.

A. Braun

Es ist also nicht mehr exportierbar: als sozialhilfeähnliche Leistung ist es nicht exportierbar, aber die Voraussetzung steht in der klugen EU-Broschüre. Für die Grundrente ist Voraussetzung 3 Jahre Wohnsitz in Schweden, das ist also sehr wenig, 36 Monate Laufzeit. Für die Zusatzrente ist es erforderlich, daß man 3 Jahre lang ein Einkommen von mindestens 570 Mark hatte - also wahrscheinlich ein Einkommen so um die 2000 Kronen - um das zu bekommen. Das sind also sehr milde Voraussetzungen. In Dänemark müssen Sie, um die Volkspension zu erhalten, in den in den 45 Jahren zwischen dem 20. und 67. Lebensjahr mindestens 35 Jahre Inländer gewesen sein. Und wenn Sie dann nur die Hälfte der Zeit Inländer waren, ermäßigt sich auch der Betrag für die Pension. Das ist in Schweden nicht so stark davon abhängig, daß man dauernd dort ansässig war, geschweige denn Steuern bezahlt hat. Also 3 Jahre als Voraussetzung ist eine relativ milde Eintrittsfrist. Aber es ist nicht mehr wie früher exportierbar. Man kann also den Anspruch nicht mit nach draußen nehmen. Das Problem kennen wir aus Österreich mit den Ausgleichsleistungen, daß man die nicht mitnehmen kann.

C. Prinz

Ich wollte kurz eingehen auf die Änderungen im Pensionssystem in den letzten Jahren. Das eine, was interessant ist in Schweden, ist, daß die Hinterbliebenenpension 1990 gänzlich abgeschafft wurde. Und ich habe die Frage, ob es damals sehr viele Widerstände gegeben hat gegen diese Abschaffung der Witwenpensionen.

Die zweite Frage ist, es gibt zur Zeit ein noch nicht beschlossenes völlig neues schwedisches Pensionssystem, das möglicherweise, ich weiß nicht, 1998 zu wirken beginnen wird, und ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas dazu wissen, wie die Reformen, die hier beschlossen wurden oder werden, sich für Frauen auswirken werden.

T. v. Sydow

Dieses neue Pensionssystem ist noch nicht ganz klar. Die Politik hat das im Prinzip beschlossen, aber es sind einige Details, über die die Politiker sich noch nicht einig sind. Und man sitzt jetzt in Verhandlungen. Man hat gesagt, daß dieses neue Pensionssystem um die Jahrtausendwende beginnen wird. Aber das ist jetzt nicht klar. Und es soll geschlechtsneutral sein. Die erste Frage konnte ich nicht verstehen, können Sie es noch einmal formulieren?

Ach, so. Ja, man hat es diskutiert, aber nicht so viel. Weil man damit einverstanden ist, daß jede Person arbeiten soll und jede Person seine eigene Rente verdienen soll.

H. Schmidt-Nebgen

Bitte, wenn jede Person ihren Beitrag verdienen muß und keine Hinterbliebenenrente mehr gezahlt wird, dann haben schwedische Frauen ja von der Arbeit, die sie in die Familie einbringen, nichts, oder wird das irgendwie auf ihre Arbeit angerechnet, was sie in der eigenen Familie tun?`

T. v. Sydow

Was man in seinen eigenen Familien tut, Sie meinen mit alten Eltern oder Kindern, nein, das können wir nicht einreichen, das wir` uns nicht angerechnet.

K. Fölster

Deswegen wurde ja auch der sogenannte Papamonat bei dem Elternurlaub eingeführt. Und das während einer Regierung, die von Konservativen und Liberalen geführt wurde. Man sagte, wenn Frauen und Männer gleich erwerbstätig sind, dann gibt es keinen Grund, warum die Frauen kleinere Renten haben sollen, nur weil sie mehr Belastung haben oder länger zu hause sind. Und die Männer müssen anscheinend, obwohl sie auch so die Möglichkeit haben, mit diesem hohen Lohnkostenzuschuß zu ihrem Glück geschubst werden. Und da hat man also ein Gesetz eingeführt, das sagt, daß von diesen Elternmonaten ein Monat verloren geht, wenn er nicht auch vom anderen Geschlecht in Anspruch genommen wird. Das ist zwar geschlechtsneutral formuliert, aber nur um die Männer reinzukriegen. Der Anteil hat von Jahr zu Jahr zugenommen, jetzt liegt er bei 36 %, es ist natürlich immer noch zu wenig, um die schwächeren Renten der Frauen auszugleichen. Aber es führt auf jeden Fall dazu, daß es für die Arbeitgeber sich nicht lohnt, zu überlegen, soll er die Frau oder den Mann einstellen, was ein großer Gewinn ist bei Arbeitslosigkeit.

K. Scheiwe

Vielleicht kann ich auch kurz was zu den Hinterbliebenenrenten sagen, weil mich das auch sehr interessiert hat, was da in Schweden passiert ist; einmal ist es bei uns ja immer eine Diskussion, ob durch die Beseitigung der Hinterbliebenenrenten Verfügungsmasse frei wird, um andere Reformen durchzuführen. In Schweden ist es ja das einzige Mal gewesen, daß Hinterbliebenenversorgung von der Ehe entkoppelt worden ist, also daß auch zusammenlebende Paare oder die Hinterbliebenen von Lebensgemeinschaften anspruchsberechtigt waren. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist diese Hinterbliebenenrente durch eine 1jährige Anpassungsrente ersetzt worden, die gezahlt wird. Das ist ohnehin zu Ende, wenn die Person 65 Jahre alt wird, weil dann die Grundrente greift und die eigenen Rentenansprüche aus der Zusatzrente. Für den Zeitraum davor ist es eine 1jährige Anpassungsrente oder sie kann auch länger gezahlt werden, wenn für ein Kind unter 12 Jahren gesorgt werden muß, bis das Kind 12 Jahre alt ist oder wenn Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit bei der Frau vorliegt. Also in diesen Situationen ist die Hinterbliebenenrente nicht ganz weg, sie ist durch eine Anpassungsrente von einem Jahr ersetzt worden, sozusagen mit einem sozialen Auffangtatbestand für Witwen, die Kinder erziehen oder die arbeitsunfähig sind. Aber irgendwie habe ich auch noch nie was davon gehört, welche Rolle Hinterbliebenenrenten tatsächlich in der Praxis spielen. Denn bei uns in den alten Bundesländern ist es ja oft die wichtigere Einkommensquelle, die mehr als 50 % des Alterseinkommens ausmacht. Und diese Unterschiede muß man natürlich immer berücksichtigen, wenn man darüber diskutiert, ob man hier so etwas beseitigen könnte. Es gibt keine Mindestsicherung, es gibt keine Grundrente und es gibt nicht so hohe eigene Rentenansprüche, weil eben nicht 80 % der Frauen erwerbstätig sind. Und das wird dazu meistens nicht gesagt.

A. Braun

Wir hatten ja etwas ähnliches heute nachmittag in dem Beitrag über Frankreich von Frau Jani mit diesem Übergangsgeld, wo wir Schwierigkeiten mit der Terminologie hatten: daß man für einen beschränkten Zeitraum eine Leistung bekommt, bis man wieder in das Erwerbsleben eintreten kann. Eine ähnliche Leistung hatten wir im alten DDR- Rentenrecht. Da gab es ja keine Hinterbliebenenrente auf Dauer, sondern eben nur auf Zeit. Die lief, wenn ich das richtig im Kopf habe, zwei Jahre und dann wurde angenommen, daß die wieder für sich selber sorgen, also sich eine neue Erwerbsquelle suchen. Das war aber, glaube ich, nicht die Frage von Herrn Prinz, sondern er hat eigentlich danach gefragt, ob es bei der Abschaffung dieses traditionellen, familienbezogenen abgeleiteten Anspruchs Hinterbliebenenrente und dem Ersatz durch die Volksrente, also durch die Volkspension, eigentlich politischen Knatsch gab? Haben die Betroffenen sich sehr stark gewehrt oder ist das relativ sanft und reibungslos gegangen? Wissen Sie das noch?

K. Fölster

Ja, darf ich dazu was sagen? Also ich glaube, es ist, wie Frau von Sydow sagt, das ist nicht so viel diskutiert worden. Sehen Sie, in all diesen Systemen steckt ja eine Ideologie. Das wissen wir. Und Menschen in einer Bevölkerung tragen dieses ja oft mit, genau wie hier die Ehebezogenheit ja von vielen getragen wird. Und in Schweden gibt es ja seit den 30er Jahren diese Zielsetzung, daß man eigenständig ist, daß Männer und Frauen die Möglichkeit haben sollen, Beruf und Elternschaft zu haben, daß man zum Wohl des Kindes sehr vieles macht usw. Da ist ja eine ganze Generation oder mehrere Generationen mit dieser Idee aufgewachsen, daß natürlich auch jeder für sich versteuert. Das heißt natürlich auch, wenn die Frau weniger verdient, versteuert sie auch viel weniger. Die Grundrente wurde zuerst 1930, dann 1935 eingeführt, um Altersarmut abzuschaffen. 1935, ich weiß, das war für die Frauen damals das erste Mal, für diese kläglichen armen Frauen auf dem Lande, daß sie überhaupt ein eigenes Konto bekamen und eigenes Geld. Die haben also durch diese vielen Jahrzehnte, glaube ich, - wenn wir das mit den Frauen in Deutschland vergleichen - diese Idee mitgekriegt, daß sie ja ihr eigenes Leben gestalten müssen. Also daß diese Abhängigkeit vom Vater und Mann, und Sohn - was wir hier oft bedauern - ja schon seit längerer Zeit nicht der Vorstellung der schwedischen Frau entspricht. Natürlich haben manche Witwen gesagt, oh, jetzt werden wir hier ja vollkommen alleine gelassen. Aber so ist es ja nicht. Es gibt die verschiedenen Regelungen: Übergangsregelungen, es gibt die Grundrente, und wenn das auch nicht reicht, gibt es eine andere Art von Zusatzrente, die dann bedarfsorientiert ist. Was nicht Sozialhilfe ist. Aber es gab keine politische Partei, die sich in diesem Sinn geäußert hätte. Das waren Einzelstimmen und ich glaube, weil man schon sehr viel weiter weggekommen von dieser Idee ist, daß man finanziell von jemand abhängt. Wenn man Angst hat, in eine Armutsfalle zu kommen( muß dann anders geholfen werden durch diese Solidarsysteme. Ich glaube das ist der Hintergrund.

A. Braun

Wenn im Zielkatalog einer wohlfahrtsstaatlichen Strategie der Punkt Gleichberechtigungspolitik inhaltliches Ziel ist, das man mit den Mitteln der einzelnen Strategien dieses Wohlfahrtsstaates erreichen will, ist das eine ganz andere Situation, als wenn das im Zielkatalog überhaupt nicht vorkommt. Im Zielkatalog kommt ja bei uns nicht einmal das der Armutsvermeidung vor und dann ganz am Ende, wenn man dann darüber redet, wie die Armutsvermeidung realisiert wird, kommt man auf den Punkt, daß die nicht gleichberechtigt geschieht. Wenn sozusagen ziemlich oben in der Zielhierarchie Gleichheit der Geschlechter ein Ziel der ganzen Politik ist, dann ist der Ansatz in all diesen Fragen ein völlig anderer als wenn man dieses Ziel sozusagen nachträglich zu einem System als Maßstab hinhält, daß dieses Ziel nie gekannt hat. Also wir hatten viele Ziele : wir hatten den Ernährer und wenn er ausfällt, sollten seine Hintersassen keinen großen Schaden haben; wir hatten das Ziel, möglichst das Familieneinkommen einigermaßen in etwa der gleichen Höhe zu halten; wir hatten das Ziel, daß die Einkommensunterschiede in der Rente denn noch mal fein säuberlich abgebildet werden sollten, also jeder nach seiner Lebensleistung, wie das so schön hieß. Aber Gleichheit oder gar Gleichheit der Geschlechter als Ziel einer Sozialpolitik, als Ergebnisziel, das hat es bei uns nie gegeben. Das ist ein völlig anderer Ansatz in diesem Modell.

G. Braun

Also, wenn gerade keine andere Frage ist, dann möchte ich doch noch eine andere anschließen. In der deutschen Diskussion dient ja seit einiger Zeit nicht nur England und die Niederlande sondern auch Schweden als Prügel: Was wollt ihr denn eigentlich? In einem Land, das für Euch Sozialdemokraten ja immer Vorbild war, da haben sie ja jetzt auch kräftig alles mögliche geändert und gestutzt. Könnten sie da noch was dazu sagen? Auf was die sich beziehen und ob das vielleicht auch mit dem Thema etwas zu tun hat?

K. Fölster

Frau von Sydow hat ziemlich am Ende gesagt, daß diese Sparmaßnahmen zwar Einschnitte bedeuten, daß aber an der großen politische Linie festgehalten wird, nämlich die Strukturen zu halten. Man hat also bei den Leistungen gekürzt, bei Leistungen für alle Erwerbstätigen, und da haben die Gewerkschaften geknirscht mit den Zähnen, aber gesagt okay, damit nicht bei denen gespart wird, die nicht erwerbstätig sind, weil die Arbeitslosigkeit ja anstieg. Und mit dem Versprechen, daß die Leistungen später wieder aufgestockt werden sollten. Sie gingen also runter, zum Teil bis zu 75 % Arbeitslosengeld und Elternversicherung. Jetzt inzwischen sind einige wieder auf 80 %. Elternversicherung ist wieder auf 80 %, weil es finanziell wieder ein bißchen besser geht. Das war also ein Abkommen zwischen Regierung und Gewerkschaften. Wir müssen bei den Erwerbstätigen kürzen. Aber an den Strukturen hält man fest. Die müssen fest sein, man schafft nicht Institutionen ab, sondern es ist eine Frage der Leistungshöhe. Natürlich hat man auch höhere Steuern auf Vermögen erhoben, also es ist auch noch anders gespart worden.. Aber das ist sicher ein Unterschied, Strukturen sollen auf jeden Fall erhalten bleiben.

A. Braun

Also am schwedischen Beispiel kann man eben sehr gut sehen, es macht einen extremen Unterschied aus, ob ich ein Sicherungssystem habe, in dem es ein letztes Netz gibt. Also zum Beispiel im Alter diese Volkspension, diese Grundrente. Das ist das feste Fundament, auf dem die Leute auch stehen können, wenn rund um sie herum andere Leistungen gekürzt werden. Wenn Armutsvermeidung erstes Ziel eines Sicherungsystems bleibt, das kann man in den Niederlanden sehen, das kann man in Skandinavien sehen, dann ist das Ergebnis aller möglichen Kürzungen, über die man sich einigt, ein völlig anderes, als wenn das bis in die Mindestleistung runtergeht. Also bei uns wird ja auch gekürzt, nehmen wir doch mal dieses Beispiel von angeblich 70% auf jetzt 64 % bei der Eckrente. Da wird natürlich auch die Kleinstrente der Frau mit ihren 8 Jahren Versicherungszeit genauso gekürzt, wie der Anspruch dessen, der in glücklichen Umständen gearbeitet hat und die Höchstrente erreicht hat. Das ist eben das, was uns von den anderen unterscheidet, daß wir im Kürzen so maßlos sind. Wir sehen nicht, was wir unten anrichten, es gibt keinen geschützten Bereich, sondern es geht immer voll durch. Und es führt immer dazu, daß die, die etwas haben, die Ansprüche haben, damit besser zurechtkommen, als die, die keine Ansprüche haben. Das macht, glaube ich, den fundamentalen Unterschied aus, zu dem, was in anderen Ländern läuft. Ich persönlich erkläre mir das immer damit, daß unser System einfach zu alt ist. Als sich die Frage der Armutsvermeidung als Oberziel sozialer Sicherung stellt, das war nach dem 2. Weltkrieg, da sind die ganzen Systeme um uns herum entstanden. Ausnahme Dänemark. Aber alle anderen Systeme sind im Grunde nach 1945 entstanden und haben ganz andere Fragen gestellt. Im Gegensatz dazu ist vor 130 Jahren eben gefragt worden, wie soll der Lohnersatz aussehen. Was soll sozusagen nach dem berühmten erfüllten Arbeitsleben für die zwei, drei Jahre, die man noch zu leben hat, übrigbleiben? Das ist eine ganz andere Fragestellung, und es sind im Grunde völlig unterschiedliche Systeme.

H. Maurus

Ja, wenn ich da noch ergänzen darf: Es gab doch - das wissen Sie doch sicher auch - bei uns bis zu 57er Rentenreform auch diesen Sockel. Diesen allgemeinen Sockel, auf den dann leistungsbezogen aufgesetzt wurde. Das war im Bismarck’schen System auch angelegt. Also ich versuche immer wieder diesen Gedanken noch mal neu für die Diskussion zu beleben. Im übrigen ist noch eine Facette auch, es wird ja immer bewundert, daß in Holland und in Schweden überhaupt die Teilzeitarbeit so weite Verbreitung gefunden hat. Das hat natürlich auch seine Erklärung darin, daß sie sich nicht durchschlägt auf die Alterssicherung, sondern daß da ein Sockel ist in der Altersversorgung. Daß ich nicht, wie bei uns, dann gnadenlos mit meinen vier Stunden im Alter die Quittung dafür bekomme. Das motiviert natürlich auch, in der Erwerbsphase Teilzeitmodelle zu fahren und damit den Arbeitsmarkt in ganz anderer Weise zu beleben.

K. Fölster

Darf ich noch etwas ergänzend zu der Teilzeit sagen, weil man ja eben Holland und Dänemark und Schweden da angeführt hat. Es geht ja nicht nur um das, was Sie erwähnt haben, sondern wenn man Teilzeit arbeitet oder sich selbständig macht, dann werden ja genau die gleichen Sozialabgaben fällig. Man hat ja dann auch als Scheinselbständiger oder Selbständiger genau die gleichen Abgaben, man bleibt in der gleichen Kasse. Also man kann scheinselbständig im öffentlichen Dienst in Schweden sein und dann kann ich sagen, nein, diese zwei Jahre biete ich dem öffentlichen Dienst meine Leistungen freiberuflich an. Ja und dann gehe ich wieder zurück. Das ändert ja nichts. Und das ist so schwer in Deutschland und soviel einfacher ist es in diesen anderen kleineren Ländern.

I. Hoffmann

Kennen Sie denn gar nicht das Problem der Schwarzarbeit?

K. Fölster

In jedem Land, wo Steuern hoch sind, ist natürlich die Gefahr der Schwarzarbeit da und deswegen haben die Schweden ja auch ja gesagt zu einer relativ hohen Umsatzsteuer, weil das eine Steuer ist, der man nicht ausweichen kann. Das ist der eine Grund. Der andere: die haben aber keine solchen 610-Mark-Jobs, also graue, aber legale Beschäftigungsverhältnisse, aber der Schwarzmarkt wächst und man muß sich irgend etwas ausdenken, das wird ein zu großer Sektor. Menschen neigen dazu, vielleicht doch mal zu hause zu bleiben und beim Nachbarn das Dach zu reparieren oder solche Geschichten. Das ist in schweren finanziellen Zeiten natürlich auch nicht so erträglich wie in der Hochkonjunktur.

A. Braun

Also in unserer Schwarzarbeitsdebatte finde ich ja merkwürdig, daß dies insbesondere von den Arbeitgeberverbänden immer vorgebracht wird. Irgendjemand muß die Schwarzarbeiter ja beschäftigen und im Zweifelsfall sind es ja die Leute, die sich dann immer beklagen, daß wir durch das Beitragerheben auf geringfügige Arbeitsverhältnisse die Leute in die Schwarzarbeit treiben würden. Also die potentiellen Rechtsbrecher warnen davor, daß sie aber dann das Recht brechen würden, wenn man dies oder jenes macht. Ist eine etwas merkwürdige Kiste.

Ich wollte aber noch zu dem Punkt, das Bismarck’sche System sei armutsvermeidend gewesen; das war es nicht. Es hatte eben bis 57 mehrere dieser Elemente einer Sockelung, aber armutsvermeidend war es nicht. Bismarcks Vorstellung war, daß da einer noch ein paar Jahre vor sich hin werkelte, irgendwelche Ziegen hielt und irgendeinen Garten richtete und dazu sollte er halt noch ein bißchen Bargeld aus der Rente bekommen. Sein berühmter Spruch über die Höhe der Rente - als ihn die Konservativen angegriffen haben mit dem Argument, wie unbezahlbar denn diese künftige Rente würde, die er da den Arbeitern verspricht - da hat er ja die schöne, wunderbar diplomatische Antwort gefunden, die Rente darf nicht so hoch sein, daß sich einer mutwillig in die Invalidität begebe und sie darf aber nicht so niedrig sein, daß die Schwiegertöchter das Interesse an den Schwiegervätern im Hause verlieren. Das war gerade diese Zubrotfunktion, die uns ja bis heute nachgeht. Rente war ja nie voller Einkommensersatz, sondern es war immer Zubrot und 1957, als man auf Einkommensersatz umgestiegen ist und alles andere herausgenommen hat, da hat man sich ja die Welt so vorgestellt, daß innerhalb einer Generation Männer und Frauen alle lebenslang Vollzeit arbeiten würden. Das kann man in den Protokollen der 57er Beratung nachlesen. Und davon kann natürlich überhaupt nicht die Rede sein.

Ja, dann sind wir einmal vor der Zeit geblieben. (Applaus) Vielen Dank für die Darstellung, würden Sie uns erlauben Ihre Folientexte verkleinert noch mal durch unseren Kopierer zu lassen, daß die Leute was zum Mitnehmen haben? Gut, mache ich das morgen. Jetzt sind sie alle herzlich eingeladen ihren restlichen Abend noch in der Bierstube zu beschließen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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