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Die 10. Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) in der Schweiz aus frauenpolitischer Sicht
Ein Beitrag von Emilie Lieberherr, Zürich


A. Braun

Wir wollen in das zweite Thema eintreten. Wir haben uns als Vergleichsland die Schweiz vorgenommen und dabei besonders die, nach meinem Eindruck, sehr auf frauenspezifische Probleme eingehende 10. Revision der AHV, der Alters- und Hinterlassenenversicherung; in der Schweiz gibt es keine Hinterbliebenen -sondern der Blick ist von oben - die Hinterlassenen. Und dazu haben wir Frau Dr. Lieberherr zu Gast, Sie halten es so wie die anderen auch, Sie stellen sich ein bißchen vor und dann gehen wir rein ins Thema.

Dr. Emilie Lieberherr

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Grüezi miteinand’. Also das heißt Guten Tag. Ich möchte mich ganz kurz vorstellen, viele von Ihnen kennen mich vielleicht noch von früheren Veranstaltungen her. Also ich war ein tragendes Glied der Frauenbewegung. Möchte das mal so sagen. Und nachdem die Frauenbewegung eigentlich noch jüngeren Datums ist, werden Sie mir das glauben. Später dann, als wir stimmberechtigt wurden, wurde ich als erste Frau in der Schweiz vollamtlich in eine Exekutive gewählt, in die Exekutive von Zürich. Wir werden dort in die Exekutive direkt gewählt durch das Volk. Das sind immer Volksabstimmungen. Ich bekam das Ressort „Sozialamt", weil man sich dort für Frauen, für Jugend und für Alte einsetzen kann. Also 24 Jahre habe ich das gemacht, und während dieser Zeit war ich noch zwei Amtsdauern gleichzeitig im Parlament in Bern und zwar in der Zweiten (Kleinen) Kammer, das ist der Ständerat. Wie heißt das bei Euch; bei Euch gibt es das gar nicht. Also dort vertrat ich den Kanton Zürich. Ich war zwischendurch auch die erste Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, die mittlerweile gegründet worden war.

Und jetzt bin ich glücklich Pensionierte. Aber nicht Inaktive, ich mache sehr viel, ich setze mich jetzt sehr intensiv ein für die Alterspolitik in den Altersorganisationen. Ich bin ständige Kolumnistin bei Radio 24 in Zürich, das ist der größte Radioprivatsender in der Schweiz, und mache in anderen Medien auch immer wieder mit und dort so quasi die Sprecherin der Leute, die in unserer Gesellschaft eher ein bißchen am Rande leben. Und wenn ich jetzt sage „eher ein bißchen am Rande leben" meine ich nicht generell die Senioren a priori, nein, aber innerhalb der Senioren haben wir eine Kategorie, die auch eher am Rande lebt, das auch in der sogenannten reichen Schweiz; wir haben viele arme Senioren und für diese armen Senioren möchte ich mich besonders verwenden; aber auch für die übrigen Senioren. Seniorenpolitik ist etwas sehr interessantes, es ist etwas, das eigentlich mit zu wenig Druck verfolgt wird: ich glaube, daß sehr viele Leute glauben, man könnte Seniorenpolitik so ein bißchen nebenher machen und als Senioren könnte man auch ein bißchen zahm vorgehen. Also ich bin keine Zahme, das möchte ich gleich sagen. Das war also meine Vorstellung. Von Haus aus bin ich Nationalökonomin, Volkswirtschaftlerin und habe natürlich immer sehr viele volkswirtschaftliche Aspekte in alles einbezogen. Das war also meine Vorstellung.

Zum vornherein noch etwas zum politischen System in der Schweiz. Wir sind ein kleines Land; wir sind nicht in der EU, das ist ein Kuriosum, das

hängt vielleicht auch mit unserem Regierungssystem zusammen. Also wir haben nicht das System, wie Sie es hier haben in Deutschland, das immer eine Mehrheit an der Regierung ist. Wir haben ja diese drei Stufen: oben der Bund, die Eidgenossenschaft, dann die 26 Kantone, und zuunterst die Kommunen, wobei ich sagen möchte, daß die Kommunen bei uns sehr große Autonomie von der Verfassung her haben. Aber alle diese Stufen sind eigentlich sehr verschieden geregelt, was die Regierung anbelangt und zwar haben wir in den Kantonen und in den Gemeinden ein sogenanntes Konsenssystem. Das heißt, die Leute werden im Kanton und in den Gemeinden vom Volk gewählt, die Regierung und auch das Parlament - soweit ein Parlament vorhanden ist, wenn es nicht ganz, ganz kleine Gemeinden sind - und die müssen sich dann irgendwie in einer Regierung zusammenfinden. Aus diesem Grund kann es vorkommen, daß in einer Regierung fünf bis sechs Parteien vorhanden sind und es gibt eigentlich keine ausgesprochene Mehrheit. Manchmal gibt es eine Mehrheit in der Regierung, in der Exekutive, und dann gleichzeitig eine andere Mehrheit in der Legislative. Fast überall haben wir immer diese Zusammensetzung, je nachdem, so ein bißchen nach der Laune des Wählers und das gibt dann ganz komische Situationen. In der Stadt Zürich haben wir im Moment eine links-grüne Regierung und ein bürgerliches Parlament. Also Sie sehen, so läuft das ungefähr. Aus diesem Grund Konsens, die müssen sich immer irgendwo wieder finden.

Und im Bund, in der Eidgenossenschaft, da kann ja das Volk nicht diese Bundesräte, die Regierung wählen, sondern in der Eidgenossenschaft wählt das Parlament und die haben sich auf die sogenannte „Zauberformel" geeinigt. Das haben Sie auch schon gehört, „Zauberformel": die vier größten Parteien haben sich vereinbart vor etwa 25 Jahren, daß sie sagen 2 Sitze den Freisinnigen, das wäre die FDP, 2 Sitze der CVP, das wäre die CDU hier, 1 Sitz der Agrarpartei, Volkspartei und 2 Sitze den Sozialdemokraten. Viele Leute sagen dann die Zauberformel ist ja nicht Zauber, also im negativen Sinn. Es ist fauler Zauber weil es immer wieder Schwierigkeiten gibt. Es gibt natürlich den einzelnen Parteien, besonders den Sozialdemokraten wenig Chancen, in der eidgenössischen Politik echte Oppositionspolitik zu machen. Das wirkt sich natürlich sehr, sehr negativ aus.

Ich habe noch erwähnt, daß wir eigentlich sehr viel Abstimmungen, Volksabstimmungen haben, wir haben eine sogenannte direkte Demokratie: Abstimmungen im Bund, in den Kantonen und in den Gemeinden oder Städten und da sind wir wirklich sehr oft aufgerufen an die Urne zu gehen. Ich spreche jetzt nur noch vom Bund, denn die Altersvorsorge ist ja eine Bundesangelegenheit. Beim Bund muß jeder neue Artikel in der Verfassung oder eine Verfassungsänderung automatisch dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei Bundesgesetzen sind sie nicht automatisch vorzulegen, aber bereits die Parlamentarier oder das Volk, können ein beschlossenes Gesetz mit Referendum zur Volksabstimmung vorlegen lassen. Das ist etwas, das sehr, sehr häufig bei uns vorkommt. Wenn im Parlament die Leute sich nicht einig sind, dann wird doch ziemlich rasch einmal mit dem Referendum gedroht. Und aus diesem Grund laufen bei uns die Sachen eben immer ein bißchen anders. Das meine lieben Damen und Herren ist der Grund, daß wir so lange warten mußten, bis wir das Frauenstimmrecht bekamen, es mußte nämlich ein Beschluß der Männer vorliegen, also der stimmfähigen Männer. In den meisten Ländern in Europa war das eigentlich so, daß Parlamentsbeschlüsse das Frauenstimmrecht einführten, in der Schweiz dagegen eine Volksabstimmung. Also beim Frauenstimmrecht haben wir zuerst viele Schlappen eingefangen, lange bevor ich aktiv war, und dann zu meiner Zeit auch noch eingefangen, bis wir das Stimmrecht bekommen hatten. Alle großen Werke in der Schweiz, auch die Sozialwerke, kamen meistens über verschiedene Abstimmungen zur Realisierung. Und das gleiche gilt auch für die AHV.

Das ist sicher auch ein Grund, wieso wir noch nicht in der EU drin sind, wir hatten schon - also nicht wegen der EU, aber wegen dem EWR, dem Wirtschaftsraum, - eine Abstimmung, die dann abgelehnt wurde. Nun sind aber die gesetzlichen Grundlagen natürlich bei uns in der Schweiz, das wird bei Euch auch so sein, besonders wichtig, und weil sie dem Volk in der Regel vorgelegt werden, braucht es eine gewisse Zeit.

Ich muß noch etwas vorausschicken, bevor ich jetzt zur Altersvorsorge komme. Als ich heute morgen die interessanten Ausführungen der beiden Damen aus Deutschland hörte und die Sorgen spürte, die man hatte in Bezug auf die Diskriminierung der Frauen, da habe ich für mich gedacht: haben wir auch schon alles gehabt. Natürlich. Aber vielleicht, vielleicht haben wir, weil wir so lange warten mußten, bis wir das Stimmrecht bekommen haben, länger Solidarität geübt unter den Frauen. Auch zum Beispiel in dieser eidgenössischen Frauenkommission. Sie spielt in der Schweiz eine große Rolle, sie ist ein beratendes Organ für die Regierung. Und das Wort dieser Kommission hat noch einen großen Stellenwert. Aber das ist eben alles noch nicht so eingefahren, wie das vielleicht in anderen Ländern ist, wo man schon lange das Stimmrecht hat und wo die Frauensolidarität in der Zwischenzeit vielleicht etwas verflogen ist.

Das Frauenstimmrecht, die politische Gleichberechtigung bekamen wir im Bund, also in der Eidgenossenschaft, erst 1971, in den Kantonen im Jahr 1970, jeder einzelne Kanton mußte eine Volksabstimmung machen. Wir hatten eine interessante Situation bei uns in Zürich: Ich habe es erlebt, wie wir einige Abstimmungen immer und immer wieder verloren haben und zwar die Frauen über alle politischen Lagen hinweg. Am Schluß haben wir Frauen aus der Frauenbewegung heraus dann, als wieder mal eine eidgenössische Abstimmung im Jahr 1959 deutlich den Bach hinunter gegangen ist und ebenso 1966 auch das kantonale Stimmrecht, haben wir den Justizdirektor vom Kanton Zürich gebeten, er soll doch wenigstens mal eine Vorlage bringen im Kanton Zürich, bei der die Männer vielleicht doch zustimmen könnten. Und zwar regten wir bei ihm an, er solle vorschlagen, daß die Gemeinden befugt sind, in Gemeindeangelegenheiten das Stimmrecht einzuführen. Also, wenn die Männer dazu ja sagten, hatten sie noch keiner Gemeinde gegenüber ja gesagt. Das ist dann klar durchgegangen und die Stadt Zürich - immer eine fortschrittliche Stadt - hat dann sofort im Frühjahr 1969 eine Vorlage eingebracht zur Einführung des Stimmrechtes in der Stadt Zürich. Im September 1969 vors Volks, vor die Männer natürlich, wurde angenommen und bereits ein halbes Jahr später, im Frühling 1970, waren die Wahlen in der Stadt Zürich zum Städtischen Parlament und für die Exekutive und da wurde ich gleich bei dieser Gelegenheit in die Exekutive hineingewählt.

Sie sehen das ist also eigentlich eine ziemlich junge Geschichte. Sie hat aber einen engen Zusammenhang mit dem, was dann mit der AHV passiert ist. In unseren Kämpfen um das Frauenstimmrecht haben wir immer wieder gesagt, wir Frauen müssen einstehen dafür, daß gewisse Diskriminierungen der Frauen endlich aufgehoben werden können und natürlich gehörte, ich werde es ihnen nachher gleich sagen, die AHV dazu, also die Alters- und Hinterlassenenvorsorge ; es gehörte auch dazu, daß wir kein Gleichstellungsgesetz hatten in der Schweiz. Wir hatten das auch schon in unseren Bemühungen um die Stimmrechtsvorlagen verlangt. Wir möchten, daß die Gleichstellung in der Bundesverfassung verankert wird und daß dann ein Gleichstellungsgesetz erlassen wird. Auch das Frauenstimmrecht mußte ja in der Bundesverfassung verankert werden; 1971 kam dann diese große Volksabstimmung und ist problemlos durchgegangen. Wir haben wohl einen Artikel 4 in unserer Bundesverfassung, der sagt, alle Bürger sind vor dem Gesetze gleich. Wir haben zwar immer versucht, den „neu" interpretieren zu lassen. Das ist uns nie gelungen, man hat uns immer gesagt, unter dem Begriff „alle sind gleich" hat man nur Männer verstanden. Also deshalb kam dann auch der Wunsch nach der verfassungsmäßigen Gleichstellung. Im Jahr 1976, 5 Jahre nachdem wir das Stimmrecht bekommen hatten, haben dann alle Frauenorganisationen in der Schweiz eine große Volksinitiative lanciert, und verlangt, daß die Gleichstellung in der Bundesverfassung verankert werden soll und daß dann der Bundesrat auch ein Gesetz erlassen soll. Es dauerte dann aber: 1976 wurde die Initiative eingereicht und 1981, - ich war damals gerade Mitglied des Ständerates und habe dann bei dieser Vorlage natürlich auch wesentlich mitgewirkt -, kam dann der Vorschlag für den Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung vors Volk, wurde sehr klar angenommen und es vergingen noch mehr als 10 Jahre bis dann endlich einmal das Gesetz kam über die Gleichstellung, das im einzelnen auflistet, worin denn die Gleichstellung bestehen soll.

Ich möchte klarstellen, es ging nicht nur darum, daß die Frauen gleichgestellt sind mit Männern, sondern auch umgekehrt, die Männer müssen auch gleichgestellt sein wie Frauen: Es gibt da gerade bei der AHV natürlich auch so eine Diskrepanz. Dieses Gesetz ist dann vor 3 Jahren vor das Volk gekommen, dagegen wurde wieder das Referendum ergriffen. Aber nun ist es in Kraft getreten in diesem Jahr zum 1. Januar. Also, Sie sehen, wir mußten vieles mit Geduld erkämpfen.

Und nun zur Entwicklung der AHV, unseres Altersvorsorgesystems. Auch das hat einen historischen Hintergrund. Wenn ich so die Ausführungen angehört habe heute morgen, muß ich sagen, seid Ihr sehr wahrscheinlich gar nicht früher aufgestanden als wir in der Schweiz in Sachen Altersvorsorge. Also die AHV ist ein Versicherungssystem und angefangen hat die ganze Sache mit dem Generalstreik. Wir haben einen großen Generalstreik gehabt in der Schweiz, das war nach dem Ende des ersten Weltkrieges und es war ein hitziger Kampf. Damals ist die Armee gegen die streikenden Arbeiter angetreten, das war lange Zeit der Grund, daß viele Arbeiter und viele Gewerkschafter Vorbehalte gegenüber unserer Armee hatten, weil sie mit Waffen gegen die Arbeiter aufgetreten sind. Der Generalstreik hat viele Forderungen erhoben, aber zwei sind in unserem heutigen Zusammenhang wichtig: einer war „Einführung des integralen Frauenstimmrechtes" und zweitens die „Realisierung einer umfassenden Altersvorsorge". Sie sehen also: der Kampf um das Frauenstimmrecht ging von 1919 bis zum Jahr 1971, und der Kampf um die Altersvorsorge ging bis zum Jahr 1947. Wir haben heuer, diesen Sommer, das 50-jährige Jubiläum der gewonnenen Abstimmung gefeiert und am ersten Januar 1998 werden es dann 50 Jahre her sein, daß die AHV in Kraft getreten ist. Dazwischen wurde heftig für diese AHV- Altersvorsorge gekämpft, es war schon einmal eine Vorlage in den 30er Jahren ausgearbeitet worden, es wurde dagegen von rechtsbürgerlichen Kreisen das Referendum ergriffen. Und bei diesem Referendum waren dann die Gewerkschaften, die sich besonders stark gemacht haben für diese Altersvorsorge, die Verlierer.

Die Wende kam erst nach dem zweiten Weltkrieg. Im zweiten Weltkrieg ist eigentlich die Solidarität zwischen verschiedenen politischen Lagern in unserem Land gestiegen. Und gleich nach Schluß des Krieges hat man in Bern eine Vorlage ausgearbeitet für eine umfassende Altersvorsorge. Die Vorlage kam im Jahr 1947, wie gesagt, zur Abstimmung, wurde angenommen und wurde betrachtet als eines der größten Sozialwerke des Landes. Eigentlich ist diese AHV, sagt man immer, des Schweizers liebstes Sozialkind. Da legt er großen Wert darauf. Also ich kann Ihnen sagen, wenn ein Politiker so dumm ist, an dieser AHV etwas basteln zu wollen oder etwas verschlimmern zu wollen, dann macht er sich unmöglich. Vielleicht haben Sie davon Kenntnis, daß vor einigen Monaten in der Schweiz ein Weißbuch veröffentlicht wurde. Ein Weißbuch von einigen der bekanntesten Leuten in der Schweiz, - interessanterweise waren es alles Männer, Unternehmer und Leute aus dem Arbeitgeberverband usw. In diesem Weißbuch versuchten die Leute dem Volk weis zu machen, daß jetzt die Sache mit der Sozialpolitik am Plafond angelangt sei. Jetzt könne man nichts mehr fordern, jetzt könne nichts mehr ausgebaut werden. Das hat riesige Diskussionen bei uns gegeben und derjenige, der Wortführer war, - das war ein sehr bekannter Mann in der Schweiz -, der wurde eigentlich ganz rasch in seinen Funktionen kalt gestellt. Deshalb sage ich, „Ne touchez pas à la vieillesse", nehmen Sie ja die Alters- und Hinterlassenenversicherung ernst. Aber, ich muß sagen, auch wir sind jetzt mittendrin in einem ganz heftigen Kampf um die Erhaltung des Sozialstaates. Das ist ein ganz harter Kampf und ich glaube, dieser Kampf ist richtig und wichtig. Aber ich glaube auch, daß alle Vorlagen, die vors Volk kommen, die wird das Volk diesbezüglich ablehnen. Wir haben das bei der letzten Volksabstimmung erleben dürfen vor vier Wochen, als eine Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes zu Ungunsten der Arbeitslosen vors Volk gebracht wurde. Das war im Parlament durchgegangen, gegen Widerstand allerdings der Sozialdemokraten und Gewerkschafter, aber das Volk hat nicht ja gesagt zu dieser Änderung. Das hat mich eigentlich wieder sehr aufgestellt, weil ich gedacht habe, das Volk merkt, wo es um seine eigenen Interessen geht.

Nun, diese Vorlage, die 1948 in Kraft getreten ist, Einführung der AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung), die ging damals was das Rentenalter anbelangt, in die Öffentlichkeit mit dem gleichen Rentenalter für Mann und Frau. Wenn ich da so in der Schweiz über die AHV rede, dann mokiere ich mich immer ein bißchen über das Modell, das damals vorbereitet wurde, und ich sage jeweils, es ist ein typisches Männermodell. Es wurde von Männern gemacht und von Männern im Parlament beschlossen und die Männer haben in erster Linie an ihre Frauen gedacht. Sie haben nicht an geschiedene Frauen gedacht, sie haben nicht an ledige Frauen gedacht, sondern wirklich nur an diese auserwählten Ehefrauen. Ich glaube, mit der Zeit haben das doch dann die Politiker auch gemerkt.

Ich muß hier etwas sagen zum Rentenalter, weil wir dann später das Rentenalter 62 Jahre für die Frauen hatten, das war der große Zankapfel noch bei der 10. AHV-Revision. Also diese zwei Rentenalter: für die Frauen 62 und für die Männer 65 Jahre. Jetzt muß ich Ihnen sagen, glauben Sie ja nicht, das war die große Liebe für die Frauen, - damals bei der 3. AHV-Revision waren noch keine Frauen im Parlament. Sondern weil die Frauenorganisationen immer und immer wieder beanstandeten, daß die Frauenlöhne soviel geringer sind als die Männerlöhne, für ein und dieselbe Arbeit. Die Differenz zwischen Frauen- und Männerlöhnen waren damals fast 30 %. Zwischen 25 und 30, aber näher zu 30 % hin. Und da hat man dann bei der 3. AHV-Revision das so begründet; man hat gesagt, wir müssen diesen Frauen ja irgendein Zückerli geben, also gestatten wir, daß sie mit 62 in die Rente gehen dürfen, denn sehr viele Frauen, - damals begann ja die Berufstätigkeit der Ehefrauen anzuwachsen - waren doppelt belastet durch Beruf und durch die Familie, Kindererziehung usw. Also hat man gesagt, die Frauen, die müßten eigentlich ein bißchen früher in die Rente gehen können.

Aber wenn ich von der Benachteiligung der geschiedenen Frauen spreche, muß ich an folgendes erinnern: wir hatten bis lange in die 70er Jahre hinein, bis die Frauen in der Politik aufgestiegen sind, doch die Regel, daß eigentlich nur geschiedene Frauen berufstätig waren. Nur der Ehemann hatte ein AHV-Konto. Und falls die Ehefrau doch berufstätig war, kam alles, was die Frau an Beträgen ablieferte, auf das Konto des Mannes. Wenn sie geschieden wurden, war das alles verloren für die Ehefrau und sie mußte mit der neuen Arbeit wieder ein neues Konto, das sie dann bekam, eröffnen.

A. Braun

Das hat die Scheidungen nicht verhindert!

E. Lieberherr

Nein, das kam ja alles nach der Scheidung und die Frauen waren konsequent: Die haben gesagt, also wenn ich dann schon scheide, dann so. Aber sehr viele Frauen wußten das natürlich gar nicht.

Dann die ledigen Frauen. Ich verwundere mich immer wieder, wenn man heute über die einkommens- und sozialschwachen Frauengruppen spricht, dann spricht man von alten Frauen und man spricht von alleinerziehenden Müttern. Man macht aber nie den Unterschied und sagt, bei den alleinerziehenden Müttern hat es natürlich gut gestellte Witwen, die sind nämlich mit unserer Hinterlassenenversicherung sehr gut abgesichert. Aber die ledigen Frauen, das war immer eine ganz große Gruppe von Frauen, die schlecht ausgebildet waren und die vor allem in den typischen Frauenberufen arbeiteten und ganz kleine Löhne hatten. Es waren auch die Frauen, die sehr oft Betreuungs- und Pflegeaufgaben ihren alten Eltern gegenüber übernommen hatten und die sehr oft ihre Arbeit aufgegeben haben und keine Gutschriften für die pflegerischen Arbeiten bekommen haben. Also so hat die AHV begonnen.

Im Jahr 1972, also ein Jahr nachdem die Frauen stimmberechtigt wurden, wurde eine Initiative der Partei der Arbeit lanciert. Die Partei der Arbeit, das war die Partei der ehemaligen Kommunisten. Kommunisten waren in der Schweiz in den 30er Jahren verboten worden im Nachklang zum Stalinismus, dann wurde die Partei der Arbeit gegründet, die lange Zeit eine sehr große Machtposition hatte in allen politischen Sparten. Sie hat eine Initiative lanciert für eine sogenannte Volkspension. Und zwar im Modell wie es die skandinavischen Länder damals bereits eingeführt hatten. Diese Volkspension wurde aber vom Bundesrat und vom Parlament abgelehnt. Der Bundesrat hat gleichzeitig ein anderes Modell vorgeschlagen. Der Bundesrat wollte die ursprüngliche AHV etwas differenzieren und ausbauen zu einer wirklich umfassenden Altersvorsorge. Vielleicht nur um Ihnen ein Beispiel zu geben: als die AHV zum ersten Mal ausgeschüttet wurde - damals hatte ja noch niemand Beiträge bezahlen können, z. B. der jetzt AHV - Bezüger wurde - betrug die erste Rente 60 Franken für eine Einzelperson, 90 Franken für ein Ehepaar, wenn Sie z.B. ein Jahr eingezahlt hatten; wer gar nie eingezahlt hatte, hatte eine Übergangsrente von 40 Franken respektive von 60 Franken, also außerordentlich wenig. Der Gegenvorschlag des Bundesrates, auch der Gegenvorschlag des Parlamentes war die Vorlage eines Verfassungsartikels mit dem sogenannten Drei-Säulen-System. Die SP und die Gewerkschaften haben die Volkspension zur Ablehnung empfohlen und haben sich hinter das Drei-Säulen-System des Parlamentes und des Bundesrates gestellt. Dieses Drei-Säulen-System besteht aus der Säule AHV, aus der Säule berufliche Vorsorge und aus der dritten Säule Eigenvorsorge.

Aber zuerst einmal etwas zu dieser AHV, wie sie vorher schon bestanden hat. Sie ist eine Versicherung, eine obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung für alle selbständigen und unselbständigen Berufstätigen auf dem Prinzip des Umlageverfahrens. Über das Umlageverfahren wurden Sie ja heute schon genügend informiert. Nach meinem Begriff ist das Umlageverfahren das echte Solidaritätssystem, das Umlageverfahren, wo die derzeit Arbeitstätigen die Renten aufbringen für die nächste Generation. Also wir haben seinerzeit ab dem Jahr 1948 die Mittel für die Renten aufgebracht für die damaligen Alten, heute sind es die heutigen Erwerbstätigen, die dann für die jetzigen Senioren und für die zukünftigen Senioren das aufbringen. Jeder Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen einen Betrag von 5 % von ihrem Lohn, die Selbständigen zahlen natürlich das Doppelte und wir haben keine Beschränkung nach oben. Ich glaube das ist anders als hier in Deutschland. Das ist etwas ganz wichtiges. Die ganze Lohnsumme ist drin. Und das ist die eigentliche Solidarität, daß die Leute mit großen Einkommen eigentlich viel mehr bezahlen, als sie einmal in Anspruch nehmen dürfen und daß das eigentlich schon ein solidarischer Ausgleich zwischen den Gutverdienern und den Schwachen ist. Ich darf Ihnen auch sagen, daß dieses System bis heute nie angezweifelt worden ist. Wenn ich in der Schweiz darüber rede, sagen die Leute zuerst mal, ja wieso hat der Herr Bührle - das ist ein berühmter Unternehmer in Zürich, der Milliarden Vermögen hat und Millionen verdient - auch AHV? Also es wäre ein Witz, wenn der noch AHV bekommt. Dann sage ich immer: also der hatte in seinem langen Leben natürlich ein Mehrfaches, ein Hundertfaches dessen bezahlt, was er von der AHV bekommt, aber paßt auf, verlangt nicht, daß der die Rente nicht mehr bekommt, sonst kommt der eines Tages, ja wir brauchen diese Rente nicht, ihr könnt uns ruhig aus dieser AHV hinauswerfen. Das wollen wir nicht, wir brauchen diese Rentenbeiträge.

Diese AHV wird aber auch bezahlt aus Mitteln des Bundes und der Kantone. Alle Kantone und der Bund müssen Steuermittel hineingeben und der ganze Ertrag aus der Tabak- und Alkoholbesteuerung kommt auch in die AHV-Kasse hinein. Das ist der Grund, daß in der Schweiz die Männer, die so gerne Stumpen rauchen oder Zweierli trinken, wenn man ihnen sagt, das ist nicht vernünftig, das ist nicht gut für die Gesundheit, sagen die immer, aber für die AHV ist das natürlich gut.

Die Rentenhöhe hängt natürlich einmal von den Beitragsjahren und von der Beitragshöhe ab. Aber es gibt Leute, die nur unvollständige Renten haben, die zum Beispiel zu wenig Jahre haben, wenn jemand vielleicht nur 10 Jahre eingezahlt hat, weil er relativ spät in die Schweiz kam. Denn auch alle Ausländer, die in der Schweiz arbeiten bekommen natürlich diese Renten. Wir zahlen diese Renten, wenn die Leute heimgehen, an ihre Adresse in ihren Ländern aus, weil es ja ein Versicherungssystem ist. Und dann haben wir sogenannte volle Mindestrenten, im Gegensatz zu den unvollständigen Renten. Davon gibt es nicht mehr so viele, und dann gibt es volle Maximalrenten.(die Ehepaarsrente war immer um 50 % größer als die Ein-Personen-Rente.) Im Moment ist die volle Mindestrente für eine Einzelperson 995 Franken im Monat, und die volle Maximalrente für eine Einzelperson pro Monat 1990 Franken.

Wenn Sie vielleicht die Zeitungen aus der Schweiz gelesen haben - ich weiß nicht, ob Sie das tun - dann haben Sie vielleicht gesehen, daß wir vor zwei Tagen eine sogenannte Alterssession in Bern hatten und die anwesenden Senioren verlangt haben, daß die Mindestrente für alle 2200 Franken sein soll. Wenn wir uns vorhin auf die Frauen bezogen haben und ich gesagt habe bei der Altersarmut sind die Frauen an allervorderster Stelle, dann ist es natürlich ganz klar, daß es hier vor allem um eine Besserstellung der Frauenrenten gehen würde.

Ich will Ihnen geschwind die neuesten Zahlen sagen, die im Sozialdepartement in Zürich erarbeitet worden sind. Es ist schwierig - aufgrund von Steuerdaten oder anderen Daten - genau zu wissen, wie groß das Einkommen von alten Menschen ist. Furchtbare Steuererhebungen wurden in den letzten Jahren präsentiert. Leute mit riesigen Vermögen, weil die Rentner vielleicht ein Haus haben, in dem sie wohnen. Aber sonst ist es wahnsinnig schwierig. Wir haben ja neben der AHV noch die sogenannten Zusatzleistungen zur AHV. Darauf komme ich dann auch noch. Aber von daher habe ich genaue Zahlen, wie die Situation der Frauen in der Schweiz ist zum Beispiel im Verhältnis zu Ehepaaren und im Verhältnis zu Männern. Das Sozialdepartement der Stadt Zürich zahlt im Moment fast 10.000 Zusatzleistungsrenten aus, fast 10.000, an Einzelpersonen. Davon sind über 8.000 Frauen und 1700 Männer. Also Sie sehen, fast fünfmal mehr Frauen müssen Zusatzleistungen in Anspruch nehmen. Und bei den Ehepaaren sehen wir, daß es ganz wenige sind, weil bei Ehepaaren immer noch ein Mann dabei ist, der in der Regel mehr AHV-Rente, eigentlich auch mehr zweite Säule als Frauen hat. Wir haben nicht einmal 1000 Ehepaare in der Stadt Zürich, die eine Zusatzleistung in Anspruch nehmen müssen, weil sie sonst nicht leben könnten. Und es sind also fast 10.000 Einzelpersonen. Sie sehen, ein Merkmal Frauen, zweites Merkmal alleinstehende Frauen.

A. Braun

Ich muß vielleicht dazu sagen, Zusatzleistungen sind sozusagen an der AHV orientierte kantonale, kommunale und eidgenössische Ergänzungen der Rente, dort wird der Unterschied in den Lebenshaltungskosten eben sehr genau kantonal und örtlich differenziert und dafür nimmt man in Kauf, daß sozusagen im Schnitt die Renten relativ niedrig sind. Das bedeutet, in Zürich einen hohen Bedarf an Zuzahlungen; es kann sein irgendwo in Unterwalden da ist er dann nicht so groß, weil hier der Lebensstandard niedriger ist.

M. Veil

Können Sie vielleicht als Ergänzung gleich sagen, wie lange der Mindestbeitrag gezahlt werden muß, um die Mindestrente, den Mindestrentenanspruch auszulösen. Also wieviel Beitragsjahre sind Voraussetzung für die Mindestrente?

E. Lieberherr

Für die volle?

M. Veil

Ja.

E. Lieberherr

Die volle Mindestrente wäre eigentlich, die Anzahl Beitragsjahre vom 20. Altersjahr bis zum Rentenalter, d.h. 45 oder 42 bei den Frauen.

Ich möchte noch rasch zu diesen Zusatzleistungen etwas sagen. Also die Zusatzleistung ist nicht eine Sozialhilfe, verwechseln Sie das ja nicht. Neben den Zusatzleistungen haben wir noch die sogenannte Fürsorge oder Sozialhilfe, die wir eigentlich als etwas Anrüchiges betrachten. Das kommt aus der alten, mittelalterlichen oder spätmittelalterlichen Armenhilfe heraus. Aber das ist etwas anderes! Gleich im Anschluß an die AHV wurden diese Zusatzleistungen eingeführt. Die eidgenössische heißt Ergänzungsleistung. Die ist für die ganze Schweiz gleich. Also, das sind die gleichen Rahmenbedingungen, die zu erfüllen sind, wenn man diese Ergänzungsleistung will. Der Bund stellt fest, wieviel andere Einkommensmittel man haben darf, um Ergänzungsleistungen zu bekommen. Das steht im Ergänzungsleistungsgesetz, einem eidgenössischem Gesetz; auf diese Ergänzungsleistungen hat man einen rechtlichen Anspruch. Aber man muß diesen Anspruch geltend machen. Und die Anforderungen, die an die Gewährung dieser Leistung gestellt werden, die sind also in diesem Ergänzungsleistungsgesetz drin. Im Gegensatz zur AHV, die eine Versicherung ist und die man automatisch bekommt. Natürlich muß man auch schreiben, ich lebe noch und möchte die AHV. Das gehört so dazu. Also bevor man die AHV, die erste, bekommt, muß man einen Fragebogen ausfüllen, damit man sieht, sind diese Menschen wirklich noch am Leben, damit da nicht Mißbrauch getrieben wird.

In diesem Ergänzungsleistungsgesetz steht dann auch, die Kantone können auf ihrem kantonalen Gebiet, kantonale Beihilfegesetze erlassen und diese Ergänzungsleistung noch aufstocken. Aber von den 26 Kantonen sind es nur etwa 11 Kantone, die diese Ergänzungsleistungen haben, und leider bröckeln nach und nach einzelne Kantone weg, weil sie alle so unter der Sparwut leiden. Und in den kantonalen Beihilfegesetzen - das sind auch Gesetze -, heißt es dann in der Regel, daß die Gemeinden auf dem Verordnungsweg, - die Gemeinden erlassen ja keine Gesetz sondern Verordnungen -, auch noch mit einem kommunalen Zuschuß aufstocken können. Die Stadt Zürich ist übrigens das Gemeinwesen, das zum ersten Mal in der Schweiz bereits in den 30er Jahren - damals hatte Zürich eine absolut rote Regierung - diese Beihilfe eingeführt hat. Die war eigentlich mustergültig. Der Bund hat dann auf der Grundlage dieser Beihilfe, dieser kommunalen Beihilfe, nach Einführung der AHV auch die eidgenössische Vorlage bezüglich der Ergänzungsleistungen ausgearbeitet. In der Stadt Zürich ist man sehr großzügig, Wie Herr Braun das richtig gesagt hat: es kommt darauf an, wieviel Miete man bezahlt, es kommt darauf an, wieviel man Krankheitskosten berappen muß, Medikamente usw., und dieses System hat sich eigentlich sehr eingebürgert.

A.Braun

Bitte eine Größenordnung. Wieviel gibt Zürich dafür aus?

E. Lieberherr

Zürich gibt dafür 52 Millionen Franken aus, also das ist ein recht ordentlicher Betrag. Übrigens, muß ich Ihnen sagen, wir haben immer darum gekämpft, daß wir den Leuten den Unterschied zwischen Sozialhilfe und Zusatzleistungen klar machen konnten. Es gibt sehr viele Leute, auch alte Leute, die sich schämen, derartige Zusatzleistungen in Anspruch zu nehmen, sie gehen nicht zur Fürsorge, wenn es einigermaßen noch geht. Da haben wir immer versucht, ihnen diese Angst zu nehmen, zu sagen, ihr habt ein Recht darauf, kommt und meldet euch und ihr bekommt die Mittel. Diesbezüglich muß ich noch rasch sagen, daß eigentlich bereits fortschrittlichere Leute und zwar nicht nur aus dem linken Lager gesagt haben, wieso zahlt ihr nicht automatisch diese Renten aus? Diese Zusatzrenten. Wieso ermittelt ihr nicht den Bedarf aufgrund der Steuerdaten? Wir haben das einmal versucht in der Stadt Zürich. Allen Steuerdeklarationszetteln des Finanzamts habe ich also einen Fragebogen, einen Brief von mir beilegen lassen, in dem ich geschrieben habe, schauen Sie mal nach, ob Sie anspruchsberechtigt wären, dann melden Sie sich, Sie können es selber ausrechnen; aber mehr als die Leute darauf aufmerksam machen, kann man nicht. Weil nämlich dieser Hilfebedarf eben ermittelt werden muß, und man hat dann die Erfahrung gemacht, daß Leute gekommen sind, die wirklich gar keinen Anspruch hatten, die wurden dann böse, und die anderen, die wirklich Anspruch hätten, sind dann vielleicht überhaupt nicht gekommen.

Zwischenfrage

Sie sagten auf die Zusatzleistungen hat man einen gesetzlichen Anspruch, aber auf die Sozialhilfe doch auch?

E. Lieberherr

Ja natürlich, klar. Ja, das ist richtig, aber das sind eben zwei ganz verschiedene Gesetzgebungen. Die Sozialhilfe geht nach dem Sozialhilfegesetz. Das ist die gesetzliche Fürsorge. Da wird die Hilfe ganz genau nach bestimmten Fürsorgeregeln festgelegt, es wird ganz genau kontrolliert, ob er Anspruch hat darauf. Man muß auch ständig etwas Entwürdigendes machen, zuerst einmal nachsehen, ob man Angehörige in Rückgriff nehmen kann. Bei diesen Altersbeihilfen, da gibt es keinen Rückgriff und da wissen die Kinder überhaupt nichts. Und man schaut nicht nach, ob die Kinder mehr verdienen und dann besser helfen könnten. Also das ist ein ganz großer Unterschied nicht wahr? Ein ganz großer Unterschied, weil das auf ganz anderen Grundlagen beruht.

Kai Fölster

Sie hatten gesagt, daß es einen Vorschlag gab, eine Grundrente nach dem skandinavischen Modell zu machen. Aber dann hat das Volk nein gesagt und stattdessen ja zum Drei-Säulen-Modell mit der Mindestrente und diesen Zusatzleistungen. Aber genau das haben wir ja in Schweden. Sie haben ja die Grundrente und wo das nicht ganz reicht, eine Zusatzleistung. Und was ist das anderes als die Grundrente?

E. Lieberherr

Ja, es ist anders. Wir haben uns - vor allem damals die Gewerkschaften - nach dem dänischen Modell orientiert. Aber Sie dürfen natürlich nicht vergessen, in der Zwischenzeit sind auch bei diesen skandinavischen Modellen wesentliche Veränderungen vorgenommen worden. Also ich meine, dort ist natürlich das Aufgestockte ein Teil der Volkspension. Ich glaube nicht, daß das etwas ist wie ein Zusatzleistungssystem.

Gotlind Braun

Erste Frage, wie lang das braucht, bis man die Mindestrente kriegt. Was kann jemand, der 1000 Franken Minimalrente hat, an Zusatzleistungen bekommen? Sind das 1500 Franken?.

E. Lieberherr

Also ich sage Ihnen das sehr gerne. Ich würde jetzt das mal sagen aus dem Sichtwinkel von Zürich, das drei verschiedene Komponenten hat, die Ergänzungsleistungen usw. Und ganz wichtig in diesen Komponenten ist der Mietzinszuschuß. Man hat natürlich Begrenzungen, man kann nicht eine 2000 Franken-Wohnung nehmen und denken, das zahlt mir jetzt nach dem Zusatzleistungssystem der Staat. Das gibt es natürlich nicht. Es gibt bei der Ergänzungsleistung einen Teil, einen Mietzinszuschuß, den der Bund zahlt, und wir in Zürich haben noch einen Mietzinszuschuß, einen weiteren Gemeindezuschuß. Und dann eben diese Medikamente. Es kann also gehen in der Stadt Zürich für eine Einzelperson bis zu 2200 Franken als Gesamtbetrag.

A. Braun

Auf den wird es aufgestockt, wenn man es nicht hat.

M. Veil

Ja, ich habe das auch noch nicht ganz verstanden. Die Ergänzungsleistung wird vom Sozialhilfeträger gezahlt?

E. Lieberherr

Also, für die Zusatzleistungen werden keine Beiträge gezahlt. Das sind alles Steuermittel. Das sind reine Steuermittel, sind Bundessteuermittel, das sind zum Beispiel kantonale Steuermittel und das sind Gemeindesteuermittel. Also in diese Sparte der Zusatzleistung zahlen alle Steuerzahler hinein. Und wenn man etwas mit Steuern finanziert, dann zahlen eigentlich die gut gestellten mehr als die einkommensschwächeren Leute. Das ist eigentlich ähnlich wie bei der Fürsorge.

Ich muß das so sagen: bei der ersten Säule hat man im Artikel der Bundesverfassung den klaren Auftrag, das Existenzminimum zu decken. Also, alles was ich brauche, damit ich existieren kann, das muß gedeckt sein durch die AHV, und wenn das die AHV nicht decken kann, gibt es dann diese Zusatzleistungen. Die Wohnung, die Kleidung, das Essen, Drogerieartikel usw., Medizin, das muß gedeckt sein. Aus diesem Grund ist der Grundsatz so wichtig, daß diese AHV dauernd den Bedürfnissen angepaßt werden muß. Also wir werden uns nie zufriedenstellen in der Schweiz, wenn plötzlich die munteren Herren vom Weißbuch schreiben, jetzt könnt ihr aufhören, diese AHV auszubauen. Die AHV muß auch in Zukunft existenzsichernd bleiben. Wenn sie nicht mehr dazu reicht, muß sie eben angepaßt und erhöht werden.

Dann ist die zweite Säule, das ist die berufliche Vorsorge. Diese berufliche Vorsorge wurde auch in der Verfassung verankert, und es gab da ein Gesetz, berufliches Vorsorgegesetz. Der Zufall wills, daß ich damals im Ständerat war und in der Kommission, als man dieses Gesetz beraten hat. Dieses Gesetz wurde sehr großzügig von der Schweizer Regierung formuliert, auch nach dem Umlagesystem und dann vom Nationalrat, von der großen Kammer, beschlossen. Und dann kam sie zum Ständerat, in die Vorberatungskommission. Der Ständerat ist halt ein reaktionäres Gremium. Er ist konservativ - ich war ja lange genug drin und kann das deshalb so sagen - ein sehr rechtsbürgerliches Gremium, und die Sozialdemokraten sind dort immer ganz schwach vertreten. Als ich dort war, waren wir nur vier Sozialdemokraten in diesem Ständerat und das war natürlich wahnsinnig schwierig. Ich hab das erlebt, weil ich in dieser Kommission drin war, was gewisse Leute machen können, wenn sie ein Sozialwerk verschlechtern wollen. Also, erstens einmal haben eine ganze Reihe von Leuten in dieser Kommission dieses Geschäft verschleppt. Sie haben es so lange verschleppt, bis die ersten Zeichen einer Rezession am Horizont aufgebrochen sind. Dann haben sie gesagt - gewisse Leute aus der Wirtschaft haben da hineingefunkt - wie gefährlich es ist, wenn es ein Umlageverfahren ist. Und sie haben durchgesetzt, daß es ein Kapitaldeckungsverfahren wurde. Es wurde also verschlechtert und erst 1983 wurde dieses Gesetz endlich verabschiedet - also 1972 war diese Abstimmung über die AHV im Parlament. Und dann vor 10 Jahren kam es vor die Volksabstimmung, weil noch das Referendum ergriffen worden ist von bestimmten Kreisen. Es wird erst zum Beginn des nächsten Jahrhunderts richtig greifen. Wenn es rechtzeitig hätte realisiert werden können, hätten wir heute sehr viele Leute aus der Altersarmut draußen. Aber das wurde politisch gekillt. Und verschlechtert.

Und nun, was heißt Kapitaldeckung. Kapitaldeckung heißt natürlich, für jeden wird ein Kapitalkonto geführt, und natürlich werden die Lohnkosten größer, ist ganz klar. Aber für wen werden die Lohnkosten größer? Jetzt sind wir wieder bei den Frauen. Da für die Frauen das gleiche Rentenalter genommen wurde wie bei der AHV, 62 Jahre, muß in weniger Jahren das Rentenkapital angesammelt werden, ist der Prozentsatz höher als für Männer im gleichen Alter. Und jetzt in der Rezession, in der wir drinstecken, machen Frauen die Erfahrung, wenn sie mit 45 Jahren die Arbeit verlieren, daß sie sehr oft die größte Mühe haben, eine Stelle zu finden. Nicht nur weil es Mangel hat an Arbeitsplätzen, sondern weil man ihnen vorrechnet, daß sie, weil sie 45 Jahre alt sind, eigentlich viel mehr Kapitalien eröffnen müssen für die zweite Säule als jüngere Frauen und als gleichaltrige Männer: Der Beitragssatz ist höher und ergibt auch höhere Abzüge.

Zwischenfrage

Gibt es denn schon Leistungen aus der zweiten Säule?

E. Lieberherr

Ja natürlich die läuft jetzt schon; wenn jemand in Rente geht. Aber etwas muß ich natürlich sagen. Als die zweite Säule oder die berufliche Vorsorge geschaffen wurde, gab es natürlich in bestimmten Sparten schon Pensionskassen. Im ganzen öffentlichen Bereich gab es schon Pensionskassen, haben die Gewerkschaften schon seit 70, 80 Jahren durchgedrückt. Aber auch hier nicht so wie in Deutschland, - ich hör immer wieder, daß in Deutschland die Beamten eigentlich keine Beiträge in die zweite Säule liefern müssen - also hier müssen die Beamten selbst zahlen, die Beamten werden genau gleich behandelt wie Angestellte der übrigen Wirtschaft. Also diesen Vorwurf kann man den Beamten in der Schweiz nicht machen.

A. Braun

Noch einmal zu der Frage von vorher: Was jetzt geleistet wird, beruht auf Ansprüchen, die seit 1983 entstanden sind in diesem obligatorischen System. Es gibt dann Ansprüche aus dem noch nicht obligatorischen System vorher, die wurden dann in obligatorische umgewandelt.

E. Lieberherr

Und wenn Sie fragen, gibt es denn heute schon Leistungen. Also nehmen wir einmal an, in 1983 ist das in Kraft gesetzt worden. Wenn jemand in einer Firma war, die keine Pensionskasse hatte, wurden dann solche Sammelkassen eingerichtet, damit nicht jeder kleine Coiffeursalon eine eigene Pensionskasse aufbauen mußte. Aber wenn jetzt jemand vielleicht noch 5 Jahre eingezahlt hat, dann bekommt er natürlich aufgrund der eingelegten Mittel nur ein bescheidenes Pensiönchen. Wenn er nicht vorher schon in einer anderen Pensionskasse waren.

Aber jetzt ist das Gesetz. Man gab ihnen 3 Jahre Zeit, solange durften sie warten, bis es eingerichtet war; denn das ist eine sehr komplizierte Materie diese berufliche Vorsorge auch mit den Kontrollen und mit dem Mitspracherecht der Arbeitnehmer usw. Aber in dieser zweiten Säule sind natürlich nur unselbständige Erwerbende drin. Das ist klar. Und für die Selbständigen wurde dann die dritte Säule eingerichtet, das ist die private Vorsorge - eben für Leute, die keine zweite Säule haben, weil sie keine Angestellten sind. Sie besteht einerseits aus Zinserleichterungen: Banken geben für bestimmte Guthaben, für Dritte-Säule-Guthaben höhere Zinsen. Das ist dann natürlich limitiert. Und andererseits gibt es auch Steuererleichterungen. Bestimmte Beträge dürfen bei den Steuern abgesetzt werden, so daß die Leute ein Interesse haben, diese Guthaben aufzubauen.

So, das waren jetzt also die Jahre 1972 und 1983 und die zweite Säule. In der Zwischenzeit ist natürlich die AHV immer und immer wieder revidiert worden. Zum Beispiel bei der 9. AHV-Revision hat man erneut - das war damals, als die Frauen schon drin waren - ein neues System eingeführt, daß auf dem Mischsystem der Indizes beruht. Die Anpassung der AHV-Renten erfolgt nicht nur nach der Teuerung, sondern nach dem Teuerungsindex und nach dem Bruttolohnindex. Also einem Durchschnitt dieser beiden Indizes und das bringt natürlich für die Rentner sehr oft eine größere Verbesserung als wenn nur die Teuerung ausgeglichen würde.

K. Fölster

Gibt es bei der Anpassung einen Generationenfaktor, demographischen Faktor, daß, wenn die Leute länger leben, die Renten kürzer werden.

A. Braun

Das ist, wie die Nettoanpassung, eine rein deutsche Erfindung.

E. Lieberherr

Also ich habe heute morgen gemerkt, daß Ihr Euch viel mehr Probleme macht um die Altersvorsorge, als wir das tun. Vielleicht sind wir etwas pragmatischer in der Schweiz. Ich weiß es nicht.

Aber mit der 9. AHV-Revision konnten noch ein paar andere Verbesserungen durchgezogen werden besonders in Sachen Benachteiligung der Frauen. Wir hatten ja bis zur Revision eigentlich nur Ehepaarrenten. Und zu dieser Ehepaarrente muß ich auch noch etwas sagen. Ich hatte gesagt, daß die Frau einbezahlt hat - eigentlich habe ich das nur bei der geschiedenen Frau gesagt, aber bei der Ehefrau ist es natürlich genau gleich - und der Mann bekam eine Ehepaarrente. Und mit der Zeit konnte die Frau dann sagen, ich möchte selber meine Rente, bitte splittet das für mich in der Weiterzahlung. Aber mit der 9. AHV Revision, das war eine ganz wichtige Sache und das gab auch eine Volksabstimmung und da haben sich die Frauen sehr engagiert, da wurde jetzt endlich die individuelle Rente für jede Frau eingeführt. Und zwar nicht nur für eine ledige Frau oder eine geschiedene Frau, sondern auch für die Ehefrau. Also die Ehefrau hat ein eigenes Rentenkonto. Wenn sie arbeitet, dann kommt ihr Beitrag auf dieses Konto. Wenn sie nicht arbeitet, wenn sie eine Hausfrau ist und nicht arbeitet, dann wird das geteilt, was der Mann einzahlt. Von einer ganz niedrigen Stufe an, wo man sagt, bis dahin reicht es, was der Mann einzahlt, da wird das einfach übertragen auf das Konto seiner Frau. Also wenn er vielleicht 290 Franken zahlt, reicht das bereits schon, daß das auch für die Frau ist. Also das ist die selbständige Rente der Frauen. Das wurde also dann so eingeführt.

Und jetzt muß ich noch etwas sagen, etwas, was die Frauen immer ein bißchen gemopst hat: daß geschiedene Frauen so schlecht dastanden und daß viele berufstätige verheiratete Frauen eigentlich gar keine eigene Rente hatten, daß aber verheiratete Frauen, die nicht berufstätig waren, wenn sie 62 waren und der Mann frisch, fröhlich weiterarbeitete bis 65, schon eine AHV-Rente bekamen. Das war diese Bevorzugung der Männer für ihre Ehefrauen.

Aber immer noch benachteiligt gingen die Töchter aus, die ihre kranken Angehörigen pflegten. Die Erziehungsarbeit der Mutter wurde nicht bewertet, nicht einbezogen. Und die jungen Schweizer Frauen, die im Ausland arbeiteten, wurden zu wenig auf ihre Möglichkeit aufmerksam gemacht, daß sie jetzt eigentlich vom Ausland her Beiträge auf ihr Beitragskonto leisten konnten. Es passierte dann sehr oft, daß zum Schluß Frauen, die ihr Leben lang gearbeitet hatten, zu wenig Beitragszeiten hatten und nur Teilrenten bekamen.

Alle unsere Wünsche wurden dann immer wieder auf die 10. AHV-Revision verwiesen und das wurde dann die eigentliche Frauen-Revision. Es waren lange Vorarbeiten mit Frauengruppen und Verbänden zusammen, aber sie fielen schon mitten in die Rezession hinein. Gegen diese 10. AHV-Revision wurde dann das Referendum ergriffen und es gab eine riesige und bewegte Volksabstimmung. Aber immerhin wurde die vorher nur vorübergehend eingeführte selbständige Frauenrente verankert. Die hatte man vorher von Gesetzes wegen für zwei Jahre beschlossen, die wurde dann definitiv eingeführt. Die Frauen, die Ehefrauen bekamen Gutschriften für Erziehungsarbeit. Pflegeleistungen wurden abgegolten ebenfalls mit Gutschriften. Auch Pflegeleistungen nicht nur der Ehefrau, auch Pflegeleistungen von Kindern oder anderen Angehörigen. Also diese Punkte konnten wir Frauen alle herzhaft unterstreichen, wir wollten das ja, wir hatten jahrelang dafür gekämpft, daß endlich die AHV frauenfeindliche Inhalte über Bord werfen sollte.

Aber der Streitpunkt war, daß jetzt plötzlich die Frauen für diese Verbesserungen zahlen sollten, indem das Rentenalter der Frauen auf 64 hinaufgesetzt werden sollte. Nicht sofort, sondern ab dem Jahr 2002 63 Jahre, 2004 64 Jahre. Das hat die Frauen auf die Palme gebracht. Auch die Gewerkschaften haben das vehement bekämpft. Wir fanden, daß ausgerechnet bei diesen wichtigen Frauenverbesserungen nicht wieder andere Frauen dafür zahlen sollten. Und wir haben dann natürlich wieder neue Untersuchungen gemacht. Wir sind dann zurückgegangen zu jener Gleichstellungsinitiative, die gar nicht so lange zurücklag, wo man hinein geschrieben hatte, daß eben diese Frauen ungleich, anders behandelt werden, weil sie weniger Lohn bekommen, und daß eigentlich die Gleichstellung gleiche Löhne bringen sollte. Man hat noch einmal diese Löhne erhoben und hat festgestellt, daß es nicht mehr 30 % sind, die die Löhne unterschiedlich sind, aber immerhin noch 25 %. Das war natürlich Grund genug, diese Vorlage zu bekämpfen. Ich habe selber mit den Gewerkschaften zusammen eine riesengroße Demonstration vor dem Bundeshaus in Bern gemacht; wir wollten die Regierung dazu nötigen, daß man das nicht machen darf.

Die SP und die Gewerkschaften haben also die Vorlage abgelehnt, sie ist aber trotzdem durchgekommen, aber ganz schwach. Sehr viele Frauen haben zugestimmt, weil sie die Verbesserungen nicht in Gefahr bringen wollten. Das Ergebnis war so knapp, daß dann der Bundesrat und die rechtsbürgerlichen Parteien ihres Sieges nicht froh sein konnten. Weil sie sahen, daß das Volk diese 64 Jahre nicht goutierte. Die Gewerkschaften haben dann sofort - die Abstimmung war 1995, vor zwei Jahren - und 1996, letztes Jahr, haben die beiden großen Gewerkschaftsbünde in der Schweiz, der schweizerische Gewerkschaftsbund und der christlich-nationale Gewerkschaftsbund, eine Initiative lanciert, eine sogenannte Auffanginitiative. Man braucht für eine derartige Initiative 100.000 Unterschriften, das hatten sie relativ rasch beisammen. Mit dieser Auffanginitiative wollen sie die 11. AHV-Revision beeinflussen. Die 11. AHV-Revision ist nämlich jetzt gerade in Vorbereitung. Sie wird noch einmal das Rentenalter thematisieren. Nach meinem Dafürhalten - und ich bin da in vollem Einklang mit dem schweizerischen Gewerkschaftsbund - sollte dann eine flexible Altersgrenze herauskommen. Nicht mehr gleich für Männer und Frauen, aber flexibel. Man soll wählen können.

Die Gewerkschaften verlangen eine Grenze von 62 bis 67 Jahren, innerhalb dieser Grenzen soll man wählen dürfen, wann man in Pension gehen will. Ich selber gehe immer ein bißchen weiter, ich spreche immer von 60 bis 70 Jahren, innerhalb dieser Zeit sollen Leute wählen können, wann sie in Pension gehen. Selbstverständlich bin ich auch dafür, daß man auch teilweise in Pension gehen soll, zu 50 % arbeiten, zu 50 % pensionieren. Das ist eigentlich ein neuer Gedanke, aber das würde sehr viele neue Arbeitsplätze freimachen. Wir, die Gewerkschaften werden jetzt verlangen, daß jetzt das alles gerechnet wird. Die Gewerkschaften rechnen damit, daß das kostenneutral sein wird.

Natürlich weiß ich, daß wir mit diesen Ideen jetzt nicht in eine besonders günstige Zeit der Wirtschaftslage hineinkommen. Es wird gesagt, Ausbau überhaupt nicht, eher zurückschrauben usw. usw. Man spricht schon davon, wo man weitere Solidaritätsopfer herholen kann für die AHV. Aber zum 50jährigen Jubiläum habe ich im Radio DRS einen Kommentar abgeben können zur AHV und hab mich vorher mit den Spitzen des Gewerkschaftsbundes abgesprochen. Wir teilen gegenseitig die Meinung, die AHV ist nicht in Gefahr, so wie uns das diese Weißbuchspezialisten und Sozialabbauer weis machen wollen. Das ist sie nicht. Sie hängt sehr stark vom Arbeitsmarkt ab. Man muß mehr tun, daß die Arbeitslosenquote zurückgeht. Wir haben verhältnismäßig viel Arbeitslose in der Schweiz, z.Zt. 200.000. Aber das muß man bekämpfen. Diese Leute müssen wieder Beiträge zahlen können an die AHV- Kassen. Wir haben vor 3,4 Jahren die Mehrwertsteuer per Volksabstimmung eingeführt, und die Mehrwertsteuer wurde nur so klar angenommen, weil der Bundesrat gesagt hat, wir werden diese Mehrwertsteuer nicht einfach ad libidum in unmögliche Höhen hinauftreiben - sie ist jetzt bei 6 %. Das nächste 1 % werden wir für die AHV erheben, das gibt dann 3 Milliarden. Und wenn diese 3 Milliarden in die AHV-Kassen hineinkommen, dann ist, nach den Berechnungen des Gewerkschaftsbundes, eigentlich die AHV bis zum Jahr 2010 gesichert. Man macht unserer Sozialministerin in Bern allerhand Vorwürfe, daß sie da das Volk belogen habe, aber ich glaube persönlich, daß der AHV-Fond, groß genug ist.

Es wird auch immer mit der demographischen Entwicklung operiert. Immer heißt es, die Leute werden immer älter, es werden immer mehr Alte werden. Der Gewerkschaftsbund sagt klar, wir haben jetzt eine starke Zunahme alter Menschen, die Renten bekommen. Das wird bis zum Jahr 2005 so sein, weil jetzt der große Teil jener Fremdarbeiter, die wir nach dem Krieg in die Schweiz geholt haben, ins Rentenalter kommt. Und nachher wird es wieder eine Verjüngung geben. In der Schweiz werden die Leute wohl älter, die werden weit über 90, aber das Total der Rentner hat sich in den letzten 8 Jahren abgeflacht. Man kann natürlich allen Menschen Angst machen und sagen, ihr werdet alle älter, wir haben jedes Jahr mehr AHV-Rentner, aber ich glaube so ist ungefähr die Situation. Zur entsprechenden deutschen Diskussion will ich nur eines sagen: glaubt nicht alles, was Euch Bonn erzählt! Entschuldigung, das ist ein bißchen böse, was ich jetzt da sage: wir glauben auch nicht alles, was uns Bern bringt. Eure Rentendiskussion verfolge ich natürlich auch mit Interesse. Die Situation ist ein bißchen anders als bei uns. Das System ist etwas anders; aber eines kann ich Ihnen sagen, daß es der Kern eines sozialen Friedens ist. Wenn wir diese vielen Rentner fallen lassen; diese Rentner stellen ja auch Kaufkraft dar; die geben ja Mittel aus und wenn man diesen alten Menschen immer sagt, eure Rente ist nicht gesichert, was machen diese alten Menschen? Sie sparen noch mehr, als sie jetzt schon sparen. Und das ist falsch.

Zwischenfrage

Darf ich noch eine Frage zum Rentensplitting stellen? Was passiert, wenn der eine Ehepartner vorher in Rente geht und der andere noch arbeitet. Bekommt er dann die halbe Rente?

E. Lieberherr

Er bekommt seine Rente; wir haben jetzt saubere Verhältnisse! Er hat sein Konto, sie hat ihr Konto. Er bekommt seine Rente, sie arbeitet weiter, bis sie ihr Rentenalter erreicht hat. Wenn sie nämlich nicht weiterarbeitet, muß sie trotzdem Rentenbeiträge zahlen, bis das offizielle Rentenalter erreicht ist.

Zwischenfrage

Dann bekommt er die Einzelrente; und wenn sie dann auch in Rente geht, dann bekommt sie 50 %?

E. Lieberherr

Nein, sie bekommt ihre eigene Rente. Die Ansprüche sind ja schon gesplittet, das ist getrennt. Wenn er in Rente geht, bekommt er seine, dann bekommt sie nachher auch noch ihre Rente. Aber sie muß das Rentenalter erreicht haben. Aber wenn sie jetzt vorher in Rente geht, dann wird die Rente gekürzt, also das ist genau geregelt. Auch die Frauen, die eigentlich jetzt bis zum Jahr 2004 warten müßten, bis sie 64 sind, um Rente zu bekommen, können schon 1 und 2 Jahre vorher in Rente gehen, sie bekommen aber eine Kürzung und müssen erst noch AHV-Beiträge weiterzahlen, bis sie dieses offizielle Alter erreicht haben.

L. Ruggaber

Ich muß zuerst sagen, es war wirklich erfrischend Ihnen zuzuhören.
(Applaus).
Dann habe ich zwei Fragen. Gibt es eine Erwerbsunfähigkeitsrente bei Ihnen und die zweite Frage geht dahin, Sie sprachen davon, daß die Rente das Existenzminimum abdeckt und nannten als Beispiel auch Medikamente. Heißt das, daß mit Bezug dieser Rente eine Krankenversicherung verknüpft ist.

E. Lieberherr

Also, zur ersten Frage, wir haben im Anschluß an die AHV auch eine IV, eine Invalidenversicherung geschaffen. Die ähnlich aufgebaut ist, wie diese AHV, also mit ähnlichen Renten. Es gibt dann allerdings sogenannte halbe Renten für Halbinvalidität, also das ist, die ist sehr defizitär. Und zwar wieso? Weil heute so viele Leute einfach aus den Betrieben ausgeschlossen werden und dann läßt man sie invalidisieren und dann bekommen sie Invalidenrente. Ich finde, das ist ein Mißbrauch der Invalidenrente. Aber das gibt´s also.

Zur Krankenversicherung. Nein, keine Automatik für Rentner. Wir haben eine Krankenversicherung. Über das haben wir auch einmal gesprochen bei Ihnen, ich habe dies damals erläutert. In der Zwischenzeit ist das natürlich ein bißchen eine Katastrophe geworden: jedes Jahr höhere Beiträge, weil die Krankenhäuser sehr teuer sind und so weiter, das ist das Thema in der Schweiz zur Zeit. Wir haben so viele Krankenkassen - ich glaube wir haben 100 verschiedene - und die Krankenkassenprämien, die gehen einfach wahnsinnig in die Höhe.

A. Braun

Ich verweise einfach auf die Dokumentation Forum 1995: Altern und Gesundheit(skosten)

E. Lieberherr

Ja, da ist alles drin. Wenn ich gesagt habe, daß Medikamente von der Ergänzungsleistung übernommen wird, dann ist es gemeint, das, was die Krankenkasse nicht zahlt, zum Beispiel den Selbstbehalt und so weiter.

M. Veil

Ja, ich war ja sehr erstaunt bei dem Schweizer Modell, also wie stark da die Abhängigkeit der Frauen ist. Also mich hat das so erinnert an das Modell der mithelfenden Familienangehörigen in der BRD, wo sie ja auch aus der Mitarbeit der erwerbstätigen Frau zum Beispiel im gemeinsamen Betrieb/Unternehmen, keinen Verdienst haben darf, keinen eigenen und daß sie andererseits auch dazu verpflichtet werden kann. Und bei der Rente habe ich das ja so verstanden, vor dieser Änderung, daß es da ja auch so gesehen wurde, daß also auch die Erwerbstätigkeit der Ehefrau zum gemeinsamen Einkommen gehörte und die Verfügung darüber hatte der Mann. Und jetzt meine Frage. Sie hatten gesagt, mit dieser 9. Änderung der AHV hätte es zum ersten Mal individuelle Rentenansprüche von Frauen, von Ehefrauen gegeben. Wann war das? In welchem Jahr? Und dann habe ich noch eine Frage, ich habe vielleicht nicht richtig hingehört auch am Anfang, was ist denn diese Ehepaarrente?

E. Lieberherr

Die Ehepaarrente war am Anfang. Als die AHV geschaffen wurde und wir keine einzelnen Renten hatten für Mann oder Frau, gab es eine Ehepaarrente. Aber die wurde dem Mann ausbezahlt.

A. Braun

Das waren 150 Prozent der „Mannesrente"

E. Lieberherr

Ja, 150 Prozent. Also wenn beispielsweise die volle AHV- Rente circa 2000 Franken ausmachte, war die volle Ehepaarrente 3000 Franken. Aber die erste Feststellung, die Sie gemacht haben, daß eine Frau, die mitarbeitet, einen Lohn bezahlt bekommen müßte, da habe ich Sie nicht verstanden.

M. Veil

Also in Deutschland gab es ein Gesetz, daß die Ehefrau zur unentgeltli-chen Mitarbeit im Betrieb des Mannes verpflichtet werden konnte und daß sie kein Anrecht auf Entgelt dafür hat; also zur unentgeltlichen Mitarbeit. Das gab es bis 1957. So kommt mir das jetzt vor in der Zuordnung der Rentenansprüche. Also, was das eigentlich ist und wem das zukommt. Also, das ist kein Ersatz für Lohn, ganz egal ob von Männern und Frauen erwirtschaftet, sondern etwas, das zum Familieneinkommen beigetragen wird, aber die Verfügungsgewalt, Nutzungsrecht darüber hat der Mann. Dann war jetzt meine Frage, wann war die 9. Änderung der AHV?

E. Lieberherr

Also, in Kraft gesetzt wurde das erst viel später. 1972 wurde wenigstens mal die Splittung-Möglichkeit gegeben. Daß man sagte, freiwillig kann man die Rente splitten, also teilen. Aber erst mit der Volksabstimmung vor 2 Jahren wurde das Gesetz geschaffen über die eigenständige Rente der Frau. Aber sie wurde vorher - 1982 - auf dem Weg des sogenannten „Notrechts" eingeführt.

Vorübergehendes Recht, das man einführen kann, aber befristet. Ein so befristetes Recht reichte dann gerade bis Ende 1985. Die Leute, die gegen diese 10. AHV-Revision waren, wie z.B. ich ; wir haben gesagt, auch wenn das jetzt abgelehnt wird, dann kann der Bundesrat ja nicht plötzlich die selbständige Frauenrente wieder verschwinden lassen, da muß er ja sofort eine Vorlage bringen, daß diese Möglichkeit weitergeführt wird.

I. Ziekursch

Ja, ich habe vorhin vielleicht nicht ganz verstanden, wie hoch ist, wieviel Prozent haben Sie Arbeitslose zur Zeit in der Schweiz?

E. Lieberherr

4 Prozent in der ganzen Schweiz, aber zum Beispiel in Zürich - Zürich ein industrialisierter Kanton - wir haben etwa 5 Prozent und in der Stadt Zürich haben wir 6 Prozent.

I. Ziekursch

Und dann habe ich eine Frage, ich war sehr beeindruckt von dem Winterthurer Modell. Das Leben und das Wohnen im Alter. Die Obertorstraße, das ist etwas ganz wunderbares und ich frage, hat die AHV irgendwie etwas damit zu tun?

E. Lieberherr

Also wir haben in der Stadt Zürich auch solche Modelle. Ich muß so sagen, das Obertor in Winterthur ist ein Seniorenzentrum mit Alterswohnungen. Aber es ist kein Altersheim. Mit eingestreuten Wohnungen für alte Leute. Also, ich glaube nicht, daß da die AHV etwas damit zu tun hat. Die AHV hat lange Zeit Altersheime und Pflegeheime mit Subventionen unterstützt. Hingegen werden Alterssiedlungen oder solche Projekte vom Kanton Zürich unterstützt.

I. Hoffmann

Mich interessiert das ganze Ding jetzt mathematisch, also, sagen wir mal er verdient 4000 Franken, sie 1000 Franken. Bekommt sie dann ein Teil mit zugerechnet auf ihre Rente?

E. Lieberherr

Ja, klar. Sonst wäre das Sklaverei.

Jutta Rustleben

Ich habe gleich drei Fragen. Die erste, vielleicht habe ich da vorhin etwas falsch verstanden. Ich habe also im Ohr, daß Sie gesagt hätten, einerseits bekommt man weniger Rente, wenn man früher aufhört, aber trotzdem müßte man bis zum 62. Lebensjahr einzahlen. Nun, ich meine, ich sehe ja ein, daß das ein Verlust ist am Bruttosozialprodukt zum Beispiel, weil die Frau nicht mehr arbeitet, aber es entsteht doch eigentlich der Versicherung kein Verlust, wenn sie doch weiter einzahlt. Oder hängt das mit Einzahlungen von seiten des Arbeitgebers zusammen.

E. Lieberherr

Das hat nichts mit dem Arbeitgeber zu tun. Wenn die Person vorzeitig in Pension geht, dann wird ja ihre Rente gekürzt; ich glaube das ist klar. Aber daß sie trotzdem noch einzahlen muß, das hängt zusammen, daß sie natürlich auch neue Ansprüche erwirbt, also wenn Du dann mit 65 in Vollrente aufhörst, dann haben Dir die 3 Jahre noch was gebracht.

J. Rustleben

Die zweite Frage ist eine völlig andere. Und zwar die Rentendiskussion in Deutschland hat doch immer wieder den Knackpunkt, eine Umstellung auf ein kapitaldeckendes Verfahren würde die derzeitigen Arbeitnehmer mit doppelten Beiträgen belasten. Nun hätte mich interessiert, wie Sie das Problem gelöst haben bei der Einführung ihrer zweiten Rentenart. Weil Sie doch vorhin gesagt haben, nachdem das Gesetz geworden ist, haben die Anwärter auch gleich Geld bekommen.

E. Lieberherr

Ja, aber wenig natürlich.

J. Rustleben

Ja, aber jemand muß das Geld ja dann vorgeschossen haben bzw. interessiert mich auch, ob die dann doppelte Beiträge zahlen und ob man das finanziell verkraften kann.

E. Lieberherr

Ja, also ich glaube, wenn sicher weiß, ich werde in 2 Jahren pensioniert und ich möchte eine starke zweite Säule, da kann ich natürlich etwas nachschießen. Das kann man natürlich, das kann man bei jeder Pensionskasse. Also man kann fehlende Beitragsjahre einzahlen, wenn man das Geld hat, damit man eine höhere Rente bekommt. Wenn ich jetzt das Beispiel gesagt habe, jemand ist 1 Jahr - ich weiß zwar nicht ganz genau, ob dann alle Kassen bei 1 Jahr überhaupt eine Rente auszahlen -, das ist natürlich ganz gering. Aber es ist ganz klar, in einer Pensionskasse liegt natürlich auch Geld von Leuten, die vielleicht sterben, bevor das Kapital aufgebraucht ist. Und das kann ja dann auch so verwendet werden.

A. Braun

Im Umlageverfahren kann man das machen, siehe Pflegeversicherung. Da kann ich sofort Leistungen auszahlen, in dem Moment, wo das Gesetz in Kraft ist, weil ich die Leistungen aus der Umlage finanziere. In einem Kapitaldeckungsverfahren kann ich nur das auszahlen, was aus dem Kapital an Erträgen kommt. Und das ist zunächst sehr wenig und baut sich dann allmählich auf.

E. Lieberherr

Also, ich würde mal sagen, das ist ungefähr, wie wenn Sie eine Lebensversicherung machen bei einer privaten Versicherung. Sie können auch, da gibt es auch so Modelle, wie Sie zum Beispiel im fortgeschrittenen Alter noch eine Lebensversicherung abschließen können und dann heißt es doch schon ganz genau, Sie zahlen soundsoviel und was bekommen Sie bereits nach einem Jahr, natürlich ganz, ganz wenig. Das ist ganz klar.

J. Rustleben

Die letzte Frage: Also ich habe gesagt, es sind drei. Die dritte ist, wie weit werden nun die Erziehungsjahre berücksichtigt bzw. wie weit sind sie berücksichtigt worden. Fällt das eigentlich sichtbar ins Gewicht in der Schweiz?

E. Lieberherr

Also, ich kann das ein bißchen beurteilen, weil ja zwischendrin einmal, zwischen der 9. und der 10. AHV-Revision schon einmal die Rentenansprüche angehoben wurden. Da wurden schon einmal Erziehungsgutschriften weitergegeben, es wurden Pflegegutschriften weitergegeben und es wurde für Leute, die zum Beispiel im Ausland waren und deshalb zu wenig einbezahlt hatten, das bereits angepaßt. Also diese Gutschriften, die sind eigentlich gut und können eine Frau, vielleicht nicht wenn sie gerade nur ein Kind hat, aber wenn sie zwei Kinder hat, kann sie mit diesen Erziehungsgutschriften ihr Einkommen aufpoppen. Ich meine, vielleicht arbeitet sie doch noch etwas, vielleicht, ich weiß es nicht, aber es ist eine Verbesserung ihres Rentenkapitals.

Zwischenfrage

Ich habe die Frage, ob die sich das leisten können, gleichzeitig beides zu zahlen, weil ja bei uns argumentiert wird, wenn wir jetzt umstellen würden auf ein Kapitaldeckungsverfahren, dann würden die jetzt Arbeitenden doppelt belastet. Kann man vielleicht sagen, wie in der Schweiz die Beitragssätze sind. Also es wurde gesagt 5 %, das ist ja viel weniger, als was wir bezahlen.

E. Lieberherr

Nur AHV ist das. Die zweite Säule ist natürlich größer. Die zweite Säule die kann bis zu 10 % sein. Es kommt auf das Alter des Arbeitnehmers an. Ist er noch sehr jung, ist der Beitragssatz viel kleiner, tritt er einen Arbeitsplatz an und ist schon in einem bestimmten Alter, ist natürlich sein Beitrag entsprechend prozentual viel höher. Als Junger zahlt er sehr wenig., als älterer Arbeitnehmer zahlt er mehr, es gibt keinen generellen Beitragssatz. Deshalb habe ich ja das Beispiel gebracht von dieser Frau, die 45 Jahre alt ist und jetzt plötzlich, weil sie 45 ist, ist sie für keinen Arbeitgeber mehr interessant, weil er zu viel Beiträge in die Kapitaldeckungskasse hineinzahlen muß. Zuviel muß er hineinzahlen und aus diesem Grund sagt er, ich will lieber jüngere Frauen oder ich will lieber, wenn schon in diesem Alter, lieber einen Mann.

Kirsten Scheiwe

Ich wollte noch was sagen zu den doch großen Unterschieden in der Umverteilung, die die unterschiedlichen Strukturen des Rentensystems in der Schweiz und bei uns dann bewirken. Ich denke, was Sie gesagt haben, die Grundlage der Beitragszahler ist so unterschiedlich, wenn ab 20 jeder pflichtversichert ist, das habe ich doch richtig verstanden, wie in der Schweiz, dann sind es ganz andere Beitragszahler als bei uns. Und dann hat aber auch jeder 40 oder 42 oder 45 Versicherungsjahre, weil es mit 20 Jahren obligatorisch anfängt. Und wenn es also nicht diese Unterscheidung in so verschiedene Statusgruppen wie Beamte, Angestellte, Arbeiter usw. hat man eine ganz andere Möglichkeit die Rentenversicherung zu finanzieren und erst recht, wenn es dann keine Obergrenzen, keine Beitragsbemessungsgrenzen gibt. Da ist ein ganz anderes Volumen umzuverteilen. Und, ich weiß nicht, gibt es bei Ihnen auch Höchstrenten? Außer Mindestrenten, gibt es auch einen Höchstbetrag von Renten?

E. Lieberherr

Die Mindestrente ist zur Zeit für eine Einzelperson rund 1000 Franken, ganz genau ist es 995 Franken; die Höchstrente 1995 Franken. Also fast 2000 Franken für eine einzelne Person.

K. Scheiwe

Bei uns sind die Höchstrenten ja wesentlich höher. Also wenn man das gegenüberstellt mit dem bundesdeutschen System, dann ist die Umverteilung von oben nach unten viel geringer und die statussichernden Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen sind viel größer und die Beitragszahler sind viel weniger. Und über eine geringere Lebensarbeitszeit und das ist ja auch für Frauen wichtig, weil Mindestrenten in so einem System natürlich sehr stark Frauen begünstigen.

Christel Riedel

Die Mindestrente in der Schweiz ist deutlich höher.

K. Scheiwe

Diese ganzen Umverteilungseffekte und dann noch dazu das Fehlen von Mindestrenten in dem bundesdeutschen System, das wirkt sich auf Frauen aus. Diese Ehepaarrenten, finde ich, sind in solchen Systemen nicht so untypisch gewesen. Mindestrenten haben, auch in Volksrentensystem wie in Skandinavien über lange Zeit doch einen Satz für Ehepaare gekannt oder für Paare, der nicht zweimal 100 % sondern 150 % war und in solchen mehr bedarfsbezogenen Systemen der Mindestsicherung ist das nicht untypisch, aber man kann die auch leichter splitten. Man kann die viel leichter splitten als in anderen Systemen und dann individualisieren. Also da kann man diese frauenbenachteiligenden Effekte leichter reformieren. Also, darum denke ich, daß die Unterschiede doch relativ groß sind.

A. Braun

Ich kann jetzt nicht mehr überblicken, wer sich alles noch gemeldet hat. Aber ich will nur darauf aufmerksam machen, daß wir uns die halbe Kaffeepause schon wegdiskutiert haben.

C. Riedel

Ich hätte noch eine Frage. Es gibt ja die Beitragspflicht in der Schweiz. Für jeden, der Einkommen hat, der ist ja beitragspflichtig. Ist ja eine Volksversicherung im Grunde. Es gibt doch auch die Möglichkeit Beiträge aus Vermögen zu erheben und zwar zum selben Prozentsatz wie Beiträge aus Erwerbseinkommen. Für den Fall, daß jemand keine Beiträge aus Erwerbseinkommen hat, wohl aber Vermögen. können Sie dazu vielleicht noch was sagen?

E. Lieberherr

Das haben wir aber nicht.

C. Riedel

Doch, doch, das ist mir schon mal berichtet worden.

E. Lieberherr

Ja, ich meine, wenn Sie ein Vermögen haben, hat das Vermögen auch einen Ertrag.

C. Riedel

Und aus dem Ertrag werden Beiträge in die AHV gezahlt. Ja klar, das ist ganz was Neues. Bei uns ist das nicht so.

M. Veil

Gibt es auch geringfügige Beschäftigungsverhältnisse bei Ihnen?

E. Lieberherr

Nein, das gibt es nicht, dieses 600-Franken-Geschichte haben wir nicht.

Rita Haltermann

Mein Name ist Rita Haltermann, ich komme aus Bremen vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik. Mich interessiert: nach der Einführung der AHV dürfte es doch eigentlich keine Altersarmut mehr geben. Zumindest diese Ergänzungsleistungen würden ja bedeuten, daß mindestens der Mindestbedarf, der über die Fürsorge ja offenbar gedeckt werden sollte, auch gesichert ist. Was für eine Funktion hat dann die Fürsorge?

E. Lieberherr

Also Sie haben natürlich Recht. Also erstens einmal, ich habe ja gesagt, diese Zusatzleistungen sind ein Rechtsanspruch, den man geltend machen muß. Und wenn jemand sich schämt das geltend zu machen, dann muß er halt ohne das leben. Ich glaube, das ist klar, da können wir sehr wahrscheinlich gar nicht anders. Jetzt aber die Fürsorge. Aber jetzt muß ich Ihnen sagen, ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand lieber zur Fürsorge geht. Die Fürsorge ist vor allem für die Jungen, für die Mittelalterlichen, für die Randgruppen usw. Aber für wenige Leute, die alt sind, außer, das möchte ich ganz klar sagen, es sind alte, die in ganz teure Pflegeheime gehen oder ganz teure Altersheime. Obwohl wir ja unser Ergänzungsleistungssystem in den letzten 5 Jahren so geändert haben, daß gerade die Verbringung in ein teures Pflegeheim oder Altersheim viel besser abgedeckt ist mit Ergänzungsleistungen. Diese Ergänzungsleistungen können bis zu 40, 50.000 Franken gehen im Jahre, wenn jemand in eine stationäre Einrichtung geht. Aber ich glaube, in die Fürsorge gehen vor allem andere Leute, junge Arbeitslose, mittelalterliche, Randgruppen usw., weniger die alten Menschen. Also, wenn ich sagen müßte, wo gehen die alten Leute lieber hin, also lieber gehen sie zur Ergänzungsleistung als zur Fürsorge, weil die Fürsorge ihre Leistungen etwas rigoroser behandelt oder dann sparen sie sich das einfach. Es gibt sehr viele alte Leute, die sind zu stolz irgendwohin zu gehen.

R. Haltermann

Meine andere Frage war noch, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Anwartschaften, bei der Rente gleichzeitig, egal wer sie erarbeitet, gesplittet auf die Konten von Ehemann und Ehefrau gepackt werden. Also, egal wenn ich jetzt Familienernährerin bin, gehen die Anwartschaften auch auf das Konto meines Ehemannes, zur Hälfte halt, und jeweils bei Erreichen der Altersgrenze werden sie fällig. Vor diesem Zeitpunkt, das ist ja wohl noch nicht so lange in Kraft, wie funktionierte das bei Trennung von Eheleuten?

E. Lieberherr

Also bei der Scheidung?

R. Haltermann

Nein, genau vorher, also zwischen intakter Ehe und ausgesprochener Scheidung.

A. Braun

Da hatte der Mann das Konto und die Frau das Nachsehen.

R. Haltermann

Gab es einen Auffangtatbestand, meine ich?

E. Lieberherr

Bei uns heißt das Bürgerliche Gesetzbuch ZGB, Zivilgesetzbuch. Also, dieses Zivilgesetzbuch haben die Frauen, als sie stimmberechtigt wurden, radikal geändert zugunsten der Frauen. Also der Mann kann nicht mehr etwas abservieren, das seiner Frau gehört. Das kann er nicht mehr, er kann nicht mehr allein die Wohnung kündigen, da muß die Frau mit unterschreiben usw. Also da, da haben wir ziemlich rigoros die Situation der Frauen rechtlich verbessert.

R. Haltermann

Aber die finanzielle Sicherung jetzt. Gab es damals einen Auffang, sie ist ja wahrscheinlich nicht fürsorgeberechtigt gewesen im Rahmen der Trennung, hat sie einen Unterhaltsanspruch gegen ihn?.

E. Lieberherr

Ja den Unterhaltsanspruch, den hat sie gegenüber ihrem Mann. Das ist ja klar, oder?

A. Braun

Es gibt keine andere Wortmeldung mehr, dann schlage ich jetzt ganz schnell zu, erkläre jetzt die Kaffeepause für eröffnet und bedanke mich noch mal ganz herzlich bei Emilie Lieberherr.


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