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Bestandsaufnahme des gesetzlichen Alterssicherungssystems in Deutschland aus frauenpolitischer Perspektive



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Ein Statement von Dr. Mechthild Veil, Frankfurt

Ich begrüße Sie ganz herzlich und bedanke mich bei Herrn Braun für die Stichworte, die er in seiner Einführung zu meinem Thema gegeben hat und denke, daß ich gleich in das Thema hineinspringen kann: „Geschlechterverhältnis und Alterssicherung - nur ein deutsches Problem?" Die Frage ist natürlich nicht so ganz ernst gemeint, denn ich gehe selbstverständlich davon aus, daß es sich nicht nur um ein deutsches Problem handelt. Die Veranstaltung ist ja auch so angelegt, daß untersucht wird, wie die Situation in den anderen Ländern aussieht. Es ist eine positive Entwicklung, daß wir jetzt so weit sind, das Bismarck’sche Rentensystem nicht mehr als das Nonplusultra anzusehen, sondern daß geschaut wird, wie es andere Länder machen und was wir von ihnen lernen können.

Länderspezifische Ausprägungen der Sozialstaaten

In Deutschland sind die Sozialversicherungen - und hier wiederum die Alterssicherung - der identitätsstiftende Kern des Sozialstaats. Die Frage ist, gilt dies auch für Frauen? Dazu muß ich ein bißchen ausholen.

Im Laufe der Geschichte haben sich ganz unterschiedliche Ausprägungen von Sozialstaaten entwickelt, wie zum Beispiel der angelsächsische wel-
farestate, der französische Etat Providence und der deutsche Sozialstaat als ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Diese Vielfalt ist umso erstaunlicher, da ja immer wieder betont wird, daß Sozialstaat und Sozial-
politik aufs Engste mit der wirtschaftlichen Entwicklung verknüpft seien. Und die ist in diesen Ländern, vor allem in der Europäischen Union, durchaus vergleichbar. Wenn es trotz gleicher ökonomischer Grundlage solch große Unterschiede in den Sozialstaatsmodellen gibt, dann zeigt dies, daß die Verfaßtheit von Sozialstaaten auch mit der Staatsauffassung und den nationalen Traditionen und kulturellen Mustern eines Landes verknüpft sind. Zu diesen kulturellen Mustern gehören die Geschlechterarrangements und die Leitbilder für Männer und Frauen, die das Zusammenleben und die Zusammenarbeit von Männer und Frauen in den einzelnen Ländern prägen.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Sozialstaaten sind auf ihre Entstehungsgeschichte zurückzuführen, auf unterschiedliche Reaktionen gegenüber der sozialen Frage, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung entstanden ist. So entwickelte sich z.B. der Wohlfahrtsstaat in England viel mehr aus einer Armenpolitik heraus, mit dem Ziel der Armutsvermeidung. Während in Frankreich versucht wurde, die soziale Frage durch eine ausgeprägte Familienpolitik zu entschärfen. Deutschland wiederum reagierte mit der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung und schuf die Grundlagen eines Sozialstaates als eines Versicherungsstaates mit der von Frauen immer wieder kritisierten engen Bindung der sozialen Sicherung an eine Erwerbsarbeit.

Diese Traditionslinien des Sozialen wirken bis heute nach und spielen eine große Rolle, wenn es um die Akzeptanz von Reformvorschlägen oder gar um Sparvorschläge geht. Sozialpolitische Debatten können deshalb in den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich verlaufen, auch wenn die zugrundeliegende wirtschaftliche Krise die gleiche oder vergleichbar ist. Also, der historische Kontext spielt bei der Herausbildung und Weiterbildung von Sozialstaaten eine große Rolle und das wird meiner Meinung nach oft übersehen. So haben soziale Bewegungen die Konstituierung des Sozialstaats beeinflußt. Ich erinnere nur an die Arbeiterbewegung im Deutschen Reich, die Einfluß auf die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung hatte, und die Frauenbewegung in Schweden in den 30er Jahren, die sehr stark den schwedischen Sozialstaat mitprägte. Die Frauenbewegung hat auch gezeigt, daß diese unterschiedlichen Sozialstaatsregime unterschiedliche geschlechtsspezifische Ausdrucksformen haben. In international vergleichenden Studien gilt z.B. der Wohlfahrtsstaat Bismarck’scher Prägung als das Familienernährermodell (Ilona Ostner), das durch eine relativ starke materielle Abhängigkeit der Frauen von Männern charakterisiert ist. Diese Charakterisierung gilt insbesondere auch für die Alterssicherung. Und damit komme ich nun zu der Situation von Frauen in der Alterssicherung in Deutschland.

Frauen, der blinde Fleck im westdeutschen Rentensystem

Identitätsstiftender Kern des bundesdeutschen Sozialstaats, d.h. der alten Bundesrepublik, sind die Sozialversicherungen. Diese werden über Beiträge der Versicherten finanziert und häufig mit selbst erwirtschafteten Leistungen gleichgesetzt. Das untere soziale Netz hingegen, die über Steuern finanzierte Sozialhilfe, gilt nur für Bedürftige und wird subsidiär, d.h. hilfsweise nach familialer Unterstützung gewährt. Diese scharfe Trennung zwischen einer arbeitsmarktorientierten Sozialpolitik und einer Sozialpolitik für Bedürftige sowie einem im europäischen Vergleich unzureichendem Familienlastenausgleich gibt es weder in Frankreich noch in Schweden. Sie wirkt sich sehr nachteilig für Frauen aus, denn ihre Doppelrolle in Beruf und Familie führt zu einer institutionellen Ungleichbehandlung. Durch diese Trennung zwischen Erwerbsarbeit und anderen Arbeitsformen und der Nichtberücksichtigung von Familienarbeit wird Armut von Frauen durch Sozialpolitik selber produziert, wie es Anita Pfaff empirisch nachweisen konnte. Barbara Riedmüller hat hierfür den aus den USA stammenden Begriff der Feminisierung der Armut in die deutsche Diskussion eingeführt. Aus den Analysen von Anita Pfaff geht hervor, daß Frauen durch Familienarbeit häufig erst aus dem oberen sozialen Netz der Sozialversicherung herausgekippt und auf die Sozialhilfe, als dem unteren Sozialnetz, oder als verheiratete Frauen auf private Unterhaltsleistungen verwiesen werden.

Wenn von einer Systematik der Frauendiskriminierung im Sozialstaat gesprochen wird, die in den Zweigen der Sozialversicherung ausführlich nachgewiesen wurde, so bezieht sich diese auf die Privilegierung des Erwerbsarbeitsstatus. Anknüpfungspunkt für Sozialleistung der Sozialversicherung ist das sogenannte männliche Normalarbeitsverhältnis und eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Frauen überwiegend die Familienarbeit und die Männern die Rolle des Familienernährers zuschreibt. Diese Zweiteilung des Sozialstaates, die es in den anderen europäischen Ländern in dieser Form nicht gibt, ist inzwischen zu einem Haupthindernis für Frauen geworden, eigenständige soziale Rechte zu erlangen und stellt sich zunehmend auch als Bremse gegenüber Reformen heraus. Denn obgleich die Voraussetzungen, auf denen der Sozialstaat beruht, also wirtschaftlicher Aufschwung mit Vollbeschäftigung, steigende Lohnentwicklung und stabile Ehen, ins Wanken geraten sind, wird in der Sozialpolitik daran festgehalten. So ist angesichts des Reformstaus das Vertrauen in die Stabilität der Renten in der Bevölkerung gesunken.

Historisch gesehen hatte sich durch die Entwicklung zweier deutscher Staaten auch im Sozialen eine Politik des kalten Krieges entwickelt. Die Bundesrepublik hatte sich seit den 50er Jahren von einer angeblich kommunistischen Sozialpolitik abgegrenzt. Darunter wurde ein Versorgungsstaat mit, ich zitiere, „egalisierend einschläfernden Maßnahmen des sozialen Ausgleichs" verstanden und eine Einheitsversicherung, wie sie in der DDR galt, die allen Bewohnern, unabhängig von einer eigenen Beitragszahlung eine einheitliche Grundsicherung gewährte. Die bis heute teilweise heftige Ablehnung einer allgemeinen und eventuell steuerfinanzierten Grundsicherung leitet sich aus diesen ehemals antikommunistischen Abgrenzungsbewegungen ab. Die weitere Ablehnung jeder Form von Grundsicherungselemeten in der Alterssicherung führt dazu, daß sich für Frauen nichts Grundlegendes ändern wird und die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung auch für die jüngere Generation perspektivlos wird.

Geschlechterverhältnis und Alterssicherung im Kontext der 50erJahre

Jetzt etwas konkreter zu der Frage: „Worin liegt nun eigentlich die fundamentale Schieflage in der Alterssicherung der Frauen?" Die gesetzliche Rentenversicherung wird im Umlageverfahren finanziert, d.h., alle Beiträge, die in diese Versicherungskassen eingehen, werden gleich wieder als Renten ausgezahlt. Es gibt eine relativ geringe Reserve, Schwankungsreserve, von ungefähr einem Monat. Im Gegensatz zur Privatversicherung gibt es in der gesetzlichen Rentenversicherung kein Kapitaldeckungsverfahren. Durch das Umlageverfahren ist die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversicherung sehr stark abhängig von einem gut funktionierenden Arbeitsmarkt, Arbeit in Vollzeit und Vollbeschäftigung und, was weniger bekannt ist, von stabilen Ehen. Denn das Rentenrecht stützt mit der Hinterbliebenenrente, die ein Drittel aller Rentenausgaben ausmacht, das Modell der Dazuverdiener-Ehe und baut auf private Unterhaltsleistungen auf.

Diese Konstruktion, die wir heute kritisieren, geht auf die Rentenreform 1957 unter Adenauer zurück und war im Kontext der 50er Jahre durchaus erfolgreich. Die sogenannte dynamische Rentenreform war durch die Anbindung der Rentenhöhe an die Lohnentwicklung teilweise fortschrittlich, weil der wirtschaftliche Aufschwung in den 50er Jahren zu kontinuierlichen Lohnsteigerungen bei männlichen Arbeitnehmern führte. Frauen wurden demgegenüber durch sog. Lohnabschlagsklauseln auf dem Tiefstand ihrer Löhne gehalten. Schließlich galt es in der am männlichen Facharbeiter ausgerichteten Politik der Gewerkschaftsbewegung als ein Erfolg, wenn ein Arbeiter sagen konnte, „meine Frau braucht nicht arbeiten zu gehen." Dieser Satz drückt den Stolz einer gelungenen Lohnpolitik der Gewerkschaften aus, die dazu führte, daß ein Facharbeiter mit seinem Gehalt eine Familie ernähren konnte. Der männliche individuell gezahlte Lohn erhielt den Charakter eines Familienlohns.

Frauen, die keinen oder nur einen wenig erfolgreichen Familienernährer aufweisen konnten, fielen auch nach der dynamischen Rentenrefom 1957 durch das soziale Netz. Es handelte sich um unverheiratete Frauen, um Frauen, die allein ihre Kinder großgezogen hatten, um arme Kriegerwitwen oder auch um berufstätige Frauen, die als Arbeiterinnen mit extrem niedrigen Löhne zurecht kommen mußten. Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen waren damals vor allem bei den Arbeitern groß. Heute klaffen die Lohnunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Angestellten stärker auseinander.

Eine weitere normative Grundannahme der gesetzlichen Rentenversicherung war in den 50er Jahren die Ehe. Für alle anderen Lebensgemeinschaften ist keine Hinterbliebenenversorgung vorgesehen. In den 50er Jahren gingen Sozialpolitiker davon aus, daß Männer und Frauen, die zusammen leben wollen, auch heiraten, und daß die Ehe die „natürliche" Voraussetzung einer Familiengründung sei. Andere Formen der Lebensgemeinschaft wurden gedanklich verworfen und sozialpolitisch diskriminiert. So konnte der große Sozialreformer der 50er Jahre, Oswald von Nell-Breuning, noch sagen: „Wir sind uns doch alle darüber einig, daß wir das Konkubinat nicht fördern wollen". Damit meinte er Lebensgemeinschaften ohne Trauschein.

Bedeutung von Grundsicherungselementen

Dies waren die Annahmen, die der deutschen Rentenversicherung in den 50er Jahren zugrunde lagen und die für einen bestimmten Zeitabschnitt und für bestimmte Lebensbiographien erfolgreich waren. Über die Schattenseiten der Reform von 1957 wurde weniger gesprochen, z.B. daß mit der dynamischen Rentenreform das Bismarck’sche Modell so umgemodelt wurde, daß alle Elemente einer Grund- und Mindestsicherung, die in dem Bismarck’schen System existierten, gestrichen wurden. Die ausschließliche Anbindung der Rentenhöhen an die Lohnentwicklung hatte bewirkt, daß sofort nach der Umstellung die Renten an Männer stark anstiegen, während die Renten an Frauen gleich blieben oder sogar sanken. Denn die Reform erfolgte zu einer Zeit, als sich die Frauenlöhne auf ihrem tiefsten Stand in der Nachkriegsgeschichte befanden.

Damals war die Lohndiskriminierung von Frauen wesentlich stärker als heute und durch sog. Lohnabschlagsklauseln gesetzlich und tarifrechtlich bis 1956 gesichert. In den Tarifverträgen konnten für Frauen Abschlagsklauseln ausgehandelt werden, d.h. daß auch bei gleicher Arbeit und Arbeitsplatz Frauenlöhne bis zu 25 % unter denen der Männer liegen konnten, da sie - so die kurzsichtige Annahme - nicht die Ernährerrolle innehatten. Diese Regelung galt für alle Frauen, im Visier waren natürlich die verheirateten Frauen und die Entwertung ihrer Erwerbsarbeit als Zubrotfunktion. Da Frauen seltener als Männer ausschließlich über Erwerbsarbeit die Familie unterhalten und ihnen somit die Ernährerfunktion abgesprochen wird, konnten sie, auch bei gleicher Leistung, als minderwertig eingestuft werden. Diese gegen das Gleichheitspostulat des Grundgesetzes („Männer und Frauen sind gleichberechtigt", Art. III) gerichteten Lohnabschlagsklauseln wurden nicht durch Intervention des Deutschen Bundestages abgeschafft, sondern durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes, das diese für rechtswidrig erklärte.

Gegenüber der Entwicklung in den alten Bundesländern hatte die DDR zunächst das Bismarck’sche Modell weitergeführt und hätte sich eigentlich in diese Traditionslinie stellen können. Das DDR-Rentensystem war für Frauen insofern vorteilhaft, da es die Bismarck`schen Grundsicherungselemente beibehielt. Nachteilig war, daß es sich um ein statisches System handelte, das nicht auf wirtschaftlichen Wandel und Wachstum reagierte und lediglich durch ad hoc Entscheidungen der Regierung zu Rentenerhöhungen führte. Demgegenüber liegen die Vorteile des westlichen Systems darin, daß es eine dynamische Anpassung der Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung gibt. Die Nachteile, die vor allem Frauen und Menschen mit diskontinuierlichen Berufsverläufen zu spüren bekommen, liegen in der Streichung aller Grundsicherungselemente. Damit hat die Rentenversicherung nicht die Aufgabe der Armutsvermeidung und ist, kurzgesagt, frauenfeindlich.

In dem deutsch-deutschen Einigungsprozeß wurde es mehr oder weniger bewußt versäumt, grundsätzliche Debatten über Vor- und Nachteile in beiden Systemen zu führen. Einige Sozialwissenschaftler und Sozialpolitiker versuchen gegenwärtig, diese versäumten Debatten nachzuholen.

Die aktuelle Entwicklung

Ich komme jetzt zur Gegenwart. Das Erbe der 50er Jahre, wenn ich es noch einmal zusammenfassen darf, liegt in der Annahme eines kontinuierlichen wirtschaftlichen Wachstums in Vollbeschäftigung, und Arbeit in Vollzeit: in der Annahme einer steigenden Lohnentwicklung, mit Löhnen, in der Funktion eines Familienlohns und darin, daß Frauen über Ehe und Familie auch im Alter abgesichert sind, daß sie dies wissen und auch heiraten. Aus heutiger Sicht ist der Optimismus der Wirtschaftsprognosen in den 50er und 60erJahren und die statische Auffassung von Werten und Lebensformen kaum noch nachvollziehbar.

Nun ein großer Sprung von den 50er Jahren zur Gegenwart. Ich brauche nicht viel dazu zu sagen, welche Faktoren sich wie verändert haben: bekannt ist, daß die Arbeitsmarktlage nicht mehr die gleiche ist wie in den 50er Jahren und die Lebensformen sich differenziert haben: Männer und Frauen heiraten oder auch nicht, wenn sie zusammen leben oder eine Familie gründen wollen, Einstellungen zum Leben und zu den Leistungen des Sozialstaats sind vielfältiger und individueller geworden. Durch eine Zunahme diskontinuierlicher Erwerbsverläufe und prekärer, nicht versicherungspflichtiger Arbeitsplätze stellt sich die Frage der Existenzsicherung und der Armut neu. Diese Entwicklung wird noch verstärkt durch zunehmende Migrationsbewegungen in Europa. All diese Veränderungen führen dazu, daß die unterstellten 40 bis 45 Versicherungsjahre, die erst eine volle Rente (Standardrente) auslösen, von immer weniger Menschen erreicht werden. Die demographische Entwicklung, die zu einer längeren Lebenserwartung der Menschen führt und damit auch zu einem anderen Verhältnis von Lebenszeit und Erwerbsarbeitszeit, macht die Sicherung zukünftiger Renten ohne eine grundsätzliche Reform nicht leichter. Bisher konnten Reformen aus Zuwächsen finanziert werden. Zukünftige Reformen hingegen finden unter Bedingungen verschlechterter finanzieller Möglichkeiten statt und müssen durch Umverteilung finanziert werden.

Wie normal ist das Normalarbeitsverhältnis?

Die grundlegende Kritik bezieht sich auf die Funktion der Rente als Lebensstandardsicherung, die von einer unterstellten Normalbiographie ausgeht, einer männlichen Normalbiographie mit 45 Versicherungsjahren. Das muß man sich mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen: 45 Versicherungsjahre, in denen immer durchschnittlich verdient wurde. Die glücklichen Menschen, die das schaffen, haben dann ein Anrecht auf die sogenannte Standardrente, die bisher mit 70 % des durchschnittlichen (Erwerbs-) Lebenseinkommens definiert wurde. Das soll sich mit der jüngsten Rentenreform ändern. Die Bundesregierung plant, die Standardrente auf 64 % zu senken, das wäre heute eine Rentenkürzung um ungefähr 200 Mark. 1996 betrug die Standardrente ca.1933 Mark. Die Umstellung soll stufenweise eingeführt werden.

Aus der Sicht von Frauen ist dieses „Normalarbeitsverhältnis" schon immer kein Normal- Arbeitsverhältnis und aus Männersicht auch nicht mehr, da auch die Erwerbsbiographien von Männern diskontinuierlicher geworden sind. Wie normal ist eigentlich das Normalarbeitsverhältnis, das der Rentenberechnung zugrunde gelegt wird?

Beispiel : Anzahl der Erwerbsjahre

Frauen in den „alten" Bundesländern: nur knapp 14 % der Rentnerinnen haben mehr als 40 Versicherungsjahre. Ihre durchschnittliche Rente liegt jedoch auch dann unter der Standardrente, wenn sie über 40 Versicherungsjahre haben. Ihre durchschnittliche Rente liegt bei ungefähr 1630 Mark, das sind nur 80 % der Standardrente. Das heißt, selbst wenn Frauen viele Versicherungsjahre haben, können ihre Renten unter der Standardrente liegen, da ihre Gehälter häufig unterdurchschnittlich sind.

Bei den Männern sieht es anders aus. Rentner haben zu knapp 65 % mehr als 40 Versicherungsjahre und ihre durchschnittliche Rente liegt über der Standardrente, von ungefähr 2000 Mark, zwischen 2000 und 2500 Mark. Es zeigt sich die enorme Auswirkung der Löhne auf die Rentenhöhe und erklärt die Unterschiede bei Männern und Frauen. Entscheidend für die Rentenhöhe und für die Kluft der Renten zwischen Männern und Frauen sind die unterschiedlichen Löhne und weniger die Anzahl der Versicherungsjahre. Die Standardrente ist demnach nicht Standard, sondern zumindest bei Frauen die Ausnahme. Standardrenten sind keine Durchschnittsrenten. Die Durchschnittsrenten an Frauen liegen ungefähr bei 700 Mark.

Die Gründe für die Kluft zwischen Männer- und Frauenrenten liegen auch darin, daß Frauen zunehmend in Teilzeit arbeiten. Bei der Rentenberechnung werden jedoch nicht die Arbeitszeiten sondern nur die monatlichen Bruttogehälter berücksichtigt. Je mehr Frauen in Teilzeit arbeiten und Männer weiterhin nicht, desto größer wird die Kluft zwischen Männer- und Frauenrenten.

Es zeigt sich also, daß es nicht die eine Normalbiographie gibt, sondern daß die Erwerbsbiographien geschlechtsspezifisch unterschiedlich verlaufen. Bei Frauen ist das Arbeitsleben nicht automatisch ein Erwerbsarbeitsleben. Bei Männern wird davon ausgegangen, daß dies so sei, was aber auch nicht mehr zutrifft. Leider gibt es kaum Untersuchungen über die Erwerbs- und Lebensverläufe von Männern, aber es zeichnet sich ab, daß sich bei den jüngeren Generationen zunehmend Männer mehr oder weniger freiwillig von dem Normalarbeitsverhältnis verabschieden.

Beispiel: Verhältnis von Vollzeit- zur Teilzeitarbeit

Das Verhältnis von Vollzeitarbeit und Teilzeitarbeit von Frauen, ein wichtiger Indikator für die spätere Rentenhöhe, zeigt große Unterschiede: im Westen arbeiten 56 % aller erwerbstätigen Frauen in Vollzeit und 44 % in Teilzeit; im Osten arbeiten 79 % aller erwerbstätigen Frauen in Vollzeit und 21 % in Teilzeit. In den neuen Bundesländern ist die Orientierung der Frauen an Vollzeitarbeit also wesentlich höher als im Westen. Die Arbeitszeiten bei der Teilzeitarbeit schwanken ebenfalls. Im Westen liegt die durchschnittliche Stundenzahl bei teilzeitarbeitenden Frauen zwischen 18 und 29 Stunden, im Osten sind es mehr, zwischen 30 und 34 Stunden. Das heißt, hinter dem Begriff Teilzeitarbeit verbergen sich unterschiedlich viele Stunden.

Beispiel: Geringfügige Beschäftigung

Nun die Gruppe, die mit dem Rentensystem überhaupt keine Ansprüche geltend machen kann: die Gruppe der geringfügig Beschäftigten, die sogenannten 620-Mark-Jobs. Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland. Im Westen haben 15 % aller Teilzeitkräfte einen 620-Mark-Job, im Osten sind es lediglich 5 %. aller Teilzeitkräfte. Das heißt, im Osten ist eine stärkere Orientierung an der Vollzeitarbeit und an der versicherungspflichtigen Arbeit von Frauen als im Westen anzutreffen.

Nun die Frage, wie sich Familienstand und Familienarbeit auf die Arbeitszeiten auswirken. Schaut man sich die Gruppe der Beschäftigten in den 620-Mark-Jobs an, dann fällt auf, daß es zwei Gruppen gibt. Die einen arbeiten in Betrieben und die anderen arbeiten in Privathaushalten. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß sich der Stellenwert der Arbeit danach unterscheidet, ob die geringfügige Beschäftigung eine Hauptbeschäftigung oder eine Nebenbeschäftigung zu irgendeinem anderen Arbeitsverhältnis ist.

Das sozioökonomische Panel geht ungefähr von 4 Millionen aller Erwerbstätigen aus, die in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten. Interessant ist die Steigerungsrate. Von 1990 bis 1996 ist die Zahl der Prekärbeschäftigten im Westen um 50 % gestiegen. Die Zahlen zeigen, wie ernst diese Entwicklung für die Alterssicherung geworden ist. Wer arbeitet in prekären Arbeitsverhältnissen? Zwei Drittel der Frauen, die in diesen Verhältnissen arbeiten, sind Hausfrauen, die auf ein nur niedriges Haushaltseinkommen zurückgreifen können. Familienarbeit läßt sich anscheinend gut mit niedrig entlohnter und im Sozialversicherungsrecht diskriminierter Erwerbsarbeit kombinieren.

Beispiel: Familienstand und Arbeitszeiten

Wie sieht die Arbeitsteilung und die Verteilung von versicherter und nicht versicherter Erwerbsarbeit in den Haushalten aus? 82 % der geringfügig beschäftigten Frauen leben mit einem Partner zusammen, der in Vollzeit arbeitet. Die weibliche Erwerbsarbeit hat hier den Charakter des Zubrots zum Familieneinkommen. Bei den Teilzeitarbeitskräften ist es ähnlich. Teilzeitarbeitende Frauen in Lebensgemeinschaften haben meist einen Partner, der in Vollzeit arbeitet. Beide Gruppen sind auf ein Familieneinkommen angewiesen.

Lediglich die Frauen, die in Vollzeit arbeiten, fallen aus diesem Muster heraus. Vollzeitarbeitende, erwerbstätige Frauen leben zu 42 % ohne Partner und zu 58 % mit einem Partner. Aber auch diese Partner arbeiten dann überwiegend wieder in Vollzeitarbeit. In Paarbeziehungen ist demnach die Berufstätigkeit der Frauen noch immer die Variable, die Familienleben und Beruf austariert, während die Berufstätigkeit der Männer noch immer die Funktion des Familienernährers innehat.

Im Osten sieht dies jedoch anders aus. Dort leben auch vollzeitberufstätige Frauen überwiegend mit einem Partner zusammen, der ebenfalls in Vollzeit arbeitet, insgesamt 77 %. Der Einfluß der Familienarbeit auf die Erwerbsarbeit von Frauen ist im Osten also wesentlich geringer als im Westen.

Die wenigen Zahlen zeigen bereits, welchen Einfluß der Familienstand auf Umfang und Dauer der Erwerbstätigkeit und auf die Arbeitszeiten von Frauen hat, Lebensrealitäten, die in dem deutschen Rentenrecht nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden. So bleibt das Verhältnis von weiblicher Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung ein prekäres. Auch wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen von 1986 bis 1995 um insgesamt 17 % gestiegen ist, hat sich jedoch das wöchentliche Arbeitsvolumen in der gleichen Zeit kaum verändert. Die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf ist sogar von 34 Stunden auf 30 Stunden gesunken, was auf eine Zunahme der Teilzeitarbeit zurück zu führen ist. Der Anstieg weiblicher Erwerbstätigkeit beruht also im wesentlichen auf vermehrter Teilzeitarbeit, die jedoch oft keine oder eine nur unzureichende soziale Sicherung in der aktuellen Phase und auch im Alter ermöglichen. 26 Jahre Teilzeitarbeit mit einem Gehalt, das den unterdurchschnittlichen Frauenlöhnen entspricht sind notwendig, um einen Rentenanspruch über dem Sozialhilfesatz zu erhalten. Teilzeitarbeit führt zu keiner eigenständigen Sicherung von Frauen.

Es zeigt sich, daß sich der Lebensunterhalt von Männern und Frauen ganz unterschiedlich zusammensetzt. Im Westen bestreiten nur 44% der verheirateten Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus der Erwerbsarbeit und 46% aller Frauen geben an, daß Angehörige ihren Lebensunterhalt bestreiten. Eine eigenständige Sicherung verheirateter Frauen im Westen ist weder in der aktiven Phase noch später im Rentenalter der Normalfall.

Familienpolitische Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung

Erst nach 100 Jahren Bismarck’scher Rentengesetzgebung hat es familienpolitische Reformen gegeben, die zu einer Anerkennung unbezahlter Familienarbeit führten, 1986 in Form der Kindererziehungszeiten, ohne eigene Beitragszahlung. Diese Kindererziehungszeiten im Rentenrecht galten zunächst für ein Jahr, für das erste Jahr der Kindererziehung; mit dem Rentenreformgesetz `92 sind sie für Geburten ab 1992 auf drei Jahre aufgestockt worden. Kindererziehungszeiten können Väter oder Mütter in Anspruch nehmen, sie müssen nicht verheiratet sein. Das ist die fortschrittliche Seite der Kindererziehungzeiten. Der Nachteil liegt darin, daß nur häusliche Erziehung einen Rentenanspruch auslöst, gleichzeitige Teilzeitarbeit oder Zeiten der Ausbildung oder der Arbeitslosigkeit annulieren den Anspruch. Nur wer seine versicherungspflichtige Berufstätigkeit für die Erziehung der Kinder unterbricht, gilt nach diesem Gesetz als Erziehende oder Erziehender. Das Bundesverfassungsgericht hat weitere Reformen angemahnt.

Zusammenfassend kann trotz der jüngsten Reformen von einer Systematik der Frauendiskriminierung im Rentenrecht gesprochen werden. Denn auch weiterhin geht die Rentenversicherung mit der Festschreibung der Standardrente von für Frauen unrealistischen Lebensverläufen aus. Die Rentenversicherung ist zu erwerbsorientiert und hat eine zu enge Auffassung von Arbeit, selbst auch von Erwerbsarbeit. Denn nicht jede Erwerbsarbeit führt zu Rentenansprüchen. Die versicherungsfreien Erwerbsarbeitsverhältnisse, die sog. 620-Mark-Jobs, fallen heraus genauso wie die höheren Gehaltsstufen oberhalb der Bemessungsgrenze von derzeit ca. 8200 Mark brutto und vor allem die Arbeitsverhältnisse für Beamte und Selbständige. Frauen werden vor allem auch über Teilzeitarbeit im Rentenrecht benachteiligt. Desweiteren sind die Rentenansprüche aus Kindererziehungszeiten zu gering, obgleich ja die Kindererziehung der eigentlich realistische Kern des vielbemühten Generationenvertrages darstellt. Schließlich privilegiert die Rente durch die Hinterbliebenenrente die Ehe und benachteiligt andere Formen der Lebensgemeinschaft. Insgesamt wird immer wieder kritisiert, daß die Rentenversicherung nicht das Ziel der Armutsvermeidung kennt, was mit der zunehmend krisenhaften Entwicklung des Arbeitsmarktes und der strukturellen Massenarbeitslosigkeit zu großen Belastungen für die jüngere Generation wird und die Sozialhilfeleistungen übermäßig strapaziert. Die Frage der Existenzsicherung wird zunehmend von den Sozialversicherungen, d.h. dem Sozialstaat auf Bundesebene auf das untere Netz des Sozialhilferechts, den lokalen Sozialstaat verlagert.

Reformperspektive: Duales System aus steuerfinanzierter Grundsicherung und beitragsfinanzierten Renten

Zum Schluß noch einige weitergehende Überlegungen: Mit der geplanten Kürzung von Rentenansprüchen, wie sie die neueste Rentenreform vorsieht (z.B. Kürzung des Standardrenten-Niveaus, Kürzung der Ansprüche aus Ausbildungszeiten und Zeiten der Arbeitslosigkeit) wird der Solidargedanke der Sozialversicherungen ausgehöhlt und immer mehr Menschen, auch Berufstätige, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Als frei flotierender Rand des Arbeitsmarktes werden sie als Puffer benutzt, um die Arbeitsmarktrisiken anderer auszugleichen. In der Frage der sozialen Sicherung von Frauen hoffen die politisch Verantwortlichen, daß Frauen private Ressourcen mobilisieren können, um ihre Existenz zu sichern.

Nun die Frage: könnte man die gegenwärtige Krise und die Finanzierungsprobleme der Sozialversicherungen nicht auch anders, ein wenig positiv sehen? Zeigt die Krise nicht auch, daß eine grundsätzlichere Reform der Alterssicherung notwendig wird? Und ist die Zeit nicht reif dafür, das Tabu einer steuerfinanzierten Grundsicherung, das historisch gewachsen ist, aufzugeben? Warum sollte es nicht möglich sein, eine Alterssicherung einzuführen, die unabhängiger vom Arbeitsmarkt und vom Familienstand des einzelnen ist, d.h. eine steuerfinanzierte Grundsicherung mit darauf aufbauenden Rentenansprüchen aus Erwerbsarbeit? Solch ein duales System hätte Vorteile für diejenigen, die bisher die Verlierer auf dem Arbeitsmarkt sind, und für diejenigen, die in Teilzeit arbeiten. Denn durch den Sockel einer steuerfinanzierten Mindestsicherung würden sie wesentlich besser abschneiden als bisher. Die Erwerbsbiographie spiegelt sich dann nicht mehr ungebrochen in der Alterssicherung wider. Das würde eine größere Flexibilität in der Arbeitsmarktpolitik ermöglichen und einen Anreiz für mehr Teilzeitarbeit auch für Männer schaffen. Erst wenn Arbeitszeitverkürzungen sich nicht so negativ wie bisher auf die Rentenhöhe auswirken, sind sie meiner Meinung nach ein ernstzunehmendes Modell, um Männer und Frauen über Arbeit in die Gesellschaft einzugliedern und auch der jüngeren Generation eine Perspektive zu eröffnen.

Ein Blick in andere Länder, der mit dieser Veranstaltung ermöglicht wird, kann uns - so hoffe ich - weiter helfen. Ich danke Ihnen.

A. Braun

Vielen Dank für diese Darstellung Frau Veil. Jetzt sind wir sehr konzentriert eine Dreiviertelstunde beieinander gewesen; mein Vorschlag: wir machen jetzt erstmal eine Pause und dann können wir entscheiden, wie wir weitermachen, ob wir zunächst Nachfragen an das erste Statement machen oder ob wir gleich Frau Maurus hören wollen. Aber das entscheiden wir nachher, jetzt machen wir erstmal 20 Minuten Pause.

A. Braun

Meine Damen und Herren, dann können wir relativ pünktlich fortfahren. Ich habe am Anfang etwas einfach vergessen, wo ich sonst eigentlich immer dran denke, und ich möchte das jetzt einfach nachzuholen: ich habe Frau Veil nicht gebeten, was zu sich zu sagen, sondern habe einfach gesagt, nun mal los; das ist mir gerade eingefallen, als ich mir überlegt habe, wie ich die Frau Maurus jetzt eintüten müßte; wenn Sie das jetzt bitte nachholen.

M. Veil

Also „eintüten" ist ja praktisch und fein. Ich bin Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Arbeit, Frauen und Soziale Sicherung. Ich habe mich auf Rentenfragen spezialisiert in einem Projekt, das von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde; durchgeführt an der Universität Frankfurt, Frauenforschung, zu den Auswirkungen des Rentenreformgesetzes 1992 auf Frauen. Und das ist zusammen, das Projekt, gelaufen mit Ute Gerhard und Karin Prinz und wir haben das Resümee so zusammengefaßt „Am modernen Frauenleben vorbei". Und haben das unter diesem Titel auch veröffentlicht, das heißt, daß diese teilzeitarbeitenden Frauen die Verliererinnen dieser Rentenreform sind. Dann war ich an der Fachhochschule Frankfurt, Fachbereich Sozialarbeit, als Vertretungsprofessur für 2 Jahre und arbeite jetzt weiter an diesem Thema hauptsächlich über Vorträge und bin derzeit Gastwissenschaftlerin am Institut für Sozialforschung und werde mich darum bemühen, eine Mischung zu machen zwischen Forschung und vor allem auch Vorträgen. Ich arbeite aber weiter an dem Thema und habe das gerade jetzt ausgedehnt auf den Vergleich zwischen Schweden, Frankreich, Deutschland.

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Sozialpolitischer Kommentar
von Hille Maurus, M. A. München


A. Braun

Danke sehr. Wir hatten es vor der Pause ja offen gelassen, wie wir weitermachen. Ich fand aber den Einstieg von Frau Veil so angelegt, daß man da sofort den spezifischen deutschen Kommentar dazu machen sollte: ich schlage vor, daß wir jetzt einfach Frau Maurus vortragen lassen und das dann gemeinsam diskutieren. Sonst verlieren wir uns möglicherweise in einem Wust von rein technischen Nachfragen und haben dann den Faden verloren.. Deshalb gebe ich jetzt ganz einfach an Sie weiter.

Hille Maurus

Ja, grüß’ Gott meine Damen und Herren; mein Name ist Hille Maurus, ich arbeite im Wahlkreisbüro von Ulrike Mascher; sie ist Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung im Deutschen Bundestag. Meine Schwerpunkte sind Sozialhilfe, was in einer Großstadt wie München ein wichtiger Bereich ist, und Rentenpolitik.

Frau Dr. Veil hat uns ja schon eine sehr gute Zusammenfassung der Probleme und einen guten historischen Überblick gegeben. Bei einer Reform der Alterssicherung stehen, abgesehen von der Finanzierung, diese Fragen im Vordergrund: Wie können wir das System sozial gerechter gestalten? Werden Frauen und Männer in ihren Lebensläufen gerecht behandelt? Wie verhindern wir Altersarmut? Das sind vielleicht die drei wichtigsten Fragen.

Ich möchte in meinem sozialpolitischen Kommentar dann auch das von der SPD-Fraktion beschlossene Konzept zur Alterssicherung vorstellen, weil hier ausdrücklich eine Änderung und eine Umschichtung im Rentensystem zugunsten der Frauen vorgeschlagen wird. Denn das heutige System orientiert sich zu sehr an einer männlichen Erwerbs- und Lebensbiographie und berücksichtigt unzureichend die Lebenssituation von Frauen. Vieles wiederholt sich jetzt gegenüber dem Referat von Frau Veil, aber ich glaube wir können es teilweise auch gar nicht oft genug hören.

Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu sichern, darf die Rentenversicherung eben nicht, wie es jetzt geschieht, durch Reform und Umbau schwächer und löchriger werden, sondern sie muß krisenfester und sicherer in individuellen Notlagen werden. Die Gesetzgebung mit dem eingebauten sozialen Ausgleich muß als gerecht empfunden werden und nur dies sichert die Zustimmung in der Bevölkerung und auch die Bereitschaft, sie zu finanzieren. Darum schadet in einer auf Lösungen bedachten Rentendiskussion, und darum geht es uns ja, auch nichts so sehr wie Polemiken, die alt gegen jung setzen: Stichwort „Ausplünderung"; also um jetzt persönlich zu werden, ich habe nicht das Gefühl, daß meine alte Mutter, die Rente bezieht, mich ausplündert. Oder Kinderlose gegen Kinderarme und Kinderreiche, allein die Worte sind schon furchtbar, und die dahinter anklingenden moralischen Zuschreibungen sind mir und auch dem größten Teil der Bevölkerung, davon gehe ich einfach aus, zutiefst zuwider.

Es ist immer Aufgabe der Sozialpolitik, und darum ist sie auch nicht statisch, daß das Sozialrecht den Veränderungen in der Gesellschaft angepaßt werden muß. Das macht sie natürlich angreifbar - wie bewertet man Veränderungen?- aber es eröffnet eben auch die Korrektur und ermöglicht Verbesserungen. Wir sind, glaube ich, einig, daß unsere Gesellschaft sich von dem Familienbild der 50er Jahre, Mann als Ernährer, Frau als Hausfrau und Mutter, endgültig verabschiedet hat. Trotzdem bleiben auch hier noch erhebliche Unterschiede bestehen. Ich komme zum Beispiel aus einer Großstadt mit 50 % Singles, in ländlichen Gebieten sieht es mit den Familienstrukturen zum Teil noch völlig anders aus. Es gibt auch heute noch junge Frauen und Männer, deren Wunsch es ist, daß die Frau in der Ehe zuhause bleibt. Aber die reale Ausprägung veränderter Lebensformen und eines veränderten Geschlechterverhältnisses sieht heute so aus: Frauen wollen qualifiziert erwerbstätig und unabhängig sein, es gibt eine stark ansteigende Zahl von Alleinerziehenden und es gibt einen sich verändernden Arbeitsmarkt mit sehr hoher Arbeitslosigkeit dementsprechend niedrigen Sozialversicherungsbeiträgen und darauf müssen wir mit unseren Reformen antworten.

Frau Dr. Veil hat die vielfältigen Benachteiligungen der Frauen im Rentenrecht hervorgehoben, ich möchte hier nur noch einmal eine erwähnen, weil diese Regelung in aller Deutlichkeit zeigt, wie geleistete Arbeit unterschiedlich bewertet wird. Wie ist es eigentlich möglich, daß ein Hinter-
bliebenenrecht noch immer Bestand hat, das dem überlebenden Alleinverdiener 100 % der Rente zuspricht, der überlebenden Ehefrau aber nur 60 %? Wohl doch nur, weil hier geleistete Familienarbeit mit weniger Wert bewertet wird, weniger anerkannt wird und das auch noch in einem Gesellschaftsbild, das die Familie als eines der höchsten Güter preist.

Die Grundprinzipien der heutigen Rentenversicherung sollen auch nach dem SPD-Konzept beibehalten werden: die Lohn- und Beitragsbezogenheit, das heißt, die Beiträge orientieren sich an der Lohnhöhe; die Rentenhöhe orientiert sich - vereinfacht - an den Beitragszahlungen; das Umlageverfahren, das heißt die heutigen Beitragszahler finanzieren die heutigen Renten; die Nettolohndynamik, das heißt die Renten steigen mit dem gleichen Prozentsatz wie die Nettolöhne; und vor allem der soziale Ausgleich, das heißt Übernahme von gesellschaftspolitisch notwendigen und erwünschten Leistungen wie zum Beispiel auch die Erwerbsunfähigkeitsrente.

Es geht also um eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. Das Rentensystem beruht auf einer erwerbsarbeitsbezogenen Konzeption, in die gesellschaftspolitisch für erforderlich gehaltene ausgleichende Elemente und armutsverhindernde Elemente integriert werden, die ich noch erläutern werde. Wir gehen davon aus, daß jede und jeder Einzelne ein ureigenes Interesse und Bedürfnis hat, für sich selbst eigenständig zu sorgen. Die Leistungsgerechtigkeit im Rentensystem muß erhalten bleiben, aber verbessert und durchschaubarer für die Einzelne, den Einzelnen werden.

Die SPD hat jetzt in dem Bericht ihrer Alterssicherungkommission zur Reform des Rentenrechts eine eigenständige Alterssicherung für Frauen, die es bisher nicht gibt, und im Zusammenhang damit eine Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung vorgelegt. Diese Neuordnung geht kostenneutral vonstatten bzw. es wird im Rentensystem von der Komponente Ehe auf die Komponente Kinder, bessere Anrechnung der Leistung in der Kindererziehung, umverteilt. Ein Zitat: „Der Unterhaltsanspruch im jetzigen Recht basiert auf der patriarchalischen Form des Sozialausgleichs. Was wir jetzt anstreben, eine Teilung der Sozialrechtsansprüche, hingegen orientiert sich an der demokratischen Form des Sozialausgleichs." Es ist klar, daß die eigenständige Alterssicherung der Frauen nur ein stützendes Teilelement in den Notwendigkeiten ist, um die Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft zu überwinden. Eigenständige Alterssicherung der Frauen, Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung. Das Konzept orientiert sich am Modell einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Es geht davon aus, daß die meisten Frauen heute eine Lebensplanung verfolgen, die Erwerbstätigkeit und Familie mit Kind/Kindern verbinden kann. Ziel ist zwischen Mann und Frau die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ein besserer Geschlechterausgleich.

Um die eigenständige Sicherung der Frauen, die volle Rentengleichheit bei Frauen und Männern zu erreichen, ist es nötig, neben der Reform im Rentenrecht den Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt und die Frauenerwerbstätigkeit zu stützen. Unter anderem mit folgenden Maßnahmen - die sind jetzt nicht im Rentenrecht zu verwirklichen, aber sie müssen immer mitgedacht und mit gleicher Dringlichkeit durchgesetzt werden: es sind verbesserte Kinderbetreuungseinrichtungen auch für ältere Kinder zu schaffen; wir brauchen Ganztagsschulen; die Väter müssen an der Erziehungs- und Familienarbeit einen viel größeren Teil als bisher übernehmen. Die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern bei gleicher Ausbildung und ihre vielfältigen gesellschaftlichen Auswirkungen wiederum auch auf die Altersversorung, auf die Frau Dr. Veil auch schon eingegangen ist, und die beseitigt werden müssen, möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich erwähnen.

Rentensplitting: die Kommission schlägt in ihrer Reform das Rentensplitting vor. Dies ist nichts neues, es wird heute schon bei Scheidungen im Versorgungsausgleich durchgeführt. Es soll so aussehen: beim Rentensplitting erhält jeder der Partner 50 % der gemeinsamen, während der Ehe erworbenen Rentenansprüche. Dazu kommen 100 % der eigenen Anwartschaften, die außerhalb der Ehe erworben wurden. Um eine unter Umständen mögliche Unterversorgung im Hinterbliebenenfall zu vermeiden kommt hierzu eine Teilhabe an der Rente des Partner von 10 bis
30 %, je nach Höhe der Rente, so daß insgesamt 60 bis 80 % der gemeinsam erwirtschafteten Rente der/dem Hinterbliebenen zur Verfügung stehen. Nicht verheiratete Paare, Lebensgemeinschaften können das Rentensplitting auf freiwilliger Basis auf Antrag auch in Anspruch nehmen. Diese Reform rechnet selbstverständlich mit langen Übergangszeiten, bzw. gilt nur für jetzt junge Paare, denn alle erworbenen Anwartschaften bzw. die Lebensplanung von älteren Ehepaaren sind ja auf einer anderen Basis begründet worden; darauf wird natürlich Rücksicht genommen, das wird mit einbezogen. Durch das Rentensplitting- und Teilhabemodell werden die Nachteile für Frauen beseitigt und die jetzige Bevorzugung von Männern im Hinterbliebenenfall abgeschafft. Es wird also umverteilt. Die Frau erwirbt einen eigenständigen Rentenanspruch und ist im Alter nicht mehr nur abhängig vom Mann. Ein Hinweis: Herr Blüm hat immer gesagt, damit lösen sie die Ehe auf. Katholische Frauenorganisationen in Bayern allerdings argumentieren gerade umgekehrt. Sie sehen zum Beispiel, daß viele junge Frauen keine Ehe mehr eingehen wollen, weil sie diese Abhängigkeit nicht wollen und die argumentieren nun so: Wenn in der Ehe eine eigenständige Alterssicherung für Frauen geschaffen wird, trägt das wieder zum Bestand der Ehe bei, und dem katholischen Glauben entsprechend haben wir hier also eine Unterstützung. So kommen Unterstützungen aus verschiedenen Ecken, wo man es manchmal gar nicht für möglich hält.

Die Kindererziehungszeiten sind eine bedeutende Komponente in der Rentenbiographie vieler Frauen. Die immer wieder von uns erhobene Forderung, daß Kindererziehungszeiten mit 100 % statt mit 75 % des Durchschnittslohns bewertet werden, ist jetzt Gesetz geworden - Frau Veil hat es schon gesagt. Ebenso wurde auch die additive Anrechnung von Beitragszeiten bei Kindererziehung und gleichzeitiger Erwerbsarbeit jetzt endlich erreicht. Es wird zwar jetzt langsam eingeführt, aber es wird eingeführt. Jede Frau bekommt also für jedes Kind mindestens 3 Jahre bzw. 6 Jahre bei gleichzeitiger Erwerbsarbeit vor 1992 ein Jahr bzw. zwei Jahre in ihrer Rentenversicherung angerechnet. Die SPD will aber darüber hinaus Versicherte mit Kindern noch wesentlich besser absichern, was auch unbedingt nötig ist, um die während der Kindererziehung entstehenden Lücken in der Rentenversicherung der Frauen zu verhindern.

Teilzeitarbeit wird besser abgesichert. Wichtig auch im Hinblick auf unseren, sich ändernden Arbeitsmarkt. Und zwar soll Teilzeitarbeit bis zum 10. Lebensjahr des Kindes in der Rentenversicherung mit 75 % des Durchschnittslohnes bewertet werden. Dies berücksichtigt, daß die Frau, eventuell auch der Mann, während der Erziehungsphase nicht voll berufstätig sein kann. Diese Regelung geschieht allerdings im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen und setzt insgesamt 35 rentenrechtlich anrechenbare Jahre voraus. Es könnte dann z.B. so aussehen: 3 Jahre Ausbildungszeit, 22 Jahre Erwerbsarbeit und 10 Jahre Erziehungsarbeit würden diese 35 Jahre erfüllen. Die durchschnittliche Arbeitszeit der Frauen liegt heute etwa bei 22 Jahren. Dies wertet eine lange Berufstätigkeit inklusive Fami-
lienarbeit auf - wie gesagt mit 75 % während der Erziehungsarbeit - verhindert aber auch mögliche Ungerechtigkeiten bei wenigen Arbeitsjahren. Die sogenannten Mitnahmeeffekte werden ja auch von vielen immer wieder dann bedacht und eingeklagt, das verhindert diese Regelung.

Der Vorwurf, der teilweise gemacht wird, dies dränge ja die Frauen aus anspruchsvoller Erwerbsarbeit, der teilweise auch bei dem Erziehungsgeld erhoben wurde, verkennt hier, daß die Frau ja erst einmal im Beruf steht, zweitens sich die Rente erhöht als große positive Errungenschaft, drittens Teilzeit aufgewertet wird im Sinne der Unterversorgung bei niedrigen Einkommen. Und die Frauen sollen natürlich nicht aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden, ganz im Gegenteil wird durch die Höherbewertung ein größerer Anreiz für sie geschaffen, ihren Arbeitsplatz zu halten und nicht auf geringfügige Beschäftigung, 610 Mark, auszuweichen. Im übrigen werden und können in einem demokratischen System keine Lebensmodelle und Verhaltensweisen vorgeschrieben werden.

Die Rente nach Mindesteinkommen, eben schon erwähnt, stockt nach langjähriger Erwerbstätigkeit - 35 Jahre - niedrige Renten auf und verhindert so Altersarmut. Im Wachstums- und Beschäftigungs-Förderungsgesetz von 1996 wurde diese Anhebung auf die Jahre bis 1991 begrenzt. Diese Begrenzung soll wieder aufgehoben werden. Von diesen Renten profitieren aufgrund ihrer spezifischen Berufe und ihrer geringen Lohnhöhe hauptsächlich Frauen.

Geringfügig Beschäftigte, sogenannte 610-Mark-Jobs. Um Armut im Alter zu verhindern sollen nach dem SPD-Konzept sofort jede Form von Beschäftigung versicherungspflichtig werden. Auch die geringfügig Beschäftigten und die sogenannten Schein-Selbständigen werden mit in die Rentenversicherung einbezogen. Um dies auch für unsere nichtdeutschen Referentinnen und Referenten zu erläutern, bei denen es derartige Konstruktionen steuerrechtlich zum Teil überhaupt nicht gibt: geringfügig Beschäftigte sind Personen, die höchstens 610 Mark verdienen dürfen, sie sind nicht steuerpflichtig und zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge. Es sind zum größten Teil Frauen, circa 4 Millionen - Frau Veil sagte es schon, sie sind zum Teil über ihre Familienversicherung abgesichert, aber natürlich nicht alle. Daß eine bloße Versicherung von 610-Mark-Jobs keinen ausreichenden Rentenanspruch begründet, wissen wir alle. Aber es sind ja teilweise auch nur wenige Jahre, in denen so gearbeitet wird, und zusammen mit anderen Ansprüchen aus Vollzeitarbeit, Erziehungsarbeit usw. summiert es sich eben doch auf eine vernünftige Rente. Geringfügige Beschäftigung ist nicht verteilungsneutral, sie entlastet die Arbeitgeber und erhöht die Lohnnebenkosten für die versicherungspflichtig Beschäftigten. Vor allem aber entstehen hier eben auch weitere Lücken in der Rentenversicherung, besonders bei den Frauen.

Jetzt ein großes Thema: die bedarfsabhängige soziale Grundsicherung im Alter und bei Invalidität. Lebenslange Vollerwerbstätigkeit, von der lange Zeit für die Rentenversicherung ausgegangen wurde, wird in der Zukunft nicht mehr das einzig mögliche Rechenmodell sein. Wie schon fast immer für die Frauen wird dies auch verstärkt auf Männer zutreffen. Durch Teilzeitarbeit, Arbeitslosigkeit, Familienarbeit wird es zu teilweise nicht mehr ausreichenden Alterseinkommen kommen. Darum müssen Maßnahmen der Mindestsicherung eingeführt werden. Um Altersarmut, die heute noch hauptsächlich Frauen trifft, wirksam zu vermeiden, will die SPD eine bedarfsabhängige soziale Grundsicherung in der Rentenversicherung einführen. Diese bedarfsabhängige Grundsicherung ist steuerfinanziert und stockt zu niedrige Renten auf, wenn neben der Rente keine anderen Einkünfte, Sparvermögen usw. vorhanden sind. Im Gegensatz zur Sozialhilfe werden Verwandte und Kinder nicht herangezogen. Die bedarfsabhängige Grundsicherung ist keine steuerfinanzierte Grundrente für alle, sie baut auf der Eigenvorsorge auf und füllt gezielt individuelle Lücken auf. Um auch eine Zahl zur Finanzierung zu nennen, zur Zeit würde diese bedarfsabhängige Grundsicherung etwa 1,6 Milliarden pro Jahr zusätzlich kosten; die Sozialhilfe würde dafür entlastet.

Ausbildungszeiten: die Anrechnung der Ausbildungszeiten, die im letzten Jahr drastisch gekürzt wurden, hat bei vielen Frauen erhebliche Einbußen in der Rentenversicherung entstehen lassen, gerade auch bei denen, die sich zum Beispiel über den zweiten Bildungsweg auch in langen Jahren mühsam ihre Ausbildung erworben haben - teilweise gibt es eine Einbuße bei der Rente von zirca 200 Mark nach jetzigem Recht - soll wieder auf 7 Jahre angehoben werden.. Ebenso gibt es für die ersten 4 Berufsjahre wieder die Höherbewertung der niedrigen Einkommen. Dies soll für alle gelten, die bis zu 45 Entgeltpunkte in der Rentenversicherung erworben haben (das entspricht 45 Versicherungsjahren mit Durchschnittsverdienst); darüber hinaus ist ein sozialer Ausgleich nicht mehr erforderlich.

Die versicherungsfremden Leistungen sind immer ein sehr großes Thema. Die versicherungsfremden Leistungen sollen bei unserer Strukturreform als Kosten der deutschen Einheit aus Bundesmitteln gedeckt werden; da drin sind die Auffüllbeträge der Rente in den neuen Bundesländern, Entschädigung von Opfern des SED-Unrechtsregimes und die Renten für Aussiedler, sie sollen aus Bundeszuschüssen gezahlt werden. Weil sie von der Gesamtheit der Bevölkerung getragen werden sollen und nicht von der Rentenversicherung alleine, wo sie nicht hingehören. Diese 14 Milliarden jährlich würden den Beitrag zur Rentenversicherung um 1 % senken. Für die Kosten der Kindererziehung in der Rentenversicherung, die vielfach als versicherungsfremd bewertet werden in der Diskussion, aber die wir als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen, soll der Bund Beiträge an die Rentenversicherung während der Kindererziehung zahlen.

Die Senkung des Renteniveaus, wie jetzt von der Koalition beschlossen, wird von der SPD abgelehnt, da es im heutigen System viele Rentnerinnen und Rentner in die Nähe der Sozialhilfe bringt. Mit dem Argument der demographischen Entwicklung, die Menschen leben länger, wird diese Senkung begründet. Dieses Argument ließe sich aber sinnvoller dazu benützen, das Rentenzugangsalter leicht zu erhöhen: das jetzige, tatsächliche Renteneintrittsalter liegt im Durchschnitt bei knapp 60 Jahren. Durch Verbesserungen im Arbeitsschutz und bessere Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz kann die hohe Zahl der Erwerbsunfähigen und Frühverrentungen gesenkt werden und dies dient nicht nur der Kasse der Rentenversicherung, sondern entläßt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schließlich gesund in ihren Ruhestand.

Dies waren einige Hauptpunkte zur aktuellen Reform. In der langfristigen Planung wird eine Mindestversicherungspflicht für alle Frauen und Männer geplant, diskutiert auch unter dem Begriff „eigenständiges System". Dies entspricht voll unserem Solidargedanken. Alle Frauen und Männer sind beitragspflichtig und zahlen in dieses System ein, alle Erwerbstätigen, alle Selbständigen und auch alle nicht erwerbstätigen Erwachsenen. Diese Mindestbeiträge, zusammen mit der bestehenden einkommensabhängigen Alterssicherung führen dann für Frauen wie für Männer zu einem ausreichenden Alterseinkommen. Dies vermeidet einerseits Altersarmut, andererseits beseitigt es falsche Anreize auf dem Arbeitsmarkt mit den heute geltenden unterschiedlichen Sozialversicherungspflichten. Ich erwähnte schon die Forderung von Einbeziehung von 610-Mark-Jobs und Scheinselbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. Die Mindestversicherungspflicht für alle beseitigt zudem Ungerechtigkeiten im heutigen System: z.B. daß Hausfrauen, die nicht erwerbstätig sind, nicht Kinder erziehen oder/und Angehörige pflegen, ohne Beiträge zu zahlen, Hinterbliebenenversorgung erhalten. Dies im Vergleich zu Ledigen und Alleinerziehenden, die allein ihre Beiträge aufbringen und zudem noch durch das Steuerrecht sehr viel schlechter gestellt sind. Aber gut, da wären wir natürlich schon beim nächsten Thema, an das wir ranmüssen. Eine beitragsfinanzierte Mindestsicherung für alle ist unabhängig von aktueller Finanz- und Steuerpolitik. Um unser Alterssicherungssystem dauerhaft zu festigen, egal für welches System wir uns entscheiden, muß im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren und den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu beenden. Mit dieser Strukturreform werden wir, wie wir hoffen, einen großen Schritt vorwärts machen, um die Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Rentensystem zu beseitigen zugunsten der Frauen.

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[anschließende Diskussion]

A. Braun

Frau Marus, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Ich nehme an, daß bei dem Thema beitragsfinanzierte Mindestsicherung für alle der Frau Lieberherr da einiges bekannt vorkommt, und daß bei der Frage eines bedarfs-orienten Aufstockens von Renten die Österreicher sich erinnern, daß sie das schon eine ganze Weile haben, ohne daß die jeweils prophezeiten Zusammenbrüche des ganzen Systems eingetreten sind.

Wir können jetzt in der Diskussion so verfahren, daß möglichst jemand das Mikrofon zu dem hinträgt, der da gerade das Wort wünscht, damit alle mitbekommen, was gesagt wird. Das sieht dann zwar ein bißchen zappelig aus, aber es hat sich eigentlich bewährt, das so zu machen. Das nutzen wir dann auch für die Mitschrift von dieser Tagung, die wir dann im Laufe des nächsten Jahres wieder herausgeben werden; es geht dann nicht so viel verloren. Also wir machen jetzt eine verbundene Diskussion beider Beiträge. Wenn Sie bitte auch immer ihren Namen nennen, bevor Sie etwas sagen, damit wir das dann verfolgen können. Wer wünscht das Wort?

Ida Hoffmann

Ich heiße Hoffmann, ich bin von Beruf Lehrerin in Hauswirtschaft und mit „Orientierung in Berufsfelder" konfrontiert. Also ich war jetzt gerade bei der IHK wegen meiner Hauptschülerinnen. Wir in Heilbronn haben eine Aktion „Frau und Beruf", gefördert von Herrn Döring, dem Wirtschaftsminister. Da war ich bei so einer Debatte dabei: da saß die Schwäbisch Haller, da saß die AOK, da saß sogar eine Firma, die sehr viel mit Computern zu tun hat, die alle sehr viele Frauen beschäftigen. Sie haben ihre Förderprogramme vorgelegt, die halte ich alle für wunderbar und finde es sehr gut, daß die Frauen das machen. Also bisher war es immer wahr, daß die Männer besser verdienen als Frauen, aber in diesen Branchen verdienen sie ebensogut. Jetzt kommt das Problem: die 610-Mark-Jobs betreffen alle meine Hauptschülerinnen. Weil ich behaupte, bei einem niedrigen Bildungsniveau ist es halt so: die Mädchen mit Hauptschulabschluß werden nie oder selten einen Beruf wählen können, der ebensogut bezahlt ist, vom gleichwertigen Bildungsabschluß her, wie Jungen. Wenn man die 10 beliebtesten Mädchenberufe anguckt, dann sind es Bäckerei, Einzelhandelskauffrau und die sind auch alle zerlegt worden in diese Minijobs. Während man „oben" immer behauptet, es geht nicht, diese Arbeitsplätze zu zerlegen. Das machen aber gerade Firmen, die jetzt schon viele Frauen beschäftigen wie die Schwäbisch Haller. Die haben 50 % Frauen unter ihren Beschäftigten, die können plötzlich Teilzeit arbeiten, die organisieren das ganz anders. Die arbeiten mit flachen Hierarchien, da gibt es nicht einen Chef, der unentbehrlich ist, und die haben jetzt Teilzeitmodelle entwickelt mit Jahresarbeitskonten oder Halbjahreskonten. Die Überstunden haben sie abgebaut, indem - das ist ein gewisser Nachteil - sie jetzt auch abends arbeiten können. Und - das kann man als nachteilig empfinden, aber die können zum Teil zuhause arbeiten. Und weil die Lohn - Ungleichheit da ist, kann ich ja - wenn die Erziehungszeit anfällt - nicht sagen, ich möchte zuhause bleiben, wenn ich als Mann mehr verdiene als Du, aber ich möchte gern mein Kind erziehen; wir verzichten auf sehr viel Geld und das geht einfach nicht.

Wenn die Löhne gleicher wären, als es heute der Fall ist, dann würden auch heute schon Männer zuhause bleiben. Da möchte ich ein Wort für die Männer einlegen: das liegt nur am Geld. Also bei einer der letzten Veranstaltungen war eine Dame dabei, die hat drei Kinder, sie hat nicht studiert, verdient aber besser als ihr Mann, jetzt ist sie im Erziehungsurlaub und stellt sich jetzt die Frage, wie geht es weiter? Ihr Mann hat studiert, hat ein schlechteres Gehalt, sie ist in der Telekommunikation, also irgendwie in so einer Richtung, auf jeden Fall ist sie besser gestellt. Und die macht jetzt nichts als Werbefeldzüge zur Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in den Kirchen und versucht sich durchzusetzen.

Hilde Schmidt-Nebgen

Mein Name ist Hilde Schmidt-Nebgen. Ich habe eine Frage an Frau Dr. Veil. Sie haben gesagt, Kern des Generationenvertrages sind die Kindererziehungszeiten. Dem kann ich nicht ganz folgen, denn sonst müßte in den Dritte Welt-Ländern, wo sehr viele Kinder da sind, ja das alles in Ordnung sein. Würden Sie plädieren für eine Grundrente überhaupt ohne Anbindung an Arbeitsleistungen? Dann wäre meine Frage, wer soll das finanzieren? Und Sie sagen, die Frauen sind diskriminiert, wenn das nicht angeglichen wird. Ich glaube, „die Frauen" kann man gar nicht sagen, denn es gibt genauso viele Frauen, die sehr viel arbeiten und sich schon auch ärgern, wenn andere die gleichen Leistungen bekommen würden wie sie, obwohl sie nicht arbeiten.

Christopher Prinz

Ich habe eine Frage an Frau Veil hinsichtlich der Ausbildungszeiten, wobei Sie das ganz ähnhich gesehen haben. Wir haben in Österreich eine ähnliche Situation, Ausbildungszeiten wurden gekürzt und es wurde mehr und mehr so, daß wir, damit Ausbildungszeiten anerkannt werden, nachträglich Beiträge zu leisten haben. Und ich bin eigentlich von unserer Sicht sehr froh, daß hier etwas geschehen ist, weil alle Untersuchungen, die wir gemacht haben, gezeigt haben, daß die Ausbildungszeiten eine massive Bevorteilung der Besserverdienenden darstellen. In Österreich ist es jedenfalls so, daß die Ausbildungszeiten praktisch einkommensunabhängig angerechnet werden; das heißt, jemand der ein hohes Einkommen hat, dem wird quasi auf seine Pension wesentlich mehr angerechnet für seine Ausbildungszeiten, als jemand der eine schlechte Karriere gemacht hat. Zu meiner Frage: wie sehen Sie die Verlängerung der Ausbildungszeiten auf wieder 7 Jahre im Kontext der Probleme von niedriger verdienenden Personen?

A. Braun

Der erste Beitrag von Frau Hoffmann war eigentlich nicht eine Frage sondern eine Ergänzung. Wollen Sie auf Frau Schmidt-Nebgen eingehen, ich glaube da war ein Mißverständnis in der Generationenvertragsfrage.

M.Veil

Ja, ich habe das nicht ganz allgemein gemeint, sondern bin auf die Grundlagen der Sozialpolitik beziehungsweise der Alterssicherung in den 50er Jahren zurückgegangen. Und da wurde immer gesagt oder es wird auch heute noch gesagt, daß diese gesetzliche Rentenversicherung auf dem Generationenvertrag beruhe. Das hängt auch mit der Finanzierung im Umlageverfahren zusammen. Das heißt also, daß die aktive Bevölkerung mit ihren Beitragszahlungen die Renten der Rentner absichert. Und zwar permanent durch dieses Umlageverfahren. Und dann ist die Kritik gekommen von dem Herrn Borchert, der gesagt hat, also wir müssen aus diesem Zweigenerationenvertrag einen Dreigenerationenvertrag machen, das heißt, daß die mittlere Generation durch die Beitragszahlungen die Renten sichert und durch die Kindererziehung.

A. Braun

Sie sagten „Kinderaufzucht".

M. Veil

Das hat der Herr Nell- Breuning auch gesagt, also Kinderaufzucht, und dann gab es auch noch Normen wieviel Kinder man da aufziehen muß, um diesen Generationenvertrag zu erfüllen. Ich denke, das ist damals so schön gesagt worden, aber nicht praktiziert worden. Weil, wenn man sagt, die Rentenversicherung beruht auf dem Generationenvertrag, hätte sich das für Frauen materiell auswirken müssen. Es ist aber in der Tat so, daß je mehr Kinder Frauen haben, desto niedriger sind ihre Renten. Also hat sich der Generationenvertrag materiell für Frauen nicht positiv ausgewirkt. Und das, was ich dann so im Nebensatz gesagt habe, ist, daß meiner Meinung nach die Sachlage, wie Kindererziehungszeiten im Rentenrecht ausgestaltet sind, das ist der einzige Beitrag oder der materielle Inhalt des Generationenvertrages. Das ist mein Prüfstein. Ich habe das bezogen auf das Rentenrecht gesagt und nicht jetzt allgemein, was man unter Generationenvertrag verstehen könnte oder wie man den sehen könnte, und bezog das nur auf das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Aber Sie wollen dazu noch was sagen?

H.Schmidt-Nebgen

Aufklärung von einem Mißverständnis: wenn ich viele Kinder habe, sollte das berücksichtigt werden. Aber dieser Generationenvertrag konnte doch nur wirken, wenn die Kinder auch Arbeit hatten; also daß nicht die Kinderzahl der Kernpunkt ist, sondern ob diese Kinder auch Arbeit haben. Und solange die Rente an den Arbeitsplatz gekoppelt ist oder an die Abgaben und nicht an das Produkt, das in der Firma entsteht - früher 4000 Arbeitsplätze später 400 - kann die Kinderzahl ja alleine das nicht ausmachen. Und sonst würde ja das Rentensystem nach und nach ganz ausgehebelt.

M. Veil

Ich habe zum Generationenvertrag was gesagt aus der Sicht der Rentenversicherung, weil die Sache mit der Kinderzahl - ich bin auch gegen gestaffelte Beiträge usw. - weil die Kinderzahl nicht entscheidend ist für die Finanzierung der Renten. Das ist ein Nebelwerfen und die Erziehung der Kinder ist eine ganz langfristige Sache. Das Entscheidende für das jetzige System der Rentenversicherung ist die Frage der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und nichts anderes. Das ist meine Meinung. Ich meine nur, wenn man schon vom Generationenvertrag spricht, materialisiert er sich in der Frage, wie sich die Kindererziehungszeiten auswirken. In der Frage der Grundsicherung, meine Meinung ist: steuerfinanziert; und auf keinen Fall ist es in der Bundesrepublik möglich oder in Deutschland möglich, eine Alterssicherung einzuführen, die unabhängig von der Erwerbsarbeit ist.

Schon aus der Tradition würde das hier nie Konsens. Ich finde das auch persönlich nicht erstrebenswert. Aber ich finde, daß ein duales System möglich ist: als Sockel eine steuerfinanzierte Grundsicherung und darauf aufbauend - modifiziert allerdings - eine Rente, die irgendwie auch Erwerbsverläufe widerspiegelt. Aber das müßte sich widerspiegeln als eine andere Definition von Erwerbsarbeit. Da kommt das mit den 610-Mark-Jobs und da kommt das mit der Teilzeitarbeit rein, wo man also diskutieren kann, wie der SPD-Vorschlag aussieht. Also eine andere Definition von Erwerbsarbeit.

Und dann das letzte: Gerechtigkeit für alle gibts nicht. Der Sozialstaat kann das nie erreichen; das sind mehr so Sachen, die im Wahlkampf gesagt werden. Und wir alle akzeptieren doch Ungerechtigkeiten, wir akzeptieren zum Beispiel alle, daß es unterschiedliche Gehälter gibt, ja, wir sagen zwar nicht immer, das ist gerecht, wie das Lohnsystem ist, aber wir akzeptieren, daß wir nicht alle einen Einheitslohn haben und Aufgabe des Sozialstaats ist nicht Gerechtigkeit für alle. Meiner Meinung nach ist Aufgabe des Sozialstaats, gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen und diese Ungleichheiten möglichst in einem gewissen Rahmen zu halten. Aber die Illusion „alle gleich" ist mehr ein Slogan, sagen wir mal so.

Schließlich die Ausbildungszeiten sind natürlich ein Privileg, genauso wie fiktive Erwerbsjahre ein Privileg sind und die Rentenerhöhung, das wird aber pauschal gewährt. Also das ist nicht so, daß die Ausbildungszeiten von Akademikern einen höheren Wert ergeben, als die Ausbildungszeiten von Fachhochschülern.

A. Braun

Aber natürlich, bei der Gesamtbewertung!

M.Veil

Ja, bei der Gesamtleistungsbewertung ist das so, also darüber könnte man meiner Meinung nach diskutieren, ob man das nicht als Pauschale macht wie bei den Kindererziehungszeiten, das ist ja auch eine Pauschale, abhängig vom Einkommen usw., aber daß eine höhere Ausbildung einen höheren Rentenanspruch gibt, dagegen habe ich nichts, nur muß man da fragen, in was für einem Rahmen. Und diese 14 Jahre, wie schon gesagt, sind meiner Meinung nach zuviel, mit den 7 Jahren könnte ich leben.

A. Braun

Ich glaube wir brauchen noch einen Kommentar zu Frau Schmidt-Nebgens Anmerkung zu den Frauen, die gearbeitet haben und auch nicht viel kriegen, und den Frauen, die nicht gearbeitet haben, die jetzt was kriegen sollen. Das war glaube ich ein Punkt bei Ihnen, Frau Maurus.

H. Maurus

Ja gut, bei dem System, wie es jetzt noch nicht vorgeschlagen wird, das „voll eigenständige System", bei Versicherungspflicht für alle, würde das aufgefangen werden, daß eben auch der erwerbstätige Ehemann für seine nichterwerbstätige Ehefrau mit einbezahlt. Es gibt da schon genaue Vorschläge darüber, wie das jeweils abgefedert werden könnte, wenn das Einkommen gering ist oder wenn Kinder erzogen werden. Also wenn Kinder erzogen werden, würde das über eine Kinderkasse abgedeckt, bei Arbeitslosigkeit über das Arbeitsamt, auch eine Staffelung nach Einkommen ist angedacht. Also das ist schon durchgedacht, wie es möglich gemacht werden kann. Es ist natürlich abhängig vom Arbeitsmarkt, denn wenn wir sagen, wir möchten, daß alle erwerbstätig sind, was es ja irgendwo mit einschließen würde, müssen wir natürlich sehen, daß im Moment der Arbeitsmarkt das nicht hergibt, aber gut da wird auch wieder eine Entwicklung auf dem Markt eintreten. Damit wäre dann diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Noch ein Wort zur Maschinensteuer, das wird jetzt unter dem Begriff der Wertschöpfungsabgabe schon immer weiter diskutiert, auch bei den Gewerkschaften und auch in der SPD; es gibt auch Konzepte dazu, aber beschlossen in dem Sinne ist noch nichts.

Zu Ihrer Frage Herr Prinz, zur Teilhaberente: es kann sein, daß beim Splitting 50 % der gemeinsam erworbenen Ansprüche in der Ehe wenn zum Beispiel ein Partner, eine Partnerin außerhalb der Ehe nicht gearbeitet hätte, hätte sie nur 50 % der Rente oder er. Das wäre also weniger als nach dem heutigen System 60 % und bei einer niedrigen Rente würde das nicht ausreichen als Lebensunterhalt. Und darum hat man gesagt, bei niedrigen Renten werden von der gemeinsam erwirtschafteten Rente im Hinterbliebenenfall 10 bis 30 % dazugeschlagen, um diese Rente aufzustocken, damit sie den Lebensunterhalt sichern kann.

A. Braun

Aber je höher sie ist, desto geringer wird die Aufstockung.

H. Maurus

Je höher sie ist desto geringer, also im niedrigsten Fall 60 % im höchsten Fall 80 % der gemeinsam erwirtschafteten Rente, dazu immer noch die Rente, auf die Ansprüche außerhalb der Ehe erworben wurden..

Aufstockung der Teilzeitarbeit während der Erziehungsarbeit 10 Jahre nach der Geburt des Kindes auf 75 % des Durchschnittslohnes. Das würde in der Tat bedeuten, daß eine Frau, die nach diesen 10 Jahren weiter in einer Teilzeitarbeit, sagen wir mal mit 1500 Mark im Monat, ist, dafür natürlich nur entsprechend ihres Einkommens Rentenansprüche hätte. Aber diese 10 Jahre, die sind bewußt aufgestockt und das sollen sie auch sein.

Dann noch eine Begriffsklärung: bis 1991 wurde im Rentenrecht nach 35 versicherungsrechtlichen Jahren eine niedrige Rente aufgestockt. Das ist begrenzt worden auf Zeiten bis 1991, wir wollen diese Aufstockung bei niedrigen Renten und nach 35 Beitragsjahren allerdings fortführen, um gerade Altersarmut bei niedrigem Einkommen zu verhindern.

A. Braun

Also diese Aufstockung, wenn ich mir den Kommentar erlauben darf, ist ja entstanden Ende der 60er Jahre als nämlich große Scharen von Männern mit unzureichenden Arbeits-/Erwerbseinkommen/ Lebenserwerbseinkommen in die Rente kamen und die Ergebnisse nicht befriedigend waren. Da hat man gesagt, das berühmte Beispiel war also immer der Korbmacher in Oberfranken oder der Steinhauer in der Eifel, die haben lebenslang schwer gearbeitet, hart gearbeitet, und sie können ja nichts dafür, daß sie in Branchen geschafft haben, wo man wenig verdient. Wenn sie also lange genug sozusagen sich geplagt haben, dann tun wir so, als hätten sie immer diese 75 % erreicht. Und dann gab es einen kritischen Punkt: in den 70ern hieß es dann plötzlich, ja aber, wie können wir denn nun den schwerarbeitenden, also sozusagen sich voll verausgabenden Steinhauer, der wenig verdient, von dieser hinterlistigen Teilzeitarbeitfrau unterscheiden, die bewußt nur einen halben Arbeitsplatz hat und dann auch aufgestockt werden will, und siehe da, damit war es zu Ende mit der Anrechnung. Und das ist eigentlich der Grund, warum diese Lösung, die für eine ganz spezielle Männergruppe mal erfunden wurde, dann gleich ihre Schwierigkeiten bekam. Als ihren Rahmenbedingungen zu viele Frauen entsprachen, hat man das schnell wieder gelassen und seitdem plagen wir uns damit herum, das immer wieder aus der Kiste zu holen, um zu sagen, jetzt solls aber doch weiter gelten.

I. Hoffmann

Also falls Sie meinen, ich möchte jetzt überall gleiche Löhne, dann haben Sie das falsch verstanden. Aber ich möchte nicht verschwiegen haben, daß speziell die Frauen in den unteren Lohngruppen sind. Ich kenne keine genauen Statistiken, die haben aber weniger Chancen mit dem gängigen Bildungsabschluß den gleichen Lohn zu bekommen. Warum werden die Branchen so unterschiedlich bezahlt? Das sehe ich nicht ein. Das ist eine Sache der Tarifpartner und das ist die Manövriermasse, mit der wir Frauen auch noch spielen, die in besseren Berufen sind. Denn die sitzen an der Kasse und das sind die Frauen, die nachher ihre Kinder in der Schule haben; da gibt es keine Kernzeitenbetreuung, da hat das Kind dann morgens in der Schule zwei Stunden und die Mutter sitzt an der Kasse und das Kind sitzt auf der Straße. Und für diese Frauen setze ich mich ein. Denn die oberen kommen alleine zurecht.

M.Veil

Der Gerechtigkeitsbegriff - also was ist Gerechtigkeit?- wird ja neu diskutiert und dabei geht es auch um die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Die Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, die ist stark unterentwickelt und das ist das, was man unter dem Begriff Geschlechterdemokratie usw. jetzt diskutiert, also das heißt, bei der Ressourcenverteilung über den Sozialstaat muß viel stärker betrachtet werden, ist das gerecht in der Verteilung zwischen Männern und Frauen? Und da gehört die Bewertung der Frauenarbeit dazu. Jetzt nicht nur als Erwerbstätige, aber auch als Erwerbstätige mit den speziellen Niedriglöhnen, und eben auch mit ihrer Familienarbeit dabei.

A. Braun

Die Frau Hoffmann sagt natürlich zu Recht, die Lohnhöhen sind eine Frage, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden und Eingruppierungsmerkmale und all das. Also im Grunde stammen die Differenzierungen im großen und ganzen aus Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Es gibt einen einzigen Fall in der Geschichte der glorreichen IG Metall, Bezirk Stuttgart: nämlich in den Tarifverhandlungen 83/84, da haben sie eine Aufstockung der unteren Lohngruppen vorgeschlagen. Also wirklich, die oberen kriegen nichts dazu, aber die unteren kriegen was. Und da hat der Arbeitgeberverband in der Verhandlung eine Grafik vorgelegt über die Verteilung der Einkommen in den unteren Lohngruppen, was das für Leute sind. Und da stellte sich dann also am Ende heraus, mehr als die Hälfte „verdienen zum Familieneinkommen nur hinzu", so wörtlich; dann waren da nochmal so 20 % familienpolitische Blindgänger dabei, die haben keine Kinder, also müssen nur für einen Ehepartner sorgen oder sie müssen nur für ein Kind sorgen, das war die dritte Gruppe, und dann blieben 6 % übrig, wo also diese Beschäftigten in den unteren Lohngruppen für Frau und Kinder sorgen müssen und dann wurde gesagt, also für die 6 % machen wir doch keine besondere Regelung. Das ist genau dieses Argumentationsmuster, wonach das Ernährerargument für Frauen nicht gelten darf. Immer dann, wenn gesagt wird, der Ernährerlohn, der muß auskömmlich sein für eine Familie, dann wird natürlich sofort auch festgehalten, das ist ja gar keine Familie, also muß der Lohn nicht auskömmlich sein, also können wir da so weit runter, wie es geht. Damals lag es ganz sicher daran, daß da zwei Parteien am Tisch saßen, wo die eine dieses Argument einfach vom Tisch wischen konnte.

Edith Udhardt

Meine Name ist Udhardt, ich komme aus Berlin. Ich habe mal eine Frage, weil sie auch aus Österreich hier sind: Sagen Sie bitte, wie ist denn die Entwicklung überhaupt und die vom Sozialhilfesatz und der Grundsicherung, die man eventuell anstrebt, das ist doch in der Europäischen Union auch unterschiedlich. Wie will man denn da hinkommen, um da eine Gleichheit zu schaffen? Da müssen doch wirtschaftliche Voraussetzungen erstmal gegeben werden und die Europäische Union hat 17,4 Millionen Arbeitslose und das muß zuerst mal weg sonst können wir auch gar nicht über solche Rentenreformen reden, die wohl anstehen, aber die gegenwärtig, glaube ich, gar nicht durchsetzbar sind.

Lotte Ruggaber

Ich heiße Lotte Ruggaber, komme aus Stuttgart und bin Rentnerin. Ich möchte eine ganz andere Frage jetzt mal ansprechen, denn ich erlebe in meinem Bekanntenkreis zur Zeit öfters, daß Frauen Mittelalter, Spätmittelalter, ihre Arbeit aufgeben, aufgeben müssen, weil sie Eltern oder Schwiegereltern pflegen. Sie verzichten also bewußt auf ihr Einkommen und damit auch auf ihre Rentenversicherung. Ich sehe da eine gewisse Parallele zu Kindererziehungszeiten und frage mich, ob da eine Regelung angedacht ist, ob da irgendwelche Überlegungen überhaupt stattfinden. Denn mit der demographischen Entwicklung wird dieser Fall ja immer öfters eintreten, man spricht ja schon von der Sandwich-Generation, die also für die Kinder und für die anderen, die Älteren, sorgen muß. Vielleicht ist sie etwas abwegig, diese Überlegung, aber ich nehme an, sie wird auf uns zukommen.

Alis Hoppenrath

Ich heiße Hoppenrath und komme aus Rheinland-Pfalz.Das worüber ich jetzt gerne reden würde ist, Arbeit bzw. Erwerbsarbeit. Es gibt ja Leute, die unter dem Stichwort Globalisierung, Multimedia und anderen Wörtern auch Innovation, wie ja die SPD das jetzt ganz aktuell gesagt hat, voraussagen, daß sich die Arbeitsbedingungen sehr stark ändern werden und daß wir uns von dieser Vorstellung von Arbeitsplätzen, die wir bis jetzt hatten, verabschieden müßten. Die Schätzungen, die ich jetzt gelesen habe, lauten, daß in Zukunft lediglich ungefähr 30 % aller Arbeitsplätze so aussehen werden, wie die heutigen, bei denen Versicherungsverläufe von 45 Jahren und ähnliches möglich sind.

Bei einer Diskussion zwischen Alten und Jungen, bei der es auch um die Renten ging und um zukünftige Rentenmodelle, da haben die jungen Leute, die da auch so ein Kapitaldeckungsmodell vertreten haben, immer wieder darauf hingewiesen, daß es in Zukunft ganz andere Erwerbsverläufe geben wird, und sie haben nicht von Frauen gesprochen sondern von Jungen, Männern natürlich, die über Multimedia oder sonstwo sich selbständig machen und dann sehen, wo sie ihre Aufträge herbekommen. Die gehen davon aus, daß es sehr viele Menschen gibt, die auch Rentenbiographien mit großen Lücken haben, so wie wir Frauen. Also in der Diskussion haben sich zwar viele Frauen zu Wort gemeldet, aber das Thema war dann, daß die jungen Männer auch solche Rentenverläufe haben werden. Also denke ich, daß da sehr viele Leute von einer Richtung, doch sehr drängen werden, daß sich da etwas tut, was allen eine Rente oder eine Alterssicherung, ist ja jetzt besser zu sagen, garantiert. Auf der einen Seite, auf der anderen Seite denke ich mir, wie man dann mit 35 Versicherungsjahren bei so etwas zurechtkommt, das, bin ich mir nicht so sicher, ob das dann nicht auch noch nötig ist, da hinunter zu gehen.

Während wir hier gesprochen haben ist mir dann noch der Gedanke gekommen, daß das SPD-Modell, das wir vorgestellt bekommen haben, dann auch voraussetzt, daß wirklich alle in die Rentenversicherung einzahlen, das heißt, es müßte eine einzige Organisation geben. Und ist darüber schon nachgedacht worden, wie das bewerkstelligt werden kann? Also das ist jetzt für mich ein Punkt, der mich auch interessieren würde.

Hannelore Jani

Ich hätte nur ganz kurz etwas zu der vorangehenden Sprecherin gesagt bezüglich der pflegenden Angehörigen. Aus meiner Forschungsarbeit auf diesem Gebiet möchte ich sagen, daß erstens eine massive Zunahme von pflegenden Angehörigen gar nicht möglich ist, weil ohnehin bereits 80 % der Pflegebedürftigen von der Familie getragen werden. Es kann die Dauer der Pflegezeit möglicherweise länger werden, weil die Lebenserwartung immer länger wird. Und der zweite Punkt ist - da geht es auch um eine Art Mythos, der immer noch kursiert - daß die pflegenden Angehörigen aufgrund des hohes Alters der Pflegebedürftigen meist selbst nicht mehr im Arbeitsprozeß stehen, das heißt, selbst Rentner sind. Das mittlere Alter der Pflegenden, das durchschnittliche Alter der pflegenden Angehörigen in Europa liegt kaum irgendwo unter 60 Jahren. Und wir wissen - auch wenn die Rentenaustrittsjahr gesetzlich wie in Frankreich zum Beispiel frühestens 60 ist - daß sie tatsächlich aber durch die ganzen anderen Möglichkeiten, aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden, ja viel früher aufhören. Also das muß man, glaube ich, sehr vorsichtig analysieren

Irmgard Ziekursch

Eine kurze Frage an Frau Dr. Veil. Sie sprachen bei der Arbeitsmarktentwicklung über die besseren Ausbildungsmöglichkeiten; und da meine ich, daß wir doch besorgt sein sollten, noch einen höheren Anreiz zu schaffen, um überhaupt das Potential mehr auszuschöpfen. Vielleicht könnten Sie dazu noch ein Wort sagen, denn das wäre dann doch für die Zukunft; wir sprechen jetzt nur von der Versorgung und von all den Dingen, die jetzt nötig sind, aber was können wir für die Zukunft tun? Das fände ich wichtig.

A. Huppenrath

Ich habe an die Frau Maurus eine Frage wegen diesen Arbeitsverhältnissen aus Scheinselbständigkeit. Ich habe erfahren, daß - hauptsächlich in der Bauwirtschaft - junge Leute überhaupt keine andere Chance haben, einen Job zu bekommen; es sei denn auf diese Art und Weise, als freischwebender Mitarbeiter. Das ist eben das Problem der Scheinselbständigkeit. Das sind Handwerker, die kriegen keinen anderen Job. Kleine Firmen haben zwei, drei Leute fest beschäftigt, und in der Saison werden alle anderen auf diese Art und Weise zu arbeiten gezwungen. Anders können sie keine Arbeit finden und für die Arbeitgeber ist es viel billiger. Und diese Leute sind ja dann überhaupt nicht abgesichert. Wäre das in Ihrem Vorschlag so, daß dann die Arbeitgeber auch die Hälfte der Sozialbeiträge bezahlen müßten, also gesetzlich verpflichtet wären?

H. Maurus

Ja ganz kurz zur Pflegeversicherung. Die Pflegetätigkeit ist auch heute schon in der Rentenversicherung abgesichert. Also, wer Angehörige pflegt mit einer bestimmten Stundenzahl in der Woche, ist in der Rentenversicherung abgesichert. Wenn sie ein entsprechendes Alter hat, d.h. selbst noch nicht Rentnerin ist. Das ist das eine.

Zur Frage, wenn alle einzahlen, ob es dann nur eine Organisation gibt. Das Modell sieht vor: Erwerbstätige würden in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung versichert sein, daneben besteht natürlich noch ein Beamtenrecht und die Knappschaftsversicherung zum Beispiel. Wir haben die freiwilligen Berufsversicherungen der Selbständigen, die bestehen alle seit vielen Jahren schon, sind historisch gewachsen, aber es ist dann daran gedacht, grundsätzlich und auf lange Sicht, diese ganzen verschiedensten Versicherung in ein System zu integrieren. Das wird natürlich noch sehr lange dauern. Das ist klar, eben aufgrund der Geschichte und der ganzen gewachsenen Besitzstände.

Ein Wort noch zur Scheinselbständigkeit. Das Problem, bei der Gruppe, von der Sie sprachen, ist ja gerade, die sind scheinselbständig, weil sie an den Arbeitgeber absolut zu 100 % gekoppelt sind. Und das sollte natürlich gesetzlich verhindert werden, genau wie bei den 610-Mark-Jobs, und der Arbeitgeber soll selbstverständlich heftig beteiligt werden an der Alterssicherung. Nach den neuesten Forschungen, die man hat, weiß man auch, daß gerade die jungen Leute in der Scheinselbständigkeit - sie sind jung, sie denken noch nicht an die Rente und verdienen auch nicht so sehr viel Geld - tatsächlich nicht in eine Alterssicherung, einzahlen, wie auch immer sie jetzt aussehen mag. Das heißt, daß sie später tatsächlich zum Teil Sozialhilfeempfänger würden und da muß einfach etwas geschehen. Gut, das wird auch in der Regierungskoalition so gesehen.

Zu dem nationalen Rentenrecht in der EG., wollten Sie da etwas dazu sagen?

A. Braun

Also, der Kommentar ist einfach; wir gucken uns hier nationale Systeme an und hoffen, daß wir bei den anderen etwas finden, woraus wir lernen können. Niemand will vereinheitlichen, niemand. Also der Bereich der Sozialpolitik ist ausgesprochen einer, der bestenfalls koordiniert wird, wie es in der Fachsprache heißt, aber von Vereinheitlichung kann nicht die Rede sein. Das sagen immer nur Leute, die eigentlich verhindern wollen, daß sich hier irgendwas bewegt, und sie sagen, wenn ihr das alles vereinheitlichen wollt, dann müßt ihr aber zusätzlich noch dies und jenes tun. Also davon ist nicht die Rede, sondern wir gucken, was machen andere, um vielleicht daraus zu lernen; aber mehr machen wir nicht bei der Koordinierung in der Gemeinschaft.

M.Veil

Ja, ich find die verschiedenen Fragen ein bißchen desperat. Ich fang mal mit dem Letzten an, mit dem Arbeitsmarkt. Eine Qualifikation ist natürlich ein allgemeines Problem, da gibt es keine Rezepte. Ich wollte nur sagen, daß die Anforderungen an Bildung und Ausbildung sich verändert haben, und da ist es schon so, daß längere Ausbildungszeiten bzw. bessere Ausbildung immer wichtiger wird. Ob man damit dann einen Arbeitsplatz bekommt, das ist immer noch das große Fragezeichen. Nur könnte man vielleicht sagen, daß es andersherum fast unmöglich wird. Und daß also für diese Art der Arbeitsplätze eine hohe kognitive Ausbildung, also eine, wie soll ich das sagen, eine weniger körperliche Ausbildung als eine mehr abstrakte Ausbildung von Fähigkeiten benötigt werden. Ob sich das nochmal ändert? Weiß ich auch nicht, kann auch sein, daß jetzt mal das Handwerk dann wieder zunimmt. Die Arbeitsmarktlage oder wie man das verändern kann, das ist unser aller Problem. Und das ist das Problem auch insgesamt in der Europäischen Union. Nur, es ist ein Skandal, daß eigentlich daran so wenig gemacht wird. Wie man das machen kann, da gibts ja auch genug Vorschläge, die da sind, aber sie gehen in die Politik so wenig ein. Das ist eigentlich, was ich kritisieren muß.

Jetzt zu der Rente. Es ist ja schon richtig, man darf nicht einfach so an Modellen rumbasteln und so tun, als ob der Rest der Welt einen nicht interessiert. Diese Rente ist abhängig vom Arbeitsmarkt und von der wirtschaftlichen Entwicklung und wir haben jetzt eine Zeit, das ist vielleicht jetzt neu in der Nachkriegszeit, daß wirklich nicht mehr aus Zuwächsen verteilt werden kann, weil die nicht mehr da sind, sondern daß aus dem Bestand jetzt neu umverteilt werden muß. Und da kommen natürlich jetzt die ganzen Interessenskonflikte ans Tageslicht. Und aus frauenpolitischer Sicht kann ich eben nur sagen, um jetzt mit ein bißchen Gerechtigkeit auch da anzuknüpfen, es muß meiner Meinung nach an Individualansprüche angeknüpft werden. Also die soziale Sicherung der Frauen soll eine selbständige werden, eine eigenständige, das heißt dann aber Abbau von über die Ehe abgeleiteten Ansprüchen, das ist dann natürlich die Hinterbliebenenrente. Also eine Umverteilung zwischen den Renten an Männer und Frauen. Also, wenn ich zum Beispiel sage, daß die Hälfte der Renten steuerfinanziert ist, sollte das auch zu einer Umverteilung von Männerrenten weg zu Frauenrenten hin führen. Und der Hinweis ist halt immer wichtig, daß man sich klar macht, Zuwächse gibt es nicht mehr. Und der Verteilungskampf wird dann natürlich schärfer und die Auseinandersetzung auch, aber sozusagen Leitlinie bleibt es für mich, Individualansprüche von Frauen auszubauen. Und mit der Europäischen Union, denke ich, daß sie insofern Einfluß hat, daß man zunehmend Mindeststandards einzieht. Also nicht, daß man die Systeme aufeinander abstellt, das geht nicht, aber daß man Mindeststandards einführt, was heißt Existenzsicherung in den verschiedenen Ländern und armutsvermeidende Mindestsicherung in den Systemen.

A. Braun

Schönen Dank. Ich hoffe, wir haben jetzt beim ersten Einstieg uns zwei Dinge vorstellen lassen: einmal Kritik am deutschen System aus frauenpolitischer Sicht und in dem Beitrag von Frau Maurus den Versuch, darauf politisch zumindest teilweise zu reagieren mit dem, was vorgeschlagen wurde von der Alterssicherungskommission der Sozialdemokraten. Wir sind seit fünf Minuten etwas im Konflikt mit der Küche; unterbrechen wir hier also für die Mittagspause. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit; um 14 Uhr 30 treffen wir uns hier wieder.


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