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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 38 ]


Werner A. Perger
Neue Mitte, Dritter Weg Anmerkungen


Zu eben diesem Thema trafen sich in Washington vor vier Wochen fünf wichtige westliche Staatenlenker. Eigentlich weilten sie ja wegen des Nato-Jubiläums in Amerika. Aber erstens hat das mit unserer Fragestellung ohnehin mehr zu tun, als man auf den ersten Blick vermuten würde, und zweitens muß man solche Gelegenheiten nützen, wie sie sich ergeben. Also diskutierten Bill Clinton, Tony Blair, Wim Kok, Massimo d'Alema und Gerhard Schröder über den Dritten Weg und - wie es im Untertitel hieß -„Progressive Governance for the 21st Century". (Lionel Jospin, der ähnlich gut englisch wie Tony Blair französisch spricht, fehlte. Das ist, ob beabsichtigt oder nicht, schon ein bißchen aufgefallen).

Zur Illustration dessen, worum es hier geht, von dieser denkwürdigen Veranstaltung hier zwei kleine anekdotische Beobachtungen. Zunächst zitierte Tony Blair zwecks Auflockerung der Stimmung zu Beginn seines Vertrags den deutschen Bundeskanzler mit einer flapsigen Bemerkung, wofür der ja immer gut ist. Schröder, so erzählte Blair den Interessenten in Sachen Third Way, habe beim Betreten des Saals zu ihm gesagt, „Hör mal, Tony, ich habe schon die beiden ersten Wege nicht gefunden, jetzt erklär du mir, wo der dritte Weg ist."

(Das Protokoll vermerkt: Gelächter.) [Fn.1: http://www.dlcppi.org]

Der britische Premierminister ließ im übrigen aber keinen Zweifel daran, daß ihm sein Thema sehr ernst ist - es ist ja im wahren Sinn des Wortes sein Thema - und sprach sogleich eindringlich von „Wohlstand und sozialer Stabilität" und wie das über den Dritten Weg allmählich erreichbar sei:

nicht ohne Anstrengung, Opfer und Zähneknirschen, aber eben erreichbar. Für ein ehrgeiziges Ziel - wie beispielsweise „Innovation und soziale Gerechtigkeit" - ist das nicht unwichtig.

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Die zweite Geschichte danken wir dem früheren italienischen Kommunisten Massimo d'Alema, Ministerpräsident Italiens und führender Kopf der sozialdemokratischen Partei (PDS), der also die reformierte italienische Linke vertrat, wohl wissend - und gelassen ignorierend -, daß in den Augen der gastgebenden New Democrats aber auch aus der Sicht des britischen Premierministers der wahre Repräsentant der terza via in Italien eigentlich sein Amtsvorgänger gewesen wäre, der ehemalige Christdemokrat Professor Romano Prodi. Den Kopf des „Olivenbaum" hatten sich die Wegbereiter des Third Way in Washington und London ursprünglich als Weggefährten ausgesucht. Aber die innenpolitischen Verhältnisse in Rom, sie sind nicht so.

Statt Professor Prodi also Massimo d'Alema: Der „Demokratische Sozialist" vermochte mit der Reformrhetorik der Kollegen immerhin problemlos mitzuhalten, trug einen interessanten Gesichtspunkt (die Bedeutung der Kultur für die gesellschaftliche Entwicklung) bei, konnte es später jedoch, in einer Schlußbemerkung, nicht lassen, die Gastgeber ein wenig zu beunruhigen, indem er an das bis zu diesem Punkt unberührte S-Wort erinnerte.

„Wir gehören zur Sozialistischen Internationale", sagte er, „und ich bin mir darüber im klaren, daß es sich dabei hier um eine heikle Vokabel handelt - (Gelächter) - und ich habe bemerkt, wie sehr wir darauf bedacht waren, dieses Wort hier zu vermeiden. „Dann fuhr er sinngemäß fort:

Man - „wir" sagte er - man solle diese Angst vor Worten überwinden, denn was die eigentlichen Tatsachen und Erfahrungen anginge, stelle man doch große Nähe und Ähnlichkeit fest, sogar mehr, als man erwartet hätte. Es war, als wollte er eigentlich sagen: Warum nennen wir diese Gemeinsamkeit und diese Nähe nicht bei dem doch allen so vertrauten Namen: Sozialismus!

Bill Clinton, nachdem er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, bedankte sich beim Redner und sagte: „Ja, ich bin eigentlich nicht sicher, Massimo, daß du hier wärst, wenn ich mich noch um die Wiederwahl bemühte."

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Somit ist jedenfalls klar, worum es beim Dritten Weg nicht geht: um den Sozialismus. Das Wort kommt in der Sprache der neuen Mitte und des Third Way nicht vor. Das dürfte, nach der allgemeinen historischen Erfahrung und aus der Sicht des gesellschaftlichen Fortschritts, kein besonders

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herber Verlust sein, verdient aber festgehalten zu werden. Aus Sicht des Dritten Wegs eher im Gegenteil. Denn Gegenstand der Dritte-Weg-Philosophie ist bei weitem nicht nur die populäre, etwas grobschlächtige doppelte Abgrenzung gegenüber altlinks und neurechts, also die Äquidistanz von der dogmatischen Staatsgläubigkeit der klassischen Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung auf der einen Seite (Stichwort: Old Labour) und von der ebenso dogmatischen Staatsfeindlichkeit der Neoliberalen und Konservativen (New Right). Darum geht es gewiß auch, wenngleich diese Sicht eine merklich verkürzte Version dessen ist, was in Anthony Giddens' programmatischen Texten steht und was Blair und seine intellektuellen Helfer in die Debatte eingebracht haben. Der Gegenstand dieser Reformbemühung ist vielmehr auch und nicht zuletzt die Herausbildung einer neuen europäischen Linke: das Ziel ist eine Linke jenseits des Sozialismus.

Von David Miliband, Leiter der Policy Unit in Downing Street, stammt beispielsweise ein deutlicher Hinweis auf diese nach innen gerichtete Perspektive des Dritten Wegs: die Versöhnung zweier nie wirklich zur Übereinstimmung gebrachter Strömungen der historischen Linken, nämlich des auf die Freiheit des Einzelnen in der Marktgesellschaft gerichteten Liberalismus und der dem Ideal sozialer Gerechtigkeit verpflichteten und auf kollektives Handeln setzende Sozialdemokratie. Dazu Miliband in einem Diskussionspapier: „Der Dritte Weg ist der Versuch, diese beiden Stränge zu verbinden. Indem er versucht, die künftige Entwicklung vorwegzunehmen, geht es dem Third Way um die Rückgewinnung von Ideen aus der geistigen Erbschaft der Linken."

Das klingt plausibel. Dabei wird der eine oder die andere sich erinnern, daß ein ähnlicher Versuch genau unter dem Titel „neue Mitte" und mit der Botschaft „Wer morgen sicher leben will muß heute für Reformen kämpfen" (SPD-Wahlslogan 1972) bereits in der Bundesrepublik vor fast dreißig Jahren versucht wurde. Auch die sozialliberale Koalition wollte, jedenfalls aus der Sicht derer, die sie ein „historisches Bündnis" nannten, aufgeklärten Liberalismus und demokratischen Sozialismus miteinander verbinden. Das liberale Manifest des unvergeßlichen Karl Hermann Flach -ein Mann „jenseits von links und rechts", würde man heute mit Giddensscher Terminologie sagen - würde den Blairites im Vereinigten Königreich und vielleicht sogar den New Democrats in den Vereinigten Staaten über weite Strecken gefallen. Für Jungsozialisten - in Third-Way-Kategorien Old

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Labour - war das viel zu reformistisch, für die Lambsdorff-Genscher-FDP -die damalige New Right - war das nicht mehr als idealistische Spinnerei. Das war das eigentlich Entscheidende. Die Rechtsliberalen sorgten denn auch dafür, daß sie recht behielten und das „historische Bündnis" keines wurde. Wer weiß, vielleicht hat die Republik damals eine historische Gelegenheit verpaßt.

Vielleicht brauchte es aber die Globalisierung, um den Dritten Weg als aktuelle politische Philosophie auf der Tagesordnung von Parteien, Stiftungen, Intellektuellen, Journalisten und sogar von Regierungen durchzusetzen. Das ist ja der Anspruch dieser in Entstehung begriffenen Strategie:

Sie versteht sich als politische Konzeption für das Zeitalter der Veränderung. Den Wechsel in Wirtschaft und Gesellschaft mit zu gestalten, die modernen Industrie- und Sozialstaaten unter den Bedingungen der Globalisierung steuerungsfähig zu machen und die demokratische Gesellschaft trotz der neuen Herausforderungen beisammen zu halten, das ist das Versprechen und das Ziel der Third Wayer. Nicht, daß dies die oft zitierte „Alte Linke" und die „Neue Rechte" nicht auch wollten: Aber mit einer gewissen Plausibilität wird ihren vorgehalten, mit ihren alten Rezepten und Theorien nicht viel erreicht zu haben. Dies ist die Zeit des policy-mix, des politischen cross-dressing, des Umdenkens und Abkupferns, sei es von den Kommunitariern, den Kirchen, den Unternehmern, den Ingenieuren, den Künstlern, auch von Gewerkschaftern und Sozialarbeitern. Genau das ist es, was der Dritte Weg im Idealfall sein könnte: Ein neuer Mix aus bewährten Ideen und Rezepten, von Amerikas Job-Maschine über Hollands Teilzeitarbeit, Dänemarks Arbeitsmarktreformen und Deutschlands Berufsausbildung. Die Macher der deutschen „Neuen Mitte" nennen das etwas bescheiden neuer Pragmatismus. Demgegenüber erinnern die Herolde des Dritten Wegs nachdrücklich daran, daß dieser Pragmatismus wertorientiert sein müsse. Sich aufs Machen beschränken und die Werte den Konservativen überlassen, das wäre die falsche Strategie, betonen sie. Insofern ist Pragmatismus eigentlich auch der falsche Begriff.

Einer, der auf den ersten Blick nicht als Mann des Dritten Wegs gilt, aber ähnlich denkt, ist der frühere spanische Ministerpräsident Felipe González. Er sagt beispielsweise: „Die Linke darf sich vor dem historischen Prozeß (nämlich: der gewaltigen technologischen und sozialen Umwälzungen, Anm. d. Verf.) nicht in alte Gewißheiten flüchten. Sie muß eine neue Mischung von Ideen und Konzepten erarbeiten. Vor allem muß sie die

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Fähigkeit zur Toleranz lernen. Wenn die Linke der Zukunft gewachsen sein will, dann muß sie einsehen können, daß der historische Gegner recht haben kann... Wir leben nicht mehr in der antagonistischen Kultur, in der ein Unternehmer automatisch der Klassenfeind war und zur Rechten zählte...". [Fn.2: Gespräch mit dem Autor (ZEIT, 39/1998).]

Natürlich stößt González in seiner eigenen Partei, der PSOE, mit solchen Thesen auf Widerspruch; deren politische Lage ist allerdings zur Zeit so, daß man schon den Eindruck bekommen könnte, der Partei würden ein paar neue Ideen und Anstöße aus der Praxis nicht schlecht bekommen. Auch auf SPD-Parteitagen würde man damit nicht gerade zum Helden des Saals. Das klingt nach, sagen wir mal, Roland Berger, Managementkreis der SPD oder auch nach den „Aufbruch "-Thesen von Bodo Hombach. Jedenfalls ist es Dritter Weg pur. Umdenken, Anpassen, den Wechsel akzeptieren, neue Koalitionen bilden: Das ist die eigentliche Debatte für die europäische Sozialdemokratie, ob sie es will oder nicht und wie immer sie das Thema auch benennen will (die Third Wayer wissen längst, daß der Begriff mehr Unbehagen weckt, als Begeisterung - mit einigem Grund, übrigens).

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Der Dritte Weg hat seine eigene Sprache und seine codierten Schlüsselwörter. Nicht nur konservative Kritiker sprechen von Newspeak, um so an George Orwells Totalitarismusroman 1984 zu erinnern. Das amerikanische Magazin Newsweek griff auf Aldous Huxley zurück, als es eine Titelgeschichte über den Third Way mit der Zeile titelte: „Brave new left world" (schöne neue linke Welt). Ein paar der Schlüsselbegriffe für den Entwurf einer neuen kohärenten Alternativ-Philosophie sind beispielsweise:

Werte/values, Humankapital, aktive Bürger, Privatisierung, aktiver Staat, Community, Fairness, Gleiche Startchancen, Inclusion, Empowerment (Befähigung), Knowledge-society, Flexibilität, Small Business - (Mittelstand), Competition, Competence, Intelligent Gouvernement, Sozialstaatsreform, usw.

Inhaltsreiche Begriffe mit ehrgeizigen Zielsetzungen. Gelegentlich schwingt ein leicht drohender Unterton mit, etwa in dem Sinne: Wir geben jedem eine Chance, aber wenn er sie nicht nutzt, kann er auf uns - den Sozialstaat - nicht zählen. Für Paul Lafargues „Recht auf Faulheit" ist im

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prosperierenden Wohlfahrtsstaat der Neuen Mitte und der Mitte-links-Regierungen des Blair-Kosmos kein Platz. Das würde den demokratischen Konsens zum Wohlfahrtssystem insgesamt aushöhlen, lautet das Argument. Wir wissen, daß es seine Legitimität hat. Wer hart arbeitet, zweifelt an der Gerechtigkeit des Wohlfahrtssystems, wenn es großzügig - liberal - Nichtstun alimentiert. Wir wissen aber auch, daß Mißtrauen gegenüber diesem Argument gleichfalls legitim ist: Zu gern wird der Sozialstaat unter Hinweis auf negative Beispiele („Mißbrauch") pauschal diffamiert, zu häufig verbirgt sich hinter Mißbrauchskritik nichts anderes als neoliberale Ablehnung des welfare-state insgesamt.

Das neue Denken und die neue Sprache des Dritten Weges - obschon plausibel, kreativ, innovativ - hat seine Ambiguitäten. Spürbar werden sie in der Praxis: Auf dem Arbeits- und Sozialamt, das die „welfare-to-work"-Strategie durchsetzen muß. Dazu noch als besonderes Beispiel die Innere Sicherheit, ein wichtiges Terrain für Neue Mitte und Dritter Weg (und Beispiel für historische Versäumnisse der klassischen Linken). In den neuen Sicherheitsstrategien kümmert man sich nicht mehr nur um „die Ursachen des Verbrechens" (soziale Probleme), sondern auch um die Täter („das Verbrechen"), was bisher als konservativer Topos galt. Das Umdenken und die Veränderung sind wichtig und richtig. Ein Problem liegt jedoch in den Umsetzungsstrategien. Mein Beispiel ist das viel zitierte und oft zur Nachahmung empfohlene Polizei-Konzept der zero tolerance (Motto: Wehret den Anfängen). Es ist zwar keine originär sozialdemokratische Entwicklung, wird aber nach den Anfangserfolgen in New York und anderen amerikanischen Städten inzwischen auch in einigen britischen Städten angewendet. Inzwischen ist es auf Grund der Praxis vor allem in New York in Verruf geraten; nicht unbedingt bei den Mittelschichten (Zielgruppe der Dritten-Weg-Politiker), denen Ruhe und Ordnung immer recht sind, auch zu einem höheren politischen Preis. Andere aber zahlen den Preis für die Nulltoleranz - die Aussortierten und Chancenlosen an den Rändern der affluent-society, zum Beispiel die Bettler, die aus dem Stadtbild der Innenstädte vertrieben werden. Die dünne rote Nullinie zwischen zero tolerance gegenüber der Unterwelt und Intoleranz gegenüber Randschichten und Unangepaßten wird in der Praxis eben allzu leicht überschritten. Die Folge sind soziale Kollateralschäden einer im Prinzip legitimen Vorbeugungs-, Ordnungs- und Sauberkeitsstrategie.

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Zum Schluß nun ein Exkurs in die Aktualität, sofern es ein Exkurs überhaupt ist.

Die Ambiguität des Dritten Wegs hat auch einen größeren Rahmen. Ich nenne Schlüsselwörter aus jüngerer Zeit wie diese:

International Community. Human Rights. Humanitarian Intervention. Gerechter Krieg. Totaler Sieg.

Wir sind nun an dem Punkt, wo die Reformpolitik des Dritten Weg sich mit dem neuen Denken der Third Wayer in internationalen Fragen trifft. Hier weitet sich der Dritte Weg in seine internationale Dimension. Wir stehen an der entscheidenden Kreuzung. Auf einem der Wegweiser steht unübersehbar: Kosovo.

Daß der Krieg auf dem Balkan mit dem neuen Denken der neuen Führungsgeneration zu tun hat, ist inzwischen keine neue Erkenntnis mehr. Mehr oder weniger unumwunden ist die Nato-Intervention als „linker Krieg", als „erste sozialdemokratische Militärkampagne", als Krieg im Namen von amnesty international, nicht zuletzt als „Krieg der 68er" bezeichnet worden. Besonders in Deutschland. Hier bietet es sich an, vom nachgeholten Krieg der Protestgeneration gegen die Nazis und von nachvollzogener Rache für die Schande der deutschen Kriegsverbrechen zu reden.

In diesen Kategorien schwelgt geradezu leichtfertig der österreichische Schriftsteller Peter Handke in seinem Interview mit Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung, wenn er beispielsweise sagt: „Viele der Killer, die sich durch den Staat beglaubigen, erfüllen sich einen Kindheitstraum. Sie wollten immer gegen etwas kämpfen. Für die Nazis war's zu spät. Fürs Zerschlagen des Sowjetkommunismus war's auch zu spät ... Jetzt bekommen sie endlich Gelegenheit, den Helden zu spielen." [Fn.3: Gespräch mit Willi Winkler (SZ, 16./17. Mai 1999).]

Ohne Schaum vor dem Mund, aber im Gedankengang nicht unähnlich formulierte neulich der inzwischen zum UN-Vermittler für das Kosovo berufene frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt seine Sicht der neuen Moral-Generation: In Anlehnung an den amerikanischen Begriff der Baby Boomers - die unverfängliche Version unseres stets ideologisch aufgeladenen Worts „die 68er" - spricht er von den „Baby Bombers". In

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einem sehr lesenswerten Aufsatz in der britischen Zeitschrift Prospect schreibt der schwedische Neoliberale (er ist Vorsitzender der oppositionellen Moderaterna): „Jüngere Politiker glauben, sie könnten einen neuen Typ von Kriegen führen. Diese neuen Kriege werden immer populärer. Es sollen saubere Kriege sein: high-rhethoric, high-altitude und high-technology Kriege; smarte Bomben für smarte Politiker." Bildt schlägt die gedankliche Brücke: „Der Dritte Weg im Krieg." [Fn.4: Prospect, May 1999. http://www.prospect-magazine.co.uk.]

Es war Tony Blair selbst, der das Generationsmotiv in die Debatte einbrachte. In der vierten Woche des Luftkriegs auf dem Balkan hat er in Newsweek unter dem unmißverständlichen Titel „A New Generation Draws The Line" geschrieben: „Manchen Leuten fällt es offenbar schwer, sich damit abzufinden, daß es da eine neue Führer-Generation in den USA und Europa gibt, Nachgeborene des Weltkriegs, die zwar als Vertreter einer progressiven Politik bejubelt werden, die aber zugleich bereit sind, genau so hart zu sein wie ihre Vorgänger, egal ob rechts oder links, wenn es darum geht, in einem Konflikt wie diesem den Durchblick zu wahren und entsprechend zu handeln. Und genau das wollen und werden wir tun...Wir wollen einem neuen Jahrtausend entgegen gehen, in dem Diktatoren nicht mehr schalten und walten können, wie sie wollen. Wir kämpfen nicht um Territorien, sondern für Werte." [Fn.5: Newsweek, 19. April 1999.]

Zusehends wird so deutlich, daß der Dritte Weg und sein Anspruch, moralische Werte in die praktische Politik einzubringen und dort durchzusetzen, eine in jeder Beziehung todernste Angelegenheit ist. Der Dritte Weg verdiente schon ernst genommen zu werden, als es nur eine Handlungsanleitung zur inneren Umgestaltung unserer Gesellschaften war. Das Script dazu lieferte Tony Blair im sogenannten „Fabian Pamphlet" 588 vom September 1998. Es ist quasi die amtliche Mutter aller Texte zum Dritten Weg, von Giddens' Buch zum selben Thema einmal abgesehen, schlüssig in der Gedankenführung, eindringlich in der Formulierung, respektheischend im ethischen Gestus, wolkig im Inhalt.

Nun gibt es, gleichsam als Kehrseite derselben Medaille, auch ein außenpolitisches Programm des Dritten Wegs: die „Doctrine of the international Community", kurz die „Blair-Doktrin". Zusammenhängend vorgetragen wurde sie erstmals am 22. April in Chicago (und ist von der website der

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britischen Regierung abrufbar) [Fn.6: http://www.number-10.gov.uk/public/info.].
Diese Rede wurde außerhalb des Vereinigten Königreichs bisher viel zu wenig beachtet. Sie war der Auftakt zu Blairs Amerikareise, danach folgten, wie anfangs beschrieben, Nato- und Third-Way-Gipfel.

Wie sehr beides, Nato und Dritter Weg, miteinander verknüpft ist, wird nicht zuletzt in der Blair-Doktrin deutlich. Sie umreißt - um es in des Premiers eigenen Worten zu sagen - den „großen Kontext für das, was im Kosovo passiert". Die Rede ist, editorisch wie rhetorisch, ein großer Wurf. Hohe Rednerschule, vermutlich wird der Text künftig als historisches Dokument gewertet werden. Sie handelt vom großen Zusammenhang von Weltreform- und Weltsicherheitspolitik, vom Weltentwurf des Dritten Wegs sozusagen. Die Schlüsselpassage dazu ist diese: „Ich glaube, die Welt hat sich auf fundamentale Weise geändert. Globalisierung hat unsere Wirtschaften und unsere Arbeitsgewohnheiten verändert. Aber Globalisierung ist nicht nur eine Sache der Wirtschaft. Sie ist auch ein Phänomen der Politik und der Sicherheit... Wir sind jetzt alle Internationalisten, ob es uns gefällt oder nicht. Wir können die Teilnahme in globalen Märkten nicht verweigern, wenn wir prosperieren wollen. Wir können neue politische Ideen in anderen Ländern nicht ignorieren, wenn wir uns erneuern wollen. Wir können Konflikten und der Verletzung von Menschenrechten in anderen Ländern nicht den Rücken zuwenden, wenn wir weiterhin in Sicherheit leben wollen. Am Vorabend des Millenniums sind wir in einer neuen Welt."

Zusammengefaßt könnte man es auch so sagen: Die humanitäre Intervention ist die konsequente militärische Anwendung der Philosophie des Dritten Wegs. Darin steckt Logik, Radikalität und Entschlossenheit, ob es einem gefällt oder nicht, beruhigt oder beunruhigt.

Noch einmal wird die Ambiguität sichtbar, das Doppelgesicht der reinen Lehre vom moralischen Weg in der Politik. Ein unverdächtiger Zeuge ist der Münchener Soziologe Ulrich Beck, der in der deutschen Debatte eine ähnliche Anregerrolle spielt, wie Anthony Giddens in Großbritannien. Von ihm stammt die denkwürdige Formulierung: „Die Nato handelt sozusagen als militärischer Arm von amnesty international" [Fn.7: Süddeutsche Zeitung, 1./2. April 1999.].
Im selben Text heißt es aber auch, orakelhaft wie weiland die Sprüche aus Delphi: „Die humanitäre

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Nato ist die größtmögliche Widerlegung des kulturpessimistischen Lamentos vom Verfall der Werte. Eher kann einem plötzlich bange werden vor dem humanitären Glanz in den Augen der Weltverbesserer." (Es waren die Klügsten und Besten von Harvard, Yale und anderen Universitäten, die einst John F. Kennedy ins Weiße Haus geholt hatten und die Amerika mit dem Ziel der Verteidigung der Demokratie in den katastrophalen Vietnamkrieg verstrickten; „The Best and the Brightest" heißt das Buch, in dem David Halberstam diesen Irrweg der progressiven moralischen und intellektuellen Elite Amerikas beschreibt; ein Lehrbuch ganz besonderer Art.)

Von dem neuen Politikverständnisses der Clinton-Blair-Generation und vor allem der New-Labour-Reformer, von ihrem Gestaltungswillen und ihrer Aufbruchsrhetorik geht große Faszination aus. Nicht nur in England und Amerika. Gerade, weil der Dritte-Weg sich so sehr auf Werte beruft und auf Moral, sollte man diese Debatte ernst nehmen und debattieren. Das hätte ich auch ohne die Kosovo-Dimension des Dritten Wegs empfohlen, wenngleich mit leichterem Herzen. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrung aber tue ich das erst recht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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