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Zusammenfassung

Am Dienstag den 18. Mai 1999 veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung im Berliner Willy-Brandt-Haus ein Streitforum zum Thema: „Dritter Weg und neue Mitte - Leerformeln oder Leitbegriffe einer neuen Politik?" Nach einem einleitenden Vortrag von Prof. Dr. Thomas Meyer diskutierten in zwei Runden Politikberater aus verschiedenen europäischen Ländern miteinander und mit dem Publikum. Die Teilnehmer des ersten Podiums, das von Thomas Meyer moderiert wurde, waren der niederländische Sozialforscher Dr. René Cuperus von der Wiardi Beckman Stichting, Dr. Werner A. Perger von der Zeitschrift „Die Zeit" aus Hamburg, Ottmar Schreiner, Bundesgeschäftsführer der SPD sowie der Philosoph und ehemalige stellvertretende Minsterpräsident Belgiens, Dr. Frank Vandenbroucke aus Brüssel. Das zweite Podium moderierte der Schriftsteller Dr. Johano Strasser. Es war den praktischen Erfahrungen mit der Politik des Dritten Weges gewidmet. Teilnehmer waren Felice Besostri, Präsident der italienischen parlamentarischen Delegation bei der Central European Initiative, Rom, Peter Robinson, Politikberater vom Londoner Institute for Public Policy Research sowie Prof. Dr. Gougeon, Professor für Europäische Studien und deutschlandpolitischer Regierungs- und Parteiberater, Paris.

In seinem einleitenden Referat zeichnete Prof. Dr. Thomas Meyer, wissenschaftlicher Leiter der Akademie der Politischen Bildung der Ebert-Stiftung, die historische Debatte um den Dritten Weg nach. In der europäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts sei der Begriff „Dritter Weg" für sehr unterschiedliche politische Bestrebungen benutzt worden, Er sei ein historisch relativer Begriff, der sich immer auf die jeweils vorhandenen Alternativen bezogen habe. Man könne also nicht an die historische Verwendung anknüpfen, sondern müsse den Begriff durch konzeptionelle Arbeit neu füllen. In den neunziger Jahren haben zunächst die Berater Clintons den Begriff wieder aufgenommen als Bezeichnung für eine Synthese des Liberalismus mit den Grundwerten der Sozialdemokratie. Heute sei der Begriff „Dritter Weg" von den USA bis Großbritannien, von Europa bis Asien zu einem Symbol für eine neue Hoffnung geworden. Weltweit erwarte man, es könne zwischen der alten Sozialdemokratie und dem neoliberalen Marktfundamentalismus der globalen Ära einen neuen

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Weg politischer Gestaltung geben, der die Grundwerte der Sozialdemokratie auf neue Weise mit Leben erfüllt und in einer globalen Welt gegen die bloße Herrschaft der Märkte durchsetzt. Meyer sprach von neuen Chancen für politische Gestaltung, für Teilhabe und für Gerechtigkeit. Als zentrale politische Themenbereiche nannte er die Konsequenzen der ökonomischen Globalisierung, die Entwicklung neuer Formen politischer Steuerung sowie die Forderung nach einer neuen, aktiven, selbstverantwortlichen Bürgerrolle. Charakteristisch für den Dritten Weg sei eine „nachdogmatische" Debatte, bei der es um eine erfahrungsorientierte Suche nach Antworten auf die aktuellen Fragen gehe. In der konkreten Auslegung der Grundgedanken des Dritten Weges unterscheidet sich nach Meyer die zur Zeit entstehende kontinentale Variante von den „New Democrats" und „New Labour" durch das Festhalten an der sozialen Sicherung als Bürgerrecht.

Als erster Redner des Podiums sprach Dr. Werner A. Perger. Es kritisierte zunächst, daß die Diskussion um den Dritten Weg in der SPD noch immer nicht ernst genug genommen werde. Anschließend berichtete er von Erfahrungen, die er auf verschiedenen Konferenzen zum Dritten Weg mit sozialdemokratischen Politikern gemacht hatte. Perger argumentierte, einer der wichtigsten Aspekte der Debatte um den Dritten Weg sei die historische Versöhnung zwischen den philosophischen Traditionen des Liberalismus und der Sozialdemokratie. Solche Bestrebungen habe es in Deutschland zu Beginn der sozialliberalen Koalition schon einmal gegeben. Allerdings sei das Bündnis der Ideologien damals schon vor dem Ende der Koalition gescheitert. Entscheidend für die Annäherung zwischen den Ideologien sei heute, wie weit die Parteien bereit seien, alte theoretische und praktische Besitzstände aufzugeben.

Problematisch sei der drohende Unterton, den die Debatten häufig aufwiesen. Der Dritte Weg zeige beim Empfänger der Politik im Arbeits- oder Sozialamt ein anderes Gesicht als bei den intellektuellen Vordenkern im think-tank der Sozialdemokratischen Parteien. Hier werde eine Ambiguität deutlich, die sich in der latenten Drohung „Wir geben jedem eine Chance - aber wehe er nutzt sie nicht" veranschaulichen lasse. Diese Ambiguität zeige sich beispielsweise auch in der „Zero-Tolerance" Doktrin vieler US-amerikanischer Städte: Die Linie zwischen „Zero-Tolerance" gegenüber Straftätern und Intoleranz gegenüber Randgruppen sei in der Praxis oft nur sehr dünn.

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Die sogenannte „humanitäre Intervention" im Kosovo bezeichnete Perger als „konsequente militärische Anwendung der Philosophie des Dritten Weges". Mit den Worten Tony Blairs führte Perger aus, es gäbe eine neue Generation von „Führern", die zwar als Vertreter einer neuen, progressiven Politik bejubelt werden, die aber zugleich bereit seien, in Konflikten genauso hart durchzugreifen wie ihre Vorgänger. Der Kampf ginge im Selbstverständnis dieser neuen Führer nicht um Territorien, sondern um Werte. Dieser Anspruch, moralische Werte in die praktische Politik umzusetzen, verdeutliche die weitreichenden Konsequenzen des neuen Weges, auf dem sich die Sozialdemokratie heute befinde.

Anschließend sprach der Sozialforscher René Cuperus zur Diskussion in den Niederlanden. Er führte aus, dort wunderte man sich, warum man in Europa als der Modellfall für den Dritten Wege wahrgenommen und Wim Kok als einer der neuen Helden verehrt werde. Kok selbst weigere sich, den Dritten Weg als sein Projekt zu sehen, da er einer Koalitionsregierung vorstehe. Der niederländische „Dritte Weg" entstehe - so Cuperus weiter - aus dem Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Parteien und kennzeichne eine pragmatische Politik. Das „Dutch miracle" bestehe ausschließlich im Ausbruch aus der „blockierten Gesellschaft" und der Überwindung des Reformstaus, der in vielen westeuropäischen Gesellschaften seit den achtziger Jahren herrsche. Holland betrachte die Konzepte des Dritter Weges und der Neuen Mitte unabhängig von Führungspersonen wie Schröder oder Blair und auch unabhängig von der Diskussion um neue Grundwerte. Es ginge rein pragmatisch um eine angemessene Reaktion auf veränderte Bedingungen der Politik, unter denen die klassischen sozialdemokratischen Politikkonzepte zum Scheitern verurteilt seien.

Als weitere Dimensionen der spezifischen niederländischen Debatte um den Dritten Weg nannte Cuperus die Suche nach einem Weg zwischen dem Glauben an den starken, zentralistischen Staat und der totalen Privatisierung. Neue Formen kollektiven Handelns seien notwendig, sowohl auf der gesellschaftlichen als auch auf der staatlichen Ebene.

Zum belgischen Verständnis des Dritten Weges führte Dr. Frank Vandenbroucke zunächst aus, daß es in Belgien - anders als beispielsweise in England - nach der Etablierung des aus liberalen und sozialen Grundgedanken hervorgegangenen Sozialstaates keine extreme Polarisierung zwischen Liberalen und linken Sozialisten gegeben habe. Dementsprechend

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sei die Übertragung des Konzepts des Dritten Weges auf Belgien fragwürdig; die Suche nach neuen ideologischen Verbindungen stehe in Belgien nicht im Zentrum der Diskussion. Trotzdem gebe es viele Gemeinsamkeiten in den Bemühungen um eine neue Politik. Als wichtigstes Credo aller europäischen mitte-links Parteien könne man das Plädoyer für die Etablierung eines „aktiven Wohlfahrtsstaats" bezeichnen. Zentral sei in diesem Zusammenhang eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Hierbei ginge es um eine gerechte Verteilung der Arbeit an Männer und Frauen, den Umgang mit dem neuen Risiko der geringen Bildung, die Schaffung von Anreizen für Eigenaktivitäten durch ein „verantwortungs-sensibles" Konzept sozialer Gerechtigkeit, die Vermeidung von „Inaktivitätsfallen" durch stärkere Anreize für zusätzliche Arbeit und schließlich um die volle Integration der Teilzeitbeschäftigten in das System sozialer Sicherung. Um Perspektiven auch für gering qualifizierte Arbeitskräfte anzubieten, müsse der Dienstleitungssektor ausgebaut werden. Die konkrete Umsetzung dieser allgemeinen Prinzipien verlaufe in jedem Land unterschiedlich, was angesichts der unterschiedlichen Ausgangslage auch sinnvoll sei.

Kritisch merkte Vandenbroucke an, er selbst hielte, wie auch viele andere Sozialdemokraten, diese staatlichen Mittel noch nicht für ausreichend, sondern fordere zusätzliche makroökonomische Maßnahmen. In Europa sei die hierfür notwendige Kooperation aufgrund der Vielzahl der Akteure noch viel schwieriger geworden, als sie in den Nationalstaaten ohnehin schon war. Angesichts dieses Problems forderte Vandenbroucke die europaweite Diskussion des französischen Vorschlags zur Schaffung von entsprechenden Koordinationsinstanzen auf der Ebene der EU. Hier bestehe eine Diskussionsdefizit innerhalb der Debatte des Dritten Weges. Den zweiten problematischen Punkt sah Vandenbrouke im Verteilungscharakter der Sozialpolitik. Ein aktiver Sozialstaat zeichne sich nicht nur durch ein ausreichendes Maß an klassischen „Sozialausgaben" aus, sondern müsse darüber hinaus auch „Sozialinvestitionen" tätigen, indem in die Menschen investiert werde. Sozialinvestitionen seien keine billige Politik. Es seien massive Investitionen in das Bildungssystem und staatlich gesicherte Arbeitsplätze für alle diejenigen nötig, die auf dem freien Arbeitsmarkt chancenlos seien. Zusammenfassend konstatierte Vandenbroucke, die Debatte um den Dritten Weg müsse den Gesichtspunkt distributiver Gerechtigkeit ernster nehmen und sich auch der daraus erwachsenen philosophischen Herausforderung stellen. Die Sozialdemokratie müsse ein neues Konzept einer „verantwortungssensiblen egalitären Gerechtigkeit" entwickeln.

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Der Bundesgeschäftsführer der SPD Ottmar Schreiner diagnostizierte zunächst eine neue politische Ausgangssituation für die Politik des Dritten Weges auf der Ebene der EU: Hier gebe es im Gegensatz zu den achtziger und frühen neunziger Jahren erstmals eine große Mehrheit der sozialdemokratischen Regierungschefs. Die Antwort der neo-liberalen Regierungen auf die Globalisierung der letzten Jahre habe zu steigender Arbeitslosigkeit, geringeren Sozialleistungen und verstärkten Ausgrenzungen geführt. Dies wollten die Bürger der meisten europäischen Staaten heute nicht mehr hinnehmen. Das „Kernprojekt" der Sozialdemokratie sei es also heute, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern. Die zentrale Frage laute, wie man allen Menschen, die dies wollten, eine Perspektive in der Erwerbsarbeit bieten könne und welche Rolle dabei der Sozialstaat spiele. Hierbei müsse man berücksichtigen, welche Möglichkeiten politischen Handelns dem Staat angesichts des Rückgangs der nationalstaatlichen Gestaltungsmöglichkeiten heute blieben.

Eine Gefahr sah Schreiner darin, daß der Wettbewerb zwischen den Nationalstaaten um die Position als günstigster Wirtschaftsstandort zu Dumping-Maßnahmen im Bereich der Steuer-, Sozial- und Umweltpolitik führe, die den Forderungen nach einer solidarischen Gesellschaft entgegenlaufe. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit einer Koordinierung der Steuerpolitik, der Sozialpolitik und der Umweltpolitik auf der europäischen Ebene, wie sie schon im Wahlprogramm der SPD proklamiert worden sei. Als zentrales Anliegen jeder Sozialstaatlichkeit bezeichnete Schreiner die soziale Teilhabe. In diesem Zusammenhang gelte noch immer die schon zu Beginn der neunziger Jahre formulierte Wendung, Arbeit zu fördern sei sinnvoller als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Vor der Verteilungspolitik müsse das Bemühen stehen, den Menschen die aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu ermöglichen. Schreiner widersprach hier Vandenbroucke in bezug auf die Kosten dieser Politik. Die volkswirtschaftlichen, gesellschaftlichen und finanziellen Kosten der Arbeitslosigkeit seien in jedem Fall höher als die Finanzierung einer aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Er widersprach auch der Anmerkung Pergers vom „drohenden Unterton" in der Forderung nach Solidarität im Rahmen der Politik des Dritten Weges. Er betonte, Solidarität sei tatsächlich keine Einbahnstraße, wies aber mit Hilfe mehrerer Beispiele darauf hin, daß gerade bei den Jugendlichen die Bereitschaft, staatlich geförderte Beschäftigungsangebote anzunehmen sehr groß sei, selbst wenn die Bezahlung bei diesen Tätigkeiten z. T. weit unter den Lohnersatzleistungen liege, die die

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Jugendlichen in der Arbeitslosigkeit beziehen könnten. Schreiner zog das Fazit, das „Projekt der Sozialdemokratie", den sozialen Zusammenhalt zu fördern, bleibe im wesentlichen das Gleiche. Die Sozialdemokratie brauche sich demnach vor einer Debatte um den Dritten Weg nicht zu fürchten sondern müsse sie auch jenseits der intellektuellen Zirkel der Partei in der aktiven Mitgliedschaft verstärkt führen.

Das zweite Forum moderierte der Publizist und Schriftsteller Dr. Johano Strasser. Thema waren verschiedene Praxisfelder der Politik des Dritten Weges in unterschiedlichen Ländern. Strasser ging zunächst selbst noch auf den in der ersten Diskussionsrunde erörterten Aspekt der Kapitalismuskritik ein. Er führte aus, im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts haben sich viele Aspekte des Kapitalismus, wie zum Beispiel die Organisation der Produktion, als unverzichtbar herausgestellt. Trotzdem sei der Kapitalismus noch nicht das Ende der Geschichte. Heute werde in den angelsächsischen Ländern diskutiert, ob nicht die Entwicklung zur Wissensökonomie Kernmomente kapitalistischer Organisation in Frage stelle. Wissen sei nicht wie Ware verkäuflich, es verbleibe stets auch beim Anbieter. Daneben seien „Wissensmanager" in den Unternehmen von den Unternehmensführungen nicht mehr kontrollierbar. Wissen könne darüber hinaus nur noch in Form einer kooperativen Realisierung produktiv werden. Als konkrete Aspekte, denen sich die zweite Runde der Podiumsteilnehmer widmen sollte, nannte Strasser zunächst die Frage nach der Stellung von Gleichheit und Gerechtigkeit in den Gesellschaften des Dritten Weges. Er konstatierte unter Berufung auf Anthony Giddens, Chancengleichheit allein reiche nicht aus, es komme auch auf die Ergebnisse an. Zudem sei es notwendig, sich auch um die Modernisierungsverlierer zu kümmern.

Strasser fragte zunächst Peter Robinson, ob sich der Standpunkt Giddens in Großbritannien auch in der praktischen Politik niederschlage. Robinson, der selbst an der London School of Economics gearbeitet hatte, kritisierte Giddens heftig: Regierungen sollten nicht nach den Beschreibungen von Theoretikern beurteilt werden, die von praktischer Politik wenig verstünden. Es komme auf die Taten an und nicht auf die Worte. In seinem Vortrag ging Robinson auf die Maßnahmen ein, die im Laufe der nun zweijährigen Amtszeit der Blair-Regierung implementiert worden seien. Vorab bemerkte er, die Anwesenden könnten anschließend selbst beurteilen, ob man von einem kohärenten Regierungsprogramm Blairs sprechen könne und ob hinter dem Schlagwort „Dritter Weg" eine kohärente Philosophie stünde.

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Robinson konstatierte, für die britische Politik sei nicht nur Blair verantwortlich. Gerade die makroökonomische Politik liege weitgehend in den Händen von Kanzler und Wirtschaftsminister Gordon Brown. Blair und seine Berater verstünden wenig von Makroökonomik und seien froh, daß sie sie Gordon Brown überlassen könnten. Brown und seine Mannschaft haben aber im Gegensatz zu Blair nie vom Dritten Weg gesprochen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung bezeichnete Robinson denn auch als sehr orthodox. Zudem relativierte er die Erfolge der britischen Regierung, indem er darauf hinwies, daß die Jugendarbeitslosigkeit schon vor dem Regierungsantritt Blairs um zwei Drittel gesunken war. Auch die Ausgaben für die Angebote im Rahmen der Arbeits- und Fortbildungsmaßnahmen nähmen sich im Vergleich mit fast allen anderen europäischen Ländern eher dürftig aus und seien nur halb so hoch wie in Deutschland. Die Labour-Regierung habe versucht, durch Reformen in der Steuer- und Sozialpolitik Arbeitsplätze zu schaffen. Die Evaluation dieser Maßnahmen habe ergeben, daß durch alle diese Programme die Anzahl der Arbeitsplätze nur um einige zehntausend steigen werde. Anderseits hätten diese Maßnahmen aber schon jetzt zu einer erheblichen Einkommensumverteilung geführt. Ein Gebiet, in dem die Regierung laut Robinson Erfolg hatte, war die zusätzliche Regulierung des Arbeitsmarktes, der in Großbritannien im Verhältnis zu den anderen EU-Staaten bisher sehr schwach reguliert gewesen sei. Zum ersten Mal in der Geschichte Großbritanniens gebe es heute einen nationalen Mindestlohn. Diese Regulierungen seien allerdings gegen den Widerstand Blairs und der Downing-Street durchgesetzt worden.

Nachdem Robinson auch noch auf andere Politikfelder eingegangen war, stellte er zusammenfassend fest, die Blair-Regierung gebe sich wirtschaftsfreundlich, habe aber die Steuern für Unternehmen erhöht und Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarktes eingeführt. Sie betreibe entgegen öffentlicher Verlautbarungen aktiv die gesellschaftliche Umverteilung und steigere die öffentlichen Ausgaben. Robinson deutete an, hierbei ginge es nicht um den erfolgreichen Verkauf einer alten Politik mittels einer neue Rhetorik, sondern Labour agiere ausschließlich nach tagespolitischen Gesichtspunkten und ohne eine kohärente Konzeption im Hintergrund.

Prof. Dr. Jacques-Pierre Gougeon sprach in seinem Vortrag über die französische Variante des Dritten Weges. In Frankreich sei die Debatte

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über den Dritten Weg sehr spät rezipiert worden. Das Thema sei bis Mitte 1998 von den Rechten besetzt gewesen. Erst die Wahl Schröders in Deutschland habe dies geändert, da sich die französischen Sozialisten aus Angst vor einer zunehmenden Isolierung gezwungen sahen, sich mit dem Dritten Weg auseinanderzusetzen. Obwohl auch die französischen Sozialisten die Notwendigkeit einer Umorientierung sozialdemokratischer Politik hin zu einem „aktiven Wohlfahrtsstaat" sähen, betrachte die französische Linke die Marktwirtschaft nach wie vor mit Skepsis. Entsprechend der starken zentralstaatlichen Traditionen Frankreichs werde stets die Notwendigkeit der staatlichen Regulierung betont und die Beschränkung der Marktprinzipien auf die Wirtschaft gefordert. Keinesfalls wolle man eine „Marktgesellschaft". Die neue Aufgabe des Staates sehe man in zunehmenden staatlichen Investitionen. Den Entwicklungen des Dritten Weges in den anderen europäischen Staates stehe man mit Skepsis gegenüber, da man einen Rückzug der Staaten aus der Politik befürchte. In bezug auf die verschiedenen gesellschaftlichen Sphären wie etwa die Kultur diskutiere man allerdings heute auch in Frankreich über den Rückzug des Staates und die Entdeckung neuer gesellschaftlicher Freiräume jenseits staatlicher Reglementierungen.

Felice Besostri sprach anschließend für Italien von einer verfälschten Diskussion um den Dritten Weg. Dies liege daran, daß zum einen Romano Prodi als Protagonist der Bewegung wahrgenommen werde und zum anderen die Kommunisten Italiens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ohne den „Umweg" über die Sozialdemokratie den Weg zum Liberalismus gegangen seien. Die Verfechter des Dritten Weges seien in Italien eher die Kritiker der Sozialdemokratie und der Linken als die Sozialdemokraten selbst.

Besostri führte weiterhin aus, die Handlungsmöglichkeiten des Nationalstaates seien zwar zunehmend eingeschränkt, er bleibe aber trotzdem die einzige direktdemokratisch legitimierte Institution. Dieses Problem sei auch von Giddens nicht ausreichend reflektiert worden. Die Frage, wie auf der internationalen Ebene und innerhalb der EU die Demokratie gestärkt werden könne, müsse ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Eine weitere zentrale Frage sah Besostri darin, wie man die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, ohne vom Mastrichter Vertrag abzuweichen. Die Praxis der Politik sei der entscheidende Punkt wenn es darum ginge, nach der Ausdehnung demokratischer Rechte und der Etablierung des Sozialstaates

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die neue, dritte Phase der Sozialdemokratie zu beurteilen. Positiv an der Diskussion sei, daß sie zum ersten Mal auch auf der internationalen Ebene geführt werde. In Europa ergebe sich durch die große Mehrheit sozialdemokratischer Regierungen auch eine besondere Verantwortung. Allerdings müsse man zunächst die demokratische Legitimation auf der europäischen Ebene durch die Wahlen zum gestärkten Europaparlament abwarten.


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