ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Peter Bender, Deutschlands Wiederkehr. Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945-1990, Klett-Cotta, Stuttgart 2007, 325 S., geb., 23,50 €.

Peter Graf Kielmansegg, Das geteilte Land. Deutsche Geschichte 1945-1990, Pantheon Verlag, München 2007, 765 S., kart., 16,95 €.

Wie soll und kann nach dem Ende der Teilung Deutschlands und Europas die Darstellung der deutschen Nachkriegsgeschichte aussehen? Der renommierte Publizist Peter Bender hat dazu bereits mehrere Arbeiten veröffentlicht, die den Verbindungen, Parallelen und Kontrasten der west- und ostdeutschen Geschichte nachgehen. In diesem Band wird aus früheren Überlegungen die Bilanz gezogen. Es sind vor allem die konzeptionelle Stringenz und die stilistische Eleganz, die für die hohe Resonanz der neuen Publikation in der Öffentlichkeit sorgen. Es ist das Buch eines Historikers und Zeitzeugen. Die Hauptquelle, so der Autor, bestehe ,,aus persönlichen Eindrücken, Erfahrungen, Erlebnissen und Gesprächen in beiden Teilen Deutschlands." Das macht den besonderen Reiz der Darstellung aus. Denn den Autor hat die ,,deutsche Frage" stets umgetrieben und er gehörte zu den frühen Vordenkern einer ,,offensiven Entspannung" (so der Titel seines aufsehenerregenden Buches von 1964) und dezidierten Verfechtern der ,,Neuen Ostpolitik." Es genüge nicht, beide Teile der deutschen Nachkriegsgeschichte nebeneinander zu stellen. ,,Deutschland war mehr als die Summe seiner Teile." Diese Verklammerung ist das Programm des Buches.

Am Anfang steht als Motto ein Zitat aus Jacob Burckhardts ,,Weltgeschichtlichen Betrachtungen", das den internationalen Zusammenhang der deutschen Geschichte andeuten soll, der im letzten Satz wieder aufgenommen wird: ,,Die Deutschen haben Glück gehabt." Denn die Sowjetunion, ohne die es die Teilung nicht gegeben hätte und ohne die es kein Ende der Teilung geben konnte, brach in einem Moment zusammen, in dem es die deutsche Nation noch gab. So stellt sich ex post die Teilung zwar nicht nur als Episode dar, sondern als kompliziertes Provisorium, aus dem aber leicht eine dauerhafte Trennung hätte werden können. Sehr nüchtern und treffend erinnert Bender an die große Zufriedenheit, die für alle europäischen Länder die deutsche Teilung bedeutete. Denn nur ein zweistaatliches Deutschland schien eine gesicherte Zukunft für Europa zu versprechen. In diesem Rahmen konnte die auf internationale Akzeptanz erpichte und trotz aller Abgrenzung auf bundesrepublikanische Hilfe angewiesene SED ihre Kontakte entfalten. ,,Honecker wurde Mode."

Das Buch ist im Kern eine politische Geschichte. Es hat die Nation in der Zeit der Spaltung und im Prozess der Vereinigung zum Gegenstand. Das ist legitim und von erheblichem Interesse. Aber kann das schon eine ,,ungeteilte Geschichte" sein? Ein solches Konzept hat zur Folge, dass die inneren sozialen und kulturellen Entwicklungen in beiden deutschen Staaten und Gesellschaften zwar immer wieder auftauchen, aber gegenüber der deutsch-deutschen Beziehungs- und Kontrastgeschichte doch nur am Rande figurieren. Wer beispielsweise etwas über die ,,dynamischen Zeiten" der Sechzigerjahre mit dem symbolischen Schlüsseljahr 1968 in der Bundesrepublik oder sein kaum wirklich vergleichbares Pendant in der DDR erfahren will, findet hier nicht viel. Das gilt auch für den Aufstand vom 17. Juni 1953 als Schlüsseldatum für die innere Geschichte der DDR. Viele andere Teilthemen ließen sich nennen.

Der ,,lange Weg nach Westen", den die Bundesrepublik absolvierte, wurde möglicherweise erheblich verkürzt durch die Nachbarschaft zur Diktatur im Osten. Andererseits: dass die DDR in vieler Hinsicht viel ,,deutscher" blieb als die Bundesrepublik und in geringerem Ausmaß als die Volksdemokratien des Osten sowjetisiert wurde, hatte auch mit der Nachbarschaft und den vielfältigen Verflechtungen nach Westen zu tun. Diese dritte Dimension - neben Einfluss der SU und der ausgeprägten Orthodoxie der Ulbricht-Mannschaft - bleibt relativ blass. Sie macht aber gerade eine der Besonderheiten der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte aus. Peter Bender wäre der letzte, der das leugnen würde. Aber die starke Fokussierung des Blicks auf Teilung, verdeckten Zusammenhalt und Vereinigung lassen solche verqueren Befunde nur am Rande auftauchen. Dieser Einwand soll lediglich die Probleme eines Konzepts verdeutlichen. Sie stellen in keiner Weise den gelungenen großen Essay in Frage. Die Kontrastgeschichte, die natürlich erhebliche Wechselwirkungen auf beide Teile zur Folge hatte, stellt Bender sehr eindrucksvoll in seinem prägnanten Stil mit einer Fülle funkelnder Formulierungen vor. Diese oft frappierenden oder deprimierenden Gegensätze und verdeckten Ähnlichkeiten halten gewissermaßen die getrennte Entwicklung zusammen. Daraus bezieht die Darstellung ihre innere Spannung. ,,Berlin als Last" hat dabei zu Recht einen herausgehobenen Stellenwert.

Wie die ,,deutsche Frage" ein glückliches Ende gefunden hat und welche aus der Teilungszeit resultierenden Probleme in neuer Form aufgetaucht sind, wird in den beiden letzten Kapiteln dargestellt und erörtert. Bender liest der westdeutschen Politik im Vereinigungsprozess zu Recht kräftig die Leviten. Als sich die Wiedervereinigung abzuzeichnen begann, gab es ,,mehr Machtpolitik als Brüderlichkeit" (so die Überschrift eines Teilkapitels). Schäubles unverblümte Worte in den Verhandlungen des Einigungsvertrages werden zitiert: ,,Wir wollen nicht kaltschnäuzig über eure Wünsche und Interessen hinweggehen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt." Dies war kränkend für die Ostdeutschen und zugleich wohl unvermeidlich. Die DDR des Erich Honecker war gleichberechtigt und wie ein rohes Ei behandelt worden, die von einer demokratischen Regierung vertretene DDR galt nicht mehr als gleichrangig. Maßstab vieler Urteile des Autors ist der konsequente Versuch der gleichberechtigten Behandlung beider Teile.

Das Buch ist nicht primär für die Fachwissenschaft geschrieben. Aus der riesigen Literatur wird nur eine etwas zufällig wirkende Auswahl angeführt. Aber es ist ein engagierter und in den pointierten Urteilen höchst anregender Beitrag zur Erinnerung an die verworrenen, bitteren und auch komischen Seiten der Entwicklung. Für beide Seiten lag der Ausgangpunkt in der Katastrophe von 1945. Nach vielen Windungen, Umwegen und Sackgassen bot sich 1990 eine neue Chance zur in den Fünfzigerjahren von beiden Seiten selbstverständlich gewollten, später aber abgelehnten bzw. allmählich in Vergessenheit geratenen Einheit.

Das im Jahr 2000 erschienene große Werk von Peter Graf Kielmansegg liegt nun auch in einer preiswerten Paperbackausgabe vor (mit einem veränderten Titel und einem ergänzten Literaturverzeichnis). Es hat einen dezidiert anderen Zugang als Bender gewählt. Die DDR-Geschichte ist hier nur der kleinere und missglückte Teil Deutschlands. Den Gründen für dieses Scheitern wird nachgegangen. So sehr dieser Darstellung anzumerken ist, dass sie von einem Westautor geschrieben wurde, so gibt es doch nur wenige Arbeiten, die so umfassend und reflektiert die deutsch-deutsche Nachkriegsentwicklung beschrieben und erörtert haben. (1)

Die Probleme einer integrierten Darstellung sind in beiden Büchern noch nicht überzeugend gelöst. Ob und wie sie zu lösen sind, bleibt vorerst auf der Tagesordnung der zeithistorischen Historiografie.

Christoph Kleßmann, Potsdam

Fußnoten:


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