ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Lutz Hachmeister/Friedemann Siering (Hrsg.), Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, Verlag C.H. Beck (beck’sche Reihe), München 2002, 328 S., brosch., 14,90 EUR.

Das Positive vorneweg: Das von Hachmeister und Siering herausgegebene Buch über die "Herren Journalisten" der bundesdeutschen Nachkriegspresse füllt eine Lücke in der Erforschung der Personalproblematik bei deutschen Zeitungen nach 1945. Es gibt einen Überblick über die großen deutschen Blätter, die nach dem Krieg entstanden, und über das Personal, das den Kurs der Zeitungen bestimmte. Ein vergleichbares Werk fehlte bislang. Schon alleine deswegen ist das Erscheinen des Buches, noch dazu als preisgünstiges Paperback, zu begrüßen. So finden sich Aufsätze über die ersten Jahre der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", des "Spiegel", der "Süddeutschen Zeitung", der "Frankfurter Rundschau", der "Zeit", und des "Stern". Axel Springer, dem deutschen Medienzar in den Jahren des Aufbaus, ist ein ganzes Kapitel gewidmet, der exemplarische Fall des prominenten Fernsehjournalisten Werner Höfer wird berichtet, und als Exkurs wird die Korrespondenz von Hannah Arendt mit ihrem Lektor, dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer Dr. Hans Rößner, geschildert. Interessant und informativ sind die unterschiedlich langen Essays alle, das Buch ein Gewinn für Fachleute und Laien, aber die wissenschaftliche Qualität der Beiträge muss dennoch sehr unterschiedlich bewertet werden.

Zunächst: Von den neun Aufsätzen, das Vorwort einmal ausgenommen, sind drei bereits bestehenden Publikationen entnommen: Der Aufsatz Hachmeisters über den "Spiegel", der Text von Michael Jürgs über Axel Springer und Michael Wildts Bericht über die Korrespondenz von Hannah Arendt mit Hans Rößner. Das ist zunächst nicht weiter ärgerlich, zumal der Aufsatz Hachmeisters über das frühe "Spiegel"-Personal das Prädikat "besonders wertvoll" verdient. Aber der Text von Jürgs, der nahezu unbearbeitet aus seiner Springer-Biographie herausgezogen wurde, passt von Stil und Inhalt her kaum zu dem sonstigen Material. Und auch der Text Michael Wildts ist zwar spannend und in seiner Studie über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes nachzulesen, aber ein nachvollziehbarer Grund, weshalb der Text in einer Aufsatzsammlung über deutsche Nachkriegsjournalisten steht, findet sich auch in Hachmeisters Vorwort nicht.

Bleiben also sechs Aufsätze, bei denen allerdings weitere Abstriche gemacht werden müssen. Nehmen wir das Essay von Mathias von der Heide und Christian Wagener über "Das erste Jahrzehnt der ,Zeit‘". Intensiv haben die Autoren die ersten Ausgaben der Wochenzeitung studiert, und was sie in Leitartikeln und Kommentaren gefunden haben, ist auch für den Fachmann immer noch aufregend und aufschreckend: Massive Schuldverdrängung, nationalistische Ressentiments, Antisemitismus und schlichte Taktlosigkeit im Umgang mit der deutschen Vergangenheit – all das kennzeichnete den Tenor der "Zeit"-Artikel in den ersten zehn Jahren. Dass die heute gerne "altehrwürdige liberale Wochenzeitung" betitelte "Zeit" sich im Umgang mit der eigenen Vergangenheit mindestens so schwer tut wie der "Spiegel", erwähnen die Autoren allenfalls am Rande. Die von Karl-Heinz Janßen verfasste Geschichte der "Zeit" zum 50-jährigen Jubiläum beschreibe die Frühgeschichte in "leicht geglätteter Form", schreiben die Autoren. Diese Aussage ist allerdings tatsächlich geglättet, denn in dem Janßen-Buch wird die anti-britische, pro-nationale Haltung des Blattes als "einzige kritische Stimme der Nachkriegszeit" schön geredet. Ein weiteres fehlt in dem Aufsatz: Als Redakteure mit NS-Vergangenheit werden die üblichen Verdächtigen genannt – Müller-Marein, Lorenz, Samhaber, Fechter, von Studnitz – die breite Masse der Redaktion bleibt auch in diesem Aufsatz ungenannt. So geben die Autoren in komprimierter und gut aufbereiteter Form Bekanntes von sich, neue Erkenntnisse haben sie nicht.
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Höhepunkt des Sammelbandes ist zweifellos der Aufsatz des Mitherausgebers Friedemann Siering über "Die Gründergeneration der Frankfurter Allgemeinen". Hier wird wirklich Neues geboten, Zusammenhänge dargestellt, die unterschiedliche Herkunft der Redakteure aufgezeigt und die Lebensläufe der wesentlichen FAZ-Männer skizziert: Paul Sethe und Erich Welter. Spannend auch die gewollten Kontinuitäten zur "Frankfurter Zeitung", dem großen Vorgängerblatt, das im "Dritten Reich" einen waghalsigen, aber auch viel kritisierten Spagat gewagt hatte: den Weg zwischen Anpassung und verdeckter Opposition.

Auch das Kapitel "Wie Henri Nannen den ,Stern‘ erfand" ist interessant zu lesen. Nils Minkmar entmythologisiert die Gründungslegende und entdeckt vor allem inhaltlich-konzeptionelle Kontinuitäten des erfolgreichen deutschen Magazins zu einem Vorgängerblatt aus der NS-Zeit. Gut geschrieben auch das Essay von Bernd Gäbler über "Die Sonderstellung der ,Frankfurter Rundschau‘ in der deutschen Nachkriegspublizistik", wenngleich dieses Kapitel mehr ein schönes Lesestück als ein erkenntnisbringender, inhaltlich tiefgehender Beitrag ist. Diametral gegenüber steht dieser Text dem Beitrag Pauls Hoser’s zu den Anfängen der "Süddeutschen Zeitung". Hoser bringt zwar einige Informationen über die Vergangenheit der frühen SZ-Redakteure, obgleich diese sehr bruchstückhaft sind. Der Text leidet aber an sprachlichen Mängeln, wodurch er sich von allen anderen Beiträgen negativ absetzt.

Zum Schluß noch ein paar Sätze zu Hachmeisters Vorwort, das immerhin knapp dreißig Seiten umfasst. Es ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. An anderer Stelle bereits kritisiert worden ist, dass es, in komplizierter Wissenschaftssprache geschrieben, für den Laien kaum verständlich ist. Das ist einerseits richtig. Hachmeister formuliert hier aber andererseits einen neuen Forschungsanspruch, nämlich die "Konkrete Kommunikatorforschung". Menschen machen Medien, heißt verkürzt sein kommunikationswissenschaftliches Glaubensbekenntnis, und wer die Entwicklung der Nachkriegspresse in der Bundesrepublik verstehen will, der muss die Köpfe kennen, die dahinter stecken. Als Beitrag dazu, die Vergangenheiten der Medienmacher aufzudecken und dadurch die Medien besser zu verstehen, will er den Band eingeordnet wissen. Gerecht werden diesem Anspruch streng genommen nur sein eigener Aufsatz und der des Mitherausgebers Siering. Aber immerhin: Hachmeister gibt einen Anstoß, welcher Weg in Zukunft in kommunikations-historischer Hinsicht eingeschlagen werden könnte. Leider finden sich in dem Band immer noch zu viele Beispiele, wie eine oberflächliche Herangehensweise einer tieferen Erkenntnis mehr schadet als nutzt. Denn dann käme man tatsächlich irgendwann zu dem Punkt, an dem man wie Haug von Kühnheim in der "Zeit" schreiben könnte: Ist ja alles schon bekannt und vielfach aufgeschrieben worden. Das aber ist es keineswegs. Und schon gar nicht die Frühgeschichte der "Zeit".

Christian Sonntag, Düsseldorf




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