FDGB-Lexikon, Berlin 2009


Gesellschaftliche Aktivität. G.A. bezeichnet die in der Freizeit ausgeübte Tätigkeit in den Parteien, im FDGB und in den anderen Massenorganisationen.
Als „Kampforganisation der Arbeiterklasse“ beanspruchte die SED die Führungsrolle in Staat und Gesellschaft. Die Fixierung auf die Partei fand ihren Ausdruck in der zentralist. Organisation aller Lebensbereiche. Diese Zentralisierung beförderte die Bildung mitgliederstarker Vereinigungen, die auf ihrem jeweiligen Gebiet eine Monopolstellung innehatten und der SED zur Einbindung unterschiedlicher polit., sozialer und geistiger Vorstellungen und Traditionen dienten.
Schon der Eintritt in eine solche Vereinigung galt als polit. erwünscht, denn er wurde als Bekenntnis zum bestehenden System gewertet. Einen noch höheren Stellenwert nahm die Bereitschaft zu g.A. ein. Dieser Begriff umfasst eine Vielzahl von Tätigkeiten - von der passiven Teilnahme an Veranstaltungen und Versammlungen bis zur aktiven Ausübung eines Ehrenamtes. Die meisten Mitglieder von Parteien und Massenorganisationen beließen es bei der Zahlung ihrer Beiträge. Ihre Zurückhaltung erklärt sich durch Desinteresse, Resignation, Distanz, aber auch die Angst, sich auf einem zu weit vorgeschobenen Posten polit. zu diskreditieren. Die Motive derjenigen, die mehr Engagement zeigten, waren ebenfalls vielfältig, wobei die Zahl derjenigen, die sich aus polit. Überzeugung engagierten, im Laufe der Jahre schrumpfte. Viele versprachen sich einen Zugewinn an Sozialprestige und Machtteilhabe. Andere glaubten, durch die Übernahme einer Funktion mit eng begrenztem Aufgabenbereich den Rückzug in die Privatsphäre umso besser absichern zu können. Als Beweggründe nicht zu unterschätzen sind jedoch Pflichtgefühl und der Wille, den eigenen Lebensbereich mitzugestalten. Hier drohte die „Aktivitätsfalle“ zuzuschnappen, wie sich der Historiker Stefan Wolle 1999 erinnerte: „Wer die Dinge in seinem Wohngebiet, am Arbeitsplatz oder in den Kindergärten und Schulen zum Besseren wenden wollte, lief Gefahr, durch die Beteiligung tendenziell integriert zu werden. Diese Problematik hatte keine abstrakte, sondern eine eminent praktische Bedeutung: Wie viel durfte man um der Sache willen schlucken, wo begann die fadenscheinige Bemäntelung des eigenen Opportunismus?“
Der FDGB als die größte Massenorganisation der DDR bot besonders viele Möglichkeiten, g.A. unter Beweis zu stellen. Zu Beginn der achtziger Jahre waren im FDGB etwa 2,4 Mio. ehrenamtliche Funktionäre tätig. Dadurch, dass die Gewerkschaften einen Anspruch auf unbedingte Zustimmung stellten, machten sie sich aber auch erpressbar: Austritte und die Weigerung, an Wahlen teilzunehmen, erzielten gerade wegen ihrer Singularität eine überproportionale Wirkung und veranlassten die Verantwortlichen zu Konzessionen, die es ihnen erlaubten, weiterhin Geschlossenheit zu demonstrieren.
A.S.