Quellen zur Entwicklung der sozialistischen Internationale (1907 - 1919)

- Internationale Verbindung Sozialistischer Jugendorganisationen -


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Internationale Verbindung Sozialistischer Jugendorganisationen

von Gerd Callesen


Mitte der 1880er Jahre entstanden die ersten sozialistischen Jugendverbände in einigen europäischen Ländern (Belgien, Holland, Dänemark), die sich jedoch nicht alle als lebensfähig erwiesen. Knapp 10 Jahre später entstand der Verband jugendlicher Arbeiter in Österreich, aber erst nach der Jahrhundertwende waren Jugendorganisationen in den meisten europäischen Ländern entstanden bzw. neu gegründet; in Dänemark z.B. sollte sich erst die dritte Gründung 1907 als dauerhaft erweisen.

Auf dem Internationalen Sozialistischen Kongress in Paris 1900 wurde die Frage der Jugend bzw. der Jugendorganisationen behandelt und in den Zusammenhang des Kampfes gegen den Militarismus gesetzt. Eine entsprechende Resolution mit der Aufforderung an die Parteien, die Jugend zum Kampf gegen den Militarismus zu organisieren, wurde angenommen. Angeblich fand auch eine Konferenz von Jugendvertretern statt, die aber genauso folgenlos blieb wie eine Zusammenkunft während des Amsterdamer Internationalen Sozialistischen Kongresses 1904.

Ein neuer Ausgangspunkt ergab sich auf einem Kongress der süddeutschen Arbeiterjugendvereine Ende September 1906. Karl Liebknecht trug hier ein Referat zum antimilitaristischen Kampf (,,Militarismus und Antimilitarismus") vor und im Anschluss daran wurde vorgeschlagen, die Gründung einer sozialistischen Jugendinternationale vorzubereiten. Beauftragt wurde damit Hendrik de Man, ein Vertreter des belgischen sozialistischen Jugendverbandes, der in Deutschland studierte. Diese Arbeiten sollten bis zum Internationalen Sozialistischen Kongress 1907, der in Stuttgart stattfand, abgeschlossen sein. de Man leitete die Arbeit ein, und es gelang ihm ab Dezember 1906 bzw. Januar 1907 ein Bulletin der Jugendinternationale in einer französischen und einer deutschen Ausgabe zu veröffentlichen. Formal wurde im März 1907 ein provisorisches Büro der Jugendinternationale gegründet, das de Mans Arbeit finanziell unterstützte. In der Vorbereitung des vorgesehenen Kongresses im August 1907 stellte de Man eine Schrift mit Berichten der bestehenden Jugendorganisationen zusammen, die rechtzeitig vor dem Kongress auf Deutsch und Französisch veröffentlicht wurde. Auf dem Kongress erschienen 21 Vertreter von Jugendorganisationen aus 13 Ländern, die etwa 60.000 Mitglieder vertraten. Eine Reihe der Delegierten spielten in den kommenden Jahrzehnten eine bedeutende Rolle in der Arbeiterbewegung.

Die Jugendorganisationen und damit auch die Internationale hatten - abgesehen von den Unterdrückungsmaßnahmen der Regierungen und der Arbeitergeber auch in den Ländern, in denen ansonsten eine legale Arbeiterbewegung möglich war - zwei wesentliche Probleme. Das eine war die mangelnde organisatorische und politische Stabilität, das andere war das fehlende Interesse der bestehenden Arbeiterorganisationen, das unter Umständen auch in direkten Widerstand gegen die selbständige Arbeit der Jugendorganisationen umschlagen konnte. Für die Internationale zeigte sich dies in den Plänen, die Jugendinternationale dem Internationalen Sozialistischen Büro in Brüssel unterzuordnen, wie u.a. aus den Statutenentwürfen des Jahres 1912 hervorgeht. Dieser Versuch wurde jedoch von den eher aktivistischen Jugendverbänden verhindert.

In einigen Ländern spalteten sich die Jugendorganisationen, grössere oder kleinere Teile der Verbände zeigten sich aufgeschlossen gegenüber der Kritik von Seiten syndikalistischer Gruppierungen an der Taktik der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung (etwa in Dänemark, Schweden und Italien). In einigen wichtigen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA kamen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg selbständige Jugendorganisationen der Arbeiterbewegung kaum über einen Anfang hinaus. In anderen Ländern war die Mitgliederzahl einer starken Fluktuation unterworfen, selbst in Belgien mit seinem traditionsreichen und aktionsfreudigen Jugendverband war dieser nicht frei von solchen Problemen. In der Vorkriegszeit wurden die Jugendorganisationen in Belgien, Böhmen, Dänemark, Finnland, Italien, Norwegen, Österreich und Schweden die mitgliederstärksten Verbände. Der Arbeiterjugendverband in Deutschland war - aus juristischen Gründen - nicht Mitglied der IVSJ. Tatsächlich dürften auch politische Gründe von Wichtigkeit gewesen sein; die Internationale mit ihrem Präsidenten Karl Liebknecht stand der Mehrheit der deutschen Partei zu weit links. Gleichwohl spielte der deutsche Verband in den Kulissen eine wichtige Rolle.

Auf dem Stuttgarter Kongress wurden als die wichtigsten Arbeitsgebiete der Jugendinternationale der Kampf gegen den Militarismus und die Bildungsfrage benannt. Weiter wurden noch der wirtschaftliche Kampf der arbeitenden Jugend und die Alkoholfrage diskutiert und entsprechende Resolutionen angenommen. Diese waren jedoch nicht verbindlich, sondern sollten nur als Richtlinien gelten. Insgesamt war die Struktur der IVSJ wie die der Internationale sehr locker, es war mehr ein Verbindungsbüro als eine eigentliche Organisation. Gewiss wurden ein Präsident, ein Sekretär (de Man, ab 1908 Robert Danneberg) und ein Büro gewählt (das letztere trat niemals zusammen). Ein Bulletin wurde zwar einigermassen regelmäßig auf Deutsch, Englisch und Französisch herausgegeben, jedoch war dieses seit 1908 nur ein Informationsorgan und enthielt keine internen Diskussionen über die Aufgaben der Internationale. Gleichwohl enthält dieses Bulletin wichtiges Material; es ist daher umso bedauerlicher, dass es nicht möglich war, aus den Exemplaren in den untersuchten Archiven zumindest in einer Sprache ein vollständiges Exemplar zusammenzustellen. Jedoch ergänzen die deutsche und französische Ausgabe sich einigermaßen. Zur weiteren Ergänzung sind die Zeitschriften der Mitgliedsorganisationen der IVSJ heranzuziehen. Dies gilt besonders für die österreichische Verbandszeitschrift ,,Der Jugendliche Arbeiter", aber auch etwa für die Monatszeitung ,,Fremad" des dänischen Verbandes.

Die Widersprüche zwischen den Mitgliederorganisationen wurden nicht ausgetragen, sie fanden nur teilweise ein Echo in den Spalten des theoretischen Organs der SPD, ,,Die Neue Zeit", in den Jahren 1907 bis 1914. Die Organisation der IVSJ blieb also schwach, und bei Ausbruch des Weltkrieges 1914 stellte der Sekretär einfach die Arbeit des Sekretariats ein. Er wollte das Kriegsende abwarten. Die Vereinigung schien friedlich verstorben zu sein.

Die Jugendinternationale hatte 1910 und 1912 im Anschluss an die Internationalen Sozialistischen Kongresse in Kopenhagen und Basel eigene Kongresse durchgeführt und für 1914 den nächsten vorbereitet, der jedoch wie die anderen geplanten Kongresse nicht abgehalten werden konnte.

Recht bald nach dem Kriegsausbruch und der Schließung des Büros der IVSJ begannen verschiedene der angeschlossenen Organisationen aus den nicht Krieg führenden Ländern Italien, der Schweiz und Skandinavien untereinander Kontakte zu schaffen, um eine internationale Jugendkonferenz zur Rekonstruktion der Jugendinternationale einzuberufen. Diese Initiativen hatten Erfolg und in Bern fand eine Konferenz vom 4.-6. April 1915 mit 16 Delegierten aus 10 Ländern statt. Hier wurde Willi Münzenberg zum Sekretär gewählt, dem es in den kommenden Jahren gelang, mit ungewöhnlicher Tatkraft eine umfassende Organisation aufzubauen, die in der Neuformierung der Arbeiterbewegung während des Weltkrieges und danach eine wichtige Rolle spielte. Nicht zumindest die Zeitschrift ,,Jugendinternationale" war hierbei zentral. Sie erschien auf Deutsch und (gekürzt) in einer skandinavischen Ausgabe. Angeblich wurde auch eine italienische Ausgabe publiziert, während ein bedeutender Anteil der Artikel in der Zeitschrift ,,Voix des Jeunes" des schweizerischen Jugendverbandes auf Französisch veröffentlicht wurde.

Die IVSJ näherte sich während des Weltkrieges einer einheitlichen politischen Bewegung mit in manchen Beziehungen gleichartigen Einschätzungen. Obwohl man bei Kriegsende nicht von einer einheitlichen politischen Theorie der Jugendinternationale sprechen kann, so verstanden sich doch alle Organisationen als revolutionär. Jedoch brach die IVSJ schon 1919 in die damals drei hauptsächlichen Richtungen der politischen Arbeiterbewegung auseinander, der größere Teil schloss sich 1919 auf dem vierten IVSJ- Kongress zur Kommunistischen Jugendinternationale zusammen.

Die hier vorgelegen Dokumente gehen in einigen Punkten über die eigentlichen Kongressmaterialien hinaus und sind tendenziell alle von der Internationale veröffentlichten Dokumente. Jedoch sind hier auch seltene Schriften zu finden, die nicht von der IVSJ veröffentlicht wurden - z.B. die von Willy Trostel herausgegebene Schrift Was wollte Münzenberg? und die Erinnerungen von Georg Tschitscherin - die für die Entwicklung der Jugendinternationale von Interesse sind.

Übersetzungen der deutschsprachigen selbständigen Veröffentlichungen können hier nicht erfasst werden, es liegen aber solche in verschiedenen Sprachen vor, z.B. die Schrift Karl Liebknechts ,,Militarism, with Special Regard to the International Young Socialist Movement", Glasgow 1917. Diese erschien anscheinend ohne direkte Verbindung mit der Jugendinternationale. Zeitungsberichte, z.B. Erklärungen des Büros der Internationale, konnten mit wenigen Ausnahmen nicht berücksichtigt werden.

In der von der schweizerischen Jugendorganisation herausgegebenen Schriftenreihe ,,Sozialistische Jugendbibliothek" erschienen drei Hefte im Verlag der Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen (Heft 14, 15 und 16); nur diese drei Veröffentlichungen werden in dieser Dokumentation zugänglich gemacht.

Dieser Teil der Dokumente zur Sozialistischen Internationale geht zeitlich über die beiden anderen Teile weit hinaus; die Bibliographie von Georges Haupt schließt mit dem Jahr 1914 ab und verzeichnet u.a. aus diesem Grund nur 14 Dokumente. Hier werden etwa 60 Dokumente zugänglich gemacht und zusätzlich die Zeitschriften der IVSJ: Bulletin 1906-1914, Jugendinternationale 1915- 1919 und Zirkularschreiben 1918-1919. Für die ersten elf Nummern der Jugendinternationale wurde der Nachdruck dieser Nummern bevorzugt. In diesem wurden lateinische Buchstaben verwendet, die für die heutigen Leser einfacher zu lesen sind; die Nummern 12 bis 15 werden allerdings in der originalen Schrift vorgelegt. Die Jugendinternationale wurde nach der Nummer 10 verboten. Als 11. Nummer der Zeitschrift erschien jedoch zum 1. Mai 1918 ein Mai - Heft mit dem Titel ,,Brot, Frieden und Freiheit". Das Zirkularschreiben wurde nach dem Verbot als Notlösung veröffentlicht und erschien von März 1918 bis April 1919; danach konnte die Jugendinternationale mit Nummer 12 wieder erscheinen.

Karl Liebknechts Rede auf dem Kopenhagener Kongress von 1910 wird nach der Veröffentlichung in den Gesammelten Reden und Schriften Karl Liebknechts, Band 3, Berlin 1960, publiziert, da die originale Quelle, die Brandenburger Zeitung, nicht zur Verfügung stand.

Zu den wichtigsten Darstellungen der Entwicklung der Jugendinternationale gehören die Arbeit von Richard Schüller, der offensichtlich Zugang zu derzeit unbekanntem Quellenmaterial hatte, aus dem er einige zentrale Dokumente zitiert, wie auch Willi Münzenbergs Aufzeichnungen aus 15 Jahren proletarischer Jugendbewegung, die vorläufig als Ersatz für derzeit nicht auffindbare Dokumente zu gelten haben. Es gibt ein Teilarchiv der IVSJ im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, das u.a. von Patrizia Dogliani in ihrer Arbeit über die IVSJ ausgewertet wurde.

Die Dokumente stammen aus folgenden Institutionen:
Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek, Oslo,
Arbejderbevægelsens Bibliotek og Arkiv, Kopenhagen
Arbetarrörelsens Arkiv, Stockholm,
Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Gosudarstvennaia Obshchestvenno-Politicheskaia Biblioteka (Socio-Political State Social Political Library), Moskau,
Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam,
Institut für Soziale Bewegungen (ISB), Bochum
Rossiiskii Gosudarstvennyi Arkhiv Sotsial'no-Politicheskoi Istorii (Russian State Archive of Social and Political History), Moskau,
Schweizerische Nationalbibliothek, Bern
Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Berlin
Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien

Literatur:

Richard Cornell: Revolutionary Vanguard: The Early Years of the Communist Youth International 1914-1924, Toronto 1982

Patrizia Dogliani: La ,,Scuola delle reclute". L'Internazionale giovanile socialista dalla fine dell'Ottocento alla prima guerra mondiale, Torino 1983

Heinrich Eppe: 70 Jahre Sozialistische Jugendinternationale / Verf.: Heinrich Eppe ; Wolfgang Uellenberg. - Bonn : Sozialistische Jugend Deutschlands, 1976. - 247 S. : Ill.. - (Dokumente / Sozialistische Jugend Deutschlands Die Falken ; 12/13)

Heinrich Eppe; Die Kraft der Solidarität : 80 Jahre Sozialistische Jugendinternationale / [Hrsg.]: Internationale Union der Sozialistische Jugend (IUSY). - Wien, 1987. - 133 S. : zahlr. Ill.

Ludwig Frank: Reden, Aufsätze und Schriften. Berlin 1924.

Radomir Luza: History of the International Socialist Youth Movement, Leiden 1970

Hendrik de Man: Wie wir die Jugendinternationale gründeten. In: Arbeiter-Jugend. Monatsschrift der Sozialistischen Arbeiterjugend, Berlin, 24. Jg., Oktober 1932, Nr. 10

Willi Münzenberg: Die dritte Front. Aufzeichnungen aus 15 Jahren proletarischer Jugendbewegung, Berlin 1930

Wolfgang Neugebauer: Bauvolk der kommenden Welt. Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Österreich, Wien 1975

Achim Reinhardt: Rolle und Funktion des Sekretariats der ,Internationalen Verbindung Sozialistischer Jugendorganisationen' (Entwicklung und Tätigkeit 1907-1917), Leipzig 1965

Richard Schüller: Von den Anfängen der proletarischen Jugendbewegung bis zur Gründung der KJI, Berlin 1931

Jørgen Würtz Sørensen: Socialdemokratisk ungdom. Fremskridtsklubberne i Jylland 1885-1904. In: Meddelelser om forskning i arbejderbevægelsens historie, Heft 8, 1977, S. 4-17

Jørgen Würtz Sørensen: Udviklingen i den ungsocialistiske bevægelse i Danmark 1900-1910, ebenda: Heft 12, 1979, S. 4-24

Die Neue Zeit, Stuttgart, Jg. 26 - 32, 1907 bis 1914


Zeittafel zur Entwicklung der IVSJ

1907

Januar:

Provisorische Ausgabe des internationalen Bulletins

 

März:

Gründung des provisorischen internationalen Bureaus

 

August:

1. Kongress Stuttgart

1910

September:

2. Kongress Kopenhagen

1912

November:

3. Außerordentlicher Kongress Basel

1914

August:

4. Kongress Wien (nicht stattgefunden)

1915

April:

Konferenz in Bern

 

Oktober:

1. Internationaler Jugendtag

1916

Februar:

1. Bureausitzung Zürich

 

September:

2. Internationaler Jugendtag

1917

Mai:

2. Bureausitzung Stockholm

 

September:

3. Internationaler Jugendtag

1918

Dezember:

Bureausitzung/Konferenz Berlin

1919

Mai:

Bürositzung Zürich

 

August:

Konferenz/Vorkonferenz Wien

 

Herbst:

Internationaler Jugendtag

 

November:

4. Kongress (= 1. Kongress der Kommunistischen Jugendinternationale)


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