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Einführung zu dem Thema DDR-Geschichte
Dr. Patrik von zur Mühlen

Das offizielle Bild der Gesellschaft in der DDR beruhte auf einem vorgeblichen Konsens. Es unterstellte eine allseitige Zustimmung der Bevölkerung zum Kurs von Partei und Staat, deren einziges fürsorgliches Bestreben wiederum das Wohlergehen des werktätigen Volkes gewesen sei. Wer sich dazu kritisch äußerte und Distanz zur Politik der Regierung zeigte, stellte sich nach Auffassung des SED-Regimes außerhalb der Gesellschaft, verriet die behauptete Einheit von Staat, Partei und Volk. Der von der Stasi verwendete Begriff "feindlich-negativ" für solche Personen charakterisiert wie kein zweiter die Mischung von Fürsorglichkeit und Zwang.

Diese erzwungene und vorgetäuschte Harmonie verdeckte die Tatsache, dass die SED-Herrschaft auf brutaler Unterdrückung Andersdenkender beruhte und auf dem Versuch der Gleichschaltung derjenigen Kräfte, die zwar geduldet, aber in ihrem Aktionsraum stark eingeschränkt wurden. In jahrzehntelanger kommunistischer Diktatur geriet in Vergessenheit, dass auch die SBZ und spätere DDR Ansätze zu einer demokratischen Gestaltung des öffentlichen Lebens entwickelt hatte, die durch Terror und Gewalt abgewürgt wurde.

So wurden Hochschulen, Kirchen, Vereine und Verbände in ihrem Aktionsradius eingeschränkt, durch Infiltration mit Spitzeln durchsetzt, durch Entzug finanzieller Mittel ihrer Autonomie beraubt und auf vielfache Weise dem Regime gefügig gemacht. So wurden die bürgerlichen Parteien in den späten Vierziger- und frühen Fünfziger-Jahren unter anderem dadurch gleichgeschaltet und als sog. Blockparteien in das Herrschaftssystem integriert, dass man ihre selbständigen und unabhängigen Vertreter verfolgte oder zur Flucht zwang und die Parteibasis einschüchterte.

Teil dieses Prozesses war auch die bereits 1946 vollzogene Vereinigung von KPD und SPD zur SED. Ein Teil der sozialdemokratischen Parteibasis war durch Zwang und Einschüchterung zu diesem Schritt bewogen worden, ein anderer hatte sich täuschen lassen, ein dritter hatte die Konsequenz gezogen und war in den Westen geflüchtet. Wenige Jahre später, ab Ende der Vierziger-Jahre, wurden im Rahmen des Kampfes gegen den "Sozialdemokratismus" ehemalige SPD-Mitglieder von führenden Posten in der Partei entfernt, teilweise verfolgt und wegen angeblicher Delikte in Terrorprozessen zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Die SED vermochte es jedoch niemals, unabhängiges Denken und Freiheitsgefühl vollständig zu unterbinden. Ereignisse wie der 17. Juni 1953, eine gespannte Atmosphäre während des Ungarn-Aufstandes 1956, Proteste gegen die Unterdrückung des "Prager Frühlings" 1968 zeigten immer wieder, dass die Bevölkerung sich mit der kommunistischen Herrschaft nicht abgefunden hatte.

Während der Nachrüstung in Ost und West in den frühen Achtziger-Jahren bildeten sich in der DDR Friedens- und Umweltgruppen und bald auch Menschenrechtsgruppen, die sich - teilweise im Rahmen der Kirchen und unter Berufung auf die Beschlüsse der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/KSZE in Helsinki 1975 - für Rechtsstaatlichkeit, Liberalität und Pluralismus einsetzten. Diese Ziele hatte auch die westdeutsche Sozialdemokratie in ihren Kontakten mit der SED-Spitze angemahnt und im gemeinsam beschlossenen "Streitpapier" 1987 ausformuliert. Die SED hatte dieses Angebot zum Dialog nicht aufgegriffen.

Im Sommer und Herbst 1989 schlossen sich Bürgerbewegungen und Basisgruppen in ersten überregionalen Verbänden zusammen. Teil dieser Entwicklung war auch die Gründung der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), deren Vorbereitung konspirativ und ohne jedes Wissen der westdeutschen SPD geschah. Am 7. Oktober 1989 konstituierte sie sich im märkischen Dörfchen Schwante und leitete mit dieser Gründung, zusammen mit den anderen sich formierenden Gruppen, die Wende und damit das Ende der SED-Herrschaft ein. Die SDP (ab Januar 1990: SPD) war am Runden Tisch beteiligt, mit dem der Übergang von der kommunistischen Diktatur zur Demokratie eingeleitet wurde, und an der ersten frei gewählten Regierung der DDR. Sie trug auf ihre Weise bei zur Wiedervereinigung Deutschlands in einem freien, konstitutionellen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat in einem sich einigenden Europa.

Die Geschichte der DDR ist vor allem jüngeren Menschen eine in die Ferne gerückte Vergangenheit. Viele übersehen, dass die Opfer der Verfolgung und der Zwangsherrschaft ebenso unter uns wohnen wie die Täter des Unrechtsregimes der SED. Viele der Akteure der Wende wirken heute als Politiker mit in Bund und Ländern. Und die Folgen einer vierzigjährigen Diktatur werden noch in Jahrzehnten erkennbar sein. Geschichte ist immer auch ein Stück Gegenwartsproblematik.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung stellt daher historische Texte zur Geschichte der DDR und insbesondere zu den hier angesprochen Themenkreisen ins Internet, damit sie von interessierten Personen abgerufen und insbesondere von jüngeren Menschen gelesen und verarbeitet werden können. Sie will damit alle ansprechen, deren Blick über das Tägliche und Heutige hinausführt zu der Erkenntnis, dass wir alle Teil der Geschichte sind und auch das Recht und die Pflicht haben, sie zu gestalten.

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Dr. Patrik von zur Mühlen, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung