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TEILDOKUMENT:


[Essentials]

  • Die japanische Wirtschaft hat ein makroökonomisches Problem: die unzureichende Entwicklung der Nachfrage, insbesondere des privaten Verbrauchs. Die Lösung dieses Problems erfordert ein makroökonomisches Krisenmanagement, das heißt zum Beispiel eine expansive Geld und/oder Fiskalpolitik.

  • Sie hat zudem ein Sektorproblem mit gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen: die Krise des Finanzsektors. Diese Krise läßt sich nur durch eine entschiedene Reform und durch Reregulierung des Finanzsektors überwinden.

  • Und sie hat schließlich ein Strukturproblem: Dieses drückt sich aus in Verzerrungen und Rigiditäten, die auf exzessive staatliche Regulierungen oder private Praktiken der Unternehmensführung zurückgehen. Wirtschaftliche Strukturreformen, Re- und Deregulierung sowie (von den privaten Unternehmen zu leistende) Veränderungen in der Managementpraxis stehen hier auf der Tagesordnung.

  • Die Ursache der Wachstumsverluste ist vor allem der Rückgang des privaten Konsums, weniger der privaten Investition, die selbst in der Krise noch 14 Prozent des Sozialprodukts ausmacht. Im Zentrum steht der Sachverhalt, daß die Ersparnisse der Haushalte die als profitabel erachteten Investitionen übersteigen. Die Krise Japans ist die Krise einer wohlhabenden Gesellschaft mit einer vergleichsweise egalitären Einkommensverteilung

  • Die hohe und in der Krise steigende Sparrate der Haushalte hat mehrere Gründe. Erstens zwingen die hohen Kosten der als notwendig angesehenen „Investitionen" der Haushalte - die Ausbildung der Kinder und der Erwerb von Wohneigentum - generell zu im internationalen Vergleich hoher Ersparnisbildung. Zweitens wird ein im internationalen Vergleich hoher Anteil der sozialen Vorsorge privat getragen. Drittens - und dies ist entscheidend - haben die Unternehmen ihren Anteil an der sozialen Vorsorge implizit aufgekündigt.

  • Da die Geldpolitik in der Liquiditätsfalle nicht greift, lastet die Aufgabe der wirtschaftlichen Wiederbelebung ausschließlich auf der Fiskalpolitik. Die Regierung muß künstlich zusätzliche Nachfrage schaffen, die für die Haushalte zusätzliches verfügbares Einkommen wäre; höhere Einkommen wiederum würden die Konsumnachfrage steigern.

  • Ein anderer Ausweg aus diesem Dilemma liegt (laut Paul Krugman) darin, daß man der Wirtschaft verschafft, was sie "will": Inflation. Die Zentralbank müßte Geld drucken. Sie müßte glaubhaft machen, daß das künftige Preisniveau im Vergleich zum gegenwärtigen dauerhaft hoch genug sein wird, um Kauf- und Investitionsentscheidungen zu motivieren. Zur Verfolgung zweiten Weges - der Inflationierung der Wirtschaft - wird die Regierung, auch wenn sie ihn nicht gehen will, gezwungen werden.

[Überblick]

Die japanische Wirtschaft hat drei schwere Probleme. In der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit sind dies erstens ein makroökonomische Problem: die unzureichende Entwicklung der Nachfrage, insbesondere des privaten Verbrauchs; zweitens ein Sektorproblem mit gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen: die Krise des Finanzsektors; und drittens ein Strukturproblem: Verzerrungen und Rigiditäten, die auf exzessive staatliche Regulierungen oder private Praktiken der Unternehmensführung zurückgehen.

Den drei Problemen entsprechen drei Lösungsansätze: erstens makroökonomisches Krisenmanagement (eine expansive Geld und/oder Fiskalpolitik); zweitens die Reform und Reregulierung des Finanzsektors; und drittens wirtschaftliche Strukturreformen, Re- und Deregulierung sowie (von den privaten Unternehmen zu leistende) Veränderungen in der Managementpraxis.

Die japanische Regierung operiert an allen drei Fronten mit „im Prinzip" richtigen Ansätzen, gleichwohl wird international die Inkonsistenz der japanischen Wirtschaftspolitik gerügt. Diese Inkonsistenz (der allerdings auch die ausländischen Kritiker oft genug unterliegen) ergibt sich aus der unangemessenen Bewertung der Dringlichkeit der Probleme und daher einer unangemessenen Reihenfolge der wirtschaftspolitischen Schritte.

Wenn man etwa in den strukturellen Verzerrungen und Rigiditäten der japanischen Wirtschaft das vordringlich zu lösende Problem der Krise sieht, wäre es sinnvoll, Regulierungen abzubauen, die privaten Restrukturierungsbemühungen der Unternehmen abzuwarten und darüber hinaus auf wirtschaftspolitische Eingriffe zu verzichten bzw. eine orthodoxe Geld- und Fiskalpolitik zu realisieren, um die erwünschten kathartischen Wirkungen der Krise nicht zu unterlaufen. Langfristig würden die großen Unternehmen Überkapazitäten abbauen und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, womit neue Unternehmen neue und profitable Geschäftsfelder erschließen und neue Produkte und Dienstleistungen anbieten könnten. Die hiermit einher gehende Arbeitslosigkeit und generelle Unsicherheit würde die Nachfrage der privaten Haushalte und die Erweiterungsinvestitionen der Unternehmen kurzfristig weiter schrumpfen lassen, mit der Folge weiterer Wachstumsverluste. Niedriges oder negatives Wachstum würde auch den Finanzsektor belasten, da die Einstufung von Kreditrisiken - die Einstufung eines Kredits als „faul" oder „gesund" - natürlich auch von den Wachstumsperspektiven des Kreditnehmers abhängt.

Wenn man dagegen das vordringlich zu lösende Problem der japanischen Krise im Finanzsektor sieht, müssten auf der einen Seite bestehende informelle Regulierungen, die auf eine staatliche Deckung privater Kreditrisiken hinauslaufen, abgebaut und gleichzeitig neue Standards, die Risiken in der Kreditvergabe sichtbar machen bzw. deren Kosten den privaten Banken auferlegen, eingeführt werden. Ergebnis wäre ein Abbau von Überkapazitäten im Banksektor und eine Neubewertung der Kreditrisiken - mit negativen Folgen für viele nicht-finanzielle Unternehmen, insbesondere für die kreditabhängigen kleinen und mittleren Unternehmen.

Wenn man schließlich in der unzureichenden Nachfrageentwicklung das dringlichste Problem Japans sieht und die Nachfrage durch eine expansive Geld- und Fiskalpolitik anzukurbeln versucht, nimmt man in Kauf, daß sich die Lösung der strukturellen Probleme des Banksektors wie der Gesamtwirtschaft verzögert; man schafft eine „künstliche" Umwelt, in der wirtschaftliche Aktivitäten überdauern können, die der freie Markt „bereinigen" würde. Die Wahl, vor der die wirtschaftspolitischen Akteure in Japan stehen, ist eine Wahl zwischen einem kurz- und einem langfristigen Lösungsansatz. Langfristig, so läßt sich zumindest behaupten, wird „der Markt" - den Abbau staatlicher Interventionen vorausgesetzt - schon dafür sorgen, daß Überkapazitäten abgebaut, strukturelle Verzerrungen korrigiert und Rigiditäten aufgelöst werden. Allerdings: „Langfristig sind wir alle tot". Die Kosten, die mit dem Warten auf die heilsame Wirkung der Marktgesetze verbunden wären, wären so hoch, daß sie nicht akzeptiert werden können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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