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TEILDOKUMENT:

Teil B:
Typen von Qualitätsdefiziten und Fallbeispiele




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Teil B:
Typen von Qualitätsdefiziten und Fallbeispiele

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I. Qualitätsmängel: Erscheinungsformen und Strukturbedingungen – eine Zusammenfassung




1. Strukturmerkmale und Qualitätsprobleme

Aus den beschriebenen Organisationsmerkmalen ergeben sich sowohl Stärken als auch Schwächen. Dabei sind die Schwächen in Teilbereichen relativ einfach festzustellen. So gibt es ohne Zweifel Effizienzprobleme etwa als Folge eines Rückstands in der Anwendung von Informationstechnologien. Sehr schwer faßbar sind demgegenüber Qualitätsdefizite, die sich einschleichen können, weil

  • aus langfristigen Spezialisierungen typische Scheuklappeneffekte entstehen,
  • die Zersplitterung der Zuständigkeiten Vernetzungen und übergreifende Zusammenhänge in den Hintergrund treten läßt,
  • eingefahrene Informationssysteme, schablonenhafte Wirkungsanalysen oder feststehende Bewertungskriterien blind machen gegenüber neuen Themen und neuen Steuerungsaufgaben,
  • der fehlende Wettbewerb und das Fehlen eines ständigen Rationalisierungsdrucks unsensibel machen gegenüber Folgekosten, die aus öffentlichen Maßnahmen für den Privatsektor entstehen,
  • lange Jahre der Beschäftigung mit einigen wenigen Themen Routineverhalten fördern und Neugier einschlafen lassen,
  • langjährige Kontakte zu spezifischen Interessen Loyalitäten entstehen lassen mit der Folge, daß die Unbefangenheit und kritische Distanz gegenüber Interessentenforderungen verloren gehen,
  • mögliche Lösungen nicht konsensfähig sind und die ständige Reproduktion ähnlicher und gleicher Argumentationen in einer unendlichen Zahl von Papieren abstumpfen lassen oder sogar zynisch machen,
  • wechselnde Minister die gleichen Fragen stellen, ohne jemals Antworten und Lösungen durchsetzen zu können, mit der Folge, daß cleverer Aktionismus entsteht und statt Kreativität Routineverhalten um sich greift und auch belohnt wird.

Die Bedingungen des Qualitätsverfalls lassen sich leicht formulieren. Ihre Relevanz ist demgegenüber schwer zu bestimmen, da hierzu normative Bezugspunkte formuliert werden müssen. Es lassen sich keine objektiven Maßstäbe für eine gute oder schlechte Qualität bestimmen. Außerdem besteht immer eine Gemengelage der Wirkungen zwischen Unvollkommenheiten des politischen Prozesses und Unvollkommenheiten der Bürokratie. Als Annäherung an das Thema haben wir deshalb den Weg gewählt, Fallstudien zu präsentieren, die als Illustration dafür dienen, wie sich im Alltag der Ministerien Qualitätsdefizite einschleichen können.

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2. Mögliche Formen von Qualitätsdefiziten



2.1 Qualitätsdefizite als Folge verzerrter politischer Prozesse

Qualitätsmängel ministeriellen Handelns entstehen vielfach in einer Gemengelage aus Politikversagen oder zumindest aus Verzerrungen des politischen Prozesses sowie Unvollkommenheiten der Bürokratie. Politische Ziele werden in der Regel im Hinblick auf ein abstraktes Allgemeinwohl definiert. Tatsächlich gibt es im Prozeß der politischen Einflußnahme erhebliche Un-

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gleichgewichte. Zu Gunsten gut organisierter Gruppen werden ständig sehr aufwendige Politiken gestartet. Die Mehrheit der Wähler toleriert solche Umverteilungen zu Gunsten kleiner, schlagkräftiger Gruppen, weil es sich für den einzelnen kaum lohnt, angesichts der verstreuten Belastungen dagegen auf die Barrikaden zu gehen. So entstehen Maßnahmen mit geringer Wirksamkeit und Qualität. Eine selbstbewußte und leistungsfähige Bürokratie kann solche Tendenzen wahrscheinlich nicht abwenden, kann aber zumindest die Rolle des sichtbaren schlechten Gewissens übernehmen und damit ein Hindernis auf dem Wege zu verschwenderischer Politik.

Der Hauptzweck von aufwendigen Maßnahmen besteht vielfach darin, eine politische Kontroverse zu bewältigen. Demokratische Politik muß Mehrheiten gewinnen. Deshalb werden viele Maßnahmen nicht nach ihren volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen, sondern nach ihrer Eignung zur Mehrheitsbeschaffung oder Mehrheitssicherung beurteilt. Die Bürokratie wirkt an diesen Maßnahmen mit, ihr bleibt oft nur die Möglichkeit, Wirkungsdefizite kritisch zu dokumentieren, ohne substantielle Änderungen durchzusetzen.

2.2 Qualitätsdefizite als Ergebnis unzureichender Bürokratie

Zersplitterte Zuständigkeit und partielle Wahrnehmung der Realität. Die Aufsplitterung der Zuständigkeiten führt zu Partialanalysen und Partialpolitiken, deren Einordnung in übergeordnete Ziele des staatlichen Handelns oft gar nicht ernsthaft versucht wird. Durch eine zersplitterte Problemwahrnehmung werden Themen durch die Bürokratie nicht entsprechend ihrer Relevanz, sondern nach Tagesmeinungen oder aufgrund spezialisierter Scheuklappenmeinungen aufbereitet. Auch Ministerien fallen Zeitgeist und Spezialistentum zum Opfer.

Eingefahrene Konzepte und Analysen. In neuen Situationen, auf die kreativ mit neuen Instrumenten und mit einer situationsadäquaten Analyse reagiert werden müßte, werden vielfach alte Strategien und Politiken aktiviert, weil sie sich relativ leicht durchsetzen lassen oder weil ganz einfach Zeit, Energie und intellektuelle Kraft fehlen, um der neuen Situation gerecht zu werden.

Mangelnde fachliche Durchdringung und analytische Unschärfen. In enger Nachbarschaft sind unklare Analysekonzepte, unzureichende Informationsbeschaffung, oberflächliche Interpretationen von Daten und Informationen anzusiedeln. Politische Konzepte leiden unter Unschärfen, die aus einer einseitigen oder oberflächlichen Analyse der Wirklichkeit, einschließlich der Analyse von Wirkungen politischer Maßnahmen, resultiert. Die Ursachen können in einer Abkopplung gegenüber innovativen neuen Ansätzen in den entsprechenden Wissenschaftsbereichen oder auch einfach im Erlahmen der Energien in bürokratischen Organisationen liegen.

Fehlendes Kostenbewußtsein. Ministerien agieren nicht im Wettbewerb und müssen ihre Ressourcen nicht selbst erwirtschaften. Kostenbewußtsein muß durch spezifische Techniken systematisch trainiert werden. Dies wurde in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Als eine Nebenfolge zeigt sich immer wieder, daß erst recht die Folgekosten staatlichen Handelns, die im privaten Sektor und in anderen öffentlichen Bereichen entstehen, nur unscharf und unvollkommen zur Kenntnis genommen werden. Politik überschätzt i.d.R. ihre eigenen Wirkungen und unterschätzt die Folgelasten, die außerhalb des staatlichen Sektors entstehen.

Konzentration auf die intendierten Wirkungen – vernachlässigte Nebenwirkungen. In Übereinstimmung mit der Politik werden vielfach die intendierten Wirkungen politischer Maßnahmen in den Vordergrund gestellt. Aus Loyalität wird eine systematische Suche nach nicht intendierten, problematischen Nebenwirkungen unterlassen. Die Politik ist ohnehin bereit, jeweils nur die intendierten Wirkungen ins Zentrum zu stellen, weil der Hinweis auf problematische Nebenwirkungen die Durchsetzungschancen der Politik reduziert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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