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NAFTA und der MERCOSUR - Führungswechsel

Bereits von der Bush-Regierung war Chile aufgrund seiner hervorragenden wirtschaftlichen Performanz als aussichtsreichster Kandidat für ein Freihandelsabkommen mit den USA genannt worden, eine Position, die sich auch die Clinton-Administration zu eigen machte. Lange Zeit war unklar, ob sich die Vereinigten Staaten für ein bilaterales Freihandelsabkommen oder den NAFTA-Beitritt entscheiden würden. Während des Miami-Gipfels vom Dezember 1994 schließlich luden die drei NAFTA-Mitgliedstaaten Chile zu formalen Verhandlungen über dessen NAFTA-Beitritt ein.

Hierzu ist es allerdings bislang wegen der noch immer ausstehenden Erneuerung der fast-track procedure nicht gekommen, welche Chile zur Grundvoraussetzung von Verhandlungen über seinen Beitritt zu NAFTA gemacht hat. Dies Verfahren nimmt Lobbyisten und Interessengruppen die Möglichkeit, nach Abschluß des Handelsabkommens durch Druck auf Kongreßmitglieder noch Änderungen durchzusetzen, was der Exekutive eine glaubwürdige Verhandlungsführung erlaubt.

Der Stillstand der Beitrittsverhandlungen Chiles, für den weniger die Clinton-Regierung als vielmehr innenpolitische Entwicklungen und Besonderheiten des politischen Systems der USA verantwortlich sind, hat bei vielen Ländern Lateinamerikas Zweifel an der Fähigkeit der Vereinigten Staaten hervorgerufen, ihre Zusagen einzuhalten. Zugleich hat der von den USA an den Tag gelegte Mangel an handelspolitischer Führung die Skepsis der Lateinamerikaner gegenüber der Ernsthaftigkeit der US-Freihandelsabsichten, die bereits bei der Vorbereitung des Maimi-Gipfels vom Dezember 1994 zu spüren war, noch verstärkt. Infolgedessen wandte sich eine ganze Reihe von lateinamerikanischen Ländern, insbesondere Staaten Südamerikas, anderen subregionalen Handelsgemeinschaften zu, vor allem dem Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR), dem Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay angehören.

Diese Zollunion hat sich seit ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 1995 - nicht zuletzt dank der handelspolitischen Führungsschwäche der USA - neben NAFTA zu einem zweiten Anziehungspunkt innerhalb der Westlichen Hemisphäre entwickelt. Die vier Staaten, die 54 Prozent des lateinamerikanischen BIP und ein Drittel der Direktinvestitionen auf sich vereinigen, bilden einen Markt von rund 200 Millionen potentiellen Konsumenten. Der Fall der Handelsschranken sowie der einheitliche Außenzoll von bis zu 20 Prozent haben Wirkung gezeigt: Seit 1991 hat sich der intraregionale Handelsaustausch vervierfacht, das BIP der Mitgliedsländer stieg in den letzten Jahren um durchschnittlich 5 Prozent.

Ironischerweise war es ausgerechnet das Land mit den besten Aussichten auf eine NAFTA-Mitgliedschaft, das als erster Staat Lateinamerikas mit dem MERCOSUR ein Assoziationsabkommen schloß, das am 1. Oktober 1996 in Kraft trat. Hierzu hat nicht zuletzt eine veränderte Prioritätensetzung beigetragen, denn nach den Worten des chilenischen Außenministers José Miguel Insulza hat ein Assoziierungsabkommen mit dem MERCOSUR für Chile einen höheren Stellenwert als die NAFTA-Mitgliedschaft.

Von diesem Abkommen erhofft sich Chile nicht nur eine Steigerung der Fertigwarenexporte in die vier MERCOSUR-Mitgliedstaaten, die bereits mehr als die Hälfte der gesamten chilenischen Fertigwarenexporte ausmachen, sondern auch, zur Drehscheibe des Handels zwischen dem MERCOSUR und der asiatisch-pazifischen Region zu werden. Diesbezüglich sieht das Abkommen die Einrichtung von "Transport-Korridoren" zwischen den MERCOSUR-Staaten und Chiles 4.000 Kilometer langer Pazifikküste vor.

Sowohl der MERCOSUR als auch die asiatisch-pazifische Region besitzen für Chile einen wachsenden Stellenwert. Die EU und die USA sind mit 24 Prozent bzw. knapp 20 Prozent zwar nach wie vor die bedeutendsten Handelspartner Chiles, doch Japan und der MERCOSUR stellen neben Mexiko die am schnellsten wachsenden Exportmärkte: Die chilenischen Exporte nach Japan haben sich zwischen 1990 und 1995 mehr als verdoppelt (rund 109 Prozent Steigerungsrate), und die Ausfuhren in die Mitgliedsländer des MERCOSUR stiegen sogar um über 170 Prozent. Zudem bietet der MERCOSUR und hier insbesondere Argentinien chilenischen Unternehmen attraktive Investitionsmöglichkeiten, weshalb die chilenischen Direktinvestitionen in den Ländern des MERCOSUR innerhalb weniger Jahre auf insgesamt fast 5 Milliarden US-Dollar anstiegen.

Trotz der wachsenden wirtschaftlichen Integration mit dem MERCOSUR und obwohl seit der Ankündigung formaler Verhandlungen über den Beitritt zu NAFTA fast zwei Jahre vergangen sind, hält Chile am NAFTA-Beitritt fest, auch wenn die Begeisterung für NAFTA infolge der langen Wartezeit und der mit Mexiko und Kanada vereinbarten bilateralen Freihandelsabkommen verflogen ist. Das Interesse Chiles an NAFTA gründet sich weniger auf die Aussicht auf besseren Zugang zum US-Markt bzw. Exportsteigerungen als vielmehr darauf, daß NAFTA Standards bezüglich Investitionsschutz und Bereitstellung von Dienstleistungen festlegt. Einen großen Schritt in Richtung NAFTA-Mitgliedschaft bedeutet zweifellos das Freihandelsabkommen mit Kanada vom November 1996, das im Juni 1997 wirksam werden wird und 75 Prozent des Handels zwischen beiden Ländern zollfrei machen wird. Die meisten der verbleibenden Zölle sollen innerhalb von fünf Jahren schrittweise abgebaut werden. Einige Vorschriften des Freihandelsabkommens, das ebenso wie NAFTA Parallelabkommen über Kooperation im Umwelt- und Arbeitsbereich umfaßt, entsprechen NAFTA-Bestimmungen.

Das Abkommen ist weniger von wirtschaftlicher Bedeutung: Das Volumen des Handels zwischen Chile und Kanada betrug 1995 mit lediglich 411 Millionen US-Dollar gerade mal 1,3 Prozent des chilenischen bzw. 0,14 Prozent des kanadischen Außenhandels. Vielmehr hat das Freihandelsabkommen politische Bedeutung, insofern es mittelbaren Druck auf die Vereinigten Staaten ausübt, sich endlich ernsthaft mit dem NAFTA-Beitritt Chiles zu befassen. Im Vergleich zur Clinton-Regierung betreibt die kanadische Regierung eine weitaus konsequentere Freihandelspolitik. Die Chretien-Regierung drängt nicht nur auf die NAFTA-Mitgliedschaft Chiles, sondern befürwortet auch - mit einem gewissen zeitlichen Abstand - den Beitritt weiterer Staaten Lateinamerikas. Außerdem hat Kanada Anfang August dieses Jahres ein Freihandelsabkommen mit Israel abgeschlossen und plant ähnliche Freihandelspakte mit der EU, Singapur und Neuseeland.

In Argentinien fand eine ähnliche Prioritätenverschiebung statt wie in Chile. Lange Zeit schien Argentinien an einem NAFTA-Beitritt stärker interessiert zu sein als an der Errichtung einer Zollunion mit seinen MERCOSUR-Partnern Brasilien, Paraguay und Uruguay. Nicht zuletzt wegen der schwierigen Zollunions-Verhandlungen führte der argentinische Außenminister Guido di Tella im Februar 1994 Gespräche mit dem US-Handelsbeauftragten Kantor über einen NAFTA-Anschluß Argentiniens. Doch nur einen Monat später kamen die vier MERCOSUR-Länder überein, daß der MERCOSUR geschlossen mit NAFTA verhandeln solle.

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Brasilien setzt strategische Akzente

Mit solchen Verhandlungen hat Brasilien allerdings keine Eile. Präsident Cardoso möchte zunächst die wirtschaftliche Integration Brasiliens mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik vorantreiben, bevor er sich auf ernsthafte FTAA-Verhandlungen einläßt. Vorrang hat für ihn die Schaffung einer Südamerikanischen Freihandelszone (South American Free Trade Area, SAFTA). In Einklang mit dieser Politik steht ein Drei-Punkte-Programm zur Schaffung einer FTAA, das Brasilien beim Staatssekretär-Treffen der Teilnehmerstaaten des Miami-Gipfels im September 1996 in Florianopolis präsentierte. Nach diesem Programm, das beim nächsten FTAA-Treffen diskutiert werden soll, sollen sich die FTAA-Verhandlungen zunächst auf den Bereich Handelserleichterung, dann auf Handelsvorschriften und erst zum Schluß auf das Thema Marktzugang konzentrieren.

Mit dieser Verzögerungstaktik bei der Handelsliberalisierung möchte Brasilien Zeit für die Modernisierung seiner Industrien gewinnen, um für den internationalen Wettbewerb besser gerüstet zu sein. Insbesondere Brasiliens Schuh-, Textil- und Autoteile-Industrie haben hier erheblichen Nachholbedarf. Dies erklärt auch die hohen tarifären und nicht-tarifären Handelsbarrieren zum Schutz dieser Sektoren: So beträgt der Zollsatz für Schuhimporte 40 Prozent und der für Automobilimporte sogar 70 Prozent. Die Zölle auf Kfz- und Autoteile-Importe vermindern sich allerdings auf 35 Prozent, wenn sich das ausländische Automobilunternehmen verpflichtet, die gleiche Anzahl an Einheiten mit einem local content von mindestens 60 Prozent zu exportieren. Damit möchte die brasilianische Regierung ausländische Automobilunternehmen dazu bewegen, die Montage ihrer Produkte nach Brasilien zu verlagern. Bis zum Jahr 2000 will Brasilien nicht nur der Hauptlieferant für den gesamten MERCOSUR-Markt sein, sondern zu den größten Automobilproduzenten der Welt gehören, mit einer jährlichen Gesamtproduktion von mehr als 3 Millionen Einheiten.

Für solch ehrgeizige Ziele samt den protektionistischen Mitteln zur Erreichung derselben bietet eine SAFTA zweifellos günstigere Rahmenbedingungen als eine nach dem NAFTA-Modell gestaltete FTAA. Gegenüber den Ländern Südamerikas kann Brasilien seine für einige Schlüsselsektoren betriebene Schutzpolitik sicherlich leichter durchsetzen als gegenüber den NAFTA-Mitgliedsländern. Zugleich kann Brasilien infolge seiner Verhandlungsmacht, die ihm allein schon seine wirtschaftliche Stärke verleiht, auf die Gestaltung einer SAFTA größeren Einfluß nehmen als im Falle von Verhandlungen über eine FTAA, bei denen die USA mit am Tisch sitzen. Eine solche Südamerikanische Freihandelszone wiederum würde der brasilianischen Regierung bei den Verhandlungen über eine FTAA eine weitaus bessere Verhandlungsposition gegenüber den Vereinigten Staaten verschaffen, die ein Abkommen anstreben, das ähnlich weitreichend wie das NAFTA-Abkommen ist. Brasilien hingegen zieht ein FTAA-Abkommen vor, das weit weniger Bereiche abdeckt als das NAFTA-Abkommen.

Brasilien kann es sich in wirtschaftlicher Hinsicht durchaus leisten, sich zunächst auf die Schaffung einer SAFTA zu konzentrieren. Mit seinems riesigen Binnenmarkt und seiner diversifizierten Außenhandelsstruktur ist das an Bevölkerung und Fläche größte Land Lateinamerikas nicht in dem Maße von den Vereinigten Staaten abhängig wie Mexiko. Die USA sind zwar nach wie vor der mit Abstand bedeutendste ausländische Investor in Brasilien - 1994 tätigten sie dort Investitionen in Höhe von rund 3,5 Milliarden US-Dollar, mehr als fünfmal soviel wie die EU -, doch wickelt Brasilien mit den Vereinigten Staaten lediglich ein Fünftel seines gesamten Außenhandels ab. Damit liegt der US-Anteil am brasilianischen Außenhandel hinter dem der Europäischen Union (rund 28 Prozent) und dem der Länder Lateinamerikas und der Karibik (knapp 22 Prozent). Daß Brasilien diese diversifizierte Außenhandelsstruktur auch weiterhin beibehalten will, belegt das am 16. Dezember 1995 unterzeichnete interregionale Rahmenabkommen zwischen dem MERCOSUR und der EU, das den Grundstein für ein umfassenderes Assoziationsabkommen zwischen beiden Wirtschaftsblöcken legen soll.

Auf dem Weg zu einer SAFTA ist Brasilien schon ein gutes Stück vorangekommen. Neben Chile ist seit dem Jahresende 1996 auch Bolivien mit dem MERCOSUR assoziiert. Das Abkommen sieht die sofortige Beseitigung der MERCOSUR-Zölle auf 1.000 bolivianische Produkte vor. Für weitere 7.000 bolivianische Güter sollen die Zollsätze mit sofortiger Wirkung um 30 Prozent gesenkt werden. Umgekehrt können die MERCOSUR-Länder ab dem 1. Januar 1997 500 Produkte zollfrei nach Bolivien exportieren, während auf weitere 6.300 Güter des MERCOSUR ein Zollsatz in Höhe von 15 Prozent erhoben wird. Die Liste der Produkte, für die Sonderregelungen gelten, umfaßt im Falle Boliviens 1.200 Waren und im Falle des MERCOSUR 300 Artikel. Für die Erlangung der Vollmitgliedschaft im MERCOSUR sieht das Abkommen einen Übergangszeitraum von 18 Jahren vor.

Handelsabkommen mit dem MERCOSUR streben auch die anderen Mitgliedstaaten der Andengruppe - neben Bolivien Ecuador, Peru, Kolumbien und Venezuela - an. Allerdings ist immer noch nicht geklärt, ob die Andengruppe geschlossen mit dem MERCOSUR verhandeln wird oder ob Ecuador, Peru, Kolumbien und Venezuela, die allesamt mit dem MERCOSUR über Handelsabkommen diskutieren, diese individuell abschließen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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