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Ausblick

Kenia steht am Scheideweg seiner Entwicklung: Es hat die Wahl einer reformorientierten Politik, um sich fit zu machen für die wirtschaftlichen Herausforderungen, die durch das Bevölkerungswachstum, den regionalen und internationalen Wettbewerb und die wachsenden Ansprüchen seiner mittelständischen Schichten entstehen. Oder das Land verharrt in seinen bisherigen Strukturen und rutscht immer tiefer herein in ethnische Spannungen und gewaltsame innere Auseinandersetzungen. - Zwei Szenarien sind gegenwärtig vorstellbar:

Szenario 1: Reformwillige Kräfte setzen sich durch. Stimmuliert durch den Erfolg des ersten IPPG-Reformpaketes und durch die dadurch bewirkten Momente der Entspannung, schlägt die Enttäuschung über den relativ frühen Wahltermin am 29. Dezember, der der Opposition nur wenig Zeit gibt, um die neuen Möglichkeiten zu nutzen, nicht in Obstruktion um. Die Implementierung des Reformpakets stößt zwar immer wieder - vor allem auf dem Lande - auf Schwierigkeiten; die Regierung kann jedoch glaubhaft machen, daß das nicht von ihr gesteuerte Störmanöver sind, sondern daß sie ernsthaft einen Wandel wünscht, der auch der Gegenseite ihren Freiraum beläßt.

Die Opposition verliert zwar die Wahlen, weil sie sich nicht einigen kann, aber sie wird danach in den Prozeß einer gründlichen Verfassungsrevision mit eingebunden. Es gelingt mit vereinten Kräften, eine demokratische Verfassung zu verabschieden, in deren Folge auch andere reformbedürftige Gesetze angepaßt werden. Damit setzt sich ein Klima politischer Offenheit und größerer nationaler Verantwortung durch. Ethnische Spannungen vermindern sich, weil die einseitige Bevorzugung einzelner Gruppen aufhört; statt dessen wird ein nationaler Entwicklungsplan verabschiedet und implementiert, der die Schwerpunkte auf nationale Investitionen in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, Landwirtschaft und Industrialisierung legt. Die Korruption wird (z.B. mit einem nationalen Ombudsmann) bekämpft, die Steuerpolitik wird reformiert, und auch die Justiz erhält ihre Unabhängigkeit zurück.

Voraussetzung für dieses Szenario ist, daß sich reformwillige Kräfte innerhalb von Regierung und Opposition durchsetzen. Sie sind teilweise bereits innerhalb der politischen Parteien und des Parlaments anzutreffen, stärker aber in der Zivilgesellschaft verteten, wo sie Druck auf die offizielle Politik ausüben und auf Veränderung drängen. Präsident Moi ist vermutlich zu sehr seinen traditionellen Verhaltensweisen verhaftet und ist zudem auch von Beratern und Mitarbeitern umgeben, die von seinem System profitieren und die keinesfalls einer Verringerung ihrer Privilegien das Wort reden werden. Aber im IPPG-Prozeß artikulierten sich innerhalb der Regierungspartei KANU eine bemerkenswerte Zahl von Parlamentariern und jüngeren Politikern, die sich ihrer nationalen Verantwortung verpflichtet fühlen und erkennen, daß es auch im Interesse von KANU liegt, in Zukunft eine andere, eine modernere Politik zu betreiben.

Bei der Opposition werden sich Radikale und Reformer bereits bei den Wahlen sortiert haben, denn die Fundamentalisten werden den Wahlprozeß boykottieren und damit auch nicht mehr im Parlament vertreten sein. So wird die Mehrheit der Opposition reformwillig und bereit sein, an der Verfassungsrevision teilzunehmen. Das Land wird lernen können, daß sich Dialog und Kompromiß als Mittel der Politik etablieren und daß beide Seiten davon profitieren.

Szenario 2: Innerhalb der Regierungspartei haben sich die Hardliner durchgesetzt. Das IPPG-Reformpaket ist von ihnen als Kosmetik gemeint gewesen, um dem Druck, aber nicht den Forderungen der Opposition nachzugeben. Die Reformmaßnahmen werden nur halbherzig oder oberflächlich implementiert. Die Reformer der Opposition werden als Hilfskräfte von Moi beschimpft und verlieren vollends an Einfluß. Ein Teil der Opposition tritt gar nicht zur Wahl an, der andere Teil verliert haushoch, und KANU hat fast eine zwei Drittel Mehrheit im neuen Parlament. Auch die angekündigte Verfassungsrevision fällt eher als Kosmetik aus und verändert das politische System Kenias nur marginal. Korruption und Mißwirtschaft setzen sich fort, obwohl Weltbank und IWF immer strenger zur Umkehr mahnen. Die Mächtigen im Lande entwickeln eine Wagenburgmentalität. Die Unruhe in Kenia wächst; die Bereitschaft zur politischen Gewalt nimmt zu. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert und wird schließlich sogar rückläufig; politische Aktivisten trachten danach, es Kabila im Kongo nachzutun und Moi gewaltsam zu stürzen. Die Wirtschaft des Landes gerät immer weiter in Unordnung; indische Unternehmer kehren dem Land den Rücken, es wird immer mehr Kapital außer Landes geschafft. Am Ende versinkt Kenia in Chaos und Gewalt.

Beide Szenarien sind Extremfälle, und vermutlich wird die Entwicklung Elemente von beiden aufweisen. Die bisherige Geschichte Kenias wie auch anderer afrikanischer Länder belegt das Versagen der Eliten beim Aufbau eines Staatswesens, das modernen Anforderungen genügt. Sicherlich haben die Kolonialmächte Strukturen hinterlassen, die einer eigenständigen Entwicklung im Wege standen; die bald 35 Jahre währende Unabhängigkeit hätte den Eliten in Kenia jedoch genügend Zeit und Freiraum gegeben, diese Strukturen zu ändern. Daß sie es nicht taten, oder doch nur im Sinne ihrer ganz persönlichen Interessen, darin liegt die Tragik der Entwicklung des Landes.

Erst jetzt scheint sich in Kenia eine neue mittelständische Elite herauszubilden, die ihre Aufgabe nicht darin sieht, die bisherige Politik des Landes fortzuschreiben, sondern eine neue, auf nationale Entwicklungsziele gerichtete Entwicklung anzustreben. Diese Elite muß sich durchsetzen, um eine andere Politik in Kenia zu ermöglichen. Hier liegt ein komparativer Vorteil Kenias: Es kann aus einer relativ breiten und gut ausgebildeten Mittelschicht eine neue politische Elite rekrutieren, die eine zeitgemäße Politik formulieren und auch durchsetzen kann, wenn sie in der Lage ist, die alte Elite abzulösen. Dies ist sicherlich ein schrittweise Vorgang, der bereits etliche Hürden genommen hat. Ob die Wachablösung schon wirklich begonnen hat oder ob die alte Machtelite noch genügend Stärke hat, um noch einmal ihre Spielregeln durchzusetzen, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999

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