FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Weltpolitische Entwicklung in Zentralasien: Viele Spieler im neuen "Great Game" GUS-Zugehörigkeit und regionale Integration Die Souveränitätsbehauptung der neuen Staaten bildet die eine Seite ihrer Politik, eine andere ihre Einbeziehung in supranationale Strukturen, in Kooperationsgemeinschaften und größere Wirtschaftsräume. Dazu gehören im exsowjetischen Raum die - freilich sehr amorphe - GUS und ihre regionalen Untergliederungen. In ihrem Verhalten gegenüber "Integration" unterscheidet sich die Außenpolitik der einzelnen Staaten. So beteiligten sich Kasachstan und Kirgistan 1996 an der sogenannten "vertieften Integration" in der GUS im Rahmen einer Zollunion mit Rußland und Belarus, während sich Usbekistan davon deutlich distanzierte; Turkmenistan steht multilateralen Bindungen äußerst kritisch gegenüber, bevorzugt bilaterale Beziehungen und betont seine "Neutralität". Tadschikistan ist aufgrund seiner krisenhaften Situation kaum integrationsfähig. Die zentralasiatischen Staaten stehen in einem komplizierten Integrationsprozeß, der in verschiedene Richtungen weist. Generell kann man hier eine "Süd-Nord-Achse" von einer "Süd-Süd-Achse" unterscheiden. Die erste wird von den Strukturerbschaften des ehemaligen sowjetischen Wirtschaftsraums geprägt und betrifft die Integration in die GUS, die zweite umfaßt Integrationsbemühungen auf regionaler Basis und die Kooperation mit "Südstaaten" außerhalb der GUS, z.B. in der mittelöstlichen Kooperationsgemeinschaft OEC (Organization of Economic Cooperation). Innerhalb der GUS wurden seit September 1993 verschiedene Formen der Wirtschaftsunion, der Zoll-, Zahlungs- und Währungsunionen beschlossen, die allesamt wenig konkretisiert blieben. Entsprechende "Integrations"-Schritte verlangten Opfer in bezug auf die gerade gewonnene nationalstaatliche Souveränität, zu der einige Staaten nicht bereit waren. Es wuchs das Mißtrauen gegenüber der Stellung Rußlands in der GUS, insbesondere nach der Verabschiedung der russischen GUS-Strategie im Herbst 1995, in der eine machtvolle russische Integrationspolitik in der "Gemeinschaft" mit dem staatlichen Erhalt der Russischen Föderation selber in Verbindung gebracht wurde. Es kristallierte sich ein Lager von "Dissidenten" in der GUS heraus. Die Ukraine, Aserbaidschan und Turkmenistan erteilten der Organisation von Zahlungs- und Währungsunionen eine Absage und hielten ebenso Abstand von sicherheitspolitischer Kooperation im GUS-Rahmen. Usbekistan ging in Zentralasien seit 1996 am stärksten auf Distanz zu Rußland. Andererseits unterzeichneten Rußland, Belarus und Kasachstan im Januar 1995 ein separates Abkommen zur Bildung einer Zollunion. Im März 1996 trat Kirgistan diesem Klub bei, der nun den Namen "Gemeinschaft integrierter Staaten" (GIS) annahm. Rußland und Belarus gründeten im April 1996 eine "Gemeinschaft souveräner Staaten" (GSS), die ein Jahr später zur "Union von Belarus' und Rußland" verdichtet wurde. Parallell zu solchen Experimenten, die nur mit Vorbehalt als "Integration" bezeichnet werden können, weil sie nur schwache Mechanismen der wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Zusammenarbeit schufen, lief ein regionaler "Integrations"prozeß in Zentralasien ab. Im Januar 1994 unterzeichneten Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan einen Vertrag zur Gründung einer Zentralasiatischen Wirtschaftszone. Man gründete eine Zentralasiatische Bank für Zusammenarbeit und erstellte ein Fünfjahr-Programm für Integration, schuf seine eigene Zollunion. Auch hier ließ die Institutionenbildung zu wünschen übrig, und diese regionale Wirtschaftszone wurde von der "Zollunion" der "Gemeinschaft integrierter Staaten" überlappt. Immerhin wurden zwischen den drei Staaten Handelsfreiheit erzielt, Zolltarife harmonisiert, joint-ventures erleichtert. Von den drei Staaten wird die regionale Integration nicht nur mit wirtschaftlichen Argumenten begründet, sondern auch mit gemeinsamen sicherheitspolitischen Interessen, mit der Notwendigkeit ökologischer Kooperation im Aralraum und mit kulturellen und historischen Argumenten, die auf den geschichtsräumlichen Zusammenhang Mittelasiens verweisen. "Integration" findet aber auch hier ihre Begrenzung durch das Souveränitätsbeharren der Einzelstaaten und durch das Mißtrauen, daß einer dieser Einzelstaaten sich zum Hegemon in der Region aufschwingen könnte - ein Verdacht, der vor allem Usbekistan trifft. Wenn die drei Staatsoberhäupter kürzlich auch einen "Pakt ewiger Freundschaft" schlossen, der angesichts der Entwicklungen in Afghanistan vor allem sicherheitspolitisch gemeint war, stößt doch die hier beschworene Gemeinsamkeit auf ihre Grenzen.
Externe Akteure
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde ein historisches Schlagwort des 19. Jahrhunderts wiederbelebt, das Einflußkonkurrenz in Zentralasien bezeichnete: Great Game. Aber während das große Spiel um das asiatische "Herzland" damals im wesentlichen zwischen zwei Spielern ausgetragen wurde, zwischen dem britischen und dem russischen Imperium, versucht heute eine Vielzahl regionaler und großer Mächte, Einfluß in der Region zu gewinnen. Zu Beginn der neunziger Jahre verengte sich der Blick für diesbezügliche Akteure auf die Konkurrenz zwischen der Türkei und dem Iran. In westlichen Darstellungen wurden diese Konkurrenz und das Einflußpotential der beiden Konkurrenten überschätzt. Man witterte ein Ringen um die Seelen der freigesetzten orientalischen Völker der ehemaligen Sowjetunion und stellte diese gleichsam vor die Alternative zwischen dem westlichen, durch die Türkei vermittelten Entwicklungsweg und dem islamistischen Modell. Dabei bewegte sich die Außenpolitik der neuen Staaten Zentralasiens auf einem viel breiteren Feld. Auch die außenpolitischen Optionen der lokalen Bevölkerung, soweit bekannt, gingen durchaus nicht einseitig in eine bestimmte Richtung. Bei Meinungsumfragen in Usbekistan und Kasachstan 1993 wurde neben dem Verhältnis zur Religion und anderen Themen auch die Einstellung der Bevölkerung zur außenpolitischen Orientierung ihres Landes getestet. Dabei zeigte sich folgendes Bild: Die eigene geopolitische Umgebung wurde als unbehaglich und kritisch angesehen, gegenüber Staaten wie Iran und Afghanistan ging man auf Distanz; der durch ethnische Verwandtschaft determinierte Partner Türkei war zwar einflußreich, fiel aber nicht so stark ins Gewicht, wie es westliche und russische Vorstellungen über eine pantürkische Renaissance in Eurasien nahegelegt hatten; auch die Glaubensgemeinschaft des Islam trat nicht als wesentliches Kriterium für die außenpolitische Orientierung hervor. Vor allem jüngere Befragte sahen die größten Chancen in einer auf die USA, Westeuropa und Japan ausgerichteten Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Ältere Jahrgänge ließen dagegen noch eine deutliche Bindung an Rußland und den exsowjetischen Raum erkennen. Wenn im Westen von einem Land negative ideologische Einflüsse auf die "vergessenen Muslime" erwartet wurden, dann vom Iran. Dabei wurde iranischer Einfluß automatisch auf die religiöse Sphäre bezogen, auf den Export des islamischen theokratischen Staatsmodells. Diesem Bild liegen aber Fehleinschätzungen in mehrfacher Hinsicht zugrunde: Einmal wird eine Vielschichtigkeit kultureller Strömungen im heutigen Iran übersehen und auf die islamistische Ideologie des Regimes reduziert; zum anderen wurde die religiöse und kulturelle Situation in den zu beinflussenden Ländern nicht richtig eingeschätzt, ihre Empfänglichkeit für radikale islamische Botschaften überschätzt. Außerdem wurden die politischen Interessen des Iran im Kaukasus und in Zentralasien falsch eingeschätzt; sie können nicht in der Destabilisierung dieser Regionen liegen. Wenn Teheran islamistisch-terroristische Bewegungen im Nahen Osten unterstützt, heißt das nicht, daß es gegenüber den hier behandelten Ländern gleiches praktiziert. Es gibt Unterschiede zwischen Teherans Strategie in der Golfregion und im Nahen Osten und seiner Annäherung an den GUS-Raum. Mit Blick auf die eigene ethnische Bevölkerungsstruktur war dem Iran klar, daß er vom Zerfall des multinationalen Imperiums vor seiner Haustür nicht profitieren konnte, daß von diesem welthistorischen Ereignis für seine eigene Sicherheitspolitik weniger Chancen als Risiken ausgingen. Auch ist zu fragen, wem im Iran die Freisetzung der ehemaligen sowjetischen Südperipherie zuspielte, den "Islam firsters" oder den "Iran firsters". Wurde da in erster Linie Freiraum für den Islam oder für iranisches Kulturerbe geöffnet? Der Iran kann in Mittelasien, d.h. besonders in der von Stadt- und Oasenkulturen geprägten Zone zwischen Amu-Darja und Syr-Darja, an alte Kulturbindungen anknüpfen. Hier hatten Dynastien regiert, die von iranischer Kultur geprägt wurden oder sogar iranischer Abstammung waren. Hier hatte Persisch jahrhundertelang als lingua franca und Literatur- und Kanzleisprache fungiert, während die Volkssprachen überwiegend der türkischen Sprachenfamilie angehörten. Anders steht es mit den religiösen Anknüpfungsmöglichkeiten. Der Iran war seit der Annahme der Schia als Staatsreligion (im 16. Jahrhundert) ein Keil zwischen dem sunnitischen Osmanischen Reich und den sunnitischen Herrschaftsgebilden in Mittelasien. Seine religiöse Kultur unterscheidet sich von der Zentralasiens, erst recht nach sieben sowjetischen Jahrzehnten in dieser Region. Mit seinen Nordprovinzen steht der Iran in geographischer Berührung zur kaspisch-mittelasiatischen Region, die der Türkei fehlt. In der iranischen GUS-Politik gewann die religiöse Staatsideologie nicht die Oberhand über pragmatische Diplomatie und sicherheitspolitische sowie wirtschaftliche Interessen. Eine britische Studie nennt die Optionen dieser Politik mit folgenden Stichworten: "enhancing regional stability, discouraging unfriendly penetration, developing neighbourly relations and economic cooperation, and maintaining good relations with Russia". [ Edmund Herzig, Iran and the Former Soviet South, Royal Institute of International Affairs, London 1995, S. 47.] Freilich legte Teheran die religiösen Akzente seiner Außenpolitik auch gegenüber den GUS-Staaten nicht beiseite, schon wegen der Konkurrenz mit anderen islamischen Akteuren wie Saudi Arabien und Pakistan und der Modellrivalität mit der Türkei. Der Iran nutzte anfangs besonders gegenüber Tadschikistan die ethnisch-sprachliche Verwandtschaft - im Unterschied zu ihren turksprachigen Nachbarn in Zentralasien gehören die Tadschiken zur iranischen Sprachenfamilie - für religiöse Einflußnahme und unterstützte dort den Bau von Moscheen und islamischen Bildungseinrichtungen. Er wurde sich aber bald seiner ideologischen Hindernisse im GUS-Raum bewußt: Dort, wo für ihn ethnisch-linguistische Nähe zu einem sowjetischen Nachfolgestaat bestand, im Fall Tadschikistans, wirkte sich die sunnitische Ausrichtung des dortigen Islam als konfessionelle Barriere aus, dort, wo umgekehrt konfessionelle Anknüpfungsmöglichkeiten bestanden, wie im Falle Aserbaidschans (mit einer schiitischen Bevölkerungsmehrheit), rangierte die ethnische (türkische) Identität vor der religiösen. Deshalb verlagerte sich der iranische Einfluß in der GUS auf pragmatische Ziele - die Financial Times spricht in diesem Zusammenhang von "triumph of commerce over ideology" - und auf Mitsprache bei der Regelung regionaler Konflikte in Zentralasien und im Kaukasus. Gleichzeitig intensivierten sich die iranisch-russischen Beziehungen, wofür es Berührungspunkte sowohl auf regionspolitischer Ebene (gemeinsame Position bei der Bestimmung des Rechtsstatus des Kaspischen Meers, Ablehnung türkischen Einflusses in Zentralasien und im Kaukasus, Regelung des Tadschikistankonflikts, Gemeinsamkeiten in der Afghanistanpolitik) als auch in der Weltpolitik gibt (Ablehnung der sogenannten "unipolaren Weltordnung" und der "amerikanischen Globalhegemonie"). Zwar besteht von Almaty im Osten bis Aschgabad im Westen Konsens darüber, daß das islamistische Staatsmodell für die sowjetischen Nachfolgestaaten absolut unannehmbar ist, aber Unterschiede bestehen hinsichtlich der Berührung mit dem Iran. Der amerikanischen Iranpolitik mit ihrer Orientierung auf Isolations- und Blockademaßnahmen gegenüber Teheran kommt zur Zeit die usbekische Außenpolitik am nächsten. Andere Staaten behalten sich vor, den Iran bei der Überlegung hinsichtlich ihrer zukünftigen Exportrouten nicht auszuschließen. Islamische Außenpolitik hat hohe Priorität für Saudi-Arabien, dessen Einfluß in der GUS offensiver als der iranische war. Auf missionarische Aktivitäten der Saudis bereits in sowjetischer Zeit deutete der gängige Terminus "Wahhabismus" hin, womit die sowjetischen Behören islamische Erweckungsbewegungen in Zentralasien, vor allem im Ferganabecken, bezeichneten. Der "Wahhabismus" ist die religiöse Staatsideologie der saudischen Dynastie und eine extrem puristische Islamvariante, die allerdings dem religiösen Synkretismus in Zentralasien kaum entgegenkommt. Saudi Arabien investierte erhebliche Geldsummen in ein Paket von Hilfsmaßnahmen für die Förderung des Islam in Zentralasien und Aserbaidschan. Anknüpfungspunkte für die Intensivierung der Beziehungen zu Mittelasien boten die Erinnerung an die kurze Zugehörigkeit dieser Region zum arabischen Kalifat, der Beitrag, den sie zur islamischen Hochkultur des Mittelalters geleistet hatte und die Existenz einer mittelasiatischen, insbesondere usbekischen Diaspora auf der arabischen Halbinsel. Dazu kamen Wirtschaftsinteressen. Aber die religiöse Einflußnahme Riyads trat so in den Vordergrund, daß sie von den Regierungen als aufdringlich empfunden wurde. Der usbekische Außenminister Komilow drückte bei einem Staatsbesuch in Saudi-Arabien in einem Interview die Bedenken seiner Regierung gegen eine überzogene Einflußnahme von Drittländern in Zentralasien aus. Auch andere arabische Staaten wie Kuwait und die Emirate waren in Zentralasien islamisch engagiert. Ein weiterer islamischer Akteur ist Pakistan, das gleichzeitig eine andere, die südasiatische Dimension der Einflußnahme auf Zentralasien repräsentiert, denn seine außenpolitischen Aktionen sind seiner konflikthaften Beziehung zum Nachbarn Indien zugeordnet. Pakistan agiert mit seiner Zentralasienpolitik in der Umgebung von drei brisanten Regionalkonflikten in Kaschmir, Afghanistan und Tadschikistan und vor dem Hintergrund seines Gegensatzes zu Indien. Dabei ist seine innere Struktur ebenfalls kompliziert und labil und von ethnischen, religiösen und machtpolitischen Konflikten gezeichnet. Für Islamabad öffnete der Zerfall der Sowjetunion die Perspektive auf einen Raum, der als potentieller Markt für pakistanische Waren und als ein "islamisches Herzland" mit Ausstrahlungen auf die indo-islamische Kultur in vergangenen Jahrhunderten gesehen wurde. Islamabad sah Chancen auf einen geopolitischen Terraingewinn gegenüber Indien, das in sowjetischer Zeit über Beziehungen zu zentralasiatischen Unionsrepubliken verfügt hatte. Getrennt wurde Pakistan von diesem Raum allerdings durch die chaotischen Verhältnisse in Afghanistan, die sich als das Haupthindernis für eine pakistanische Zentralasienpolitik erwiesen. Umso mehr zeigte sich Islamabad daran interessiert, auf einen Akteur im innerafghanischen Drama zu setzen, dem Durchsetzungsvermögen und die Schaffung von Ordnung, von islamischer Ordnung, zuzutrauen war. Dafür kam die schon vorher vom pakistanischen Geheimdienst unterstützte Talibanbewegung in Frage. Der Aufschwung dieser Bewegung seit 1994 und ihre Unterstützung durch interessierte Akteure stand offenbar auch in einem Zusammenhang mit dem Interesse an grundlegend neuen Verkehrverbindungen zwischen dem ehemaligen sowjetischen Zentralasien und seiner südlichen Umgebung. Grundsätzlich kommen für diese "Südroute" zwei Staaten in Frage: Iran oder Pakistan. In diesem Zusammenhang hatte sich die Rivalität zwischen den USA und Iran verschärft, nicht zuletzt mit Blick auf den Zugang zu den großen Erdöl-und Gasreserven der zentralasiatischen Länder. Diese sind daran interessiert, ihre einseitige Transportabhängigkeit von Rußland zu lockern und ihre Handelsbeziehungen mit Staaten im Mittleren Osten und in Südasien zu intensivieren. Die Einbeziehung des Iran in die kaspisch-zentralasiatische Transportlogistik würde sein politisches Gewicht im gesamten "eurasischen" Raum erhöhen. Und das trifft einen neuralgischen Punkt in der amerikanischen Wahrnehmung der Geopolitik in der Region. Deshalb unterstützte die amerikanische Diplomatie seit 1996 Verkehrsverbindungen zwischen Zentralasien und Pakistan. Dazu gehört der Plan einer 1120 km langen Pipeline von Turkmenistan über Westafghanistan bis zum Hafen von Karachi. Die amerikanische Firma Unocal und ein saudi-arabischer Partner, die Delta Oil Company, wollen 3 Mrd.$. in diese Transportarterie investieren. US-Diplomaten warben sowohl in Pakistan als auch in Indien für dieses Projekt. Das Interesse Washingtons zielt dabei auf Isolierung des Iran, weniger auf Rivalität mit Rußland. Rußland soll möglichst in das Projekt einbezogen werden. Im August 1996 schloß sich der größte russische Energiekonzern Gazprom dem diesbezüglichen Konsortium an. Die genannte Pipeline ist nur eine von mehreren projektierten Exportkanälen für das Erdöl und Erdgas der kaspischen und zentralasiatischen Region. Allein für den Transport von Erdgas aus Turkmenistan existieren sieben Pipelineprojekte (über Afghanistan nach Pakistan, über die Türkei, über den Iran und über China bis nach Japan) mit Investitionsvolumen von 2,5 Mrd. bis 22 Mrd. US-Dollar. Vorläufig ist die Rohstoffvermarktung noch völlig vom alten Transportsystem über die GUS-Staaten abhängig. Die brisanteste Sicherheitslinie in der Geopolitik Zentralasiens verläuft an der Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan, zwischen zwei "Staaten", die beide den Verfall von Staatlichkeit erlitten haben und zwei einander überlappende Konfliktzonen bilden. Dabei spielt der ethnische Faktor wahrscheinlich eine entscheidendere Rolle als der vielbeschworene "islamische Fundamentalismus". Afghanistan besteht aus über 20 Ethnien, deren regionale Eigenständigkeit eine solide afghanische Nationalstaatsbildung verhinderte, obwohl das Land bereits 1747 unter der paschtunischen Dynastie der Durrani zu einem "Staat" zusammengefaßt wurde. Diese Ethnien haben teilweise ihre Entsprechung in den Titularnationen von Nachbarstaaten wie Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Die Grenzen Afghanistans zu sowjetischen Nachfolgestaaten bergen ebenso ethnisches Konfliktpotential wie seine Grenze zu Pakistan, die von der sogenannten Paschtunen- oder Pathanen-Frage belastet ist. Ein Zerfall Afghanistans in seine ethnischen Bestandteile würde die Sicherheit der Nachbarstaaten tangieren. Entlang der historischen Grenze zwischen Afghanistan und dem Russischen Reich stehen sich folgende Militärpotentiale gegenüber: In Tadschikistan stehen 25.000 russische Grenzschützer, 5000 russische Soldaten und Offiziere der 201. Motorschützendivision, etwa 1000 Soldaten Kasachstans, Kirgistans und Usbekistans sowie mindestens 10.000 Soldaten der nationalen Armee Tadschikistans In Afghanistan umfassen die Truppen der Taliban etwa 50.000 Kämpfer mit 200 Panzern, 20 Hubschraubern und Flugzeugen und anderer schwerer Bewaffnung. Die militärische Kräftekonstellation in dem Land spricht allerdings gegen einen Vorstoß der Taliban bis an die Grenze zur GUS, der in russischen Medien seit Herbst 1996 als äußerste Gefahr für den zentralasiatischen Raum beschworen wurde. Den Talibantruppen stehen Zigtausende Kämpfer der gegen sie gerichteten Allianzen gegenüber (nach einer russischen Quelle 60.000 ehemalige Regierungssoldaten unter Ahmad Shah Mas'ud, 70.000 unter dem Kommando des usbekischen Generals Dostam sowie 80.000 neutrale Kräfte aus verschiedenen islamischen und ethnischen Parteien). Zwischen Rußland und den zentralasiatischen GUS-Staaten wurde im Frühjahr 1997 angeblich ein geheimer Operationsplan gegen die Taliban ausgearbeitet. Im März 1997 meldete die russische Presse, daß in Kuljab in Tadschikistan ein logistischer Stützpunkt für die Truppen Mas'uds eingerichtet worden sei. Schon vorher hatte Taschkent den Usbekengeneral Dostam, einen maßgeblichen "Warlord" im afghanischen Drama, politisch und militärisch unterstützt. So verwickeln sich zentralasiatische Staaten zunehmend in den afghanischen Konfliktknoten. Dabei erscheinen aber einige Mitteilungen in der russischen Presse recht fragwürdig, so die Unterstellung, die Taliban bereiteten sich zum Sturm auf den GUS-Raum und die Eroberung Samarkands und Bucharas vor. Diese ultra-traditionalistische Bewegung beschränkt sich wohl eher auf die Restauration paschtunischer Herrschaft über ein islamisches Afghanistan. Afghanistan, das nach dem Abzug der sowjetischen Truppen zu Beginn der neunziger Jahre sowohl für Moskau als auch für Washington uninteressant geworden war, hat in dem Maße die Aufmerksamkeit von Groß- und Regionalmächten wieder angezogen, in dem Zentralasien ingesamt als geostrategisches Objekt aufgewertet wurde. In Rußland sieht man es als erwiesen an, daß die Talibanbewegung nicht nur von Pakistan, sondern indirekt auch von den USA unterstützt wurde, um die iranische Position in der Region zu schwächen und einen lokalen Verbündeten bei der Entwicklung von Verkehrsverbindungen von Zentralasien nach Pakistan und bei der Eindämmung des Drogenhandels aus Afghanistan zu gewinnen. Rußland seinerseits versucht, die Offensive der Taliban zur Stärkung und Legitimierung seiner Position in der südlichen GUS zu benutzen. Diese war zuvor insbesondere von Usbekistan herausgefordert worden, das sowohl die GUS-Integration als auch die Machtansprüche Rußlands in der Region in Frage stellte. Usbekistan hatte sich dabei stark an die US-Politik in bezug auf Zentralasien angenähert. Folgt man einigen Darstellungen in russischen Medien, hat sich in bezug auf Zentralasien eine russisch-amerikanische Großmachtrivalität um einen geostrategischen Raum, die Routenführung seiner Transportkanäle und den Zugang zu seinen Rohstoffen entwickelt. Auf amerikanischer Seite forderte besonders Zbigniew Brzezinski die geopolitische Präsenz der USA "in den neuen nachsowjetischen Republiken Eurasiens bis an die Grenzen Chinas". Der ehemalige Außenminister Caspar Weinberger äußerte sich im Mai 1998 in einem Artikel in der International Herald Tribune mit der Überschrift "Caspian Access is Crucial for the West" in diesem Sinne. In seiner Zentralasien-Politik widmete Washington 1996 besonders Usbekistan seine Aufmerksamkeit. Es geht dabei allerdings nicht darum, Rußland aus der Region zu verdrängen. Eher wünscht Washington eine Normalisierung der Beziehung Rußlands zu dieser Region. Und das bedeutet, daß Rußland keine exklusiven Herrschaftsansprüche auf den kaspischen Raum anmeldet, sondern ein maßgeblicher Akteur unter anderen Akteuren, ein Wirtschaftspartner unter anderen wird, und daß über sein Territorium Routen für den Transport der regionalen Rohstoffe verlaufen, die ihre Ergänzung in alternativen Routen finden. Das ehemals sowjetische Zentralasien liegt in einem geopolitischen Kräftefeld, dessen regionaler Rahmen von Staaten wie Türkei, Iran und Pakistan gebildet wird. Es traten in den letzten Jahren zunehmend auch Wirtschaftsakteure aus anderen Weltregionen auf, aus Westeuropa, Japan u.a. Den größeren geostrategischen Rahmen internationaler Politik in Zentralasien bilden Rußland und China, angestammte Einflußmächte in der Geschichte der Region, und die Weltmacht USA, die zu den neuen Spielern im "Great Game" gehört. Dabei gebührt den Beziehungen zwischen China und Zentralasien ein eigener Beitrag. Wirtschaftsentwicklung der zentralasiatischen GUS-Staaten in den neunziger Jahren
* für 1996 Schätzung; Quelle: Economist Intelligence Unit Country Reports / Country Analyses 1-4th quarter 1996
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |