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TEILDOKUMENT:
5. Deutschland und China 1996: Mittlere Reife der deutschen Asienpolitik Bei Abwägung aller bislang geschilderten Ereignisse und Trends des Jahres 1996 wird deutlich, daß die Vorsicht vieler westlicher Unternehmen bezüglich des chinesischen Marktes Gründe hat. Gerade in Deutschland schlüpft daher oft die Politik in das Gewand des Promotors der Wirtschaftsbeziehungen zu China. Die deutsch-chinesischen Beziehungen wurden 1996 überraschend stark belastet, als der Deutsche Bundestag in einer Resolution die Tibet-Politik Chinas verurteilte. Die chinesische Regierung reagierte mit Ausladungen deutscher Politiker und setzte damit eine ähnlich scharfe Gegenreaktion der deutschen Seite in Gang. Diese Krise konnte nur durch intensive diplomatische Bemühungen beider Seiten behoben werden, die dann im Herbst den Besuch zuerst Außenminister Kinkels und dann Bundespräsident Herzogs in China ermöglichten. Während frühere Verspannungen häufig dadurch entstanden, daß die chinesische Seite (wie etwa im Zusammenhang der Demonstrationen beim Besuch Li Pengs im Jahre 1995) kein Verständnis für die Differenzierung zwischen deutscher Politik und deutscher Öffentlichkeit besitzt, lag aus chinesischer Sicht das Problem der Tibet-Resolution darin, daß erstmals seit Tiananmen die offizielle deutsche Politik in sehr deutlicher Weise gegen China Stellung bezog. Auch hier gab es natürlich erneut eine mißverstandene Gleichsetzung zwischen Parlament und Regierung. China griff daraufhin - ebenso wie schon in früheren Fällen - zu dem Instrument, über politischen Druck indirekt auf die deutsche Öffentlichkeit Einfluß zu nehmen. Im Frühjahr wurde das Pekinger Goethe-Institut mit der Schließung bedroht, falls in München ein mit seiner Beteiligung veranstaltetes Kulturereignis (Beck-Forum) mit chinesischen Dissidenten stattfände, und später wurde dann tatsächlich das Pekinger Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung geschlossen, weil in Deutschland von dieser Stiftung eine internationale Konferenz mit tibetischen Exil-Politikern veranstaltet wurde. Kritiker Chinas beobachten derartige Ereignisse mit großer Besorgnis und werfen der deutschen Politik vor, kein Rückgrat zu zeigen und sich wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen. Befürworter der deutschen Außenpolitik betonen, daß die Beziehungen zu China nicht zu stark dem erratischen Einfluß deutscher Öffentlichkeit ausgesetzt sein dürften, die dazu neige, ohne genauere Kenntnis der chinesischen Verhältnisse Menschenrechtsfragen in enger Interpretation überzugewichten und tatsächlichen gesellschaftlichen Fortschritt in China nicht hinreichend zu würdigen. Die deutsche Außenpolitik geriet damit in ein Dilemma, das bislang die amerikanische China-Politik chronisch plagt: Innenpolitische China-Kritik trifft auf die realpolitische Sicht der Regierung, die in der Regel argumentiert, daß die Beziehungen zu China möglichst intensiviert werden sollten, um dortige Fehlentwicklungen zu vermeiden. Während allerdings in den USA die Regierungsposition in der Regel differenzierter ist, weil die strategischen und handelspolitischen Interessen Amerikas komplexer sind, reduziert sich die deutsche Position auf die These vom "Wandel durch Handel". Dementsprechend konzentrierte sich die Reise des deutschen Außenministers im September 1996 eindeutig auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wie schon in den Jahren vorher trat ein Grundmuster jüngerer deutscher China-Politik hervor, nämlich hochrangige Politiker-Reisen vornehmlich in den Dienst der Förderung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen zu stellen und die politische Dimension mehr oder weniger darauf zu verkürzen, daß in der Regel hinter verschlossenen Türen Menschenrechtsprobleme, die Situation der Dissidenten etc. angesprochen werden. Für die deutsche Seite dürfte diese Problematik an Bedeutung gewinnen, weil die chinesische Industriepolitik in der jüngsten Zeit eher restriktiv bei der Genehmigung klassischer Joint-Venture-Projekte ist und andererseits gerade jene Sektoren stark fördert, wo die deutsche Industrie besondere Wettbewerbsvorteile erkennt, vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Umwelt. Infrastrukturprojekte sind aber auf komplexe Finanzierungsmodelle angewiesen. Wie im Falle der Kraftswerksprojekte am höchst umstrittenen "Drei-Schluchten-Staudamm" wird daher die Bundesregierung regelmäßig um Hermes-Sicherungen gebeten - zunehmend mit Erfolg, da die Politik sich die Aufgabe zugeschrieben hat, deutschen Unternehmen den chinesischen Markt zu öffnen. Es ist außerdem längst bekannt, daß deutsche Großunternehmen auch auf andere Weise politische Unterstützung ihres China-Geschäftes erhoffen, indem unter Umständen Entwicklungshilfe-Projekte (z.B. im Bildungssektor) mit Industrieprojekten koordiniert werden. Dies wird im Bereich der Entwicklungshilfe unter anderem damit begründet, daß Synergien mit der Privatwirtschaft ihrerseits dazu beitragen, die Entfaltung des privaten Sektors in Ländern wie China zu fördern. Ungeachtet der "post-merkantilistischen" China-Politik nicht nur der Bundes-, sondern auch vieler deutscher Landesregierungen (wie etwa im Zuge der thüringischen Asien- und China-Initiative vom März 1996) scheint jedoch der seit 1992 eigentlich erst wirklich einsetzende Schub deutscher Investitionen in China zu verpuffen, d.h., es ist kein weiteres Wachstum zu verzeichnen, sondern die Stabilisierung auf einem Niveau, das die deutsche Wirtschaft in diesem Bereich eher als marginalen Mitspieler erscheinen läßt (bislang stammen rund 1% aller in China realisierten FDI aus Deutschland). Dies kann auch nicht verwundern, denn die Erfahrung zeigt, daß ein Bemühen der Politik kaum die immensen Risiken und Probleme eines China-Engagements ausgleichen kann. Nutznießer der Politik sind daher paradoxerweise eher solche Großunternehmen, die ohnehin eine starke Position in China besitzen, sei es, weil sie sich langfristige, relativ personalintensive Asien-Strategien leisten können, sei es, weil sie wegen ihres internationalen Rufes als Technologieführer ein hohes Ansehen bei der chinesischen Politik genießen. Mittelständische Unternehmen geraten kaum in den Sog von Politiker-Reisen. Bezeichnenderweise trat auf der 2. Deutsch-Chinesischen Mittelstandskonferenz im September 1996 erneut die Diskrepanz zu Tage, daß die chinesischen Gesprächspartner an direkten Engagements des deutschen Mittelstandes interessiert sind, während die deutsche Seite eher Handelsinteressen verfolgt. Dies spiegelt die herrschende Risiko-Wahrnehmung wider. Wenig Überzeugungskraft besitzt offenbar die Argumentation, daß die zunehmende Integration der Weltwirtschaft längst dazu geführt habe, daß Auslandsinvestitionen letztlich auch Motor des Außenhandels sind. Ein gutes Beispiel für diese Problemlage sind die Automobil-Zulieferer, die wie andere Branchen zwar gebannt auf die Expansionspotentiale des chinesischen Marktes schauen, jedoch zwischen die Klammer der chinesischen Industriepolitik einerseits und die Schwierigkeiten des chinesischen Marktes andererseits geraten sind. Die chinesische Regierung verfolgt im 9. Fünfjahresplan eindeutig eine - ohne Zweifel unrealistische - Strategie der Importsubstitution im Bereich der Automobilindustrie. Einheimische Produzenten - deren geringe Qualität für den Aufbau moderner Fertigungen unzulänglich ist - unterstützen die Marktabschirmung vor allem auch auf regionaler Ebene und verstärken damit die industriepolitische Verunsicherung, während die Zentralregierung eine nationale Industriepolitik zum Teil gegen regionale Interessen verfolgt, da sie in einem gleichzeitigen Konzentrationsprozeß das Heil sucht. Werden dann Joint-Venture-Verhandlungen noch dadurch belastet, daß ein chinesisches Staatsunternehmen überzogene Forderungen bezüglich der Übernahme von Personal stellt oder auf der Überbewertung von eingebrachten Gebäuden und Maschinen beharrt, dann stehen die Aussichten für die Projekte schlecht. Hinzu kommen in der Regel erhebliche Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Finanzierung. Dieses Beispiel zeigt, daß die seit langem bekannten sinophilen Unkenrufe, deutsche Unternehmen verschliefen den chinesischen Markt, in dieser Schärfe nicht gerechtfertigt sind. Ähnlich wie im japanischen Fall läßt sich ihr Zögern häufig durch Risiken eines Engagements erklären, die auch durch die chinesische Politik verursacht sind. Das bedeutet aber, daß durch eine politische Unterstützung wirtschaftlicher Beziehungen nur dann wirtschaftliche Vorteile erzielt werden können, wenn auch diese Probleme unmittelbar berührt werden. "Political correctness" gegenüber der Zentralregierung nützt wenig, wenn der Mittelständler mit lokalem Protektionismus regional gebundener Staatsunternehmen zu kämpfen hat oder mit überraschenden Änderungen der chinesischen Zollgesetzgebung für Investitionsgüter-Importe. Viele der Schwierigkeiten rühren sogar aus Zusammenhängen her, die durchaus mit Grundsatzfragen der Rechtsstaatlichkeit zusammenhängen. Die deutsche Haltung des "Wandel durch Handel" könnte also durchaus auch auf den Kopf gestellt werden: "Handel durch Wandel" bedeutet, daß es eher in chinesischer Verantwortung liegt, die Rahmenbedingungen für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und China zu verbessern. Doch scheint im Jahre 1996 die deutsche Sicht auch auf die europäische Ebene ausgestrahlt zu haben: Die EU hat sich in den verschiedenen Konfliktsituationen von 1996 bewußt moderat gezeigt, bis hin zu Vorwürfen aus den USA (die ähnlich auch an Deutschland gerichtet wurden), aus wirtschaftlichen Interessen Prinzipien zu vergessen. Mit dem Asia-Europe-Meeting von Bangkok im März 1996 wurde ein wichtiges Signal für die Intensivierung der europäisch-asiatischen Beziehungen gesetzt, das jedoch gleichwohl mit der Betonung verschiedener UN-Menschenrechtsresolutionen nicht die Kernprobleme zwischen China und dem Westen aus dem Wege geräumt hat. Nach den Erfahrungen von 1996 ist es daher immer dringender erforderlich, klare außenpolitische Prinzipien der China-Politik zu formulieren, die weit über die Menschenrechtsfrage hinausreichen. Dies muß autonom von Interessen der Wirtschaft erfolgen. In dieser Hinsicht war die Reise des Bundespräsidenten ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn Herzog hat während seiner Gespräche offensichtlich in sehr klarer Weise eine europäische Position zur Menschenrechtsfrage formuliert, die für die chinesische Seite akzeptabel war - freilich waren an seinen Besuch auch keine Erwartungen in wirtschaftlicher Hinsicht geknüpft. Vor allem liegt es in der Verantwortung westlicher Außenpolitik, die möglichen Konflikte innerhalb des chinesischen Kulturraumes konstruktiv zu begleiten. Ganz im Sinne des ASEM-Prozesses gehört hierzu, eigene informelle Politik-Netzwerke in der Region aufzubauen, die es erlauben, in sensibler Weise Themen wie die Taiwan-Frage, den Übergang Hong Kongs oder die innere Rechtssicherheit in China aufzugreifen. Gerade wenn der Westen auf die Kommunikations- und Koordinationsmechanismen Asiens und Chinas eingeht, kann er umgekehrt auch eigene Werte in der Politik besser thematisieren. Die Tatsache, daß der chinesische Kulturraum selbst ein sehr heterogenes Gebilde ist, das seit langem westliche Einflüsse mit östlicher Tradition verbindet, erleichtert dies. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999 |