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TEILDOKUMENT:
Ziel: Integration in die globalen Produktionsnetze Dieser Prozeß ist jedoch, wenn vielleicht auch nicht mit dieser Geschwindigkeit, von der brasilianischen Regierung durchaus intendiert. Mit der Öffnung ist das Ziel verbunden, die brasilianische Industrie, die aufgrund der Strategie der Importsubstitution über weitgehend vollständige, aber vergleichbar ineffiziente Produktionsketten verfügte, neu zu strukturieren und in die weltweiten Produktions- und Absatznetze der transnationalen Konzerne einzubinden. Deshalb wird dem Anwerben von Direktinvestitionen dieser Multis höchste Priorität zugewiesen und der abrupte Anstieg der Importe als durchaus richtige Entwicklung interpretiert, dem dann in einer späteren Phase, auf der Grundlage einer vernetzten Integration in die Weltwirtschaft, auch ein Anstieg der Exporte folgen werde. So betrachtet, scheint die Strategie aufzugehen: Die ausländischen Direktinvestitionen haben sich seit Beginn der 90er Jahre vervielfacht und im letzten Jahr mehr als US$ 15 Mrd. betragen; für 1998 erhofft sich die Regierung sogar Investitionszuflüsse von US$ 20 Mrd. Damit ist Brasilien auf Platz zwei der Empfängerländer unter den Entwicklungsländern vorgerückt, unmittelbar nach China. Bei näherer Betrachtung des industriellen Strukturwandels und der Zusammensetzung des internationalen Handels seit der Stabilisierung kommen durchaus Zweifel an dieser Strategie auf. Bisher nämlich haben sich Im- und Exporte nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ stark auseinanderentwickelt. Die Ergebnisse einer Studie der Nationalen Entwicklungsbank BNDES sind in diesem Punkt sehr klar: Setzten sich Brasiliens Exporte früher aus einer Mischung von Rohstoffen, Halbfertigwaren und Industrieprodukten zusammen, so steigt inzwischen der Exportanteil in Sektoren der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung eben-so wie in Teilen des Agrarsektors, während andererseits der Importanteil in Hochtechnologiebranchen teilweise dramatisch gestiegen ist. Das Land fällt also - zumindest derzeit - nach jahrzehntelangen Industrialisierungsanstrengungen wieder stärker auf seine traditionellen komparativen Kosten zurück: billiges Land und billige Arbeitskräfte. Damit geht ein besorgniserregender Wandel der einheimischen Produktionsstruktur einher. Der Wettbewerbsdruck auf die brasilianischen Produzenten, der von der Liberalisierung und der Aufwertung ausgeht, bringt diese dazu, nicht unbedingt die Produktion aufzugeben, sondern vielmehr zur raschen Senkung der Produktionskosten billigere Vorprodukte aus dem Ausland zu importieren. In den letzten Jahren ist in den meisten wichtigen Industriebranchen die Fertigungstiefe deutlich zurückgegangen. Im Gegenzug haben assembling-Tätigkeiten, in Mittelamerika und der Karibik als maquiladoras bezeichnet, deutlich zugenommen. Einige Branchen, die explizit von geringen Löhnen abhängen, wie beispielsweise die Schuh- und die Textilbranche, sind innerhalb weniger Jahre fast vollständig vom industrialisierten Süden und Südosten des Landes in den armen Nordosten gezogen, wo eine Arbeitskraft noch für einen Mindestlohn oder weniger zu haben ist. Zudem werden Direktinvestitionen von den Landesregierungen dieser Region noch zusätzlich durch hohe Steuersubventionen gefördert. In der Großregion São Paulo, dem traditionellen industriellen Herzen des Landes, findet dagegen tatsächlich ein brutaler Prozeß der Deindustrialisierung statt, der schwerste ökonomische und soziale Verwerfungen nach sich zieht. Die Spezialisten in der Regierung für Industriepolitik beteuern jedoch, daß - mit der Ausnahme São Paulos - langfristig keine Deindustrialisierung oder industrielle Verflachung stattfinde, sondern der derzeitige Zustand vorübergehender Natur sei. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999 |