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TEILDOKUMENT:
1. Mehr Schatten als Licht: die Bilanz der Regierung Netanjahu Im Mai dieses Jahres feiert Israel den fünfzigsten Jahrestag seiner Staatsgründung nachdem schon 1997 der hundertste Jahrestag des ersten Zionisten-Kongresses in Basel und das 80-jährige Jubiläum der Balfour-Erklärung, Keimzelle der israelischen Staatlichkeit, begangen werden konnten. Doch die Feiern stehen unter keinem guten Stern: Die Stimmung im Lande ist so schlecht, daß sie von vielen mit der Endzeitstimmung vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973 verglichen wird, als der gängige Witz lautete: Der letzte, der das Land verläßt, macht das Licht am Flughafen aus. Doch nicht Abwanderung ist heute das Problem, denn noch immer kommen zahlreiche Einwanderer nach Israel, wenn auch in abnehmender Zahl. Das Problem ist die seit der Ermordung des damaligen Ministerpräsidenten Rabin im November 1995 immer deutlicher zu Tage tretende Spaltung der israelischen Gesellschaft in eine Vielzahl von Gruppen und Substrukturen, die das alte zionistische Bild von der Pionier-Nation zu ersetzen droht. Der gängige Konflikt zwischen Religiösen und Säkularen ist dabei nur eine, wenn auch die wichtigste Komponente; darunter aber brodelt es auch in fast allen anderen Teilen der Gesellschaft. Dazu kommen nicht mehr zu übersehende Symptome der Krisenanfälligkeit bei jenen Institutionen, die bisher das Rückgrat von Staat und Gesellschaft bildeten und die der Stolz der Nation waren: Armee und Geheimdienste stolperten im letzten Jahr von Panne zu Panne, und allenthalben ist von der rapide abnehmenden Motivation junger Israelis die Rede, in der Armee zu dienen. Noch vor einigen Jahren war dies ein undenkbarer Vorgang, galt es doch nicht nur als Ehrensache, möglichst in den Eliteeinheiten seinen Dienst zu tun, sondern dies war auch die Voraussetzung für eine spätere Karriere in Staat und Wirtschaft. Das beschädigte Ansehen des Militärs fällt um so mehr ins Gewicht, als die Mehrheit der Israelis kaum Vertrauen in das politische System und am allerwenigsten in die Parteien hat. Nimmt man die seit Anfang 1997 negative Wirtschaftsentwicklung mit rückläufigen Wachstumsraten und steigenden Arbeitslosenzahlen hinzu, dann begreift man, warum dem Durchschnittsisraeli nicht zum Feiern zumute ist und dabei ist er auch noch mit dem stockenden Friedensprozeß in der Nahost-Region und einer schleichenden Entfremdung mit den USA, dem Verbündeten Israels schlechthin, konfrontiert. In dieser Lage ist es schon fast symptomatisch, daß das für die Vorbereitung der Jubelfeiern zuständige Staatskomitee ebenfalls in einer tiefen Krise steckt: wegen der Haushaltsprobleme wurde die Hälfte der ursprünglich für Veranstaltungen aller Art vorgesehenen Mittel gestrichen, die Planung wurde schlampig betrieben und die Führungsmannschaft wegen Vetternwirtschaft abgelöst. Israel stellt sich im fünfzigsten Jahr seiner Existenz nicht im besten Licht dar, und mitverantwortlich ist eine Regierung, die seit ihrem Amtsantritt im Juni 1996 keine Gelegenheit ausläßt, fast jede Gelegenheit auszulassen. Natürlich sind viele der Krisensymptome struktureller und langfristiger Natur, doch hat es fast den Anschein, als ob diese Regierung als eine Art Katalysator fungiert, der alle Gebrechen der israelischen Gesellschaft bündelt und ihren krisenhaften Charakter beschleunigt. In einem Kommentar der linksliberalen Zeitung Haaretz" liest sich die Bilanz Netanjahus nach eineinhalb Jahren Amtszeit wie folgt: Netanjahu ist der erste israelische Premierminister, der gleichzeitig die Palästinenser ihrer Hoffnung beraubt, die Führer der arabischen Staaten verärgert, sich selbst in den Augen der Regierung in Washington zum unwillkommenen Gast gemacht, eine Rebellion im Weltjudentum ausgelöst hat und sich im Konflikt mit der Hälfte der israelischen Bevölkerung befindet. Zu alledem kommt, daß er seine Freunde in der Parteiführung fallengelassen hat". In der Tat hat Netanjahu die politische Landschaft in Israel und an seinen Grenzen gründlich durcheinandergewirbelt. Er hat die traditionell linksstehende Elite zutiefst verunsichert und die Säulen ihrer Macht wenn nicht aktiv desavouiert, so doch ausgenutzt und bloßgestellt:
So sehr in dieser Bilanz auch die Schatten überwiegen, so gilt doch auch im Falle der Regierung Netanjahu der Satz, wonach Totgeglaubte länger leben. Nur zweimal war der Regierungschef ernsthaft gefährdet: im Frühsommer 1997, als im Gefolge der Bar-On-Affäre (die unter zweifelhaften Umständen zustandegekommene und dann zurückgenommene Ernennung eines neuen Generalstaatsanwalts) die Aufnahme polizeilicher Ermittlungen gegen ihn drohte, und im Herbst des Jahres, als eine offene Revolte im Likud möglich schien, die aber dann an der Konkurrenz der Kronprätendenten scheiterte. Zwei Faktoren vor allem garantieren zumindest bis auf weiteres das Überleben der Regierung: zum einen die 1996 erstmals erfolgte Direktwahl des Ministerpräsidenten, was diesem eine für parlamentarische Systeme ungewöhnlich starke Position verleiht. Für seine Abwahl ohne gleichzeitige Auflösung der Knesset ist eine Zweidrittel-Mehrheit von 80 Abgeordneten (der insgesamt 120) nötig; die einfache Mehrheit von 61 Parlamentariern würde ausreichen, um Neuwahlen sowohl für das Parlament als auch für das Amt des Ministerpräsidenten zu erzwingen. Doch dazu dürften die meisten Abgeordneten keine große Neigung verspüren, wäre ihre Rückkehr ins Parlament doch alles andere als sicher. Gegen Aufmüpfige in den eigenen Reihen hat Netanjahu zudem den Knüppel einer großen Koalition (mit der Arbeitspartei) in der Hinterhand, und für die Falken in allen Koalitionsparteien gibt es bei aller Kritik doch keine Alternative zur derzeitigen Regierung. Der zweite Stabilisierungsfaktor ist die Schwäche der Opposition, vor allem der Arbeitspartei (Avoda), die unter ihrem im Juni letzten Jahres gewählten neuen Vorsitzenden Ehud Barak noch immer nicht richtig Tritt gefaßt hat. Der ehemalige Generalstabschef und Außenminister gilt der Öffentlichkeit und zunehmend auch der eigenen Partei als eine Kopie von Netanjahu, der mit einer ähnlichen Strategie an die Macht kommen will. Die damit verbundene Personalisierung politischer Auseinandersetzungen stößt auf den Widerstand einer Partei, die eine lange Tradition ideologischer Debatten zu verteidigen hat. Einsame Entschlüsse und heftige innerparteiliche Kritik sind die gegenwärtigen Merkmale der größten Oppositionspartei, ohne die kein Machtwechsel zu schaffen ist. Die Friedensbewegung konnte zwar am 8. November letzten Jahres die größte Massendemonstration seit den achtziger Jahren auf die Beine stellen, an der in Tel Aviv 200 000 Menschen teilnahmen. Doch änderte diese großartige Bekundung des Friedenswillens wenig an der allgemeinen Resignation auf Seiten der Linken und der Friedensfreunde. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999 |