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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Die EWU und die Osterweiterung der Europäischen Union

Frage A:

Behindert die Währungsunion die Osterweiterung der Europäischen Union?

Position A 1:

Die EWU behindert die Osterweiterung der Europäischen Union; denn sie führt die EU in Turbulenzen und schwächt ihre Fähigkeit, mit zusätzlichen Herausforderungen fertig zu werden.

Das Projekt der EWU, so wie es in Maastricht beschlossen wurde, ist ökonomisch schlecht durchdacht. Bereits der vorangeschaltete Konvergenzprozeß kann Europa tiefer in die Rezession führen und im Gefolge die Finanzmärkte verunsichern - mit all den Konsequenzen für erneute Währungsturbulenzen. Die Bewältigung des dann unausweichlichen Scheiterns des EWU-Projektes wird die politischen Energien der Europäischen Union über längere Zeit in Anspruch nehmen. Währenddessen ruht der Erweiterungsprozeß. Aber auch die Errichtung einer zunächst kleinen EWU bringt die Perspektive von Turbulenzen sowohl auf den Finanzmärkten als auch im politischen Zusammenhalt der Europäischen Union. Sie würden ebenfalls die Osterweiterung behindern.

Position A 2:

Die EWU verringert den politischen Nutzen der EU-Mitgliedschaft für Osteuropa. Denn sie schließt die osteuropäischen Beitrittsländer aus dem politisch entscheidenden „inneren Zirkel" der Union aus.

Die Errichtung einer EWU gemäß dem Vertrag von Maastricht spaltet die Europäische Union in einen inneren Kreis von EWU-Mitgliedern und einen äußeren Kreis von Ländern, die auf absehbare Zeit keine Chance zum EWU-Beitritt haben. Der Schwerpunkt des politischen Einigungsprozesses wird sich auf den inneren Kreis verlagern. Die übrigen Länder - darunter auch künftige osteuropäische EU-Mitglieder - würden, politisch gesehen, am Rande bleiben. Dementsprechend würde sich auch der politische Stabilisierungseffekt, den eine EU-Mitgliedschaft für Osteuropa bringen sollte, verringern. Die psychologisch wichtige „Vollmitgliedschaft" bliebe verbaut.

Position A3:

Die EWU steht einer Osterweiterung der Europäischen Union nicht im Wege.

Denn:

  • Die Teilnahme am Gemeinsamen Markt - mitsamt seinen Politik-Harmonisierungen - ist auch ohne Eintritt in die Währungsunion möglich und sinnvoll. Und zwar auch dann, wenn man davon ausgeht, daß die osteuropäischen Beitrittskandidaten auf absehbare Zeit nicht in die EWU sollten. Auch einige der jetzigen EU-Mitglieder sollten sich wahrscheinlich die Option der Währungsanpassung noch auf lange Zeit bewahren. Wichtig ist nur, daß es zu keiner Abwertungskonkurrenz und als Reaktion darauf zu neuen Handelshemmnissen kommt. Das läßt sich durch währungspolitische Kooperation erreichen.

  • Die EWU ist in erster Linie ein ökonomisches Projekt, das unter bestimmten Voraussetzungen zwischen bestimmten Ländern sinnvoll ist. Die Frage der politischen Integration Europas wird davon nicht berührt. Politische Abstimmungen zu allen möglichen Fragen lassen sich auch ohne gemeinsame Währung erreichen und werden durch eine - entpolitisierende! - Vergemeinschaftung der Geldpolitik weder erleichtert noch erschwert. Die Währungsunion führt keineswegs dazu, daß man untereinander enger politisch zusammenarbeitet als mit anderen Länder der Europäischen Union. Die politische Einbindung osteuropäischer Länder in den europäischen Integrationsprozeß wird also von der Existenz einer Währungsunion zwischen einigen europäischen Ländern nicht betroffen.

  • Die EWU stärkt die europäische Wirtschaft insgesamt. Sie eliminiert einige der Faktoren, die das Wirtschaftswachstum in den letzten 20 Jahren behindert haben. Als Folge erhält der europäische Integrationsprozeß neue Dynamik, die auch der Osterweiterung zugute kommt.

Frage B:

Ist eine baldige EWU-Mitgliedschaft osteuropäischer Länder anzustreben?

Position B1:

Eine baldige EWU-Mitgliedschaft wäre für osteuropäische Länder vorteilhaft.

  • Sie erleichtert den Kapitalfluß von West- nach Osteuropa und beschleunigt somit die Entwicklung Osteuropas.

  • Sie erleichtert die dauerhafte Stabilisierung der Preise. Der Zwang, abzuwerten, um konkurrenzfähig zu bleiben, verschwindet dadurch.

  • Die Arbeitsmärkte in Osteuropa sind so flexibel, daß sie notfalls auch mit Lohnsenkung auf Nachfragerückgänge reagieren können. Deshalb macht die Diskrepanz der Wirtschaftsstrukturen zwischen „Kerneuropa" und Osteuropa (fehlende Realkonvergenz) die osteuropäischen Länder nicht EWU-untauglich. Die Flexibilität der Löhne ersetzt die Flexibilität der Wechselkurse. Im übrigen ist mit einer schnellen Angleichung der Wirtschaftsstrukturen aufgrund des größeren Kapitalzuflusses zu rechnen.

Position B2:

Eine baldige EWU-Mitgliedschaft wäre für osteuropäische Länder nachteilig.

Es ist nicht damit zu rechnen, daß die osteuropäische Lohnflexibilität so lange erhalten bleibt, wie der wirtschaftliche Aufholprozeß dauert. Solange dieser aber noch nicht abgeschlossen ist, wird der Preisauftrieb in Osteuropa tendenziell über dem in „Kerneuropa" liegen (aufgrund des rascheren Strukturwandels bei zum Teil starren Preisen). Um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, werden die osteuropäischen Länder deshalb immer wieder auf Abwertungen angewiesen sein. Der Versuch hingegen, mit allen Mitteln Preisstabilität auf EWU-kompatiblem Niveau sicherzustellen, würgt die Wachstumsdynamik ab.

Im übrigen käme es der osteuropäischen Wirtschaftsentwicklung zugute, wenn Märkte temporär gegen ausländische Konkurrenz abgeschirmt werden können. Die volle Integration in den EU-Wirtschaftsraum mit seinen gewaltigen Standortvorteilen droht, den Peripheriestatus Osteuropas zu zementieren. Dies umso mehr, als sie auch die Abwanderung qualifizierter Arbeitskraft fördert und damit osteuropäische Standortnachteile verschärft.

Position B3:

Wie immer man den Nutzen einer baldigen EWU-Mitgliedschaft für Osteuropa einschätzt, für die „Kernländer" der Währungsunion wäre sie von Nachteil.

Die divergierenden Produktionsstrukturen von Ost- und „Kerneuropa" erhöhen die Gefahr, daß es zu länderspezifischen Krisen bzw. Inflationsschüben kommt. Ohne die Möglichkeit der Wechselkursanpassung wird es höhere Arbeitslosigkeit in einigen Regionen geben. Dies verstärkt die Migration von Arbeitskräften und setzt damit die Arbeitsmärkte in der gesamten EWU unter Druck. Außerdem nimmt der politische Druck zu, die Krisenregionen durch Ausgleichszahlungen (teilweise) zu entschädigen.

Sollten die Löhne in Osteuropa ihren Abstand zum westeuropäischen Niveau halten (eine Sache vor allem der gewerkschaftlichen Macht), würde der EWU-Beitritt osteuropäischer Länder die Standortkonkurrenz für „Kerneuropa" verschärfen (erhöhte Standortmobilität der Unternehmen in der Währungsunion).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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