FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Page Top

[Essentials]

  • Die siegreiche LDP hat die absolute Mehrheit verfehlt. Die Wähler votierten nach vier Jahren mit fünf Regierungen für Stabilität, nicht für die Wiederkehr der Einparteienherrschaft der LDP.
  • Wichtigste Ursache für die Stärkung der LDP ist nicht ihre Umwandlung in eine moderne konservativ-liberale Partei, sondern die Unfähigkeit der Nicht-LDP-Kräfte, eine glaubwürdige Alternative zu entwickeln. Für die Wähler hat der Umbruch von 1993 Instabilität ohne wirkliche Veränderungen gebracht, und viele scheinen Stabilität unter einer wenig geliebten LDP dem dauernden Wechsel ohne Wandel vorzuziehen.
  • Die beiden zentralen Ziele der Wahlrechtsreform wurden in diesen Wahlen verfehlt. Der erhoffte Wahlkampf um Programme und alternative Optionen fand nicht statt, und anstelle des vom neuen Wahlrecht angestrebten Zweiparteiensystems steht wie vor 1993 einer starken (heute aber auf Koalitionen angewiesenen) LDP eine Reihe kleinerer Oppositionsparteien gegenüber.
  • Japanische Parteien sind weder durch gemeinsame Überzeugungen noch durch die Interessen sozialer Großgruppen definiert, sind also keine Programm- oder Mitgliederparteien, die die politische Partizipation der Bürger kanalisieren, sondern Clubs gewählter Abgeordneter. Sie sind, von den Kommunisten abgesehen, Organisationen ohne Unterbau. Unabhängig von den Parlamentsabgeordneten haben sie kein Eigengewicht.
  • Die Krise des politischen Systems wirkt fort. Solange die Parlamentarier in erster Linie als Vertreter der materiellen Interessen ihrer meist ländlich-peripheren Wahlkreise wirken und alle relevanten Entscheidungen die vom Senioritäts-, Proporz- und Rotationsprinzip bestimmte Mechanik der LDP-Fraktionskämpfe passieren müssen, sind notwendige Weichenstellungen nationaler oder gar internationaler Reichweite nicht zu erwarten.
  • Das System delegiert politische Entscheidungen, sofern sie nicht von direkter wahlpolitischer Relevanz sind, an die Beamtenschaft, die das Land zwar kompetent und effektiv verwaltet, in einer Umbruchsituation aber weder die etablierten Routinen verändern, noch behördenübergreifende Strategien entwickeln kann. Das Schicksal der wirtschaftlichen Deregulierung, die jeder fordert und keiner zu initiieren wagt, ist ein Beispiel hierfür.
  • Die enge Bindung der Politiker an lokale Interessengruppen, in erster Linie den "traditionellen Mittelstand", blockiert den Zugang zu und die Interessenvertretung der zunehmend "politikverdrossenen" großstädtischen Bevölkerungsmehrheit, die ihre Unzufriedenheit durch Wahlabstinenz oder die Wahl spektakulärer Außenseiter Ausdruck verschafft.
  • Die Vorherrschaft der kostenintensiven pork barrel politics in Verbindung mit hoher Regulierungsdichte der Wirtschaft bewirkt, daß die Politiker sich als Vermittler zwischen Wirtschaft und Verwaltung betätigen und sich dafür honorieren lassen. Ergebnis ist eine hohe Korruptionsanfälligkeit der Politik sowie eine allzu vertrauliche Kooperation zwischen Geschäftswelt, Politik und Verwaltung, deren Resultate man heute u.a. an der Krise des Finanzsystems beobachten kann.
  • Japan könnte als Beispiel dafür gelten, wie wenig eine politische Klasse in der Lage ist, die Geschicke einer hochentwickelten Industrienation zu lenken. Das politische System Japans trägt Züge des Überflüssigen, es scheint, daß auf die Inszenierung teurer politischer Machtkämpfe verzichtet werden kann, da sie für die Entwicklung des Landes ohnehin ohne Belang sind.


Page Top

[Einleitung]

Das für den Zustand der japanischen Politik bezeichnende Ergebnis der Unterhauswahlen vom 20. Oktober ist die Wahlbeteiligung: Sie lag bei 58,7%, die schwächste Beteiligung an einer Unterhauswahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Einführung eines neuen Wahlsystems, der neue Zuschnitt der Wahlkreise und die turbulenten Veränderungen im Parteiensystem haben die japanischen Wähler nicht davon überzeugt, daß sich Entscheidendes verändert hat. Denn so sehr sich die Institutionen gewandelt haben, der Stil der japanischen Politik ist gleich geblieben. Herausragendes Kennzeichen des Wahlkampfes war brüllende Langeweile; die Auseinandersetzung reduzierte sich darauf, daß die Kandidaten mit Lautsprecherwagen durch ihre Wahlkreise zogen und ihren prospektiven Wählern einen guten Morgen wünschten.

Worin sich die zur Wahl stehenden Parteien unterschieden, blieb verborgen. Alle versprachen vage mehr Bürgernähe und die Reform des bürokratischen Systems. Ansonsten blieb offen, wie Politiker und Parteien die Probleme des Landes angehen wollen. Ein Hauch von Debatte kam allenfalls in der Steuerpolitik auf. Während sich die einst und jetzt regierende LDP zu einer Anhebung der Verbrauchsteuer von 3 auf 5% verpflichtet hatte, die im April 1997 fällig wird, versprach der Führer der Oppositionspartei Shinshinto, Ichiro Ozawa, Steuersenkungen. Die Wähler, die in Japan auf Steuererhöhungen sensibler reagieren als auf alles andere, honorierten es nicht. Das Versprechen war zu durchsichtig, als daß es nicht als das erkannt werden mußte, was es war: Opportunismus - war Ozawa selbst zuvor doch für eine weitaus drastischere Erhöhung der Verbrauchsteuern (auf 10%) eingetreten.

Was die japanische Politik an Programmatik und Konzeptionen nationaler oder gar internationaler Reichweite zu bieten hat, gleicht intellektuellem Ödland, in dem außer der Phrase nichts blüht. Daß alle dieselben Phrasen dreschen, wird zumindest von den Akteuren nicht als Mangel empfunden, wohl aber von vielen Wählern, die angesichts des Fehlens jeder Alternative gleich zu Hause geblieben sind. Und die Mehrheit der Wähler, die ihrer demokratischen Pflicht nachkamen, orientierte sich an Personen, nicht an Programmen. Wie in der Vergangenheit entschieden sich viele Wähler auch am 20. Oktober nach den höchst materiellen Interessen ihres Wahlkreises. Man wählte den Kandidaten, von dem man erwarten konnte, daß er seine lokale Klientel aus dem Futtertrog des Staatshaushalts bediente, also einen Kandidaten der LDP. Je höher sein Rang und damit sein Einfluß in der Partei, meßbar an den Partei- und Regierungsposten, die er bereits innegehabt hatte, desto größer seine Chance der Wahl bzw. Wiederwahl.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

TOC Next Page