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TEILDOKUMENT:
5. Reduzierung der Stabilitätsrisiken angesichts von Transformation und Integration Ostmitteleuropa zeigt zwar bisher eine bemerkenswerte Stabilität angesichts des Ausmaßes seiner politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Aber die Risiken sind nicht zu übersehen: Auch und gerade eine erfolgreiche Transformation zerklüftet die Gesellschaft und schafft eine große Gruppe von Reformverlierern unter den Arbeitern, Bauern oder den Einwohnern der östlichen Landesteile. Die Möglichkeiten staatlicher Korrekturen der sich zuspitzenden Ungleichverteilung der Lebenschancen sind dauerhaft begrenzt. Die organisatorische Basis der Demokratie ist noch nicht gesichert: das Parteiensystem ist fragil und noch im Fluß; die Presse und die elektronischen Medien haben sich noch nicht als vierte Gewalt etabliert; die regionale und lokale Selbstverwaltung steckt noch in den Anfängen; die zivile Gesellschaft ist kaum entwickelt. Der angestrebte EU-Beitritt verschärft die Transformationseffekte, belastet die Verlierer zusätzlich und polarisiert die Gesellschaft weiter, auch wenn er prinzipiell der Demokratie als Stabilitätsanker dient. Er reizt nationale Empfindlichkeiten und spitzt demokratische Legitimitätsprobleme zu. Hilfe von außen kann sicher nur einen beschränkten Beitrag zur Reduzierung der Destabilisierungsrisiken leisten. Angesichts der Vorbehalte gerade der kritischen Bevölkerungsteile (Reformverlierer) gegenüber der Rolle des Auslands muß die Unterstützung der demokratischen Gruppen und die Demokratisierung der reformskeptischen Kräfte behutsam, unauffällig und partnerschaftlich erfolgen. Die Zusammenarbeit der großen multilateralen Institutionen (Weltbank, IWF etc.) und der Regierungen birgt vor diesem Hintergrund immer das - leider wohl kaum vermeidbare -Risiko gesellschaftspolitischer Störungen in sich. Statt dessen bedarf es einer Zusammenarbeit, die sowohl auf der Geber- als auch auf der Empfängerseite möglichst breit gefächert ist. Sie sollte sich nicht auf einzelne Länder und soziale Zielgruppen konzentrieren, sondern die Bereitschaft aller fördern, ihre Interessen im Rahmen friedlicher, demokratischer Regelsysteme zu artikulieren und im gegenseitigen Ausgleich durchzusetzen. Konflikte sind unvermeidbar, aber die Kultur ihrer Verarbeitung ist zu gestalten. Darüber hinaus könnte es der dezentralisierten gesellschaftspolitischen Kooperation gelingen, zwei spezifische Zeitbomben zu entschärfen: Parallelisierung der Bruchlinien: Ein Risiko der politischen Entwicklung in Ostmitteleuropa liegt darin, daß sich die vielfältigen sozialen und politischen Bruchlinien nicht mehr kreuzen, sondern sich zu einer Gesellschaftsspaltung zwischen autoritären, staatsinterventionistischen, ethno-nationalistischen, ländlichen Reformverlierern und demokratischen, liberalen, kosmopolitischen, urbanen Reformgewinnern vertiefen. Um dieser Lagerbildung entgegenzuarbeiten, müßten die jeweiligen Seiten der einzelnen Bruchlinien durch Einbindung in internationale Zusammenhänge gleicher Wert- und Interessenorientierung gestärkt und demokratisch gemäßigt werden. Dazu bedarf es einer entsprechend pluralistisch verfaßten, einzelpartnerschaftlichen Kooperation, die auf eine enge Verbindung zu entsprechenden gesellschaftlichen Kräften im Westen zurückgreifen kann. Eurokratische Schwächung der Demokratie: Der geplante EU-Beitritt und die ihm vorgeschaltete Heranführungsphase ist durch eine Harmonisierung der Politiken und Liberalisierung der Märkte gekennzeichnet. Beides verstärkt die im Reformprozeß angelegten Trends. Sie schränkt dabei die Fähigkeit der Regierungen zu nationalen Korrekturen ein, erlaubt ihnen aber auch, Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen an europäische Entscheidungsinstanzen abzugeben, die nicht direkt demokratisch legitimiert sind. Im Ergebnis droht ein Legitimitätsverlust, der sich mit Souveränitätsängsten verbinden kann. Gesellschaftliche Kooperation im europäischen Rahmen kann dagegen ein Gegengewicht bilden, indem sie verwandte Interessen europäisch abgestimmt artikuliert und in den supranationalen Entscheidungsprozeß einbringt. Sie weicht das Regierungsmonopol auf Informationen aus Brüssel und auf Vertretung nationaler Interessen in Brüssel auf. Die EU muß ihre Heranführungsstrategie, die Übergangsregelungen und ihre Hilfsprogramme vor und nach dem formellen Beitritt stärker auf das politische Ziel der Osterweiterung, die Schaffung stabiler gesellschaftlicher und politischer Strukturen in Ostmitteleuropa, ausrichten. Handels- und Wettbewerbspolitik der Beitrittsländer müssen mit Zustimmung oder Duldung der EU noch länger in der Lage sein, mit Ausnahmeregeln Prozesse nachholender Modernisierung abzusichern. EU-Hilfen sollten prioritär den Reformverlierern, also Transfereinkommensbeziehern, Arbeitern, Bauern zugute kommen. Die Agrarpolitik muß vor allen den quantitativ und politisch gewichtigen Bauern in Polen und Ungarn entgegenkommen. EU-Politiken, die de facto die wirtschafts- und sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Kandidaten begrenzen, sind zu minimieren (z.B. Kofinanzierungsanforderungen). Die Beitrittskandidaten sollten aufhören, die Kosten und Risiken des Beitritts zugunsten einer Strategie der raschen Aufnahme zu verdrängen. Ohne die Gefahren gesellschaftlicher Spaltungs- und politischer Radikalisierungprozesse zu dramatisieren, sollten sie in den Verhandlungen von der EU Zugeständnisse fordern, die der Fragilität ihrer Demokratien und dem Interesse der EU an deren Stabilisierung Rechnung tragen. Bei der Süderweiterung hat die damalige EG die sozioökonomischen Schwächen der Kandidaten und die daraus sich ergebenden Anpassungsprobleme wahrgenommen, anerkannt und ist darauf mit umfangreichen, wenn auch nicht immer glücklich gestalteten Sonderprogrammen eingegangen, insbesondere im Fall des ärmsten Kandidaten Portugal, das über mehrere Jahre Vorbeitrittshilfen und nach dem Beitritt Sonderprogramme zur Modernisierung von Industrie und Landwirtschaft erhielt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |