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TEILDOKUMENT:
Perspektiven Prognosen über die Zukunft des MERCOSUR sind eng mit der Frage der gesamtamerikanischen Freihandelsstrategie und den Ergebnissen des neuen Rahmenabkommens mit der EU verbunden. Die Entscheidung darüber wird spätestens das Jahr 2006 bringen: Bis dahin sollen die Zollunion des MERCOSUR stehen und erste Ansätze zu einer gemeinsamen Politik erkennbar sein, die Handelsbarrieren auf dem amerikanischen Kontinent aufgehoben werden und ein Assoziationsabkommen MERCOSUR-EU unterschriftsreif sein. Es ist dabei aus heutiger Sicht nicht wahrscheinlich, daß es zu einer Annä-herung zwischen MERCOSUR und NAFTA kommen wird, und auch der NAFTA-Beitritt einzelner Mitgliedsstaaten ist momentan nicht zu erwarten. Das neue interregionale Rahmenabkommen und die Zielsetzungen beider Integrationsräume sprechen eher für ein engeres Zusammenrücken des MERCOSUR an Europa. Gleichzeitig wird der MERCOSUR auch weiterhin andere südamerikanische Länder anziehen und könnte durch seine flexiblen und weniger strikten Eintrittsbedingungen in Zukunft direkt mit der NAFTA konkurrieren. Die Bilanz der ersten fünf Jahren des MERCOSUR ist überwiegend positiv. Alles deutet darauf hin, daß die Integration im MERCOSUR ein unwiderruflicher Prozeß ist, der auf einem neuen lateinamerikanischen Entwicklungsmodell basiert. In diesem Sinne werden Erfolge und Rückschläge des MERCOSUR wegweisend für ganz Lateinamerika sein. Die überraschende Anfangsdynamik des MERCOSUR ist ein deutlicher Hinweis für die Bereitschaft seiner Mitgliedsstaaten, den Integrationsprozeß zu beschleunigen und gemeinsam ihre Position in der Weltwirtschaft zu verbessern. Der MERCOSUR ist somit der bisher erfolgreichste Integrationsansatz in Lateinamerika und der erste ernsthafte Versuch, gemeinsam eine Exportkultur zu entwickeln, sich stärker an die Nachfrage anzupassen und wirtschaftliche Nischen zu nutzen. Allerdings ist Brasilien auch weiterhin das einzige der vier Länder, das über die wichtigste Ressource der Zukunft verfügt: technologisches Know-how. Primärgüter hingegen, die ca. die Hälfte der gesamten MERCOSUR Ausfuhren ausmachen, verlieren auf den internationalen Märkten zunehmend an Wert. Kreativität und wirtschaftliches Umdenken sind daher in allen Ländern gefragt. Zweifellos wird die Integrationsgeschwindigkeit in den nächsten Jahren abnehmen. Ein deutlicher Hinweis dafür ist die allmähliche Abschwächung der Wachstumsdynamik im MERCOSUR, die deutlich macht, daß sich das neue Image Lateinamerikas als politisch stabile Region und expandierender Markt mit beständigem Wirtschaftswachstum in dieser Form nicht aufrechterhalten läßt. Sowohl die Finanzkrise in Mexiko, als auch die Rezession in Argentinien zeigten die Grenzen des neuen "Erfolgsmodells". Nicht zuletzt ist der Erfolg der Integration auch an den Verteilungseffekten zu messen, die bisher ausgeblieben sind. Es ist eher das Gegenteil eingetreten: Die Einkommenskonzentration hat zugenommen und innerhalb der Länder (vor allem in Brasilien) kann man bereits von einem Nord-Süd-Gefälle sprechen. Sollten diese Probleme nicht angegangen werden, besteht in den nächsten Jahren die Gefahr einer gewissen "MERCO-Sklerose", ähnlich der "Eurosklerose" im Europa der 70er Jahre nach der Errichtung der Zollunion. Nach Ansicht zahlreicher europäischer Experten wird das augenblickliche wirtschaftliche Hoch in Lateinamerika in naher Zukunft durch ein neues Tief abgelöst werden. Kritische Stimmen in Europa und Lateinamerika warnen deshalb davor, frühzeitig ein neues Wirtschaftswunder MERCOSUR zu prophezeien, das sich ebenso wie das Milagro brasileño in den 70er Jahren letztendlich als wenig dauerhaft erweisen könnte. Diese pessimistische Einschätzung wird von der Weltbank nicht geteilt, die den lateinamerikani-schen Volkswirtschaften zwischen 1998 und 2005 ein durchschnittliches Wachstum von 6 Prozent voraussagt und neben Südostasien einen zweiten "Wachstumsmarkt" Lateinamerika prophezeit. Unabhängig von den künftigen Entwicklungen in der Gesamtregion wird der MERCOSUR in den kommenden Jahren der größte industrielle, technologische und finan-zielle Integrationsraum im Süden der USA bleiben. Deshalb lautet die Prognose, daß der MERCOSUR auch weiterhin ein bedeutender Markt mit einem enormen Entwicklungspotential und einem wachsenden Gewicht im Welthandel sein wird, allerdings mit weniger spektakulären Ergebnissen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999 |