FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Ein neues Integrationsmodell in Lateinamerika

Der MERCOSUR ist ein neuer Integrationsansatz in Lateinamerika. Dafür sprechen sowohl seine Entstehungsgeschichte, als auch seine Zielsetzungen. Stellt man seine bisherige Entwicklung in Rechnung, hat der MERCOSUR einen dritten Weg zwischen NAFTA und EU eingeschlagen. Zwar gehen seine Ziele über eine Freihandelszone hinaus, Ansätze zur Herausbildung einer supranational gesteuerten gemeinsamen Politik nach dem Vorbild der EU sind aber bisher nicht vorhanden.

Der "Gemeinsame Markt des Südens" ist am 26. März 1991 in einem veränderten regionalen und internationalen Kontext entstanden und somit nicht mit den traditionellen Defiziten anderer Initiativen behaftet. Die meisten Integrationsvorhaben in Lateinamerika, vor allem der Andenpakt und der Gemeinsame Zentralamerikanische Markt, die in den 60er Jahren entstanden, sind trotz zahlreicher Wiederbelebungsversuche faktisch gescheitert. Die Gründe hierfür lassen sich knapp mit zwei Faktoren zusammenfassen: der fehlende Konsens über ein gemeinsames politisches Modell und die fehlgeschlagene Strategie der importsubstituierenden Industrialisierung, die auf die nahezu autarke Entwicklung der Binnenmärkte ohne Weltmarktintegration abzielte.

Nach dem gescheiterten Konzept der Importsubstitution propagiert die lateinamerikanische Wirtschaftsavantgarde in der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik - CEPAL heute ein neues Entwicklungsmodell, das auf Freihandel, Markwirtschaft und Demokratie setzt. Diese Formel hat sich der MERCOSUR seit seiner Gründung auf die Fahnen geschrieben. Als Gegenmodell zur binnenmarktzentrierten Entwicklung der 70er Jahre heißt die Devise jetzt "offener Regionalismus" und Weltmarktintegration um jeden Preis, auch auf Kosten der Vernachlässigung der eigenen Märkte. Das könnte die Länder langfristig gesehen vor neue Probleme stellen, leitete aber eine momentane wirtschaftliche Stabilisierung ein.

Im Gegensatz zu anderen Integrationsvorhaben in Lateinamerika basiert der MERCOSUR auf einem äußerst pragmatischen Ansatz: Statt eine komplexe institutionelle Struktur und ein kompliziertes und nur schwer durchschaubares Regelwerk zu schaffen - man denke hier auch an die EU - , sind die Institutionen des MERCOSUR einfach und unbürokratisch, seine Ziele genau festgesteckt. Wie im Gründungsvertrag von Asunción vermerkt, ist der MERCOSUR in erster Linie als Sprungbrett für eine gemeinsame Exportstrategie konzipiert, mit dem langfristigen Ziel einer konkurrenzfähigen Einbindung seiner Mitgliedsstaaten in den Weltmarkt. Das beruht auf der Erkenntnis, daß es nur gemeinsam möglich ist, Handelsbeziehungen und Exportgüter zu diversifizieren sowie Produktions- und Ausfuhrkosten zu senken. Somit ist ein integrierter Markt kein Selbstzweck mehr, sondern im Kontext des offenen Regionalisamus vielmehr ein Mittel zum Zweck.

Danach richten sich auch die Etappenziele des MERCOSUR: In der ersten Phase - bis 1995 - sollten eine Freihandelszone sowie ein gemeinsamer Außenzoll für die Wareneinfuhr aus Drittländern geschaffen werden. Dafür wurde ein genauer Zeitplan entwickelt, der bisher strikt eingehalten wurde. Das Endziel des MERCOSUR ist schließlich die Errichtung eines gemeinsamen Marktes mit freiem Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr. Das bedeutet nicht nur eine gemeinsame Außenhandelspolitik und die Abstimmung der Positionen in regionalen und internationalen Foren, sondern auch Rechtsangleichung und makroökonomische Steuerung in den Bereichen Außenhandel, Landwirtschaft, Industrie, Steuer- und Währungspolitik, Dienstleistungen, Transport und Kommunikation.

Gegenüber anderen lateinamerikanischen Integrationsvorhaben hat der MERCOSUR einen weiteren komparativen Vorteil: zum Zeitpunkt seiner Gründung war der Übergangsprozeß zur Demokratie in Südamerika nahezu abgeschlossen und der wirtschaftliche Stabilisierungsprozeß hatte in allen Ländern begonnen, so daß zwischen seinen vier Mitgliedsstaaten von Anfang an ein politischer und wirtschaftlicher Grundkonsens bestand. Der argentinische MERCOSUR Experte Félix Peña weist in diesem Zusammenhang auf die politische Bedeutung des Vorhabens hin. Seiner Ansicht nach spielte bei der Gründung des MERCOSUR die "Traumkomponente", der Traum von einer besseren Zukunft in Südamerika, eine zentrale Rolle. Dabei wird zum ersten Mal eine gemeinsame Weltanschauung zugrunde gelegt.

Im Gegensatz zu früheren Integrationsbestrebungen, wie z.B. dem 1969 unterzeichneten Cuenca del Plata-Kooperationsabkommen, ist der MERCOSUR ein Modell, das auf gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen wie kompetitive Weltmarktintegration, Ausbau der wissenschaftlich-technologischen Ressourcen und Diversifizierung des Außenhandels basiert. Die Integration ist deshalb vorwiegend wirtschaftlich motiviert und stützt sich weniger auf politische oder ideologische Beweggründe. In diesem Sinne ist der MERCOSUR auch Ausdruck einer "Entideologisierung der Integration in Lateinamerika" zugunsten von handfesten Wirtschaftsinteressen. Zum ersten Mal steht nicht die politische Rhetorik im Vordergrund, sondern eine reale wirtschaftliche Öffnungsstrategie, in die der Privatsektor als zentraler Akteur direkt eingebunden ist.

Selbst europäische Unternehmer, die den MERCOSUR zunächst äußerst skeptisch beurteilten, haben inzwischen anerkannt, daß es sich um ein neues, zukunftsträchtiges Entwicklungsmodell handelt. Dafür spricht zum einen das wirtschaftliche und technologische Potential des MERCOSUR - Argentinien und Brasilien sind global traders, Brasilien ist die zehntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt - , zum anderen die gemeinsame Interessenlage seiner Mitgliedsstaaten, die sich auf drei Pfeiler stützt: 1. Eine stärkere Einbindung in den Weltmarkt auf der Basis eines neuen wirtschaftlichen Exportmodells ist das vorrangige Ziel der vier Partnerländer des MERCOSUR. 2. In allen Staaten fand ein umfassender wirtschaftlicher Reform- und Öffnungsprozeß statt, der unwiderruflich scheint. 3. Die Beteiligung ausländischen Kapitals an der Privatisierung von Staatsunternehmen sowie an den gemeinsamen Infrastrukturprojekten ist in allen Ländern ein Kernelement des neuen Reformkurses.

Andererseits wird der gerade im Entstehen begriffene Markt in den nächsten Jahren noch zahlreiche Feuerproben bestehen müssen, die sich aus dem neuen regionalen Kontext ergeben. Die erste Bewährungsprobe hat der MERCOSUR bereits erfolgreich hinter sich gebracht: Entgegen den Erwartungen ist der "Tequila-Effekt" im Anschluß an die Finanzkrise in Mexiko weitgehend ohne Auswirkungen geblieben. Dennoch ziehen bereits erste Wolken am Integrationshimmel auf. In Argentinien gibt es vier Jahre nach Beginn der von Carlos Menem forcierten wirtschaftlichen Öffnung die ersten deutlichen Krisensymptome. Austeritätspolitik und Rationalisierung des Staatsapparats führten zu Rezession und steigenden Arbeitslosenzahlen, die ihrerseits eine Spirale von Kaufkraftverlust, Rückgang der Importe und sozialen Spannungen in Gang setzten.

Wie die Regierungskrise im April 1996 in Paraguay zeigte, ist auch die politische Stabilität des MERCOSUR noch nicht gesichert. Die Putschdrohungen von General Lino Oviedo, dem starken Mann und steten Widersacher von Präsident Wasmosy, waren zumindest ein Beweis dafür, daß die Demokratie keineswegs in allen Mitgliedsstaaten des MERCOSUR gefestigt ist und daß in einigen Ländern noch immer die Gefahr einer militärischen Intervention besteht. Die Krise in Paraguay lenkte darüber hinaus die Aufmerksamkeit auf die ungleiche Partnerschaft zwischen den vier MERCOSUR-Staaten. Das starke politische und wirtschaftliche Gefälle zwischen seinen vier Mitgliedsländern hat bereits Anlaß zur Bemerkung gegeben, der MERCOSUR bestehe aus dem Seniorpartner Brasilien, dem bedeutenden Partner Argentinien - beide sind zusammen für 85 Prozent des wirtschaftlichen outputs des MERCOSUR verantwortlich -, und zwei unerheblichen "Mini-Staaten": Paraguay und Uruguay. Für die ungleiche Partnerschaft lassen sich vor allem zwei Gründe nennen: einerseits die enge wirtschaftliche Verflechtung mit Paraguay und Uruguay, die rund die Hälfte ihres Handels mit den sogenannten AB-Staaten abwickeln; andererseits die ehrgeizigen Infrastrukturprojekte, die an den beiden südamerikanischen Kleinstaaten nicht vorbeiführen. Das zeigt erneut den pragmatischen Charakter des MERCOSUR und könnte vor allem für Paraguay einen posititiven Entwicklungsschub mit sich bringen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 1999

Previous Page TOC Next Page