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8. Bürger, Staat und Gesellschaft

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Für den modernen Staat ergeben sich auf dem Weg in die Informationsgesellschaft vor allem drei zentrale Handlungsfelder:

  • Die Infrastrukturverantwortung für chancengleiche Zugangsmöglichkeiten aller Bürger zu den neuen Medien in technischer, wirtschaftlicher wie auch qualifikatorischer Hinsicht (Medienkompetenz);
  • konsequenter Einsatz der neuen Techniken im eigenen Bereich der Verwaltung, um diese moderner, effektiver und bürgerfreundlicher zu machen;
  • gezielte experimentelle Nutzung im Bereich der politischen Willensbildung und der Kommunikation zwischen Politik und Bürgern.

Mit der einsetzenden Informationsgesellschaft dämmert der Gedanke herauf, „Bürgernetze" einzurichten, die den Menschen bei der Bewältigung von Alltagsproblemen helfen werden, aber ebenso eine neue Qualität der gesellschaftlichen Kommunikation mit sich bringen können. In USA ist dieser Prozeß schon weit fortgeschritten: In einem „Recht auf Informiertheit" wird den Bürgern ein Zugriff auf behördliche Datenbanken eingeräumt und damit ein Höchstmaß an Transparenz erreicht.

Die Vision einer „Informationsgesellschaft für alle" würde sich dann als bloße Utopie entpuppen, wenn großen Teile der Bevölkerung der Zugang zu den neuen Medien versperrt bliebe. Die Sicherstellung chancengleicher guter Zugangsmöglichkeiten für alle Bürger ist eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe staatlichen Handelns im Übergang zur Informationsgesellschaft. Zu Recht hat die EU-Kommission die Mitgliedstaaten aufgefordert, „den Zugang zu einer Hauptzielsetzung bei der Entwicklung nationaler Informationsstrategien zu machen". In Deutschland haben einige Bundesländer wie Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen bereits Initiativen auf diesem Feld gestartet. Auch der Bund muß hier in Wahrnehmung seiner Infrastrukturverantwortung entsprechende Schritte einleiten.

  • Universaldienst erweitert definieren: Der im Telekommunikationsgesetz (TKG) und der darauf basierenden Rechtsverordnung eng definierte Universaldienst, der allein auf den „Telefondienst mit ISDN-Merkmalen" abstellt, wird den gestiegenen Anforderungen an eine informationelle Grundversorgung nicht mehr gerecht. Die vorhandenen rechtlichen Grundlagen sind deshalb rasch im Sinne einer erweiterten Definition des Universaldienstes, der zumindest den Zugang zum Internet umfassen sollte, zu novellieren.
  • Zugangsbarrieren analysieren und angehen: Die derzeitigen Zugangsbarrieren rechtlicher, technischer, ökonomischer und soziokultureller Art müssten systematischer und umfassender als bisher untersucht werden, um sie im Dialog mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam angehen zu können. Die Politik sollte entsprechende Forschungsbemühungen initiieren und fördern, einen Sachverständigenkreis - analog zum Advisory Council für das NII-Programm in den USA - zur Beratung eines nationalen Programms für die Verbesserung des Zugangs einrichten und ein solches Programm mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstatten. Besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext der Frage der Zugangskosten zum Internet und hier speziell dem Problem der Telekommunikations-Tarife zu. Ziel regulatorischer Maßnahmen - z.B. durch Lizenzauflagen an alle Telekommunikationsanbieter - muß es sein, diese Zugangskosten im Interesse einer intensiveren Internet-Nutzung in Deutschland deutlich abzusenken. Dabei ist zu prüfen, ob und inwieweit die Erhöhung der Einwählknotendichte zum Internet oder „flat-rates" nach dem Muster der USA hierfür geeignete Ansatzpunkte sein können.
  • Steuerliche Zugangsbarrieren beseitigen: Der bisherige Verlauf der Diskussion über das Konzept „Qualifikation ans Netz" (s.o.) zeigt, daß die Verbesserung von Zugangsmöglichkeiten - in diesem Fall durch kostenlose

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    Überlassung von PCs an Mitarbeiter - nicht zuletzt an steuerlichen Barrieren scheitert, da eine solche Schenkung als „geldwerter Vorteil" versteuert werden muß. Solche steuerlichen Barrieren sind zu beseitigen. Zu prüfen ist darüberhinaus, ob der Erwerb von PCs gezielt steuerlich gefördert werden kann, wie dies z.B. in Portugal im Rahmen der dortigen Regierungsinitiative für die Informationsgesellschaft für den Zeitraum 1998-2001 geschieht.
  • Bibliotheken ans Netz: Bund und Länder sollten gemeinsam mit den Bibliotheksverbänden ein Programm entwickeln, das die öffentlichen Bibliotheken in die Lage versetzt, öffentliche Zugangsmöglichkeiten mit Betreuung sowie Internet-Surf-Kurse anzubieten. Erfahrungen in den USA und in Bremen haben gezeigt, daß Interessierte auf diese Weise mit wenigen Stunden Betreuung in die Lage versetzt werden können, sich ein Bild von dem neuen Medium zu machen und bewußt zu entscheiden, ob sie sich die erforderliche Technik selbst anschaffen. Das britische Regierungskonzept „Our information age" sieht vor, alle öffentlichen Bibliotheken bis zum Jahr 2002 ans Netz zu bringen und Bibliotheksangestellte entsprechend zu qualifizieren.
  • Initiative „Internet für alle": Mittelfristig muß das öffentliche Infrastrukturangebot das volle Angebot moderner Telekommunikationsdienste umfassen. Jeder Bürger muß die Möglichkeit des Zugangs zu einem Terminal haben, über das er die modernen Telekommunikationsdienste in Anspruch nehmen kann. Terminals kann es in Rathäusern und Verwaltungsgebäuden, Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlich zugänglichen Gebäuden geben. Das infrastrukturelle Angebot moderner Kommunikationsdienste muß so selbstverständlich sein wie das Vorhandensein öffentlicher Telefonzellen. Im Rahmen der britischen „IT for all"-Initiative sollen in einer kooperativen Anstrengung staatlicher Instanzen und privater Unternehmen bis zum Ende des Jahres 1998 über 4.000 öffentliche Zugangspunkte zum Internet entstehen, wo Bürgern die Möglichkeit eines unterstützten Erstkontakts mit dem Internet eröffnet wird. Die Chancen, Realisierungsformen und Kooperationspartner einer vergleichbaren deutschen Initiative „Internet für alle" sind rasch zu prüfen.
  • Einsatz und Nutzung der neuen Technologien im öffentlichen Bereich: Bund, Länder und Kommunen sollten die neuen Techniken weitgehend selbst einsetzen und nutzen, nicht zuletzt im Sinne einer Beispielgebung. Sinnvoll ist ein solcher Einsatz zum Beispiel bei Antragstellungen in Rathäusern und anderen Behörden, bei der Vernetzung öffentlicher Einrichtungen und bei elektronischen Informations- und Kommunikationsangeboten an die Bürger. Im Zuge der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung können durch Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik interne Organisationsstrukturen und Verfahrensabläufe optimiert, dazu der Informationsaustausch erheblich beschleunigt und die Kommunikation mit den Bürgern erheblich verbessert werden, wie z.B. das begrüßenswerte Televerwaltungs-Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz zeigt.
  • Teleadministration: Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken müssen dazu genutzt werden, um die Verwaltung bürgerfreundlicher und effizienter zu machen. Es müssen zentrale Anlaufstellen für den Bürger für Baugenehmigungen, Steuererklärungen, Verlängerung eines Ausweises, standesamtliche Angelegenheiten, An- und Ummeldung von Pkws, Wohngeldangelegenheiten, Arbeitsverwaltung geschaffen werden. Auch im Rahmen von Planfeststellungsverfahren müssen Anregungen und Bedenken auch auf elektronischem Wege abgegeben werden können.
  • Chance Umstellung Euro: Bei der Umstellung auf den Euro gibt es zahlreiche Chancen, auf neue elektronische Zahlungsweisen umzustellen. So ist denkbar, daß an Automaten bereits früh „in Euro" bezahlt werden kann, entsprechende Wertkarten könnte die Bundesbank bereitstellen. Auch ist daran zu denken, daß man allgemein Gebührenanzeigen (etwa in der Telekommunikation) zur Gewöhnung der Verbraucher in Euro anzeigt. In den Handies ist das teilweise schon technisch möglich.

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  • Technikgestützte Partizipation fördern: Elektronische Formen der Beteiligung an relevanten öffentlichen Vorhaben und demokratischen Wahlen können für eine Wiederbelebung der aktiven Zivilgesellschaft sorgen. Solche Beteiligungsprojekte - z.B. die elektronische Durchführung von Wahlen an Schulen - sind entsprechend zu fördern.
  • Experimentierklauseln erproben: In manchen Bereichen erschweren bestehende Rechtsvorschriften die Anwendung neuer Informations- und Kommunikationstechnik. Ein Beispiel ist die öffentliche Verwaltung, die sich bei der elektronischen interaktiven Kommunikation mit den Bürgern durch Vorschriften gehindert sieht, die bestimmte Schriftformen, Unterlagen oder gar persönliches Erscheinen „im Amt" vorsehen. Da solche Vorschriften meist einen Sinn haben und deshalb nicht unbesehen aufgehoben werden können, könnte die Lösung in der verstärkten Erprobung von Experimentierklauseln bestehen: Um die für mögliche Anpassungen rechtlicher Regelungen notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln und um die Akzeptanz für elektronisches Verwaltungshandeln durch erfolgreiche Demonstration zu erhöhen, bieten sich sachlich, räumlich und zeitlich befristete Erprobungen an. Mit entsprechenden Gesetzen zur Technikerprobung liegen im Bereich des Fernsehens und des Bildschirmtextes positive Erfahrungen aus Bundesländern wie Baden-Württemberg vor.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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