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2. Neuer medienpolitischer Gestaltungsrahmen

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Im Übergang zur Informationsgesellschaft vollziehen sich in der Medienlandschaft grundlegende Veränderungen, die herkömmliche Regulierungen in Frage stellen und die Politik zur Reflexion und Innovation bisheriger Ansätze zwingen: Die Digitalisierung ermöglicht eine Fülle neuer Angebote und Nutzungsformen und läßt traditionelle, auf technischen Unterscheidungsmerkmalen basierende Abgrenzungen zunehmend brüchig erscheinen. Im Zuge der Kommerzialisierung der audiovisuellen Medien wird das „Kulturgut" Rundfunk zunehmend zur marktgängigen Ware. War und ist Medienpolitik in Deutschland eine primär föderale - und nur in sehr begrenztem Maße auch nationale - Veranstaltung, so führt ein ausgeprägter Trend zur Internationalisierung der Medienmärkte zunehmend zum Auftritt großer, hochkonzentrierter und global agierender Konzerne, deren Operationsgebiet den regionalen Kompetenzbereich der bestehenden Regulierungsinstanzen weit überschreitet. Medienpolitik sieht sich im Ergebnis dieser Veränderungen mit einer neuen Realität konfrontiert: „Die Grenzsteine der alten Medienwelten werden virtuell, zementierte Strukturen werden flüssig, Trennwände werden transparent und durchlässig, scheinbar Unvereinbares wird zusammenwachsen" (Wolfgang Clement).

Die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages hat zu diesem Komplex in ihrem ersten Zwischenbericht „Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt, Wettbewerb - Rundfunkbegriff und Regulierungsbedarf bei den Neuen Medien" vom Oktober 1996 ausführlich Stellung genommen, ohne dabei in zentralen Punkten - z.B. hinsichtlich der Zukunftsaufgaben und Entwicklungsperspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - Konsens erzielen zu können. Mit den zum 1. August 1997 in Kraft getretenen Regelungswerken des Mediendienstestaatsvertrags der Länder und des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes des Bundes wurde ein erster Versuch zur regulatorischen Abgrenzung von Tele- und Mediendiensten unternommen, der jedoch, wie sich bereits heute zeigt, kaum „Ewigkeitswert" reklamieren kann.

Erste Erfahrungen im praktischen Umgang mit dem Ordnungsrahmen in der ersten Jahreshälfte 1998 lassen nämlich tendenziell erkennen, daß im Zuge der bisherigen Ordnungspolitik ein immenses Ordnungsgebilde errichtet werden muß, das an die Grenzen der Praktikabilität stoßen könnte. Es konnte nicht die Intention aller Reformbestrebungen sein, daß über die Chancen neuer Märkte vor allem die Gerichte zu befinden haben. Eine neue ganzheitliche Politik könnte darin bestehen, statt eines - jeweils an die neuen Entwicklungen anzupassenden - Ordnungsrahmens einen Gestaltungsrahmen zu ziehen, der mithilfe von normativen Eckpunkten den Weg für die zukünftigen Entwicklungen markiert.

Es gibt deutliche Hinweise darauf, daß sich im gegebenen Ordungsrahmen die notwendigen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elemente der künftigen Infrastruktur nicht gedeihlich entwickeln. Infrastrukturen bestehen immer aus Technik, Organisation und Umgangskompetenz. Es war ein großer Fehler der politischen und ökonomischen Diskussion der achtziger Jahre, den Infrastrukturbegriff auf die Technik zu reduzieren, etwa auf die Fragen von Netzen und Endgeräten. Was in den Jahrzehnten zuvor als Erfolgsmodell erschien, nämlich die systematische Verkabelung für den Telefondienst als Vorleistung für dessen späteren Erfolg, konnte schon aus den Ergebnissen der Kommission für den Ausbau des Technischen Kommunikationssystems (Witte 1973-1976) für alle Anwendungen über das „klassische" Telefonieren hinaus deutlich als defizient erkannt werden. Aber nicht nur in der Individualkommunikation, sondern auch und gerade beim Rundfunk (Radio und Fernsehen) war schon nach der Aufbauphase der flächendeckenden Vollversorgung deutlich, daß es mit der „Infrastrukturlokomotive Technik" allein nicht mehr getan sein konnte.

Man denke daran, wie vieler oberster Gerichtsentscheidungen und wie vieler Ministerpräsidentenbeschlüsse es bedurfte, um auch nur zusätzliche Pro-

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gramme so in unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung zu etablieren, daß die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten erträglich und für unsere gesellschaftlichen Strukturen noch verträglich bleiben konnten. Das Rahmenwerk für das 21. Jahrhundert muß zukunftsgerichtet sein.

In jüngster Zeit hat sich die medienpolitische Debatte - nicht zuletzt aufgrund der Entwicklungen und Kontroversen im Bereich des digitalen Fernsehens - weiter intensiviert. Spätestens mit der Vorlage des EU-Grünbuchs zur „Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstechnologien und ihren ordnungspolitischen Auswirkungen" im Dezember 1997 ist deutlich geworden, daß der Medien- und Kommunikationssektor im europäischen, aber auch im nationalen Kontext vor einer tiefgreifenden Neuordnung steht. Medien- und Kommunikationspolitik wird in naher Zukunft entscheidend durch das Thema „Konvergenz" geprägt sein. Dabei stellt sich die Frage, ob auf das technische Zusammenwachsen und die ökonomische Annäherung von Medien, Telekommunikation und Informationsverarbeitung zwingend die Integration bisher getrennter Regulierungsregime folgen wird. Die EU-Kommission dürfte nach Abschluß der Konsultationsphase zum Grünbuch in den nächsten Monaten entsprechende politische Initiativen ergreifen.

  • Konvergenz-Debatte aktiv führen: Deutschland darf sich in der europäischen Auseinandersetzung um die Konvergenz nicht in eine rein reaktive Position gegenüber der EU-Kommission zurückziehen. Angesichts der herausragenden ökonomischen, aber auch gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bedeutung der hier in Rede stehenden Weichenstellungen gilt es vielmehr, eine intensive und breit angelegte Debatte um Notwendigkeit, Chancen und Risiken einer integralen Regulierung der konvergierenden Sektoren zu initiieren und die europäischen Entscheidungen aktiv zu beeinflussen.


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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk im „dualen System" - ein Modell mit Zukunft

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat auch in der neuen Medienlandschaft des 21. Jahrhunderts ei-nen unverzichtbaren, verfassungsrechtlich legitimierten und geforderten Grundversorgungsauftrag. Dieser umfaßt die flächendeckende Verbreitung von Programmen, ein inhaltlich umfassendes und qualitativ hochwertiges Angebot und die Wahrnehmung einer demokratie- und kulturstaatlichen Aufgabe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht deshalb nicht zur Disposition, sondern muß in seinen Entwicklungsperspektiven gesichert bleiben. Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen:

  • Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie: Die vom Bundesverfassungsgericht für die duale Rundfunkordnung formulierte Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muß eine Leitlinie der Medienpolitik bleiben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bedarf deshalb auch über das Jahr 2000 hinaus einer sicheren staatsvertraglichen Grundlage, insbesondere hinsichtlich seiner Finanzierung. Angesichts der Kostenexplosion beim Erwerb von Rechten für Sportübertragungen und Spielfilmen wie auch im Blick auf die erheblichen Investitionsaufwendungen für die Digitalisierung ist auch künftig eine Mischfinanzierung aus Gebühren- und Werbeeinnahmen erforderlich.
  • Digitale Öffnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Im Zuge des Übergangs von der analogen zur digitalen Fernsehwelt wird es grundlegende Veränderungen der medialen Präsentations- und Angebotsformen sowie der Auffindbarkeit von Programminhalten kommen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muß gleichberechtigter Partner beim digitalen Fernsehen sein können. Er sollte in einer alsbald zu schaffenden staatsvertraglichen Regelung für das digitale Fernsehen rundfunkrechtlich in die Lage versetzt werden, über die laufenden DVB-Pilotprojekte hinaus mit einem jeweils eigenen Programmbouquet auf die Anforderungen des digitalen Fernsehens zu reagieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muß kraft legislativer Klarstellung zudem zum Angebot programmbezogener Datenzusatzdienste berechtigt sein. Vieles spricht dafür, daß es analog zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen auch öffentlich-rechtliche Online-Anbieter geben kann. Die Diskussion hierüber

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    steht erst am Anfang. Um eine asymmetrische Konkurrenzsituation zu Lasten privater Online-Diensteanbieter zu verhindern, sollten dabei jedoch Wettbewerbsvorteile aus der Gebührenfinanzierung verhindert werden. Sinnvoll wäre deshalb eine Auflage an die öffentlich-rechtlichen Anstalten, solche „Online-Vollprogramme" in gesellschaftsrechtlich ausgegründeten Formen zu betreiben.
  • „Must-carry"-Regelung festschreiben: Weil der Zugang zu den Netzinfrastrukturen entscheidendes Element zur Gewährleistung einer pluralen Informationsordnung ist, sind bei einer Neuregelung der Belegung von Kabelkanälen „Must-carry-Regelungen" geboten, die den Netzzugang für die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie auch der „offenen Kanäle" sicherstellen.
  • Bildungsfernsehen fördern: Der Bereich des Bildungsfernsehens stellt ein wichtiges Betätigungsfeld gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dar. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter sind aufgefordert, ihr Engagement in diesem Sektor zu erhöhen - auch mit der Zielsetzung, über dieses Medium „lebenslanges Lernen" zu erleichtern und zur Verbreitung von „Medienkompetenz" beizutragen. Eine Betätigung im Sektor des „Business-TV" zählt demgegenüber nicht zum Grundversorgungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten; dieser zunehmend wichtiger werdende Markt sollte deshalb primär von den privat-kommerziellen Anbietern erschlossen werden können.
  • Meinungsvielfalt sichern: Um Meinungsmonopole zu verhindern, muß der Gesetzgeber rechtzeitig wirksame Maßnahmen zur Sicherung und Stärkung der Meinungsvielfalt treffen. Bei Gefahr für Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt müssen standortpolitische Erwägungen gegenüber wettbewerbspolitischen Überlegungen in den Hintergrund treten. Die Medienunternehmen müssen verpflichtet werden, Beteiligungsverhältnisse und Verschachtelungen offen zu legen. Es ist zu prüfen, ob die im Dritten Rundfunkänderungsstaatsvertrag getroffenen Konzentrationsregelungen neu gefaßt werden müssen. Dabei sollten insbesondere cross-ownership-Beteiligungen stärker berücksichtigt werden. Angesichts der ausgeprägten Internationalisierungstendenzen auf den Medienmärkten und der begrenzten Reichweite rein nationaler Vielfaltssicherungsmaßnahmen ist die Zielsetzung einer internationalen Medienordnung nachdrücklich zu verfolgen, die u.a. regelmäßig vorzulegende internationale „Transparenzreports" vorzusehen hätte.


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Neue Kooperationen im Bund-Länder-Gefüge

Klare und tragfähige Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bund und Ländern in der Medienpolitik, wie sie im Nebeneinander von Mediendienstestaatsvertrag und IuK-Dienstegesetz noch einmal für eine begrenzte Übergangszeit versucht worden sind, dürften in naher Zukunft zunehmend weniger möglich sein. Dies macht eine neuen „kooperativen Föderalismus" in der Medienpolitik erforderlich, der zu neuen institutionellen Formen der Zusammenarbeit im Bund-Länder-Gefüge führen sollte. Bund und Länder werden sich auch deshalb in diesem Politikfeld neu und gemeinsam positionieren müssen, um Deutschland in einem zunehmend durch Kompetenzen der Europäischen Union bestimmten Regulierungsumfeld eine innovative und einflußreiche Rolle zu sichern.

  • Medienanstalt der Länder: Im zusammenwachsenden Medien- und Telekommunikationsmarkt müssen die medienrechtlichen Regulierungsinstrumente in ihrer Effizienz verbessert werden. Notwendig ist die Harmonisierung der Medienaufsicht der Länder. Um Mehrfacharbeit zu vermeiden und um die finanziellen Mittel effizienter einsetzen zu können, könnten nach Auffassung vieler Fachleute die 15 Landesmedienanstalten zu einer gemeinsamen „Medienanstalt der Länder", die weiterhin für Angebote des Rundfunks zuständig ist, zusammengefaßt werden. Ein erster Schritt könnte sein, daß die Medienanstalten - ähnlich wie die Landesdatenschutzbeauftragten dies seit Jahren tun - sich arbeitsteilig thematische Schwerpunkte vornehmen und so für zügigere Abläufe sorgen. Dabei können auch die Unterschiede in der Kapazität von großen und kleinen Flächenländern ausbalanciert werden.
  • Medienpolitisches Bund-Länder-Gremium: Die überkommene Zersplitterung von medien-

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    politischen Zuständigkeiten birgt das Risiko von Fehlentscheidungen und erschwert die Wahrnehmung von Chancen der Medienentwicklung. Angesichts des Zusammenwachsens von Rundfunk, Mediendiensten und Telekommunikation müssen deshalb nach einer mittlerweile mehrjährigen Debatte nunmehr kooperative Mechanismen der Kommunikation und der Abstimmung zwischen der Aufsicht des Bundes über die Teledienste und der Aufsicht der Länder über Rundfunk und Mediendienste institutionalisiert werden. Dazu gehört die Abstimmung zwischen zuständigen Behörden des Bundes (z.B. Bundeskartellamt, Regulierungsbehörde) und der Länder (Landesmedienanstalten, KEK). Dazu gehört aber auch die Schaffung eines gemeinsamen medienpolitischen Bund-Länder-Gremiums („föderaler Kommunikationsrat") das über Zuständigkeiten hinweg koordiniert, Empfehlungen ausspricht und Zielrichtungen bündelt. Zentrales Anliegen eines solchen Gremiums muß es sein, „Bundes- und Länderkompetenzen ... so zu verzahnen, daß die notwendigen Entscheidungen gemeinsam entwickelt werden" (Kurt Beck).

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 1999

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