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TEILDOKUMENT:




3. Das Ziel: Rechtssicherheit und BÜrgerschutz in offenen Netzen

[Seite der Druckausgabe: 13]

Elektronische Netze wie das Internet werden zunehmend für die alltägliche Kommunikation und Kooperation genutzt. Sie erweisen sich für viele Nutzer als hochattraktiv und als wirtschaftlich bedeutsam. Ein entscheidender Grund für ihre Attraktivität ist ihre Offenheit:

Sie sind allgemein zugänglich und ermöglichen grundsätzlich jedem den Kontakt zu jedem - ohne Vorkontakte, vorherige Vertragsabschlüsse oder Registrierungen. In ihnen können sich elektronische Marktplätze, elektronischer Zahlungsverkehr und elektronische Verwaltungskontakte entwickeln. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung auf neue Märkte, neue Arbeitsplätze und ein umweltverträgliches Wirtschaftswachstum.

Grundlage solcher Telekooperation ist der Austausch rechtsverbindlicher Willenserklärungen, vorwiegend in Form elektronischer Dokumente. Diese Form bietet gegenüber Papier viele Vorteile: Die Dokumente werden ohne Medienbruch erstellt und verarbeitet, quasi ohne Zeitverlust um die ganze Erde transportiert, können automatisch weiterverarbeitet werden, sind für viele Bearbeiter gleichzeitig im Original verfügbar und benötigen kaum Raum zur Aufbewahrung. Nahezu alle Papierdokumente, die bisher als Träger von Willenserklärungen oder Berechtigungsnachweisen verwendet wurden, können in elektronischer Form auch im Netz ausgetauscht werden: Geldscheine, Schecks und Wechsel, Verträge, Bestellungen, Rechnungen, Quittungen, Formulare, Anträge, Ausweise, Zeugnisse und Bescheide, Fahrscheine und Eintrittskarten, Klagen, Urkunden und Urteile.

Jeder kann im Netz Geschäfte abwickeln: Beispielsweise könnte Alfons von zu Hause aus über einen elektronischen Brief bei der Firma EU-Card für seine Freundin Berta zum Geburtstag eine für sie erstellte multimediale


Alfons Langenzell

Heidelberg, 10.9.1996
Breitschulstr. 18
69120 Heidelberg
<alfons@pool.org>
EU-Card
Möllegarten 2
76829 Landau
<bestell@eu-card.com>
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit bestelle ich aus Ihrem Sortiment herabgesetzter Glückwunschanimationen die Animation „Frühlingsgeburtstag" zum Preis von 28,- DM. Bitte tragen sie in die Animation „Berta" und „Alfons" ein und senden sie die Animation an mein elektronisches Postfach.
Mit freundlichen Grüßen
Alfons Langenzell

[Seite der Druckausgabe: 14]

Glückwunschanimation bestellen, dieser einen Liebesbrief beilegen und die Leistungen von EU-Card mit einer elektronischen Einzugsermächtigung bezahlen.

Die Körperlosigkeit elektronischer Dokumente hat aber neben den genannten Vorteilen auch spezifische Nachteile:

  • Die Integrität elektronischer Dokumente ist nicht zu gewährleisten: Eine Manipulation kann weder erkannt noch nachgewiesen werden: EU-Card könnte die Summe in der Einzugsermächtigung spurenlos verändern. Elektronische Dokumente haben keine Geschichte.

  • Die Identifizierung des Ausstellers eines elektronischen Dokuments ist nicht möglich. Mit geringem Aufwand kann sich jeder als ein bestimmter Aussteller oder Sender eines Dokuments ausgeben: Alfons könnte auch als Albert die Leistungen von EU-Card veranlassen und bezahlen, ohne daß EU-Card dies nachweisen kann.

  • Die Vertraulichkeit elektronischer Dokumente ist nicht zu gewährleisten: Alle Inhalte sind für alle am Transport elektronischer Dokumente Beteiligten einsehbar:
    Der elektronische Liebesbrief entspricht einer für jeden lesbaren Postkarte.

  • Die informationelle und kommunikative Selbstbestimmung können nicht gewährleistet werden: Jede Aktion im Netz hinterläßt Datenspuren, die zum Verursacher zurückverfolgt werden können. Anonymes, aber zugleich verantwortliches Handeln ist im Netz nicht möglich. Alfons muß allen Beteiligten seine Beziehung zu Berta sowie den Anlaß seiner Aktion und deren Inhalt offenbaren.



[Seite der Druckausgabe: 15]

Diese Nachteile haben zur Folge: Zwar können formlose Willenserklärungen über das Netz rechtsverbindlich abgegeben werden, sie bieten aber keine Rechtssicherheit. Wegen der Manipulationsmöglichkeiten ist die Beweiskraft elektronischer Dokumente äußerst gering. Grundrechtlich geschützte Geheimnisse können im Netz nicht geschützt, die informationelle und kommunikative Selbstbestimmung nicht gewährleistet werden. Formanforderungen, die die Rechtsordnung für bestimmte Willenserklärungen aufstellt, können nicht erfüllt werden. Selbst der wichtigsten und einfachsten Form, der Schriftform, entsprechen elektronische Dokumente nicht. Denn die Schriftform verlangt eine eigenhändige Namensunterschrift auf einer (Papier-)Urkunde. In unserem Beispiel kann Alfons nicht mit einem elektronischen Scheck bezahlen, da dieser nach § l ScheckG Schriftform voraussetzt.

Aus diesen Gründen werden elektronische Dokumente bisher nur in Eins-zu-Eins-Beziehungen oder in sogenannten „geschlossenen Benutzergruppen" ausgetauscht. Diese sind vor allem dadurch gekennzeichnet, daß Kooperationsbeziehungen nur zwischen Partnern bestehen, zwischen denen bereits Vertragsbeziehungen bestehen, die sich daher kennen und sich gegenseitig vertrauen. Zur Absicherung kann man sich mit Prüfungen der Anschlußkennung, symmetrischen Verschlüsselungsverfahren und organisatorischen und vertraglichen Absprachen behelfen. Geschlossene Benutzergruppen sind aber kein Modell für eine offene Informationsgesellschaft: Die Anforderungen zur Schließung von Benutzergruppen zerstören gerade die Attraktivität offener Netze. Über sie soll jeder mit jedem Erklärungen austauschen können, die verbindlich und beweisgeeignet sind. Jeder potentielle Kunde soll bei jedem Anbieter elektronisch Informationen abrufen, Güter bestellen und bezahlen können. Jeder Bürger soll gegenüber jeder Behörde in der Lage sein, Formulare auszufüllen, Anträge zu stellen und Rechtsbehelfe einzulegen. In einem solch offenen Anwendungsfeld können die genannten Manipulationsmöglichkeiten, Vertraulichkeitsverluste, Beweisschwierigkeiten und Formmängel nicht verantwortet werden und erweisen sich als unüberwindliche Akzeptanzhemmnisse.

Wie können Rechtssicherheit und Schutz der Bürgerrechte in den offenen Netzen der Zukunft gesichert werden? Wie kann die Vertrauenswürdigkeit von Transaktionen und die Verantwortlichkeit der Akteure garantiert werden? Wie können die Ausforschungssicherheit der Transaktion gewährleistet und die Risiken für die informationelle und kommunikative Selbstbestimmung verringert werden?


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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