SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This Newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 57 - 1943

Ende Dezember

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Der Weltkrieg, in dem wir uns befinden, dauert bereits laenger als der von 1914 - 1918, und es waere leichtsinnig zu behaupten, dass er dem Ende schon ganz nahe ist. Aber dass er sich im abgelaufenen Jahre dem Ende mit groesseren Schritten genaehert hat als je zuvor, ist nicht zu verkennen. Der riesige Rueckzug in Russland hat Hitlers Heere von der Wolga und dem Kaukasus bis zum Pripjet und zur Dnjepr-Muendung zurueckgefuehrt, und noch hat der eigentliche Winter in Russland, der dieses Jahr sehr spaet kam, kaum begonnen. Gelingt es der Roten Armee, nach den grossen Erfolgen des Sommers und Herbstes, in diesem Winter eine aehnlich erfolgreiche Offensive zu fuehren wie im vorigen, dann duerfte im Fruehjahr kein deutscher Soldat mehr oestlich der russischen Vorkriegsgrenze stehen.

Schwerer lassen sich die kommenden Ereignisse auf dem suedeuropaeischen Kriegsschauplatz voraussagen, wo die Herbstregen den Vormarsch der Briten und Amerikaner im italienischen Gebirgsland gehemmt haben. Die Frage, ob sich das Operationsgebiet auf den Balkan ausdehnen wird, - und die weitere Frage, wann eine westliche Landfront in Europa geschaffen wird, sind heute nicht zu beantworten. Von ihrer Beantwortung aber haengt die Beurteilung des italienischen Feldzugs und seines weiteren Verlaufes ab.

Die Groesse der alliierten Erfolge in den letzten Monaten geht am deutlichsten daraus hervor, dass es Hitlers Armeen nicht mehr gelungen ist, aus der Defensive herauszukommen. Von den geringfuegigen Ausnahmen im Dodekanes und westlich von Kiew abgesehen, haben sie nirgends verlorenen Boden wiederbesetzen koennen; sie haben den Vormarsch der Alliierten nicht mehr zum Stehen bringen, sondern nur manchmal voruebergehend verlangsamen koennen. Es kann kein Zweifel mehr daran sein, dass der Krieg fuer Hitler und seine Verbuendeten verloren und die schliessliche Niederlage nur noch eine Frage der Zeit ist. Selbst der staerkste Verbuendete Hitlers, Japan, hat bereits die vorgeschobensten Posten seiner grossen Expansion eingebuesst, Neuguinea und die Salomon-Inseln sind von Australien aus fast gaenzlich wiedererobert worden, die Landung in Neubritannien gelang, und

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die Amerikaner dringen von Osten her ueber die Gilbert- und Marshall-Inseln vor.

Noch auffaelliger als anderswo ist der Zusammenbruch der Hitlerschen Offensive an den zwei Fronten, die fuer England einst die gefaehrlichsten waren: die "Schlacht im Atlantik", die zur Abdrosselung der Seeverbindungen Englands fuehren und die Ueberfahrt der Amerikaner nach Europa hindern sollte, ist nach langen opferreichen Kaempfen gegen die deutschen U-Boote entschieden worden, und der Luftkrieg, der mit der grossen Bomberoffensive der Luftwaffe gegen englische Staedte im Jahre 1940 eroeffnet wurde, hat sich in eine fast pausenlose Bomber-Offensive der Briten und Amerikaner gegen Deutschland verwandelt, wobei die deutsche Luftwaffe voellig in die Defensive gedraengt worden ist.

Die "Festung Europa", die Hitlers Propaganda zum Schlagwort gemacht hat, entspricht dem tatsaechlichen Bilde der Lage; aber es ist eine Festung, deren Aussenwerke bereits verloren sind, deren Inneres durch Luftangriffe demoliert wird und die keine Hoffnung mehr auf Entsatz und keine Aussicht mehr auf einen befreienden Ausfall hat.

Ueber die Stimmung, die in der "Festung" herrscht, sind viele, einander oft widersprechende und sicher manchmal tendenzioese Berichte gegeben worden. Sicher ist, dass - mit Ausnahme von Teilen des Balkans - noch nirgends offener Aufruhr und Buergerkrieg herrscht. Sicher ist auch, dass Hitlers Kriegsindustrie in Deutschland und ausserhalb Deutschlands mit deutschen und nichtdeutschen Arbeitern noch genug produziert, um die Armeen an der Front vor dem Zusammenbruch zu retten. Ebenso gewiss ist aber, dass die Unruhe in allen Teilen der "Festung" staendig von neuem ausbricht: Die Zusammenstoesse und Attentate in Frankreich[1], der Universitaets-Konflikt in Norwegen[2], die Ueberfaelle auf die Besatzungsarmee und die Faschisten in Norditalien[3] sind nur Beispiele dafuer. Sicher ist auch, dass die Hitlersche Kriegsindustrie in ihrer Produktion immer mehr hinter der der Alliierten zurueckbleibt. Und klar geht aus den dauernden neuen Terror-Massnahmen der Nazis in Deutschland und den besetzten Gebieten, ebenso wie aus dem beschwoerenden und drohenden Ton ihrer Propaganda das Grauen der Gewaltherrscher vor den feindlichen Kraeften in ihrem Herrschaftsbereich hervor, von denen sie zerschmettert werden koennen, sobald diese Kraefte geeint und entschlossen zu wirken beginnen.

Wann der Zeitpunkt dazu kommen wird, laesst sich weder vorhersagen noch von aussen diktieren. Aber was geschehen kann, um die antifaschistischen Kraefte in Hitlers "Festung" zu ermutigen und zu einen, sollte geschehen. Es ist die wichtigste Aufgabe der alliierten politischen Kriegsfuehrung - nach der Einigung der Alliierten selbst, die bei den letzten grossen Konferenzen erfolgt ist, bes[onders] bei der Zusammenkunft Edens, Hulls und Molotows in Moskau und der folgenden Konferenz Churchills, Roosevelts und Stalins in Teheran.[4] Wenn auch die Erwartungen derer nicht erfuellt worden sind, die

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bereits mit der Veroeffentlichung klarer Plaene fuer die Massnahmen der Alliierten in Europa nach ihrem Siege rechneten, so ist mindestens eins erreicht worden: die grundsaetzliche Verstaendigung der drei Grossmaechte Amerika, Grossbritannien und der Sowjetunion, auch nach dem Siege geeint zu bleiben und gemeinsam zu wirken und alle Kraefte dafuer einzusetzen, einen neuen Krieg "wenigstens fuer eine Generation" - wie Roosevelt sagte - zu verhindern. - Das schwierige Problem Italien, das weder durch die alliierte Militaerregierung noch durch die Anerkennung des Koenigs und der Badoglio-Regierung befriedigend geloest werden konnte, ist einer besonderen Kommission anvertraut worden und ebenso das Problem Europa, dessen Schwere sich deutlicher noch als in den Krisen des franzoesischen Befreiungskomitees in dem offenen Konflikt der jugoslawischen und griechischen Exilregierungen mit ihren kaempfenden Landsleuten in der Heimat und dem latenten Konflikt der jugoslawischen und griechischen Exilregierungen mit ihren kaempfenden Landsleuten in der Heimat und dem latenten Konflikt der polnischen Exilregierung mit Moskau zeigt. Die Erkenntnis, dass sich mit der Herstellung der alten Regime und Souveraenitaeten das Problem Europa nicht loesen laesst und dass mit nationalistischen Zielsetzungen die Einigung der antifaschistischen Kaempfer nicht zu bewirken ist, wird immer erneut und immer staerker durch die Tatsachen selbst bekraeftigt.

Es war das Verdienst der vielumstrittenen Londoner Rede des Feldmarschalls Smuts, auf den ganzen Ernst des europaeischen Nachkriegsproblems hingewiesen zu haben.[5] Er betonte, dass es zwischen dem britischen Reich im Westen und dem Sowjetreich im Osten keine Grossmacht geben wird. Er zog daraus Folgerungen fuer britische Bollwerke in Westeuropa und russische Sicherungen in Osteuropa, deren erstes Anzeichen der russisch-tschechoslowakische Pakt sein duerfte.[6] Was uebrig bleibt, ist die Folgerung, welche die Voelker des europaeischen Kontinents selbst zu ziehen haben werden.

Wir sind ueberzeugt, dass diese Folgerung nicht in neuer gegenseitiger Unterdrueckung, Feindschaft und Absonderung bestehen darf, nicht in Expansionssucht und Konkurrenzneid; wir hoffen, dass Einigung, Reinigung und gemeinsames Streben nach einer besseren und freieren Gesellschaftsordnung die Parolen sein werden, unter denen Europas Befreiung nach so viel Leiden und Knechtschaft erfolgen wird, damit der gequaelte Kontinent, der jetzt durch den fuenften, hoffentlich letzten Kriegswinter geht, einer friedlichen und grossen Zukunft entgegenschreiten kann.




unter diesem Titel hat der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sitz London, einen Bericht in englischer Sprache herausgebracht, der in der letzten Nummer der "SM" unter der Ueberschrift "Kriegsschauplatz Deutschland" erschienen war und ueber Zerstoerungen usw. berichtete.

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Eine Gruppe deutscher Sozialisten in Grossbritannien, die zur Vermeidung persoenlicher Gesichtspunkte anonym bleiben wollen, haben gemeinsam ein Buch "The Next Germany" verfasst, das mit einem empfehlenden Vorwort von Louis de Brouckère, als "Penguin-Book" erschienen ist.[7] (Auch in [den] USA wird dies[es] Buch demnaechst erscheinen.)

Es ist eine der ernsthaftesten Auseinandersetzungen mit dem Problem der Zukunft Deutschlands, die bisher veroeffentlicht wurden: knapp, ohne oberflaechlich zu werden; umfassend, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren; und weitschauend, ohne sich auf die Irrwege kuehnen Prophezeiens zu begeben.

Selbstverstaendlich laesst sich dieses Buch - schon weil es sich mit Zukunftsfragen befasst - nicht als das letzte Wort zum Problem des kommenden Deutschland auffassen. Eher koennte man es als ersten Schritt bezeichnen: als Schritt, der aus der fruchtlosen Debatte ueber duestere Vergangenheit und hoffnungslose totale Schuld-Theorien ins Licht der positiven Vorschlaege und Zielsetzungen fuehrt.

Die Grundtendenz des Buches (dessen Inhalt hier nur in grossen Zuegen wiedergegeben werden kann) kommt in dem Satze zum Ausdruck: "Wir fassen eine sozialistische Loesung fuer Deutschland ins Auge, um seiner selbst willen und um der Einordnung Deutschlands in Europa willen, die durch die Vernichtung jener Maechte moeglich wird, welche die deutsche Angriffspolitik hervorbrachten." In diesem Sinne erfolgt eine scharfe Warnung vor den Gefahren, die eine deutsche Darlan-Politik oder eine Schacht-Diktatur bedeuten wuerde.[8]

"Eine wirkliche deutsche Revolution kann nur von der Arbeiterklasse ausgefuehrt werden." - Um die Chancen einer deutschen Revolution zu erkennen, wird die innere Lage Hitler-Deutschlands analysiert. Es wird darauf hingewiesen, dass es neben der zahlenmaessig geringen "totalen" Opposition der entschlossenen Illegalen eine sehr grosse "teilweise" Opposition gibt, die sich gegen einzelne Programmpunkte und Erscheinungen der Nazi-Diktatur richtet, und dass es in Deutschland wie in Frankreich "Attentisten" gibt, deren Opposition nicht aktiv, aber abwartend ist. Bei aller Anerkennung der kirchlichen Opposition und der Opposition in den Reihen der Armee wird klar gezeigt, dass die totale und aktive Opposition Sache der Arbeiter ist.

Es wird auf die ungeheuren Schwierigkeiten hingewiesen, mit denen die Opposition in Deutschland zu kaempfen hat, und auf die Brutalitaet des Terrors, der sie bedroht und atomisiert. Die staerksten Widerstandszentren, so wird gezeigt, befinden sich in den Fabriken. "In den Fabriken und Werkstaetten wuerden die illegalen Kaempfer die groesste Gefolgschaft finden, sobald sie die Massen aufrufen koennen, sich dem Kampf fuer Frieden, Freiheit und Brot anzuschliessen. Aber eine unumgaengliche Bedingung gibt es dafuer: Die militaerische und aussenpolitische Situation muss so sein, dass sie erstens erkennen,

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dass Hitlers Krieg sie in den sicheren Untergang fuehrt und dass zweitens eine wirkliche Chance fuer eine neue Zukunft besteht."

Es wird damit gerechnet, dass im [!] Zeitpunkt des Zusammenbruchs zunaechst Ausschuesse kleinster Gemeinschaften (Doerfer, Wohnblocks) entstehen werden, vor allem aber Arbeiter- und Soldatenraete, und wahrscheinlich auch Raete der Bauern, der Intelligenz, der Konsumenten und Kleinhaendler. Es wird sich um spontane Bildungen [!] handeln, da der Terror der Diktatur die Vorbereitung zentraler Organisation unmoeglich gemacht hat. Die Fuehrung werden aber bald die Arbeiterraete der grossen Betriebe uebernehmen. Eine Elite wird sich herausbilden, in der freigelassene politische Gefangene und ueberlebende Funktionaere der alten Arbeiterbewegung eine Rolle spielen werden.

So wuenschenswert es ist, dass der Umsturz moeglichst bald in geordnete Bahnen muendet, so ernsthaft wird vor der Gefahr gewarnt, dass Besatzungarmeen zum "Schutze der Ordnung" den Resten des Nazi-Regimes Schutz vor der Rache des Volkes gewaehren. Viele Verbrechen werden ohne ordentlichen Prozess gesuehnt werden. Abgesehen davon aber werden Uebergangsmassnahmen zur Beseitigung der Reste des Hitlerregimes diskutiert. Es wird vorgeschlagen, alle fuehrenden Nazis der verschiedenen Organisationen zu verhaften und die Organisationen saemtlich aufzuloesen. Die Zahl der zu Verhaftenden wird auf mindestens 100.000 geschaetzt. Obwohl die Bestrafung der Schuldigen (unter denen sich Nicht-Deutsche in Deutschland und Deutsche im Ausland befinden werden) eine europaeische Angelogenheit ist, wird angeregt, die Verfolgung der Schuldigen in Deutschland Revolutionstribunalen zu ueberlassen, die auf dem Wege ueber eine internationale Kommission mit den entsprechenden Gerichten anderer Laender zusammenarbeiten sollten. Das waere eine wichtige politische Erziehungsmassnahme und gleichfalls eine Buergschaft fuer gerechte Strafe, da jeder Angeklagte so lange in Haft zu behalten waere, bis er von allen an seinem Fall interessierten Gerichten der verschiedenen Laender behandelt und die hoechste verwirkte Strafe festgestellt ist.

Alle Nazis sollten einen besonderen Stempel in ihre Papiere erhalten, der sie zur Bekleidung oeffentlicher Aemter und zur Teilnahme am politischen Leben unfaehig macht. Alle Staatsbeamten koennen waehrend der Uebergangszeit fristlos entlassen werden.

Die Wehrmacht ist baldigst aufzuloesen, was nur mit Hilfe der alliierten Armeen moeglich ist.

Bei der Demobilisierung ist darauf zu achten, dass erwiesene Anti-Nazis und politisch zuverlaessige Angehoerige jener Berufe, die zum Wiederaufbau der Gesundheitsfuersorge, des Verkehrs, der Technik, des Bauwesens und der Landwirtschaft noetig sind, den Vorrang erhalten.

Die Autoren wenden sich dann den Plaenen fuer die Entwicklung der Demokratie in Deutschland zu. Sie beruhen auf dem Gedanken einer "dezentralisierten Demokratie", die aus dem anfaenglichen Raetesystem hervorgehen wird.

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Selbstregierung auf territorialer Grundlage (Ortschaften, Staedte, Provinzen) und auf funktionaler Grundlage (Berufsorganisationen, Gewerkschaften, landwirtschaftliche Genossenschaften und Konsumenten-Verbaende) bilden das Leitprinzip. Besonderes Gewicht wird auf die politische Rolle der Gewerkschaften gelegt, deren Wiederbelebung den Autoren viel wahrscheinlicher erscheint als die der alten Parteien, und auf die wirtschaftliche Rolle der Konsum-Genossenschaften bei der Heranbildung der Planwirtschaft im neuen Deutschland.

Was die demokratischen Freiheiten anbelangt, so wird auf ihre Verbundenheit mit dem sozialen Gesamtsystem hingewiesen: Tageszeitungen und Zeitschriften und auch die Filmproduktion muessen oeffentlicher Kontrolle unterstehen. Leute, die als Nazis registriert sind, koennen nicht Mitglieder der an der Verwaltung beteiligten Organisation sein. Staendige Wachsamkeit gegenueber konterrevolutionaeren Umtrieben ist noetig, wozu es einer zuverlaessigen Polizei bedarf.

Bei ihren Gedanken ueber die kuenftige deutsche Verfassung lassen sich die Autoren durchweg von dem Gesichtspunkt leiten, dass die Zentralregierung auf lokale Organisationen gegruendet wird und dass eine dauernde demokratische Kontrolle "von unten" stattfinden muss. Gleichzeitig sprechen sie sich gegen eine Zerstueckelung Deutschlands aus.

Die naechsten beiden Kapitel der Schrift sind der Wirtschaft und Erziehung gewidmet. Die Grundgedanken des Wirtschaftsprogramms sind weitgehende Nationalisierung und Angleichung der Einkommen aneinander. Ueber die Wirkung der Abruestung auf die deutsche Industrie wird bemerkt, dass eine "geheime Aufruestung" unmoeglich ist, wie Hitlers Beispiel zeigte, (der sich zwar auf geheime Vorbereitungsplaene stuetzen konnte, aber die Aufruestung selbst offen vollzog). Deshalb besteht kein Grund, die deutsche Industrie aus Erwaegungen der Sicherheit zu zerstoeren. Das Hauptproblem wird sein, ihr friedliche Beschaeftigung zu ermoeglichen, was von der Gestaltung der Weltwirtschaft abhaengen wird. "Diskriminierende Wirtschaftsmassnahmen gegen ein neues Deutschland wuerden diese Aufgabe unmenschlich schwer machen."

Das Erziehungskapitel beschaeftigt sich mit der Frage, der deutschen Jugend neue demokratische und sozialistische Ideale zu geben, wobei auf das Problem jenes Teiles der Jugend hingewiesen wird, deren Um-Erziehung nicht anders als durch harten Anschauungsunterricht moeglich sein wird. Aktive Teilnahme am Wiederaufbau des Zerstoerten wird ein wichtiger Teil der Erziehung sein. Das neue Schulwesen, in dem es Privatschulen nicht mehr geben darf, wird eine zum groessten Teile neue Lehrerschaft erfordern. Eine neue Jugendbewegung mit neuen Idealen wird entstehen muessen, und die Erziehung der Erwachsenen wird Sache einer gruendlichen Aufklaerungspropaganda ueber die Suenden des Nazi-Regimes und die geschichtlichen Wahrheiten sein.

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Der Aufbau dieses Erziehungssystems muss eine Sache Deutschlands selbst bleiben. So willkommen die Hilfe des Auslandes bei der Bereitstellung von Lehrkraeften und internationalen Erziehungsmassnahmen waere, so unwirksam waere eine Erziehung unter fremdem Diktat.

Im Schlusskapitel wird die internationale Stellung des neuen Deutschland eroertert. Sie haengt von der kuenftigen Gestaltung Europas ab, die ihrerseits von der Politik dreier nichtkontinentaler Grossmaechte - USA, England, Sowjetunion - bestimmt sein wird. "Keine der drei Grossmaechte hat, wie wir glauben, ein Lebens-Interesse daran, auf dem europaeischen Kontinent den allein entscheidenden Einfluss unter Ausschluss der beiden anderen auszuueben. Deshalb duerfte fuer den Kontinent eine Chance bestehen, sich nach Hitlers Niederlage autonom zu entwickeln."

Als groesste Gefahr fuer die Stabilisierung Europas wird eine "Metternich-Politik" der Restauration der alten souveraenen Staaten und Regierungsformen bezeichnet. Die Forderung ist "Rekonstruktion", nicht "Restauration". Und Rekonstruktion bedeutet Neugestaltung, Zusammenarbeit unter Aufgabe der vollen Souveraenitaet und des Rechtes, "neutral" zu bleiben. Es wird auf die Moeglichkeit hingewiesen, die von Hitler fuer seine Zwecke durchgefuehrte wirtschaftliche Einigung Europas nach Ausschaltung der deutschen Vorherrschaft in neuer Form weiterzufuehren. Es wird auch die Moeglichkeit betont, dass in den Millionen auslaendischer Arbeiter, die sich heute in Deutschland befinden, ein neuer starker Geist internationaler Solidaritaet erwacht ist.

Auf der anderen Seite freilich wird das Nazi-Regime eine furchtbare Erbschaft hinterlassen: den Hass der heute unterdrueckten Voelker, der sich nicht nur gegen ihre Unterdruecker, sondern vielleicht auch gegen jene Deutschen richten wird, die selbst Opfer des Terrors waren. Ist es nicht die Aufgabe der Vereinten Nationen, ihren Alliierten auf dem Kontinent dabei zu helfen, schon jetzt den Unterschied zwischen Unterdrueckern und Opfern zu erkennen und so jetzt schon die Grundlage zu einem neuen Europa zu legen? Jeder Deutsche, der in Deutschland oder einem besetzten Gebiet den Kampf gegen Hitler fuehrt, ist ein de facto Alliierter der Vereinten Nationen und der illegalen Bewegung der unterdrueckten Voelker. Wenn diese deutschen Mitkaempfer offen als Waffenbrueder anerkannt wuerden, wuerde ihre Arbeit sehr erleichtert und ihre Bemuehungen zum Sturze Hitlers gestaerkt werden.

Zum Problem der kuenftigen Grenzen wird gesagt, dass ein sozialistisches Deutschland alle Eroberungen Hitlers seit 1937 herausgeben wuerde und dass im uebrigen in einem neuen Europa Grenz- und Minderheiten-Fragen viel von ihrer Bitterkeit verlieren wuerden.

Es wird betont, dass es in Deutschland immer eine "europaeische Tradition" neben der imperialistischen gab und dass im letzten halben Jahrhundert die Arbeiter Traeger der europaeischen Tradition waren.

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Die Ausrottung des deutschen Imperialismus und Militarismus mit ihren sozialen und oekonomischen Wurzeln wird die beste Garantie fuer ein friedliches Deutschland sein.

Die Besatzungsarmee sollte sich hueten, im Zuge der voelligen Entwaffnung Deutschlands den revolutionaeren Prozess zu behindern. Die nicht-deutschen Voelker sollten darauf achten, dass ihre eigenen Ruestungsindustriellen und Finanziers nicht im Bunde mit deutschen Militaristen und Kapitalisten gegen die deutsche Revolution arbeiten. Eine Zerstueckelung Deutschlands waere die schlechteste Friedensgarantie, weil sie einer nationalistischen "Einigungs-Propaganda" Vorschub leisten und Deutschlands Wirtschaft zu neuen Abenteuern zwingen wuerde.

Die kuenftige internationale Zusammenarbeit darf nicht auf eine Zusammenarbeit der Regierungen beschraenkt bleiben. Wirtschaftliche, soziale, erzieherische und technische Zusammenarbeit der interessierten Gruppen aller Laender ist noetig, und Deutschland muesste daran teilnehmen koennen. Sehr wichtig ist die Teilnahme deutscher Gewerkschafter an den internationalen Gewerkschaftsorganisationen und die Teilnahme deutscher Intellektueller an wissenschaftl[icher] Zusammenarbeit. Die Gefahr einer deutschen Vorherrschaft in Europa kann ausgeschaltet werden, wenn eine revolutionaere Umgestaltung Deutschlands die Bedingungen fuer eine wirkliche Einordnung eines neuen Deutschland in ein neues Europa schafft.

In einem etwa gleichzeitig erschienenen, vom Left Book Club herausgegebenen Buche "The Unity of Europe" von Hilda Monte[9] wird in einem kurzen Kapitel ebenfalls die Stellung Deutschlands in einem neuen Europa eroertert; grundsaetzlich im gleichen Sinne wie in "The next Germany". Das ueberaus lesenswerte Buch Montes ist reich an Tatsachen-Material und an instruktiven Eroerterungen der politischen und wirtschaftlichen Zukunftsprobleme Europas und betont besonders den bisherigen Gegensatz des hochindustrialisierten Westens und des agrarischen Suedostens Europas, der Export-Schwierigkeiten auf der einen, baeuerliche Armut auf der anderen Seite, Krisen, Spannungen und Unsicherheit zur Folge hatte und eine der Ursachen des Krieges wurde.

Beitraege zum Problem des neuen Deutschland und der Neugestaltung des europaeischen Kontinents liefert auch der ISK durch die Ausgabe der Schriften von Minna Specht ueber "Education in Post War Germany"[10] und Walter Fliess ueber "Die Wirtschaft im neuen Europa"[11] (je sh 2/-).

"Der Weg zu einem neuen Deutschland", gesehen von einem Sozialdemokraten (Schiff), Kommunisten (Koenen), Liberalen (Weber), Wissenschaftler (Liebert), einer Frau (Irmg. Litten) und einem Pastor ist der Titel einer Schrift des Verlages Lindsay Drummond Ltd (2/6), in der zum Problem im Sinne der sogenannten "Nationalen Friedensbewegung", des Nationalkomitees "Freies Deutschland" in Moskau und der Freien Deutschen Bewegung in Grossbritannien Stellung genommen wird. Herausgeber dieser Schrift ist der Schriftsteller Heinrich Fraenkel.[12]

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Die "Muenchener Neusten Nachrichten"[13] veroeffentlichten am 27. Okt[ober] 1943 und am 2. Nov[ember] je einen Artikel ueber die deutschen Schulverhaeltnisse. Die Zahl der ausgebildeten Lehrer sinkt erschreckend. An den Volksschulen machte sich der Mangel schon 1940 fuehlbar. Viele Lehrer sind zum Kriegsdienst eingezogen worden; andere haben deutsche Schulen in den "zurueckeroberten" Gebieten eingerichtet. Junge Lehrer, die eben ihre Ausbildung beendet haben, melden sich freiwillig zum Dienst mit der Waffe. Entlassungen aus dem Heere sind nicht moeglich, weil viele Lehrer als Offiziere oder in anderen leitenden Stellungen taetig sind. Zum Mangel an Lehrern kommt der Mangel an Schulraeumen. Viele Schulgebaeude dienen als Lazarette oder als Aemter fuer die Ausgabe von Brot-, Kleider- und anderen Karten, manche sogar als Lagerhaeuser. Die verfuegbaren Schulraeume muessen daher bis aufs aeusserste ausgenuetzt werden. Vom Morgen bis zum Abend wechseln Klassen, die in ein- und demselben Raume unterrichtet werden. In vielen Schulen fehlen die Lehr- und Lernmittel. Sehr oft sind nicht einmal Lehrbuecher, Lesebuecher, Schreibhefte, Bleistifte oder Federhalter vorhanden.

Unter diesen Umstaenden ist es verstaendlich, dass die Klassen haeufig 60 oder mehr Schueler zaehlen. Der Unterricht fuer die so ueberfuellten Klassen ist wesentlich beschraenkt worden. Den hoeheren Schulen werden 18 Stunden empfohlen. Alle Experimente in Physik und Chemie haben zu entfallen. Die Volksschulen haben sich in ihrem Unterrichte zu begnuegen mit Lesen, Schreiben, Grammatik, Rechtschreiben und Rechnen.

Der Artikelschreiber Jung[14] gibt zu, dass die Leistungen der Schule trotz der Ueberanstrengung der Lehrkraefte stark zurueckgegangen sind. Jeder Kundige weiss, dass ein solcher Schulbetrieb die Gesundheit der Lehrenden und Lernenden empfindlich schaedigt, zumal beide Teile an Unterernaehrung, an Mangel an Kleidung leiden und ausserhalb der Schulzeit Kriegsarbeit zu leisten haben. Das Elternhaus ist als Erziehungsfaktor so gut wie ausgeschaltet: der Vater ist in der Armee, die Mutter in der Munitionsfabrik. Die Schuljugend ist die meiste Zeit sich selber ueberlassen, und die Folgen fuer die moralische Entwicklung liegen auf der Hand. Fuer die geistige Entwicklung stehen die Dinge nicht besser. Der Unterricht ist vorwiegend Wortgeplaerr, da er sich hauptsaechlich auf mechanische Dinge erstreckt. Das Denken, das von den Nazis sowieso nicht hoch eingeschaetzt wird, muss bei einem solchen Schulbetrieb voellig vernachlaessigt werden. Die Aufnahmefaehigkeit der unterernaehrten Schueler in laermenden, ueberfuellten Klassen und nach weiten Schulwegen ist auf den untersten Grad herabgesetzt. Und trotzdem erwartet Jung, dass aus den Reihen dieses Schuelermaterials die Rekruten fuer die

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leitenden intellektuellen Berufe in den militaerischen, oekonomischen und kulturellen Sphaeren des Volkes fuer die Zukunft hervorgehen. Wie moegen sich die Nazis die oekonomische und kulturelle Lage Nachkriegsdeutschlands vorstellen?

Die kuenftigen Erzieher der deutschen Jugend muessen sich die Ausfuehrungen Jungs merken. Nach dem letzten Krieg, in dem die Dinge bei weitem nicht so schlimm standen, wurde fuer die mangelhaften Leistungen namentlich der Volksschule unmittelbar nach dem Kriege das neue politische System verantwortlich gemacht. Gesundheitliche, moralische und geistige Schaeden einer Kriegsjugend sind aber nicht so schnell ueberwunden, wie es sich namentlich die saechsischen "hoeheren" Lehrer unter Fuehrung des spaeteren Naziministers Hartnack[15] vorstellten. 6 Jahre Kriegsvorbereitung und 5 Jahre Krieg werden diesmal der Kriegsjugend ganz andere Wunden schlagen als der letzte Krieg. Und diesmal werden harte Arbeit und viele Jahre noetig sein, bis diese Wunden des alten Systems geheilt sind.

In dem mit H.A.S. gezeichneten Artikel wird ueber das System der "Schulhelfer" gesprochen. Junge Maedchen aus dem sozialen Wohlfahrtsdienst, Leiterinnen des Bundes deutscher Maedchen [!] und des Reichsarbeitsdienstes, in der Hauptsache also zuverlaessige Nazimaedchen, besuchen einen Einfuehrungskurs von 3 Monaten; sie werden dann ein oder zwei Jahre auf die Kinder losgelassen und haben danach einen abschliessenden Kurs von neun Monaten an einer Lehrerbildungsanstalt zu besuchen. dass derartig minderwertig vorgebildete "Schulhelfer" trotz ihrer von den Schulinspektoren geruehmten Begeisterung nicht den Anforderungen genuegen, die von der heutigen Zeit an die Erziehung gestellt werden, ist offensichtlich. Sie sind hoechstens "Instrukteure", faehig zu Instruktionsstunden, wie sie beim alten Militaer ueblich waren. Die Bewerbungen um solche Schulhelferstellen hatten Ende 1942 die Ziffer 50.000 erreicht. Ein grosser Teil dieser Lehrkraefte ist in den besetzten Gebieten beschaeftigt. Ob die jungen Dinger wissen, was sie tun.

Alles in allem: auch auf dem Gebiete der Schulerziehung Ersatz. Nazideutschland verwuestet seine besten Kraefte in einem sinnlosen Kriege.




[Veranstaltungshinweis]


FABIAN INTERNATIONAL YOUTH FORUM
Inaugural Meeting on Saturday, January 15th, 1944 at 2.45 p.m.
Small Hall, Conway Hall, Red Lion Square, London, W.C.1.

"ACROSS THE FRONTIERS": KINGSLEY MARTIN

Chairman: Lord Faringdon. Guest of Honor: Lee Wei-Kuo, Secretary to General Chiang Kai Shek; member of E.C. of China Youth C.

Tickets incl. tea, 2/- each. Socialist Comrades will be present from Austria, USA, Belgium, China, Czechoslovakia, France, Germany, Greece, Gt. Britain, Holland, Hungary, Italy, Luxembourg, Norway, Poland, USSR, Spain, Rumania and Yugoslavia.

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(ITF) Ein Artikel der Berliner "Deutschen Allgemeinen Zeitung"[16] vom 31.X.43 laesst erkennen, dass deutsche Kreise fuerchten, dass die Millionen nach Deutschland deportierter Zwangsarbeiter der Nazidiktatur eines Tages gefaehrlich werden koennten: "Vom trojanischen Pferd, das sich Deutschland in sein Reich geholt habe, wurde neulich auf einer Tagung (in Deutschland) gesprochen, die den Problemen der Auslaender im deutschen Arbeitsprozess galt ... Die Zahl der auslaendischen Arbeiter, die in deutschen Fabriken, Werken und Betrieben heute taetig sind, uebersteigt ebenso alle Wirklichkeiten von frueher wie alle Planungen am Beginn des Krieges. Ein Millionenheer europaeischer Menschen aller Sprachen hat den Weg ins Reich angetreten. ... In dem Masse, in dem der Krieg schaerfere Formen annahm und immer mehr wehrfaehige Maenner aus der Heimat fuer die Front verlangte, wurde die Sicherung und Auffuellung der Arbeitsplaetze in den Ruestungs- und Ernaehrungsbasen wichtiger. Wie sehr die Konzentration auf die kriegswichtigen Industrien auch immer neue eigene (deutsche) Arbeitskraefte trotz des Bedarfs der Front freizumachen vermochte, ist bekannt. Aber im gleichen Verhaeltnis stroemten dann in die Hilfs- und Zwischenstellungen der deutschen Arbeitsorganisationen mehr und mehr Menschen aus den umliegenden Laendern und Staaten des Kontinents ... Diese Entwicklung ... schuf mitten im schwersten aller Kriege ein Problem, das die Stabilitaet des Reiches fast ebenso zur Bewaehrung forderte wie die Zerreissprobe auf den Schlachtfeldern."

Das Berliner Blatt verweist dann auf "psychologische Schwierigkeiten". "Die franzoesischen Zivilarbeiter, die aus Paris und Bordeaux kamen, traten nun an die deutschen Arbeitsplaetze, oft genug neben ihre kriegsgefangenen Landsleute ... Wieder sehr anders begegneten sich in Deutschland die Millionen sowjetischer Kriegsgefangener mit den Hunderttausenden von Ostarbeitern ..."

"Arbeiter fuer Betrieb, Handel, Landwirtschaft und Gewerbe, ein sozialer Stand aus fast allen europaeischen Laendern war in das Herz Europas vorgestossen ... Als nicht mehr nur kleine und sorgfaeltig ausgewaehlte Kontingente von Auslaendern an die Arbeitsplaetze traten, sondern der Strom der Fremden anschwoll, lag es nicht mehr in der Hand Deutschlands, etwa die politische Zuverlaessigkeit der einzelnen Arbeitergruppen zu untersuchen und zu ueberpruefen. Es war selbstverstaendlich, dass mit vielen Gutwilligen eine grosse Zahl Gleichgueltiger und gewiss auch ausgesprochener Gegner im Reich erschien ... Die deutschen Stellen mussten sich damit abfinden, Menschen ins Reich zu holen, die der ... Agitation nach wie vor offen standen. Man musste natuerlich auch wachsend mit einzelnen Elementen rechnen, die ihre Arbeit im Reich in voller Absicht zur Sabotage oder zur Beguenstigung des Feindes benutzen wollten ... dass die Gefahren der Auslaenderbeschaeftigung in dem Grade wuchsen, in dem militaerisch

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das Reich anhaltenden und schweren Belastungen ausgesetzt war ... war selbstverstaendlich." "Die bedraengten und erschwerten Umstaende, unter denen die Auslaender heute in Deutschland zu arbeiten haben, bieten sicher keine Gewissheit, sie allesamt zu begeisterten Aposteln (des Hakenkreuzes) zu machen ... Es muss beschleunigt und vervielfacht gearbeitet werden ... Alle Einschraenkungen und alle Not und auch alle Gefahr, die das Reich auf sich nehmen muss, muss selbstverstaendlich vom Auslaender mitgetragen werden. Es kommt hinzu, dass die Zwangslage unserer luftbedrohten Staedte auch die Wohn- und Unterbringungsmoeglichkeiten beschraenkt".

"Man kann dem Auslaender nichts vormachen ... Maengel und Unzulaenglichkeiten sind ihm ebenso offenbar wie dem deutschen Arbeiter ... Die Auslaendermassen im Reich, das von allen Seiten bedroht wird, waren ein Wagnis. Doch", beruhigt die DAZ die Besorgten, "bis jetzt sind nicht die geringsten Symptome dafuer vorhanden, dass aus ihnen sich ... eine riesige politische oder gar militaerische Vorhut des Feindes entwickeln koennte". Bis jetzt.

Unter dieser Ueberschrift bringt "DIE ZEITUNG" in ihrer Ausgabe vom 19. Nov. 1943 einen Artikel, in dem D. E. Mende[17] das Wahlergebnis zur Schweizer Volksvertretung ausfuehrlich bespricht. Nach den grossen sozialdemokratischen Wahlerfolgen in Daenemark und Schweden war bekanntlich die Schweizer Sozialdemokratie im Oktober 1943 mit mehr als 25% der Nationalraete die staerkste Partei geworden. Die Zahl ihrer Mandate stieg von 45 auf 56. Aus Mendes Artikel zitieren wir:

"... Die Schweizer haben in ihren Nachbarlaendern Deutschland, Frankreich, Italien und Oesterreich beobachten koennen, dass nach wie vor die Politik und nichts anderes das Schicksal ist ... Die Formen und Resultate der faschistischen Diktaturen haben naturgemaess auch die Schweiz beruehrt - allerdings mit anderen Ergebnissen als die Diktatoren erwarteten - Das Wahlergebnis scheint endlich durch ein Motiv beeinflusst zu sein, das in verschiedenen Variationen durch die Welt klingt. Es ist der Wunsch oder die Sehnsucht nach der sozialen Sicherheit ... Die Waehler scheinen auf der Suche nach der politischen Form dieser Sicherheitsidee der Sozialdemokratie zugestoemt zu sein. Und wenn die Sehnsucht nach sozialer Sicherheit, wie die abstrakte Gewinn- und Verlustrechnung ergibt, mehr als 50% der 'Neuwaehler', also der Jugendlichen, der Sozialdemokratie zugefuehrt hat, so ist das ein Gradmesser fuer die Stimmung der Jugend in Europa, einer Stimmung, die in den von Krieg und fremder Gewaltherrschaft heimgesuchten Laendern noch viel ausgepraegter sein mag. Trifft diese Deutung zu, so ist ... die Chance (noch einmal) den Parteien gegeben, die 'das Gegenwaertige aus dem Vergangenen entwickeln' ..."

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Im Zusammenhang mit der kuerzlichen Konferenz der "Alliierten Hilfs- und Wiederaufbau-Verwaltung" (UNRRA[18]) in Atlantic City (USA) ist ein Bericht interessant, den das in London tagende Inter-Alliierte Komitee fuer Nachkriegsbeduerfnisse veroeffentlicht hat.

In diesem Bericht werden die Minimalbeduerfnisse Europas an Lebensmitteln, Rohstoffen und anderen dringendsten Erfordernissen auf 45.855.000 Tonnen geschaetzt. Darin sind die Beduerfnisse der feindlichen, vom Feinde kontrollierten und neutralen Laender nicht enthalten, ebensowenig die Erfordernisse der Sowjetunion.

Um die von dem inter-alliierten Komitee angegebenen Mengen nach Europa zu bringen, waeren mindestens 23.458.000 Tonnen Schiffsraum noetig. Belgien, Luxemburg, die Tschechoslowakei, Frankreich, Holland, Belgien, Griechenland, Norwegen, Polen und Jugoslawien werden zusammen 7.332.000 Tonnen Nahrungsmittel, 11.150.000 Kohle und Koks, 9.462.000 Tonnen der wichtigsten Metalle und Metallprodukte und 89.000 Tonnen Arzneimittel und Hospitalbedarf brauchen. Der Lebensmittelbedarf ist auf Grund einer Mindestnahrung von 2.000 Kalorien taeglich errechnet, was nur einer Notnahrung fuer die erste Uebergangszeit entspricht.

Dabei ist das Problem der Gefangenen und Fluechtlinge nicht beruecksichtigt, deren Heimfuehrung eines der schwersten Probleme der unmittelbaren Nachkriegsperiode sein wird. In einem Bericht ans Internationale Arbeitsamt hat kuerzlich der amerikanische Professor Kulischer[19] die Zahl der aus ihren Wohnstaetten Vertriebenen in der ganzen Welt auf 30 Millionen geschaetzt, waehrend im Lauf der UNRRA-Konferenz in Atlantic City die Zahl auf 20 Millionen geschaetzt wurde. Das inter-alliierte Komitee schaetzt die Zahl der in Europa von ihren Heimstaetten Vertriebenen oder Gefluechteten auf 16 Millionen, wovon sich wahrscheinlich noch fast die Haelfte in ihren eigenen Laendern aufhaelt.




[Spendenaufruf]


An unsere Leser und Gesinnungsfreunde

Wilh. Sander 33, Fernside Avenue, London N.W.7.

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Die groesste Gruppe der aus ihrer Heimat Vertriebenen, mindestens 6.500.000 Menschen stark, befindet sich in Deutschland, naemlich auslaendische Arbeiter, Kriegsgefangene usw. Unter ihnen sind die Russen, deren genaue Zahl unbekannt ist, die zahlenmaessig staerkste Gruppe, dann folgen die Polen mit etwa 2 Millionen, und die Franzosen mit einer Million Kriegsgefangener und ueber 500.000 Zivilarbeitern.

Das inter-alliierte Komitee fordert in seinem Bericht ein System internationaler Kontrolle der knappen Waren nach dem Kriege, um einen Wettlauf der verschiedenen Laender nach ihnen zu verhindern.

Nach Moeglichkeit sollen die Laender fuer die Waren zahlen, die sie erhalten, und Wohltaetigkeit soll auf die wirklich Notleidenden beschraenkt werden. Eines der dringendsten Probleme nach dem Kriege wird die baldige Beschaeftigung der Bevoelkerung in den Industriegebieten der befreiten Laender sein, um Unruhen vorzubeugen.

Es scheint, dass bisher nur in Moskau unzweideutige Reparationsforderungen gegen Deutschland vorbereitet werden. Eine offizielle Kommission ist seit einiger Zeit damit beschaeftigt, eine Liste der materiellen Verluste Russlands aufzustellen und diese auch in finanziellen Groessen auszudruecken. Ideologische Betrachtungen, wie sie frueher gegen das Versailler Diktat und die damalige Reparationspolitik ueblich waren, scheinen immer mehr und mehr zu verschwinden.

Es war bekanntlich Eugen Varga, der jene Kritik besonders pflegte. Varga war vor 1917 auch in Deutschland als russischer Emigrant bekannt und schrieb in der sozialdemokratischen Presse, im besonderen auch in der "Neuen Zeit", der damaligen wissenschaftlichen Wochenzeitschrift der deutschen Sozialdemokratie, die von Kautsky und Franz Mehring[21] redigiert wurde. Jetzt schreibt Varga, dass Deutschland seine finanziellen Verpflichtungen nach dem vorigen Kriege habe leicht tragen koennen, und dass die "Last der Reparationen" ein Maerchen gewesen sei. Varga hat die Reparationsfrage nicht nur fuer Russland, sondern fuer alle von den Deutschen okkupierten Nationen zur Eroerterung gestellt. Auch in manchen Kreisen der deutschen Emigration scheint man bei der Eroerterung dieser ernsten Probleme die Lehren der Vergangenheit, der wirtschaftlichen Vernunft und der europaeischen Solidaritaet viel zu wenig zu beachten.




[Veranstaltungshinweis]


Freitag, d. 21. Januar 1944, abends 7.30 Uhr, im Austrian Labour Club VERSAMMLUNG fuer die Mitglieder der "UNION" angeschlossenen Organisationen. Es wird - aehnlich der letzten Versammlung - ein aktuelles politisches Thema behandelt werden. Anschliessend Aussprache.
Gaeste muessen eine besondere schriftliche Einladung haben.

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Der Tod hat auch in den vergangenen Monaten wieder einige tiefe Luecken in die Reihen unserer Genossen und Freunde gerissen. Nicht alle verstorbenen Genossen koennen von uns aufgezaehlt werden, und die Bedeutung der nachstehend aufgefuehrten Verstorbenen kann an dieser Stelle nur unvollstaendig skizziert werden.

M. Beer[22], der anerkannte sozialistische Schriftsteller, ist vor einigen Monaten in London, ueber 80 Jahre alt, gestorben. Unter dem Sozialistengesetz erlitt er als sozialdemokratischer Redakteur schwere Gefaengnisstrafen. Er war dann durch Jahrzehnte Londoner Korrespondent des "Vorwaerts", bis er 1915 wieder nach Deutschland zurueckkehrte. Seine "Geschichte des Sozialismus", sein Buch "Karl Marx" u.a. machten ihn zu einem der geachtetsten sozialistischen Schriftsteller. Hier in England erschien vor fast 40 Jahren seine zweibaendige Geschichte des britischen Sozialismus, ein Standardwerk, das ihm hohes Ansehen brachte und in jeder groesseren englischen Bibliothek zu finden.

Professor Franz Oppenheimer[23], Soziologe an den Universitaeten Frankfurt, and Berlin, starb im Alter von 80 Jahren in Los Angeles. Der Kampf seines Lebens galt dem Bodenmonopol. Oppenheimers Siedlungsplaene, die in Preussen auf Initiative Otto Brauns durch Besiedlung der Gueter Baerenklau, Luedersdorf und Blumberg in die Praxis ueberfuehrt wurden, sahen die Bewirtschaftung der einzelnen Bauernstellen auf genossenschaftlicher Grundlage vor; auch das Obereigentum an Grund und Boden sollte der Genossenschaft gehoeren. Ueber die Richtigkeit der Oppenheimerschen Siedlungsprinzipien kann heute ein abschliessendes Urteil kaum gefaellt werden, aber Tatsache ist, dass die auf Grund seiner Prinzipien durchgefuehrten Siedlungen sich als die besten in ganz Preussen erwiesen haben. Die Nazis haben deshalb sich wohl gehuetet, das von Oppenheimer und seinen Mitarbeitern geschaffene Werk zu zerschlagen; es genuegte ihnen, diejenigen, die die Arbeit geleistet hatten (Prof. Oppenheimer, Prof. Dessauer[24], Finanzminister Klepper[25], Staatssekretaer Krueger[26], Agronom Dyk[27] u.a.), ihrer Aemter zu entheben, ihrer Rechte zu berauben und sie ausser Landes zu jagen. Oppenheimer ist tot, sein Werk aber wird fortgesetzt werden, wenn die Zeit fuer den Aufbau eines sozialistischen Deutschland gekommen ist.

Robert Breuer[28] verstarb in groesster Armut im Alter von 65 Jahren auf der Insel Martinique. Waehrend des Ersten Weltkrieges war er als Schriftsteller regelmaessiger Mitarbeiter der "Weltbuehne". Er trat spaeter der SPD und dem Mitarbeiterstab des "Vorwaerts" bei und wurde 1918 zum Reichspressechef, spaeter zum Leiter der "Zentrale fuer Heimatdienst"[29] berufen. Seine spaetere Herausgabe der Zeitschrift "Die Glocke"[30] brachte ihn oft in Konflikt mit der Partei.

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Kurt Rosenfeld[31], bekannt als tuechtiger Anwalt in unzaehligen Prozessen (z. B. im Hochverratsprozess Rosa Luxemburg), Mitglied[...] politischer Arbeiterorganisationen gegen die Reaktion, als aktiver Versammlungsredner und Mitglied des Reichstages, starb im Alter von 66 Jahren in den Vereinigten Staaten. Kurt Rosenfeld war eine kurze Zeit Minister der preussischen Revolutionsregierung und gehoerte zu den Mitbegruendern der USP, in deren Geist er auch dann noch arbeitete, als die Partei selbst sich wieder mit der Mutterpartei vereinigt hatte.

Otto Ruehle[32], waehrend des Ersten Weltkrieges Reichstagsabgeordneter fuer Pirna-Sachsen, verstarb im Exil in Mexiko. Obwohl sich seine politische Aktivitaet im linkskommunistischen Gruppen- und Zirkelleben verbrauchte, verschafften ihm sein Buch "Das proletarische Kind"[33] und verschiedene Erziehungsschriften einen ehrenvollen Namen im sozialistischen Schrifttum. Seine Gattin Ruehle-Gerstel[34] - durch Vortraege ueber Erziehungsfragen und die Redigierung der Kinderbeilage des "Prager Tagblattes"[35] der Oeffentlichkeit bekannt, ging mit ihrem Gatten in Mexiko in den Freitod.

Robert Schmidt[36], der ehemalige Reichswirtschaftsminister, ist vor einigen Wochen in Berlin verstorben. Auch die[ses] Begraebnis bildete den Treffpunkt von Hunderten treuer Parteigenossen in Berlin, aehnlich wie bei frueheren Leichenbegraebnissen (Max Westphal, Franz Kuenstler u.a.). In einem Brief aus Berlin, der die Zensur passierte, aber keine Streichungen aufzuweisen hatte, steht zu lesen: "... Die Beerdigung Robert Schmidts war eine der groessten Kundgebungen der letzten 10 Jahre. Tausende wohnten der Feier bei. Alte Freunde trafen sich und von der nachfolgenden Kaffeetafel wurden Gruesse an alle Freunde in der Welt bestellt. Es heisst, die Freundschaftsbande werden in dieser schweren Zeit wieder fester geknuepft und alte Bekanntschaften wurden erneuert ..."

Kurt Heilbut[37], Redakteur der "Dresdner Volkszeitung"[38], hat nun ebenfalls das Schicksal seines Redaktionskollegen Sachs geteilt. Nach sich oft widersprechenden Meldungen besteht nun die Gewissheit, dass Kurt Heilbut im Konzentrations Lager verstarb. Ueber seine "Behandlung" fehlen uns Einzelheiten, wir koennen nur die uns [bekannt] gewordenen Nachrichten deuten. Sein aeltester Sohn wird noch immer im K[onzentrations] L[ager] festgehalten.

Else Blumenreich[39], die Gattin unseres Genossen Erich Blumenreich[40], verstarb hier in London ploetzlich an Herzschlag. Sie wurde mitten aus dem Kreise befreundeter Genossen gerissen. Unsere Genossen gaben ihr das letzte Geleite [!], Genosse Sander sprach fuer die Partei an ihrem Grabe die Worte des Abschieds und des Dankes.

Als Genossen und Mitkaempfer unserer gemeinsamen Sache werden alle diese Verstorbenen in unserer Erinnerung fortleben.




Issued by the London Representative of the German Social Democratic
Party, 33, Fernside Avenue, London N.W.7. Tel.: MIL 3915






Editorische Anmerkungen


1 - Ab Oktober 1943 verschärfte sich der französische Widerstandskampf gegen die deutschen Besatzer und das Vichy-Regime.

2 - Im norwegischen Widerstandskampf gegen die Deutschen und die von ihnen getragene Quisling-Regierung glaubten die Besatzungsbehörden, besonders Studenten als Rädelsführer entdeckt zu haben. Die Universität in Oslo wurde am 29. November 1943 geschlossen und Studenten und Professoren in Sonderlager in Deutschland abtransportiert.

3 - Die deutschen Besatzer und die von den Faschisten unterstützten halbautonomen Schlägerbanden antworteten mit Gegenterror.

4 - 28.11. - 1.12.1943.

5 - Smuts' Rede in London am 19.10.1943 enthielt u. a. die Passage, dass die Fehler des Waffenstillstandes von 1918 auf keinen Fall wiederholt werden dürften.

6 - Zwischen der tschechoslowakischen Exilregierung und der UdSSR wurde am 12.12.1943 ein Freundschafts- und Beistandspakt abgeschlossen, der die beiderseitige Zusammenarbeit nach dem Kriege regelte.

7 - The Next Germany. A Basis of Discussion on Peace in Europe. With a Foreword by Louis de Brouckère, a Member of the Belgian Senate, Harmondsworth 1943. An der Publikation haben folgenden deutsche Autoren mitgearbeitet: Walter Auerbach, Fritz Eberhard (Pseud. für Hellmut von Rauschenplat), Otto Kahn-Freund und Kurt Mandelbaum (ehemaliger ADGB-Wirtschaftsexperte, geb. 1904).

8 - Die Autoren der o. e. Publikation beschwören die Gefahr, dass im Falle einer politischen (d. h. nicht ausschließlich militärischen) Besetzung Deutschlands die Besatzungsmächte geneigt sein könnten, sich konservativer Marionetten ("Puppets") zu bedienen wie beispielsweise Darlan oder Schacht.

9 - Hilda Monte: The Unity of Europe. With an Introduction by H. N. Brailsford, London 1943.

10 - Minna Specht: Education in Post-War Germany, London 1944.

11 - Walter Fliess: Die Wirtschaft im Neuen Europa, London 1943.
Zu Walter Fliess siehe SM 92, Nov. 1946, Anm. 77 .

12 - Heinrich Fraenkel (Hrsg.): Der Weg zu einem neuen Deutschland. Gesehen von einem Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberalen, Wissenschaftler, Pastor und einer Frau, London 1943.
Wilhelm Koenen (1986 - 1963), KPD-Mtglied, Parteifunktionär, Exil: 1933 Frankreich, 1935 CSR, 1936 ausgebürgert, 1938 Großbritannien, 1945 Rückkehr nach Deutschland (SBZ), 1946-1963 Mitglied des PV bzw. ZK der SED.
Arthur Liebert (1878 - 1946), Philosoph, Professor, Exil: ab 1933 Jugoslawien, 1939 Großbritannien, 1945 Rückkehr nach Berlin.
Irmgard Litten (1879 - 1953), ab 1938 Exil in Großbritannien, 1941 ausgebürgert, nach Kriegsende Rückkehr nach Deutschland (SBZ). Ihr Bericht über das Schicksal ihres Sohnes, Hans Litten, erschien seinerzeit in verschiedenen Sprachen, u.a.: Die Hölle sieht dich an. Der Fall Litten, Paris 1940; A Mother Fights Hitler, London 1940.

13 - "Münchener Neueste Nachrichten", in der Weimarer Republik rechtskonservative Tageszeitung (gegr. 1848), Februar 1945 eingestellt.

14 - = Willi Jung. Er schrieb auch für "Deutsche Allgemeine Zeitung" (DAZ).

15 - Wilhelm Hartnack (1878 - 1952), 1933-1935 sächsischer Minister für Volksbildung.

16 - Für die DAZ, Berlin, eine 1861 gegründete Tageszeitung, wird 1932 als Richtung "überparteilich national" angegeben, 1945 eingestellt.

17 - Dietrich Erich Mende (1899 - 1990), preußischer Ministerialbeamter, Publizist, 1937 Exil in Großbritannien, Mitarbeiter und zeitweise Chefredakteur von "Die Zeitung", ab 1955 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Bonn).

18 - UNRRA = Abk. für United Nations Relief and Rehabilitation Administration, 1943 gegründet und 1947 aufgelöst. Die o. e. Konferenz fand im September 1943 statt.

19 - Eugene Kulischer (1881 - 1956), aus Kiew stammender Jurist (Prof.), 1921-1934 Dozent an der Universität in Berlin, 1934 Emigration nach Frankreich, seit 1941 USA, Experte für Demographie und Migrationsprobleme; der Begriff 'displaced person' geht auf ihn zurück.

20 - Eugen Varga (1879 - 1964), sowjetischer Nationalökonom aus Ungarn, Mitglied der KPdSU, 1927-1947 Leiter des Instituts für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Moskauer Akademie der Wissenschaften.

21 - Franz Mehring (1846 - 1919), ursprünglich bürgerlich-demokratischer Journalist, dann Sozialdemokrat und marxistischer Historiker (Hauptwerk: Die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie).

22 - Max Beer (1864 - 1943), seit 1889 in Deutschland, Schriftsetzer, dann sozialdemokratischer Journalist und Historiker, 1933 Exil in Großbritannien.

23 - Franz Oppenheimer (1864 - 1943), deutscher Soziologe, Wirtschaftstheoretiker und Professor, Exil ab 1938 in den USA.

24 - Es könnte sich um Friedrich Dessauer (1881 - 1963) handeln. F. Dessauer, Physiker und Elektrotechniker, Professor, Mitglied des Zentrums und MdR 1924-1933; Vertreter einer kooperativen Politik zur Überwindung des Klassenkampfes, ab 1934 Exil in der Türkei, ab 1937 Schweiz, 1941 ausgebürgert; 1950 Rückkehr nach Deutschland.

25 - Otto Klepper (1888 - 1957), ursprünglich Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, dann der Deutschen Demokratischen Partei bzw. der Deutschen Staatspartei, 1931-1932 preußischer Finanzminister, Exilstationen seit 1933 u. a.: Finnland, China, USA, Frankreich, Mexiko, 1937 ausgebürgert. 1947 Rückkehr nach Deutschland (ABZ), Rechtsanwalts- und Notartätigkeit, kurzfristig Geschäftsführer der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

26 - Hans Krüger (1884 - 1933), 1918/1919 mecklenburgischer Staatsminister in Neustrelitz, 1919/1920 SPD-Mitglied der Nationalversammlung, 1928-1932 Staatssekretär im Preußischen Landwirtschaftsministerium, maßgeblich an der Formulierung des 1927 verabschiedeten Agrarprogramms der SPD beteiligt.

27 - Dyk (Vorname nicht ermittelt) wird von F. Oppenheimer in seinen Memoiren (Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes, Lebenserinnerungen, Düsseldorf 1964, S.175) als sein Freund bezeichnet, der ihn bei seiner Siedlungstätigkeit unterstützt habe.

28 - Robert Breuer (1878 - 1943), deutscher Journalist und Schriftsteller, Vertrauter Friedrich Eberts. Exilweg: 1933 CSR, dann Frankreich, 1938 ausgebürgert, 1940 Martinique. Mitarbeiter zahlreicher Exilpublikationen.

29 - Die "Reichszentrale für Heimatdienst" war im Frühjahr 1918 ins Leben gerufen worden, um publizistisch die Front und den "Durchhaltewillen" in der Heimat zu stärken. Der Reichszentrale (der gesamte Name blieb erhalten) wurden dann nach dem Krieg überparteiliche Informationsaufgaben überwiesen. Ihre wichtigste Funktion sollte in der Vermittlung republikanisch-demokratischer Ideen bestehen. Die heutige Bundeszentrale für politische Bildung trug von 1952-1963 den Namen "Bundeszentrale für Heimatdienst".

30 - "Die Glocke" (Untertitel: Sozialistische Wochenschrift), erschien von 1916-1925. Sie wurde von dem deutsch-russischen Sozialisten Alexander Parvus-Helphand herausgegeben und von 1920-1925 von R. Breuer redigiert.

31 - Kurt Rosenfeld (1877 - 1943), Rechtsanwalt, 1893 der SPD, 1917 der USPD beigetreten, 1920-1932 MdR (USPD, dann SPD), 1931 Mitbegründer der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Exilstationen: Frankreich (1933) und USA (1934), 1934 ausgebürgert.

32 - Otto Rühle (1874 - 1943), Lehrer, Redakteur, 1912-1918 MdR, 1919 KPD, nach Ausschluss 1920 Eintritt in die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands, 1933 nach Prag, 1936 Mexiko.

33 - Das Buch Otto Rühles hatte den Titel: "Die Seele des proletarischen Kindes" und war zum ersten Mal 1925 in Dresden erschienen. "Das proletarische Kind" (Untertitel: Monatsblätter für proletarische Erziehung) war eine von Otto und Alice Rühle ab 1925 hrsg. Zeitschrift.

34 - Alice Rühle-Gerstel. Nur ihr Freitod ist belegt.

35 - Das "Prager Tagblatt" war eine seit dem 19. Jahrhundert erschienene deutschsprachige Tageszeitung (bis 1939) mit ausgesprochen liberaler Tendenz.

36 - Robert Schmidt (1864 - 1943), Klaviermacher, Sozialdemokrat und Gewerkschafter, Mitglied des Reichstages 1893-1898, 1903-1918, 1919-1920 (Nationalversammlung) und 1920-1930, 1919/20 Reichsernährungs- bzw. Reichswirtschaftsminister, 1923 Vizekanzler und Minister für Wiederaufbau, 1929-1930 Reichswirtschaftsminister.

37 - Kurt Heilbut (1888 - 1943), 1919 Parteisekretär der SPD in Berlin, 1921 ff. Redakteur der Dresdener Parteizeitung.

38 - "Dresdener Volkszeitung" (Untertitel: Organ für die Interessen des werktätigen Volkes), erschien als sozialdemokratische Tageszeitung von 1908 bis 1933. Vorläuferorgan (1889-1908): "Sächsische Arbeiter-Zeitung".

39 - Else Blumenreich (1884 - 1943), seit 1918 SPD-Mitglied, 1933 Emigration in die CSR, 1938 ausgebürgert, 1939 nach Großbritannien. Verheiratet mit Erich Blumenreich (siehe Anm. 40).

40 - Erich Blumenreich (geb. 1893), Kaufmann, seit 1923 Mitglied der SPD, Mitglied des Reichsbanner, 1933 Emigration in die CSR, 1938 ausgebürgert, seit 1939 in Großbritannien (siehe Anm. 39).




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