SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN

News for German Socialists in England

This Newsletter is published for the information of Social Democratic
refugees from Germany who are opposing dictatorship of any kind.

Nr. 51 - 1943

Juli 1943

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In einer stark besuchten Versammlung der Londoner Gruppe deutscher Sozialdemokraten am 18. Juni 1943 sprach der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Hans Vogel, ueber obiges Thema.

In seiner instruktiven und aufschlussreichen Rede ging Hans Vogel davon aus, dass sich die Voelker in der Frage, wie die Nachkriegswelt und in ihr Deutschland beschaffen sein werden, zunaechst nur an die von Winston Churchill und Praesident Roosevelt im August 1941 vereinbarte Atlantic-Charter als ein wegweisendes Dokument halten koennen. Ihr haben auch alle alliierten Regierungen, einschliesslich Russlands, zugestimmt, Polen allerdings nur unter bestimmten Vorbehalten. Aber selbst die Atlantic Charter kann nicht als ein fertiger Friedensplan betrachtet werden, denn sie beschraenkt sich auf die Aufstellung bestimmter Grundsaetze. Ihre Formulierungen haben viele Fragen offengelassen. Es bestehen sogar Meinungsverschiedenheiten darueber, ob sie auch auf Deutschland Anwendung finden soll. Wer weiss, welchen starken Antrieb der deutsche Nationalismus nach dem letzten Krieg durch die Nichteinloesung wichtiger Teile der 14 Punkte Wilsons erhalten hat, kann nur wuenschen, dass der Atlantic Charter nicht das gleiche Schicksal beschieden sein moege.

Ausser der Atlantic-Charter liegt eine Reihe bemerkenswerter Aeusserungen von Staatsmaennern alliierter Regierungen und auch eingehendere Plaene einzelner Regierungen und besonderer Komitees vor.

Hervorgehoben zu werden verdient vor allem

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die Rundfunkrede Churchills vom 21. Maerz 1943, in der er als Voraussetzung aller Ueberlegungen und Planungen die Notwendigkeit des Zusammenwirkens der Vereinten Nationen unter der Fuehrung der drei Grossmaechte England, USA und Russland bezeichnet hat. Die zu schaffende internationale Organisation muesse zu einer tatsaechlich wirksamen Liga ausgestaltet werden, mit einem Gerichtshof zur Entscheidung von Streitigkeiten und mit einer starken bewaffneten Macht zur Durchsetzung seiner Entscheidungen und zur Verhinderung eines neuen Angriffes und der Vorbereitung neuer Kriege. Die Aufrechterhaltung der vollen Souveraenitaet der einzelnen Staaten sei schon aus militaerischen Gruenden nicht moeglich. Die Loesung des Problems der kleinen Staaten, deren Rechte und Interessen gewahrt werden muessten, sieht Churchill in einer Art organisatorischen Zusammenfassung, wobei er es aber ablehnte, schon jetzt den Versuch zu machen, die Staatengruppierung im einzelnen zu behandeln oder den genauen Mechanismus ihrer Zusammenarbeit zu entwerfen oder gar Grenzziehungen vorzunehmen.

Hans Vogel verwies dann auf die Rede, die der englische Aussenminister Anthony Eden im Dezember 1942 im Namen der englischen Regierung gehalten hat und in der er die tragische Ironie aufzeigte, die darin liege, dass die eingefleischten Demokraten und Zivilisten genoetigt seien, auf lange Zeit die Uniform nicht auszuziehen, um die militaristischen Nationen zur Demokratie zurueckzufuehren. Gewalt koenne nur mittels Gewalt entthront und die Freiheit nur bewahrt werden, wenn man sie zeitweise aufzugeben bereit sei.

Als "bewaffnete Zivilisation" bezeichnete auch Herbert Morrison das Uebergangsstadium der kommenden Zeit. Es koenne Zeiten geben, in denen man, um Demokrat bleiben zu koennen, aufhoeren muesse, Demokrat zu sein und in denen man, um totalitaere Ideen niederschlagen zu koennen, selbst zu totalitaeren Mitteln greifen muesse. Jedes Opfer sei wert, gebracht zu werden, um das Prinzip aus dem Opfer unversehrt hervorgehen zu lassen, und nur moralische Prinzipien gingen aus den kommenden Opfern des Einzelnen und der Staaten unversehrt hervor. Grosse Bedeutung kommt der Ansprache zu, die Praesident Roosevelt am 6. Januar 1941 an den amerikanischen Kongress gehalten hat und in der er die vier Freiheiten

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verkuendete: die Freiheit der Rede und der Meinung, die Freiheit des Gedankens, die Freiheit von Not und die Freiheit von Furcht, ueberall in der Welt. Die gleichen Prinzipien kommen auch in der Rede stark zur Geltung, die der amerikanische Unterstaatssekretaer Sumner Welles am 31. Mai 1943 gehalten hat. - Ueber die

gibt es nur wenige amtliche Aeusserungen. Am 6. November 1941 sagte Stalin in einer Rede, dass Russland nicht die Beschlagnahme oder die Eroberung fremder Laender beabsichtige. Das Ziel der russischen Regierung sei, den slawischen und versklavten Voelkern Europas in ihrem Kampf um die Befreiung von Hitlers Tyrannei zu helfen. In Stalins Tagesbefehl an die Rote Armee zur Maifeier 1942, in dem es heisst: "Wir wollen unser Sowjetland befreien, unsere Brueder, die Ukrainer, die Moldauer, die Weissrussen, die Litauer, die Esten und Karelier" werden von Stalin Gebietsansprueche erhoben. Die baltischen Laender, Bessarabien und Karelien werden von den Russen offenbar als integrierende Bestandteile der Sowjetunion angesehen. Allgemein bekannt ist die Aeusserung Stalins: "Die Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk wird immer bestehen." Das klingt sehr schoen, geht aber ueber Allgemeinheiten nicht hinaus. Entscheidend ist, unter welchen Voraussetzungen und Vorstellungen ein Volk lebt. Klar und unmissverstaendlich, so fuehrte Hans Vogel weiter aus, sind

Der polnische Premierminister Sikorski setzt sich fuer einen "totalitaeren Frieden" und eine zentraleuropaeische Foederation vom Baltikum bis zum Mittelmeer, mit einer Einwohnerzahl von 130 Millionen ein. Dieser Foederation muesse der Zugang zur Ostsee durch Polnisch Pomellen, Danzig und Ostpreussen offenstehen.

Der polnische Minister Marian Seyda[1] erklaerte in einer Rede am 18. Mai 1943, abgedruckt in "Free Europe", Ausgabe vom 4. Juni 1943, dass fuer Polen die Frage der deutschen Gefahr den Vortritt vor allen anderen haben muesse. Polen stehe in dem Rufe, Deutschland zu hassen, und es habe gar keinen Grund, sich deshalb zu entschuldigen. Die militaerische und wirtschaftliche Entwaffnung Deutschlands muesse durch eine lange Besetzung sichergestellt werden, wobei das Gebiet zwischen dem

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Rhein und der Oder dem Regime einer allgemeinen internationalen Besatzung, die Gebietsteile westlich des Rheins und oestlich der Oder dem Regime einer Besatzung der direkt an Deutschland angrenzenden Laender unterstellt werden muesse. Polen wuensche aufrichtig, die enge Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen nach dem Krieg fortzusetzen, Deutschland aber duerfe diese Zusammenarbeit nur nach Ablauf einer langen Periode erlaubt werden und zwar erst dann, wenn die Nachbarn Deutschlands, die bisher in ihrer industriellen Entwicklung behindert waren, die gleiche wirtschaftliche Hoehe erreicht haben wie Deutschland. - Einzelne polnische Politiker gehen in ihren Plaenen noch viel weiter. Sie fordern die Abtretung des deutschen Gebietes bis Stettin und Breslau an Polen und polnische oder alliierte Hoheit fuer die Ostsee und aehnliches mehr.

Hans Vogel befasste sich dann eingehender mit dem bereits [in] Nr. 50 der "Sozialistischen Mitteilungen" behandelten, in der Aprilausgabe des "American Mercury" veroeffentlichten Planes, den der Verfasser als den Plan der amerikanischen Regierung bezeichnet und der die Auffassungen der verschiedenen amerikanischen Staatsdepartements wiedergeben soll. Der Verfasser setzt allerdings hinzu, dass die Durchfuehrung dieses Planes davon abhaenge, dass sich die USA, England und Russland ueber ihn verstaendigen. Besonders hervorzuheben sind aus diesem Plan die Forderung nach einer wirksamen Dezentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschland - der Verfasser spricht ausdruecklich von einer Zerstuecklung Deutschlands - und die Forderung nach einer zeitweisen Beschraenkung des deutschen Wirtschaftslebens auf die Produktion des fuer die Selbsterhaltung des Landes Notwendigen. Sobald Deutschland militaerisch besetzt ist, soll die Verwaltung Deutschlands von der durch den Kommandeur des allgemeinen Besatzungsheeres eingesetzten Militaerregierung uebernommen werden. Rede- und Pressefreiheit sollen stufenweise wieder hergestellt, in der Besatzungszeit aber einer strengen Kontrolle unterworfen werden. Die Entlassung der deutschen Streitkraefte soll so rasch [wie] moeglich erfolgen, doch koennten nicht alle Mannschaften gleichzeitig aus dem Dienst entlassen werden. Die nicht zur Entlassung kommenden Soldaten koennten voruebergehend

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in Arbeitsbataillonen zusammengefasst werden und fuer den Wiederaufbau zerstoerter Gebiete, sowohl in Deutschland als auch in den anderen europaeischen Laendern, Verwendung finden. Als Begruendung fuer diesen Vorschlag wird gesagt, dass erfahrungsgemaess zur Entlassung kommende Soldaten als reif fuer Revolutionen anzusehen seien. Darum sollten sich auch die Hilfsmassnahmen der Alliierten Deutschland gegenueber auf die Hilfe beschraenken, die zur Vermeidung von Chaos und Revolution erforderlich sei. Der Plan sieht sodann eine Art internationaler Erziehungskommission fuer Deutschland vor, der auch verantwortliche deutsche Mitglieder anhoeren sollen. In weitgehender Uebereinstimmung mit diesem Plan befindet sich das kuerzlich veroeffentlichte Programm der 36 englischen Parlamentarier. (Siehe "SURVEY" in Nr. 50 der "SM".)

Angesichts derartiger Vorstellungen muss man sich nur immer wieder fragen - und die englisch-amerikanische Presse und Oeffentlichkeit stellen diese Frage immer und immer wieder -, wie viele Einzelheiten dieser Plaene und Vorschlaege mit den Grundsaetzen der Atlantic-Charter in Uebereinstimmung gebracht werden sollen. Das trifft z. B. zu fuer die Frage der Abtrennung Ostpreussens vom Reich, der Abtrennung des Rheinlandes von Preussen oder der Eingliederung der Freien Stadt Danzig in das polnische Staatsgebiet. Keiner der Plaene aeussert sich darueber, ob der Wechsel auf dem freien Willen der betreffenden Volksgruppen beruhen soll, gemaess den Grundsaetzen der Atlantic Charter, oder ob er von aussen her einfach dekretiert werden soll. Diese Frage ist aber von entscheidender Bedeutung fuer die Gestaltung des Friedens und fuer die Erreichung eines Maximums seiner Stabilitaet und Dauerhaftigkeit. Nichts schweisst die Einheit eines Volkes unfehlbarer und unvermeidlicher zusammen [als] die Bedrohung seiner Einheit von aussen. Und welche grossen Lasten wuerde die Verwirklichung derartiger Vorschlaege fuer einen "totalen Frieden" auch den Voelkern der Alliierten fuer lange Zeit auferlegen.

Welchen Sinn hat die geforderte Zerschlagung Deutschlands als eine Massnahme der Friedenssicherung, so fragte Hans Vogel, wenn schon die voellige Entwaffnung, die Abschaffung jedweden Militaers, das Verbot der Fabrikation von Kriegsgeraet jeder Art, die Erziehung der deut-

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schen Jugend zu demokratischen Ideen sowie die internationale Kontrolle zur Einhaltung dieser Auflagen Deutschland die Moeglichkeit nochmaliger Aggressivitaet nehmen werden? - Eine Deutschland aufgezwungene Zerschlagung seiner Einheit wird von neuem einen Nationalismus ausloesen, der von den reaktionaeren Kraeften ausgenuetzt wuerden, um Deutschland wieder unter die Fuehrung der Imperialisten zu bringen.

Deutschlands ist fuer ein friedliches Deutschland notwendig. Dieser Gedanke ist schon in der Weimarer Republik propagiert worden, wobei die damals bereits vorhanden gewesenen dreizehn Reichswirtschaftsbezirke als Muster fuer die zu schaffenden Reichsprovinzen gedacht waren. Eine solche Gliederung wuerde praktisch das Ende der deutschen Einzelstaaten und damit auch das Ende Preussens als Verwaltungseinheit bedeuten. Jede dieser Reichsprovinzen wuerde die besonderen sozialen, kulturellen und anderen Beduerfnisse ihrer Bevoelkerung durchaus erfuellen koennen. Die jetzt beliebte Identifizierung von Preussen und Nazismus entspricht nicht der historischen Wahrheit. dass die Nazis in Deutschland zur Macht kamen, ist nicht die Alleinschuld der deutschen und preussischen Reaktion, sondern der Reaktion schlechthin, auch ausserhalb Deutschlands. Mit bemerkenswertem Freimut wurde das u.a. auch von der konservativen "Yorkshire Post" in ihrer Ausgabe vom 11. Maerz 1943 anerkannt. Was aber im besonderen die gefaehrliche preussische Reaktion anbelangt, so steht fest, dass Hitler nicht in Preussen, sondern in Bayern ans Ruder kam. Der bayerische Justizminister Guertner[2] begnadigte Hitler, und als die Reichsregierung die Ausweisung des staatenlosen Hitler aus Bayern forderte, wurde sie von der bayerischen Regierung verweigert. Bayerische Behoerden versorgten die vom Reichsanwalt und den preussischen Justiz- und Polizeibehoerden verfolgten nazistischen Fememoerder mit falschen Paessen. Die braunschweigische Regierung beschloss die Einbuergerung Hitlers, und in Thueringen trieb der Pfaelzer Frick sein Unwesen. In einer Reihe von deutschen Laendern kamen die Nazis legal zur Macht, aber in Preussen nicht. Dort wurde die demokratische Regierung erst durch den Staatsstreich der vereinten Reaktionaere beseitigt.[3]

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Hans Vogel behandelte dann kurz die bevoelkerungspolitische Struktur und die nationale Zusammensetzung der Bevoelkerung in der Freien Stadt Danzig, in Ostpreussen und Oberschlesien. In der Provinz Ostpreussen, einschliesslich des im Jahre 1920 vom Reich abgetretenen Memelgebietes und des Polen zugeteilten Kreises Soldau, bezeichneten von den im Jahre 1925 gezaehlten 2.270.283 Einwohnern 20.500, das sind 0,9, also nicht ganz ein Prozent, die polnische Sprache als ihre Muttersprache.

Die Freie Stadt Danzig zaehlte im Jahre 1929 407.517 Einwohner. Bei der Nationalitaetenzaehlung im Jahre 1923 bezeichneten von den damals 366.730 Einwohnern nur 12.027 das Polnische, Kaschubische und Masurische als ihre Muttersprache. Das sind nicht ganz 3,3 Prozent. Der gleiche Prozentsatz an Stimmen fiel den polnischen Listen bei den Wahlen zum Danziger Volkstag im Jahre 1930 zu.

Oberschlesien wurde nach dem letzten Krieg nach vorausgegangener Volksabstimmung auf Grund eines Beschlusses der Interalliierten Botschafterkonferenz geteilt. Vier Fuenftel des oberschlesischen Industriegebietes und etwa 260.000 deutsche Einwohner fielen an Polen und 220.000 polnische Einwohner verblieben in den Deutschland zugesprochenen Gebieten. Bei allen folgenden Wahlen zum Deutschen Reichstag und zum Preussischen Landtag wurden in dem bei Deutschland verbliebenen Teil Oberschlesiens trotz Verhaeltniswahlrecht stets ausschliesslich deutsche Abgeordnete gewaehlt. Im Oberschlesischen Provinziallandtag erlangten die polnischen Parteien in einem Hoechstfall drei von insgesamt 55 Mandaten.

Alle diese Gebiete sollen nunmehr nach Plaenen bestimmter Kreise von Deutschland abgetrennt und zu Polen geschlagen werden. Die in diesen Gebieten wohnende deutsche Bevoelkerung, einschliesslich der in Polen lebenden drei bis vier Millionen Volksdeutschen sollen in das uebrige Reich transferiert werden. In ein Deutschland, das nach den gleichen Plaenen weitgehend entindustrialisiert werden soll. Millionen Menschen sollen zu einer Zeit von Haus und Betrieb gerissen werden, in der alle Anstrengungen zur Wiederingangsetzung der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion zur Versorgung des ausgehungerten und ausgebluteten Europa gemacht werden muessen. In einer Zeit, in der das ohnehin stark zerruettete

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europaeische Transportwesen die denkbar groesste Belastung zu bestehen haben wird. Viele Hunderttausende Kriegsgefangene muessen zuruecktransportiert werden. Millionen Menschen, die von Hitler verschleppt wurden - man braucht nur an die sechs oder sieben Millionen auslaendischer Arbeiter in Deutschland zu denken - oder die vor der Gestapo und den deutschen Armeen geflohen sind, werden zurueckkehren wollen, ohne zu wissen, in welchen weniger besiedelten Gebieten sie sich niederlassen koennen.

Manchen Menschen scheint es immer noch nicht bewusst zu sein, dass Europa eine wirtschaftliche Einheit darstellt. Soll nach diesem Kriege wieder die national abgeschlossene, eifersuechtige Wirtschaftspolitik massgebend sein, die unausweichlich zum Wirtschaftskrieg und schliesslich wieder zu militaerischen Auseinandersetzungen fuehren muss, die erneut die ganze Welt in ihren Zerstoerungskreis einbeziehen werden?

Es ist gewiss verstaendlich, dass durch die Eroberungspolitik des Hitlerregimes und durch die an den unterdrueckten Voelkern veruebten unmenschlichen Grausamkeiten in vielen Laendern der Boden fuer einen Nationalismus bereitet wird, der sich unmittelbar nach der Niederlage Hitlers in einem "furor antiteutonicus" entladen duerfte. Alle aufrichtigen Freunde eines wirklichen, dauerhaften Friedens duerfen jedoch die durch bittere Erfahrungen in der Vergangenheit gewonnene Erkenntnis nicht vergessen, dass das wirtschaftliche Gedeihen jedes einzelnen Landes an das wirtschaftliche Gedeihen aller anderen Laender gebunden ist. Der wirtschaftliche Wohlstand jedes einzelnen Landes steigt mit der wirtschaftlichen Entwicklung der anderen Laender, und die heute gegebene Weltverbundenheit der Wirtschaft umfasst alle Laender und kommt jedem einzelnen Lande zugute. Ein Europa, das weiterhin zersplittert bleibt in einige Dutzend politisch und wirtschaftlich abgeschlossene Einzelstaaten, wird auch in Zukunft der eigentliche Gefahrenherd der Welt bleiben. Dieser Entwicklung muss durch die Schaffung von Grossraumwirtschaften unter der Kontrolle uebernationaler Instanzen begegnet werden. Es muss moeglich sein, eine demokratische europaeische Foederation zu bilden, die den vielen gemeinsamen Interessen der europaeischen Voelker dient.

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Bei einer solchen Loesung wird es sich sehr rasch ergeben, dass Deutschland von derartigen europaeischen oder internationalen Einrichtungen, wenn sie wirklich funktionieren sollen, nicht ausgeschaltet werden kann. Zum mindesten aber muesste es die Sorge der Sozialisten aller Laender sein zu verhindern, dass sich wieder eine ueberdimensionierte Schwerindustrie, ganz gleich, von wem sie beherrscht wird, als eine treibende Kraft einer Kriegspartei entwickeln kann. Sollte dieser Gefahr z.B. nicht durch eine ueberstaatliche Organisation der an verschiedenen europaeischen Laendergrenzen liegenden Kohlen- und Erzgebiete vorgebeugt werden koennen?

Auf keinen Fall aber darf man sich dem Irrglauben hingeben, dass mit der Rueckbildung Deutschlands zu einem Agrarstaat und mit der Herabdrueckung des Lebensstandards fuer ein Siebzig Millionen-Volk auf das Niveau der wirtschaftlich zurueckgebliebenen Voelker der Frieden und die Sicherheit Europas auf die Dauer garantiert werden koennen.

Hans Vogel versicherte, dass er volles Verstaendnis fuer die aussergewoehnlich schwierige Situation Polens habe und dass er sich keinen Augenblick darueber im Zweifel sei, dass das deutsch-polnische Verhaeltnis eine der wichtigsten Fragen der europaeischen Neuordnung ist. Die deutschen Sozialdemokraten sind bereit, alles zu tun, was in ihren Kraeften steht, um das am polnischen Volk begangene Unrecht wieder gut zu machen und sich fuer eine deutsch-polnische Freundschaft einzusetzen. Halten es die Polen und im besonderen die polnischen Sozialisten denn fuer voellig ausgeschlossen, dass auch sie und ihr Land einmal sehr stark an dem Bestehen eines wirklichen Freundschaftsverhaeltnisses zwischen Polen und Deutschland interessiert sein koennten ?

Die deutschen Sozialdemokraten haben immer, schon im kaiserlichen Deutschland, gegen alle polenfeindlichen Massnahmen angekaempft und sie sind noch heute stolz auf diese Haltung.

Den im "American Mercury" veroeffentlichten Plan beurteilt Hans Vogel zusammenfassend dahin, dass er den Verdacht aufkommen lasse, dass er mehr unter dem Gesichtspunkt entworfen werde, wie man eine deutsche Revolution

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verhindern kann, statt dem obersten Ziel aller wirklichen Freunde eines dauernden Friedens zu dienen, den deutschen Imperialismus, dessen brutalster Ausdruck der Nationalsozialismus ist, mit der Wurzel auszurotten.

Erfreulicherweise machen sich gegen diesen Plan starke Widerstaende in den offiziellen Kreisen der USA selbst bemerkbar. Das zeigt u.a. die Rede des amerikanischen Vizepraesidenten Wallace, die er am 6. Juni 1943 gehalten hat, und in der er sich dagegen wandte, amerikanische Schullehrer in die deutschen Schulen zu schicken. Die Aufgabe der Amerikaner muesse es vielmehr sein, den liberalen Elementen in Deutschland die Moeglichkeit zu geben, die Nazi-Schulbuecher und die Nazimethoden auszurotten.

Wenn man den verschiedenen "Plaenemachern" noch so sehr den guten Glauben und die guten Absichten zuerkennen will, so scheinen sie doch eine Reihe wichtiger Faktoren ausser Acht zu lassen. So z. B. wird die vorgeschlagene Zivilverwaltung Deutschlands durch die Besatzungsmaechte nur moeglich sein, wenn sie sich auf die Mitarbeit eines grossen Teils des deutschen Volkes selbst stuetzen kann. Die Bajonette der Sieger allein reichen auf die Dauer nicht aus.

sollte es sein, eine dominierende Mehrheit im deutschen Volk schaffen zu helfen, die ein eigenes vitales Interesse daran hat, den deutschen Militarismus zu liquidieren und mit der Entwicklung der Verhaeltnisse in den anderen Teilen der Welt auch in Deutschland ein System wirklicher Demokratie und friedlicher europaeischer und internationaler Zusammenarbeit herauszubilden.

Eine der staerksten Garantien fuer ein solches demokratisches und friedliches Deutschland sind die deutschen Arbeiter und ihre Organisationen. Sie haben 1918 die volle Verantwortung fuer den Aufbau eines neuen, demokratischen Deutschland uebernommen. Ihr Versuch ist schliesslich auch daran gescheitert, dass sie in ihrer schweren Aufgabe auf der Gegenseite nicht das Verstaendnis und die Unterstuetzung in dem notwendigen Ausmass gefunden haben. Wir wissen heute nicht, unter welchen Umstaenden und Bedingungen der Uebergang von der Hitlerdiktatur zu einer neuen demokratischen Ordnung in Deutschland erfolgen wird. Der Glaube aber, dass mit der gewaltsamen Verhinderung einer Revolution auch schon die Ruhe eines Landes und der

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Frieden gesichert werden koennte, hat sich in der Geschichte schon wiederholt als ein gefaehrlicher und folgenschwerer Trugschluss erwiesen.

nach dem Krieg ist noch in vollem Gang, und bisher liegen keine endgueltigen Ergebnisse vor. Es ist auch noch nicht vorauszusehen, welche neuen radikalen politischen und wirtschaftlichen Ideologien sich in den unterdrueckten Voelkern Europas entwickeln werden. Wer weiss heute, ob am Ende der Hitlerherrschaft ueber Europa nicht an vielen Stellen gewaltsame Entladungen erfolgen, die in den Jahren der Fremdherrschaft und der Not mit allen Voelkern Europas nach ihrer Befreiung vom Hitlerjoch die verschiedenen Exilregierungen oder auch die Leitungen der Untergrundbewegungen als ihre wirklichen Fuehrer anerkennen werden. Es wird einer weisen Politik aller Gutgesinnten in allen Laendern beduerfen, um die ungeheuren Schaeden und schweren Wunden dieses Krieges in moeglichst kurzer Zeit zu lindern und zu heilen und ueberall in der Welt die vier Freiheiten zur Wirklichkeit werden zu lassen, die Praesident Roosevelt in seiner Ansprache an den amerikanischen Kongress verkuendet hat.

Immer und in allem bereit zu sein, ist auch fuer die deutsche politische Emigration das unabwendbare Gebot der Stunde.

(Eine Ausgabe des Textes dieser Rede in englischer Sprache wird vorbereitet und kann von unseren Freunden und Genossen gegen Erstattung eines Unkostenbeitrages in den naechsten Tagen angefordert werden.)

"Need Germany survive?" (Soll Deutschland leben bleiben), das kuerzlich im Verlag Gollancz erschien[4], ist ein notwendiges, zeitgemaesses und wertvolles Buch. Notwendig weil eine mit skrupellosen Geschichtsklitterungen arbeitende Propaganda die Koepfe derer in England und [den] USA, die von kontinentaler Geschichte wenig wissen, zu verwirren und zu falschen Einschaetzungen der Ursachen und der Bedeutung der europaeischen Krise zu verfuehren sucht; zeitgemaess, weil diese Propaganda, unter Ausnuetzung der Kriegs-Leidenschaften, einen bedenklichen Um-

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fang angenommen hat; und wertvoll, weil Braunthals Buch mit grosser Gruendlichkeit nicht nur geschichtliche Tatsachen richtigstellt und damit zur Erklaerung heutigen Geschehens beitraegt, sondern auch Grundsaetzliches ueber die Zukunft sagt.

Braunthal prueft die von verschiedensten Autoren vorgebrachten "Beweise" fuer die These, dass die gesamte deutsche Ueberlieferung eine einzige Vorbereitung auf Hitler war; er zeigt seinen Lesern durch Zitate und Darstellungen ihrer Werke, wie absurd es ist, Herder, Fichte oder Lassalle als Vaeter des Nazismus hinstellen zu wollen. Er gibt seinen Lesern einen Einblick in die humanistische und freiheitliche Ueberlieferung des wahren deutschen Geistes, um dann das Problem zu untersuchen, warum Deutschland in den letzten Jahrzehnten zum haeufigen Ausgangspunkt verheerender Kriege wurde, wobei der uebrigens die statistische Tatsache erwaehnt, dass andere europaeische Grossmaechte in den letzten hundert Jahren mehr Kriege als Deutschland gefuehrt haben.

Braunthal begruendet erneut die Erkenntnis, dass jene "Rassentheorie", die mit blutruenstigem deutschem Volkscharakter das Phaenomen der letzten beiden Weltkriege erklaeren will, an dem wahren Problem absichtlich oder unabsichtlich vorbeigeht. Er zeigt den deutschen Imperialismus als Teil des europaeischen, wenn auch mit besonderen, durch sein verspaetetes Wachwerden bedingten Zuegen. Und er zeigt diesen Imperialismus in seinem staendigen Kampfe gegen das "andere Deutschland", dessen Vorkaempfer seit Bismarcks Zeit die deutsche Arbeiterbewegung war.

Der Weg in den Weltkrieg von 1914 ist durch die Entwicklung des deutschen - und habsburgischen - Imperialismus und ihrer Furcht vor der immer staerker werdenden Opposition im eigenen Lande bestimmt worden. Warum dennoch die deutschen Sozialdemokraten im Reichstag im Aug[ust] 1914 fuer die Kriegskredite stimmten, ist eine Frage, der Br[aunthal], der oesterreichische Sozialist, viel Raum widmet, und seine Bemerkungen zu dieser Frage gehoeren zu dem interessantesten Teil des Buches.

Br[aunthal] verurteilt den Schritt der SPD im Reichstag als verhaengnisvollen Fehler; er uebt leidenschaftliche Kritik, aber er weist gerechterweise auf die Umstaende hin, unter denen er erfolgte (und die von parteilichen Kritikern geflissentlich verschwiegen werden). Er erinnert daran, dass die diplomatischen Schachzuege, die zum Kriegsaus-

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bruch fuehrten, erst nach dem Krieg bekannt wurden, sodass die sozialdemokratischen Reichstagsmitglieder im guten Glauben handelten, ihr Land sei von Angriff bedroht. Und es war nicht der Angriff der westlichen Demokratien, den sie fuerchteten, - es war der russische Zarismus, der den Sozialisten Europas seit altersher als der Todfeind der Freiheit und des Fortschritts galt. Hinzu kommt, dass die Sozialistische Internationale im entscheidenden Augenblick keine einigende Politik fand; der Kriegstaumel, der in allen betroffenen Laendern, nicht nur in Deutschland, ausbrach, riss sie auseinander; es war, wie Br[aunthal] vermerkt, der Belgier Huysmans, der den deutschen Sozialdemokraten davon abriet, gegen die Kriegskredite zu stimmen[5]. Br[aunthal] berichtet weiter ueber den Kampf der SPD gegen Annexionspolitik und [die] "Vaterlandspartei", ueber die Entstehung der "Unabhaengigen", die Streiks der Arbeiter und die Meutereien der Matrosen. Er weist auf die Tatsache hin, dass die deutsche Revolution von 1918 (genau wie die oesterreichische) weit ueber die Forderung der Entente hinausging und keine von aussen diktierte Bewegung war.

Die Nachkriegsentwicklung, die in unserer Erinnerung noch deutlich ist, wird von Br[aunthal] der englischen Leserschaft vor Augen gefuehrt, die Fehler und Folgen von Versailles (die schon 1919 von mutigen Maennern wie General Smuts[6] der Welt verkuendet wurden), die Nicht-Anerkennung der deutschen Arbeiter- und Soldaten-Raete durch die Entente, die kommunistische Spaltung, die Nichtbeachtung der Selbstbestimmungswuensche der Deutschen Oesterreichs, die Ruhrbesetzung und ihre Folgen, die Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit, die Hitler nach zehn Jahren vergeblicher Propaganda endlich den Naehrboden zum Erfolg gaben, ohne dass es ihm - selbst nach dem Reichstagsbrand - gelang, die Mehrheit der Waehler zu gewinnen.

Auf Grund dieser Tatsachen-Darstellung wendet sich Br[aunthal] gegen die einseitige Verurteilung des deutschen Volkes; er weist auf die Beispiele Italiens und Ungarns hin, wo der Faschismus trotz Opposition zur Macht gelangte; er weist auf das Beispiel Oesterreichs hin, wo das rote Wien den Kanonen von Dollfuss[7] erlag; er weist weiter auf die Helfer Hitlers von ausserhalb Deutschlands und auf die Fehler der internationalen Politik hin, die es Hitler ermoeglichten, seine Macht zu festigen und die Welt-Eroberung vorzubereiten.

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Die Schuld und Mitschuld an Hitler und dem Ausbruch dieses Weltkrieges sind viel zu allgemein, um auf eine Nation geschoben werden zu koennen.

Und die Ursachen der heutigen Weltkrise sind, wie Br[aunthal] zeigt, nicht im Charakter eines Volkes zu suchen, sondern in den wirtschaftlichen Umwaelzungen und den damit verbundenen sozialen und geistigen Erschuetterungen der letzten Jahrzehnte.

Br[aunthal] zeichnet in grossen Linien den Umwaelzungsprozess dieser Zeit, der schon vor dem letzten Weltkrieg eingesetzt hatte, aber durch ihn beschleunigt und verschaerft wurde: die ungeheure Erweiterung und Steigerung der industriellen und agrarischen Produktion, mit der Verteilung und Konsum nicht Schritt hielten; die rapide Entwicklung des Verkehrs, die alle Entfernungen verringerte, waehrend gleichzeitig der Nationalsozialismus kleiner und grosser Voelker zur politischen und wirtschaftlichen Abschliessung ihrer Gebiete fuehrte; die Erschuetterungen, die von der russischen Revolution ausgingen und konter-revolutionaere Gegenstoesse hervorriefen; der grosse Umwaelzungsprozess in Asien, dessen Folgen heute noch nicht abzusehen sind.

Die Ueberwindung dieser Krise erfordert andere Heilmittel als die Aechtung eines Volkes oder die Zerreissung eines Landes. Sie erfordert internationale Planung und Zusammenarbeit, soziale Neugestaltung, Beseitigung nationalstaatlicher Schranken; sie erfordert vor allem eine starke und einige Arbeiterbewegung, die allein imstande sein wird, einen Rueckfall in reaktionaere Prozesse zu verhindern, der eine neue Kriegsgefahr heraufbeschwoeren wuerde.

Es ist unmoeglich, in wenigen Zeilen das grosszuegige Zukunftsbild zu schildern, das Br[aunthal] entwirft. Der Hinweis moege genuegen, dass internationale Planwirtschaft und eine Foederation aller europaeischen Nationen die beiden Hauptforderungen sind, die er erhebt, und dass er auf die Gefahren hinweist, die ein "Friede" in sich bergen wuerde, der diese Forderungen nicht beachtet; und ebenso auf die Gefahren, die durch gewaltsame Abtrennung deutscher Gebiete, Verewigung nationalen Hasses und Spaltung der internationalen Arbeiter-Solidaritaet jedem Frieden drohen.

(Das Buch wird an Mitglieder des Left Book Club zum Vorzugspreis von sh 2/6 (statt 7/6) abgegeben. Anmeldungen an: Victor Gollancz Ltd., 14 Henrietta St., London, W.C.2.)

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Vom 14. bis 18. Juni fand in London die 42. Jahreskonferenz der britischen Labour Party statt. Mehr als 900 Delegierte repraesentierten die rund 2,5 Millionen Mitglieder der groessten sozialistischen Arbeiterpartei der Welt.

Es war die vierte Kriegskonferenz der Labour Party. Sie fand statt zu einem Zeitpunkt, in dem die militaerische Initiative in die Haende der Alliierten uebergegangen ist und die Aussichten auf eine baldige militaerische Ueberwindung der Achse groesser ist als je zuvor. Die Labour Party ist seit drei Jahren Mitglied der Regierungskoalition. In Englands schwerster Stunde folgte sie dem Ruf Churchills, und seit dieser Zeit verfolgt sie zaeh und konsequent das Ziel, mit dem Einsatz der ganzen Kraft der britischen Arbeiterschaft den Sieg der Vereinten Nationen ueber die Achsenmaechte zu beschleunigen und zu sichern. Die diesjaehrige Konferenz hat durch ihre Entscheidungen bewiesen, dass diese Politik der Labour Party die volle Unterstuetzung der Mitgliedschaft hat.

stand zur Diskussion, als die Konferenz ueber einen Antrag, das sogenannte Burgfriedensabkommen, das die Labour Party zu Beginn des Krieges mit den Konservativen und Liberalen geschlossen hat und das Wahlkaempfe waehrend des Krieges ausschliesst, zu kuendigen. Die Annahme dieses Antrages haette das Ende der gegenwaertigen Koalitionsregierung bedeutet. Die Konferenz lehnte mit 2.243.000 Stimmen gegen nur 374.000 Stimmen diesen Antrag ab. Auf der anderen Seite machte die diesjaehrige Konferenz sowohl durch die Haltung der Delegierten als auch durch die Haltung der Exekutive eindeutig klar, dass der gegenwaertige politische Waffenstillstand im Interesse des Kriegseinsatzes keine Bindung der Partei ueber die Dauer des Krieges hinaus bedeutet. Attlee erklaerte, dass die Parteifuehrung keine derartige Bindung eingegangen ist und dass sie, sobald die aeusseren Voraussetzungen fuer allgemeine Wahlen gegeben sind, die Nationalkonferenz zur Entscheidung ueber die Fuehrung des Wahlkampfes einberufen werde. Er erklaerte, dass die Labour Party zu gegebener Zeit mit ihrem eigenen, vollen sozialistischen Programm vor das Volk treten wird.

Diese Erklaerung steht in voller Uebereinstimmung mit

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dem leidenschaftlichen Verlangen der Mitgliedschaft, nach dem gewonnenen militaerischen Sieg auch den Frieden durch eine eindeutige sozial fortschrittliche Politik zu gewinnen. In einer Fuelle von Vorschlaegen und Anregungen in ernsten, sachlichen Debatten bemuehte sich die Konferenz, das

zu formen, diesem Land unter der Fuehrung der Labour Party ein neues soziales Gesicht zu geben und den Massen des arbeitenden Volkes, die heute unter so grossen Opfern in den Fabriken und Kontoren, auf dem Land und unter der Erde den Krieg entscheidend mit gewinnen helfen, ein Leben frei von Not und frei von Furcht zu sichern.

Die Diskussionen ueber den Beveridge-Report[8], ueber den Wohnungsbau, ueber Siedlungswesen, ueber den Ausbau des Gesundheitswesens und vor allem ueber die Reform der Kommunalverwaltung und ueber das neue Erziehungsprogramm der LP, alle diese Diskussionen waren getragen von dem entschlossenen Willen, an Hand von konkreten Vorschlaegen die Ansprueche des arbeitenden Volkes fuer ein sozialeres und gerechteres England der Zukunft anzumelden und durchzusetzen.

Die britische Arbeiterbewegung ist sich dabei durchaus der Tatsache bewusst, dass dieses Programm nur durchgefuehrt werden kann im Kampf gegen die Kraefte, die ihre Besitzinteressen auch nach diesem Krieg hartnaeckig verteidigen werden. In der Gewissheit ihres Sieges stuetzt sich die Labour Party auf die Ueberzeugung, dass das Labour-Programm fuer ein neues England so sehr im wohlverstandenen Interesse der Gesamtnation liegt, dass es gelingen wird, fuer ein solches Programm die Mehrheit der Nation zu gewinnen.

Die britische Arbeiterbewegung will auf dem Boden der Demokratie zum Sozialismus gelangen. Die Staerke dieser Grundeinstellung zeigte sich vor allem in der Diskussion ueber den Antrag der Kommunistischen Partei Englands auf Aufnahme in die Labour Party. Die Aufloesung der Komintern hatte die Verhandlungen ueber diesen Punkt von der Diskussion ueber die organisatorischen Prinzipien der beiden Parteien befreit und die grundsaetzlichen Unterschiede in den Vordergrund gerueckt.

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bildete den Hoehepunkt dieser Debatte und der ganzen Konferenz. Er begruendete den ablehnenden Standpunkt der Exekutive und benuetzte diese Gelegenheit, um mit allem Nachdruck und unter starkem Beifall der Konferenz zu unterstreichen, dass die Ablehnung des kommunistischen Antrags nichts zu tun hat mit der aufrichtigen Bewunderung der militaerischen Leistungen der Sowjetunion in diesem Krieg und mit dem aufrichtigen Wunsch der Labour Party, dass die Zusammenarbeit Grossbritanniens und der Sowjetunion auch ueber den Krieg hinaus sich immer enger gestalten moege. Die Konferenz lehnte den kommunistischen Antrag mit 1.951.000 gegen 712.000 Stimmen ab.

nahmen selbstverstaendlich einen grossen Raum in den Beratungen der Konferenz ein. Schon am ersten Tag der Verhandlungen, als die Konferenz nach Reden von Attlee und Morrison eine programmatische Erklaerung der Exekutive: "Die Labour Party und die Zukunft" annahm, wurden in grossen Zuegen die Linie der internationalen Politik der Partei festgelegt. Sie sieht die Abruestung der Achsenmaechte und die Schaffung einer Welt-Institution vor, die sowohl mit Hilfe einer bewaffneten Macht den Frieden aufrechterhalten, als auch alle grossen internationalen Probleme beraten und entscheiden soll. Sie fordert internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Ziel der Sicherung eines wachsenden Wohlstands der Voelker. Die Zusammenarbeit der vier Grossmaechte auch nach dem Krieg wird als eine wesentliche Voraussetzung fuer die Erhaltung und den Ausbau eines dauernden Friedens angesehen. Alle Staaten muessen bereit sein, Teile ihrer nationalen Souveraenitaet aufzugeben, und die britische Regierung wird aufgefordert, allen Widerstaenden der Besitzenden gegen eine internationale Zusammenarbeit entgegenzutreten.

war ein anderer Gegenstand der internationalen Politik in der Diskussion ueber eine Resolution der Exekutive. Die Resolution unterstreicht die Notwendigkeit einer schnellen durchgreifenden Hilfe fuer die vom Hitlerterror befreiten europaeischen Laender, die in erster Linie versorgt werden muessen, da nach der Auffassung der Exe-

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kutive die unmittelbare Not in Deutschland selbst nicht so gross [wie] in den von Hitler eroberten Laendern sein wird. Der Antrag wurde angenommen, nachdem Hugh Dalton die Diskussion mit einer bemerkenswerten Rede ueber die Bedeutung der Beschluesse der internationalen Ernaehrungskonferenz in [den] USA abgeschlossen hatte. - Die Frage der

war Gegenstand mehrerer Antraege und Diskussionsreden. Fuer die Exekutive vertrat George Dallas den Standpunkt, dass zur Zeit die Wiedererrichtung der SAI nicht moeglich sei, da aus den einzelnen zur Zeit von Hitler beherrschten Laendern zwar einzelne Repraesentanten der Arbeiterparteien dieser Laender in London seien, dass aber eine sozialistische Internationale nur wirksam arbeiten koenne, die sich auf Organisationen stuetzen kann, die in ihren Laendern frei politisch wirken koennen. Dallas erklaerte, dass die Exekutive mit allen in London anwesenden auslaendischen Sozialisten enge Fuehlung halte und dass die Exekutive die Initiative zur Errichtung einer neuen staerkeren Internationale ergreifen werde, sobald die von ihr genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Konferenz schloss sich in ihrer grossen Mehrheit der Auffassung der Exekutive an, indem sie fuer eine allgemeine Entschliessung ueber die Notwendigkeit der internationalen Einheit stimmte und weitergehende Antraege ablehnte. - Ein Antrag, der im Hinblick auf

Zusicherungen verlangte, dass die Labour Party und die britische Regierung sich jedem Versuch widersetzen, die Besetzung befreiter Gebiete durch alliierte Truppen zu benutzen, um die demokratische Entscheidung der befreiten Voelker im reaktionaeren Sinne zu beeinflussen oder zu hindern, wurde angenommen.

Die Konferenz beschloss einstimmig ihre Zustimmung zu der Entschliessung der Exekutive gegen den barbarischen Vernichtungsfeldzug der Hitlerdiktatur gegen die europaeischen Juden, nachdem James Walker im Namen der Exekutive in einer leidenschaftlichen Rede die Kundgebung der Exekutive begruendet hatte.

Im Zusammenhang mit einigen Antraegen ueber die Behandlung der feindlichen Voelker nach dem Krieg kam es zu einer lebhaften Debatte und zu einer vielbeachteten Abstim-

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mung ueber eine Entschliessung der englischen Eisen- und Stahlarbeiter-Gewerkschaft, ueber die wir an anderer Stelle berichten.

Schon diese knappe, stichwortartige Uebersicht zeigt die grosse Arbeitsleistung der Konferenz. Die Tatsache, dass die britische Arbeiterpartei die grossen Probleme sozialistischer Gestaltung in England und in Europa mitten im Krieg zu loesen versucht, ist eine grosse Hoffnung fuer das arbeitende Volk Englands und fuer die Millionen arbeitender Menschen in Europa, die heute unter dem Joch der Hitlerdiktatur leiden, die aber morgen wieder in den Reihen der freien internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung arbeiten und kaempfen werden.

Auf der Jahreskonferenz der Labour Party ist nach einer lebhaften Debatte eine Entschliessung angenommen worden, die feststellt, dass die Deutschen, die in Opposition gegen die Hitlerregierung stehen, eine sehr kleine Minderheit darstellen. Die Entschliessung ist der Auffassung, dass die Hitlerregierung nicht in der Macht bleiben und den totalen Krieg haette fuehren koennen, wenn sie nicht die Unterstuetzung der ueberwaeltigenden Mehrheit des deutschen Volkes haette. Die Entschliessung erklaert, dass ein dauernder Friede unmoeglich ist, solange Deutschland nicht vollstaendig entwaffnet und der Geist des aggressiven Nationalismus voellig ausgerottet ist. Sie begruesst daher jeden Schritt, der nuetzlich sein kann fuer die "re-education" des deutschen Volkes, damit es seine Rolle in der Schaffung einer demokratischen, friedlichen und sicheren Welt spielen kann. Die Entschliessung bedauert die Versuche, die in ihr vertretene Auffassung als eine Politik des Rassenhasses und der Vernichtung des deutschen Volkes zu definieren.

Die Annahme dieser Entschliessung war das Ende einer bewegten Debatte, in der die Sprecher der Minderheit fuer die Annahme einer Entschliessung plaedierten, die sich gegen die Identifizierung des ganzen deutschen Volkes mit dem Hitlerregime und seiner Politik aussprach und eine Politik der Ermutigung der oppositionellen Elemente in Deutschland befuerwortete. - Die erste Entschliessung wurde mit 1.803.000 Stimmen gegen 720.000 Stimmen angenommen.

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Fuer die Entschliessung wurden u.a. die Block-Stimmen dreier grosser Gewerkschaften abgegeben, waehrend nach der Auffassung des "Daily Herald" die grosse Mehrheit der Stimmen der lokalen Labour Party-Gruppen zu der Minderheit zaehlte.

Die Erregung, die das Resultat der Abstimmung in der Konferenz und darueber hinaus ausgeloest hat, hat ihre Ursache vor allem in den Begleitumstaenden dieser Diskussion auf der Konferenz und vor der Konferenz.

Massgebende Fuehrer einzelner Gewerkschaften, von denen auch einige Mitglieder der Exekutive der Labour Party sind, haben sich in der letzten Zeit in hohem Mass mit der Gruppe "Fight for Freedom" identifiziert, die im wesentlichen eine deutsche Ausgabe des "Vansittartismus" ist und sich besonders durch gehaessige Bekaempfung der deutschen Arbeiterbewegung auszeichnet. Gegen diese Liierung von britischer Arbeiterbewegung und "Vansittartismus" lag der Jahreskonferenz eine Anzahl von Antraegen vor, denen die von der Konferenz angenommene Entschl[iessung] als "amendment" der Eisen- und Stahlarbeiter-Gewerkschaft entgegengestellt worden war. Obwohl der Wortlaut des "amendment" jede Bezugnahme auf diese Zusammenhaenge vermeidet, wurde die Entscheidung ueber das "amendment" als eine Stellungnahme zu der Verbindung mit der Gruppe deutscher "Vansittartisten" und das Resultat der Abstimmung als eine Billigung dieser Beziehungen empfunden.

Diese Situation wurde noch dadurch kompliziert, dass die Exekutive sich auf den Standpunkt stellte, dass weder die eine noch die andere Entschliessung ihren Auffassungen entspreche und dass sie in [!] diesem Zeitpunkt eine Entscheidung ueber diese Frage nicht fuer zweckmaessig halte. An der Debatte nahm denn auch kein Vertreter der Exekutive teil. - All diese Umstaende muss man in Betracht ziehen, um die politische Bedeutung der Entschliessung im richtigen Licht zu sehen. Sie ist keine so weitgehende politisch-prinzipielle Entscheidung ueber die Politik der Labour Party gegenueber dem deutschen Volk, als dass man sie einen Sieg des "Vansittartismus" feiern oder beklagen sollte.

Wir haben aber sachliche Einwaende gegen den Inhalt der Entschliessung, so wie sie vorliegt und soweit sie ueber die Forderung nach der vollstaendigen Abruestung Deutschlands und der Ausrottung des Geistes des aggressiven Nationalismus hinausgeht.

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Die in der Resolution vertretene Auffassung, dass die "ueberwaeltigende Mehrheit des deutschen Volkes" das Regime und die Kriegfuehrung Hitlers unterstuetzt, ist die Anerkennung eines der Hauptargumente der "Vansittartisten". Sie unterstellt als Tatsache, dass die unter dem Stahlmantel der totalen Diktatur erzwungene Friedhofsruhe ein vollgueltiger Beweis fuer die positive Zustimmung der grossen Mehrheit des deutschen Volkes und grosser Teile der deutschen Arbeiterschaft zum Regime und seiner Kriegsfuehrung ist. In Wahrheit ist diese "Feststellung" nicht mehr als eine Behauptung, die hoffentlich die Antragsteller einmal mit gutem Gewissen auch vor ihren Kameraden in einer neuen freien deutschen Arbeiterbewegung vertreten koennen, wenn [sie] diese Geschichte ihres Kampfes und ihrer Leiden in diesen Jahren offenlegen koennen.

Die Entschliessung spricht dann von der "sehr kleinen Minderheit", die in Opposition gegen das Regime steht. Wir streiten in diesem Augenblick nicht ueber den Prozentsatz der aktiven Opposition in Deutschland, weil uns allen die beweiskraeftigen Fakten nicht zugaenglich sind. Aber waere es nicht die Pflicht einer Arbeiterpartei gewesen, in einer solchen Entschliessung gerade diesen Wenigen ein Wort der Anerkennung und der Ermutigung zu sagen? Hier haben die Antragsteller in dem Bestreben, zuviel beweisen zu wollen, die wesentliche Aufgabe einer sozialistisch und international orientierten Arbeiterpartei bei der Formulierung einer solchen Entschliessung versaeumt. Gerade dann, wenn, wie die Antragsteller annehmen, die Position der deutschen Opposition so schwierig ist, war ein solcher ermutigender Appell notwendig. Der am letzten Tag der Konferenz beschlossene Gruss an die Illegalen in den alliierten und feindlichen Laendern kann diesen Mangel der Entschliessung nur teilweise aufheben.

Unser dritter Einwand ist, dass diese Entschliessung sich ohne naehere Erlaeuterung und in diesem Zusammenhang das Schlagwort von der "re-education" zu eigen macht. Ueber die Notwendigkeit einer wirklichen demokratischen Erziehung grosser Teile des deutschen Volkes gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Wahrscheinlich wissen die aufrechten Demokraten und Sozialisten in Deutschland selbst am besten, welches Ausmass von Erziehung notwendig sein wird, um das deutsche Volk von

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der Infizierung durch das Naziregime zu befreien und zu wirklich demokratischem Geist zu erziehen. Sicher sind sie gern bereit, die Hilfe ihrer auslaendischen Freunde dabei anzunehmen. Der beste und wertvollste Beitrag zu dieser paedagogischen Hilfe waere ein warmes kameradschaftliches und ein verstaendiges politisches Wort ueber die Welt von morgen an jene gewesen, auf deren Hilfe jede internationale geistige und ideelle Einwirkung auf das deutsche Volk angewiesen sein wird, wenn sie Erfolg haben soll.

Die Verfasser der Entschliessung moegen auf ihren Konferenz-Erfolg stolz sein, auf dem Gebiet der "re-education" sind sie vom modernen paedagogischen und vom sozialistischen Standpunkt aus bei der ersten Pruefung durchgefallen.

Abschliessend moechten wir sagen, dass weder Geist noch Wortlaut der Entschliessung erkennen lassen, dass hier eine sozialistische Partei ein eigenes Wort zu einer der wichtigsten Fragen der Gegenwart zu sagen beabsichtigte. Die Tatsache, dass die uebrigen Beschluesse der Konferenz ueber die zukuenftige internationale Politik der Arbeiterpartei in einem erfreulichen Gegensatz zu dieser Willenskundgebung stehen, berechtigen uns zu der Hoffnung, dass der Geist dieses Beschlusses in der praktischen Politik der LP keinen Niederschlag findet.

Genosse Phil. Noel-Baker, M.P., sprach am 20. Juni auf einer Versammlung fuer Englisch-Russische Freundschaft in Derby und beschaeftigte sich dabei auch mit der Behandlung des deutschen Volkes nach der Niederlage der Hitlerdiktatur. Er verwies auf die verschiedenen Erklaerungen Stalins, dass Russland die Vernichtung der Hitlerdiktatur, nicht aber die Vernichtung des deutschen Volks anstrebe. Er unterstrich, dass die britische Regierung durch den Lord-Chancellor erklaert hat, dass sie diese Erklaerung Stalins "als einen wertvollen Beitrag zu der interalliierten Verstaendigung" begruesse. "Trotzdem", so fuhr Noel-Baker fort, "gibt es in diesem Land noch Leute, die zu beweisen suchen, dass es niemals wirkliche demokratische Kraefte in Deutschland gab, dass die Mehrheit des deutschen Volkes, sogar die Sozialdemokraten,

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militaristisch ist, und dass die ganze deutsche Nation hinter den Nazis stehe, so dass es keine Hoffnung auf eine deutsche Revolution gebe. - Es waere ein schwerer Irrtum anzunehmen, dass die Labour Party diese Auffassungen unterstuetzt oder dass sie sich alliiert habe mit irgendeiner Gruppe, die ihre Zeit verwendet, um deutsche, oesterreichische oder sudetendeutsche Sozialisten zu attackieren.

Ich glaube auf Grund meiner persoenlichen Erfahrungen, dass es sehr viele Deutsche gibt, die heute machtlos sind, die aber die Revolution und die Demokratie wuenschen ... Die nazistischen und faschistischen Regime muessen zerstoert werden, die Schuldigen in diesen Laendern - auch Mussolini und Matsuoka - muessen ihrer verdienten Strafe zugefuehrt werden. Die Angreiferstaaten muessen voellig entwaffnet werden. Ein System kollektiver Sicherheit muss errichtet werden, stark genug, dass kein zukuenftiger Hitler einen Angriff wagen kann. Dieses System der Sicherheit muss jeden Krieg verhindern, jede Aggression in jedem Lande der Welt. Mit der Hilfe der deutschen Demokraten muessen wir die Kraefte in Deutschland vernichten, die Hitler zur Macht halfen und die Demokratie vernichteten, die Grossindustriellen, Junker und Militaristen.

Auf der anderen Seite muessen wir die Fehler vom letzten Mal vermeiden. Wie es Mr. Eden oft gesagt hat, wir duerfen das deutsche Volk nicht wieder in die langen Jahre eines wirtschaftlichen Chaos treiben, die es in den Jahren von 1919 bis 1933, teils durch eigene, teils durch unsere Schuld, zu erleiden hatte, Wir muessen dem deutschen Volk klar machen, dass die Grundsaetze der Atlantic-Charter auch fuer Deutschland gelten, dass die einzige Hoffnung auf eine glueckliche Zukunft des deutschen Volkes jetzt in dem Sieg der Alliierten ueber die falschen Propheten einer Gewaltpolitik liegt.

Vor allem muessen wir den tragischen Fehler einer Hasspolitik vermeiden. Hitlerismus ist Hasspolitik, die oberste Aufgabe unserer Generation aber ist es, den Hass zu ersetzen durch die Bruederschaft der Menschheit. Niemals war diese Aufgabe schwieriger als sie sein wird, wenn der Krieg vorbei ist, aber niemals war sie auch dringender. Von unserer Macht, sie zu erfuellen, haengt das Glueck unserer Kinder und die Zukunft unserer Zivilisation ab. Ich bin ueberzeugt, dass die Labour Party einen hervorragenden Anteil an der Erfuellung dieser Aufgabe leisten wird."

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Vorstellungen ueber die soziale Demokratie in Deutschland nach dem Sturz der Hitler-Diktatur. Eine soziale Studie von Arno Uhlmann, in der ein nuetzlicher Beitrag zu den in der deutschen und internationalen sozialistischen Emigration gefuehrten Diskussion ueber die zukuenftigen Aufgaben der sozialistischen Arbeiterschaft gegeben wird. Die Arbeit ist in folgende Kapital gegliedert: I. Einleitung, II. Aussenpolitik, III. Innenpolitik (Reichsreform, Gemeindereform, Reform des Buergerrechts, des Verwaltungsrechts, des Koalitionsrechts und des Arbeits- und Sozialrechts), IV. Wirtschaftspolitik und V. die Stellung der Uebergangsregierung. Gegen einen Unkostenbeitrag von sh 1/- kann diese Vervielfaeltigung angefordert werden.

France Resurgent. Unter diesem Titel gibt die "Socialist Vanguard Group" eine 48seitige Schrift heraus, in der u.a. Felix Gouin. André Philip, Louis Lévy, Henry Haugk wichtige Beitraege zur Entwicklung in Frankreich geben. Die aktuelle Schrift kostet nur sh 1/-.

The Case of Henryk Erlich und Victor Alter. Diese 32seitige Schrift gibt Tatsachen und Dokumente ueber das Leben und den tragischen Tod der beiden Fuehrer der juedischen Arbeiterbewegung in Polen, die in der USSR hingerichtet wurden, bekannt. Camille Huysmans fuegte ein Vorwort bei. Die Verbreitung der Broschuere (Preis 2d) erfolgt durch Liberty Publications, 2, Knightsbridge Court, London SW1.




im Juli in London


Sonnabend, d. 3. Juli, abends 7 Uhr, im Austrian Labour Club, 31, Broadhurst Gds, N.W.6.: Vortragsabend. Franz Schleiter spricht ueber "Waehrungsprobleme". Anschliessend ein Kurzbericht ueber die Labour Party Conference von Erich Ollenhauer.

Weitere Veranstaltungen nach der Sommerpause werden rechtzeitig bekannt gegeben. - Die Beitragskarten und -marken an unsere registrierten SPD-Genossen in England werden mit der naechsten Nummer der "SM" verschickt werden.




Issued by the London Representative of the German Social
Democratic Party, 33, Fernside Avenue, London N.W.7.






Editorische Anmerkungen


1 - Marian Seyda (geb. 1879), polnischer Politiker (Nationaldemokratische Partei) und Jurist, ab 1940 Mitglied der polnischen Exilregierung.

2 - Franz Gürtner (1881 - 1941), 1922-1932 bayerischer Justizminister, 1932 bis zu seinem Tod Reichsjustizminister.

3 - Am 20. Juli 1932 wurde die Preußische Regierung durch Reichskanzler Franz von Papen für abgesetzt erklärt.

4 - Julius Braunthal: Need Germany survive? with an Introduction by Harold J. Laski, London 1943.

5 - Bei Braunthal (siehe Anm. 4) heißt die Stelle: "The Belgian representative, Camille Huysmans, then Secretary and now President of the International, was endeavouring to 'persuade Müller that the German Socialists ought not to vote against the war credits, but ought merely to obtain from voting'."

6 - Jan Christian Smuts (1870 - 1950), südafrikanischer Burenpolitiker, 1919-1924 und 1939-1948 Premierminister.

7 - Engelbert Dollfuß (1892 - 1934), 1932 als Vertreter der Christlichsozialen Partei österreichischer Bundeskanzler; schuf nach Ausschaltung des Parlaments ein autoritäres Regierungssystem. Er schlug 1934 den Aufstand österreichischer Sozialdemokraten (vor allem in Wien) blutig nieder. Im gleichen Jahr wurde er von österreichischen Nationalsozialisten ermordet.

8 - Vgl. The Labour Party (Hrsg.): Beveridge-Report. Summary of Principles and Proposals, London 1943.




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