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    V. Änderung der Finanzverfassung

    Seit der Verfassungsklage von Bayern und Baden-Württemberg gegen den geltenden Länderfinanzausgleich hat das Thema der Finanzverfassung in den Medien Konjunktur. Auch die Vorschläge des Sachverständigenrats im Jahresgutachten 1997/98 haben die Diskussion weiter belebt. Erstaunlich ist nur, daß in der Öffentlichkeit fast ausschließlich die (vermeintlichen oder tatsächlichen) Verteilungsungerechtigkeiten zwischen den Bundesländern diskutiert werden. Die stattgefundenen gigantischen Verschiebungen zwischen Bund einerseits und Ländern andererseits finden kaum öffentliche Aufmerksamkeit.

    Es wird aber nicht möglich sein, eine grundlegende Neuordnung des Länderfinanzausgleichs ohne gleichzeitige Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorzunehmen,

    • weil die Bundesergänzungszuweisungen integraler Bestandteil des bundesstaatlichen Finanzausgleichs sind, und

    • weil die von Bayern und Baden-Württemberg angestrebte größere Selbstbehaltsquote bei den Einnahmen Lücken bei den ärmeren Ländern reißt, die nur durch zusätzliche Einnahmen oder zusätzliche Einsparungen geschlossen werden können.

    Für das Erstere brauchen auch die ärmeren Länder größere Freiheitsgrade bei der Festsetzung ihrer Einnahmen, für das Zweite brauchen sie größere Gestaltungsmöglichkeiten bei der Art der staatlichen Aufgabenerfüllung, insbesondere bei der Vergütung des öffentlichen Dienstes und der Durchführung von Leistungsgesetzen.

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    1. Die Mängel des bundesstaatlichen Finanzausgleichs

    In den letzten Jahren hat die Spreizung zwischen den Finanzverhältnissen der ärmeren und reicheren Bundesländer, gemessen an ihrer Verschuldung, ständig zugenommen. Bis Ende der sechziger Jahre hatten die Bundesländer, wie auch der Bund, kaum Schulden in nennenswertem Umfang. Die unterschiedliche Finanzkraft der Länder führte bei unvollkommenen Ausgleichsmechanismen zu einem entsprechend unterschiedlichen Ausgabeverhalten, kaum aber zu unterschiedlicher Verschuldung.

    Dann aber bewirkte die Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs 1969 eine weitgehende Einebnung noch vorhandener Finanzkraftunterschiede zwischen den Bundesländern: Der damals neugeregelte horizontale Finanzausgleich und die ebenfalls gesetzlich geregelten Bundesergänzungszuweisungen stellen seitdem sicher, daß zwischen reichen und armen Ländern nennenswerte Unterschiede in den Steuereinnahmen pro Einwohner nicht mehr bestehen. Auch der Solidarpakt im Jahr 1993, der die neuen Länder in den bundesstaatlichen Finanzausgleich einbezog, änderte daran nichts. Im Gegenteil, die Verteilung der Steuereinnahmen wurde noch stärker von der Verteilung der Wirtschaftskraft abgekoppelt. Die Summe der Ausgleichsmechanismen bewirkt heute sogar, daß Nehmerländer im Finanzausgleich, wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz, inklusive Ausgleichszahlungen höhere Steuereinnahmen pro Kopf erzielen als Geberländer, wie Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern oder Baden-Württemberg.

    Die weitgehende Gleichverteilung der Steuereinnahmen der Länder seit 1970 hat aber keineswegs eine entsprechende Angleichung der Wirtschaftskraft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, bewirkt. Die überkommenen Unterschiede in der Wirtschaftskraft sind vielmehr bei kleineren Verschiebungen und Schwankungen im wesentlichen unverändert geblieben.

    Geändert hat sich etwas anderes. Die Nehmerländer haben seit Anfang der siebziger Jahre trotz vergleichbar hoher Steuereinnahmen durchweg deutlich mehr Schulden gemacht als die Geberländer, und dieser Prozeß setzt sich fort. Einschließlich der Zinsausgaben haben heute die Nehmerländer durchweg deutlich höhere Nettoausgaben pro Einwohner als die Geberländer und Jahr für Jahr eine deutlich höhere Nettoneuverschuldung. Damit sind die Nehmerländer in eine Falle geraten: Ohne Zinsen sind ihre Pro-Kopf-Ausgaben niedriger, mit Zinsen aber höher als die der reichen Länder, und das Bestreben, auf allen Gebieten gleiche Standards wie die reicheren Länder anzubieten, führt dazu, daß die Verschuldung der ärmeren Länder relativ zu den reicheren mehr und mehr ansteigt, das Problem sich also ständig weiter verschärft: Noch 1980 hatte die Gesamtverschuldung der alten Bundesländer (ohne Stadtstaaten) 95 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen betragen, 1995 waren es bereits 160 Prozent. Diese allgemeine Verschlechterung verteilte sich aber sehr ungleichmäßig: Während 1980 die Verschuldung Bayerns um 37 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt lag, waren es 1995 bereits 60 Prozent.

    Der gegenwärtige Finanzausgleich hat grundsätzliche ordnungspolitische Mängel:

    • Wegen der Gleichverteilung der Einnahmen haben weder die reichen noch die armen Länder an einer ergiebigen Nutzung ihrer Steuerquellen ein tatsächliches Interesse. Im Gegenteil, es besteht immer wieder die Versuchung, lasche Verhaltensweisen als ein bequemes Instrument der Wirtschaftsförderung zu Lasten der übrigen Länder und des Bundes anzusehen.

    • Die Konzeption des Finanzausgleichs, über die Gleichverteilung der Einnahmen die Gleichheit der Lebensverhältnisse in Deutschland sicherzustellen, führt auf der Ausgabenseite zum Anspruch der armen Länder, trotz überdurchschnittlicher Verschuldung, auf möglichst allen Gebieten – Polizei, Justiz, Kindergärten, Schulen, Soziales, Wirtschaftsförderung, Städtebau etc. – die Versorgungs- und Leistungsstandards der reichen Länder sicherzustellen.

    • Dies wird unterstützt durch einheitliche bundesstaatliche Leistungsvorgaben vom Bundessozialhilfe- bis zum Unterhaltsvorschußgesetz.

    • Am Ende wird so der Staatscharakter der Bundesländer ausgehöhlt: Gleichgeschaltet bei den Einnahmen, gleichgeschaltet bei den Besoldungsstrukturen und beim größten Teil der Leistungsstandards, hoffen die hochverschuldeten Länder darauf, daß ihnen am Ende ein gnädiger deus ex machina, wahrscheinlich der Bund, aus der Patsche hilft.

    Mit dieser Hoffnung aber wird in der politischen Realität jede ernsthafte und andauernden Sparbemühung ad absurdum getrieben: Der politische Wettbewerb – sowohl in den Ländern zwischen Opposition und Regierung als auch zwischen Ländern – ist fast ausschließlich auf Verbesserung der Leistungsstandards durch weitere Ausgabenerhöhungen ausgerichtet. Nennenswerte Konsolidierungsbemühungen versickern regelmäßig, wenn die nächste Landtagswahl am Horizont erscheint, und dies bleibt in der verqueren Logik unserer bundesstaatlichen Finanzverfassung auch so lange rational, als kein Bundesland befürchten muß, mit seinen selbstverursachten Verschuldungsproblemen auch tatsächlich dauerhaft alleingelassen zu werden. Die Rückkehr zur fiskalischen Rationalität und Eigenverantwortung erfordert bei hochverschuldeten Ländern eine mehr als zehnjährige Phase beträchtlicher Minderausgaben.

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    2. Zentraler Reformgrundsatz: Jede Gebietskörperschaft braucht die ungeteilte Verantwortung für ihre Finanzen

    Der im Maastricht-Vertrag festgelegte und für eine europäische Finanzverfassung mittlerweile weitgehend unstreitige Grundsatz des „no bailing out" – jeder Staat steht in der ungeteilten Verantwortung für die Ergebnisse seiner Haushaltspolitik – sollte auch die Ausgangsbasis für eine grundlegende Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs werden.

    In den Vereinigten Staaten wird uns dies seit 200 Jahren vorgemacht: Die Zentralregierung konzentriert sich auf bestimmte Aufgabenfelder und läßt die Staaten in weitgehend ungeteilter Verantwortung für ihre Leistungsstandards, für die Art der Aufgabenerfüllung und für ihre Staatsfinanzen. Ein allgemeiner Finanzausgleich nach unserem Muster ist dort unbekannt.

    Ergebnis: Die Wähler und die Regierungen sind sich der Risiken einer Verschuldung auf der Ebene der Einzelstaaten in hohem Maße bewußt und verhalten sich entsprechend. Zwischen den Staaten der USA bestehen viel größere Unterschiede im Wohlstand und dem staatlichen Leistungsniveau als zwischen den deutschen Bundesländern. Aber für arme und reiche US-Staaten gilt gleichermaßen: Größere Finanzschulden bleiben die Ausnahme. In der Summe weisen die US-Staaten sogar einen Haushaltsüberschuß auf. Ähnlich deutschen Kommunalhaushalten werden Einnahmeschwankungen in erster Linie durch die Auflösung und Bildung von Rücklagen ausgeglichen. Der Preis dafür sind die wesentlich größeren Unterschiede im staatlichen Leistungsniveau. Diese gehen allerdings mit deutlich größeren Unterschieden in den Lohnkosten und einer auch in den armen Staaten deutlich niedrigeren Arbeitslosigkeit Hand in Hand.

    Für Deutschland bleibt festzuhalten: Nicht die Länder, die abgeben mußten, sondern jene, die Ausgleichsmittel empfangen haben, betrieben trotz der weitgehenden Gleichverteilung der Steuereinnahmen in den letzten 30 Jahren eine mit ihren langfristigen Ausgabemöglichkeiten nicht übereinstimmende Finanzpolitik. Darüber muß man vertieft nachdenken. Auch die politische Farbenlehre hilft hier nicht weiter: Zwar werden zwei besonders finanzstarke und im Ländervergleich besonders sparsame Länder wie Bayern und Baden-Württemberg von der CSU bzw. CDU regiert, aber auch die SPD-regierten Geberländer Nordrhein-Westfalen und Hessen können sich sehen lassen. Auf der anderen Seite legten die Nehmerländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland den Grund für ihre heutige überdurchschnittliche Verschuldung vor der Zeit der heutigen SPD-geführten Regierungen.

    Die Bemühung um wirtschaftliches Aufholen und die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse trieb bei den ärmeren Ländern die Ausgaben und eine überdurchschnittliche Verschuldung an, ohne daß dies wegen der schon vollzogenen Gleichverteilung der Steuereinnahmen einen einnahmesteigernden Effekt gehabt hätte.

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    3. Elemente einer Reform

    Was ist zu tun? Die überfällige Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs muß

    • Bund und Länder in ihren Finanzen und ihren finanzpolitischen Entscheidungen voneinander unabhängiger machen und für eine Entflechtung der Verantwortung sorgen,

    • politisches Handeln auf Bundes- und Landesebene wieder transparent und für den Bürger in der Einheit von Entscheidung und Verantwortung zuordnungsfähig machen,

    • Bund und Länder in die Lage versetzen, den Umfang ihrer Einnahmen und Ausgaben eigenverantwortlich zu gestalten und

    • das fiskalische Eigeninteresse der Länder am wirtschaftlichen Erfolg ihres Landes deutlich steigern.

    Es muß also eine klare Rückmeldung vom wirtschaftlichen Erfolg zur finanziellen Leistungskraft eines Landes, aber auch mehr Möglichkeiten für ein eigenverantwortliches Handeln auf der Landesebene geben. Dann werden sich mit der Zeit auch die Entscheidungsmaßstäbe der Wähler ändern, und solides finanzpolitisches Verhalten wird bei Wahlen mit mehr Nachdruck eingefordert werden.

    Zu einer grundlegenden Reform gehören die folgenden Ansatzpunkte:

    • Beschränkung aller Wirkelemente des bundesstaatlichen Finanzausgleichs dergestalt, daß die Steuereinnahmen der Nehmerländer auf nicht mehr als 90 Prozent des Bundesdurchschnitts aufgefüllt werden.

    • Beseitigung des zweistufigen Finanzausgleichs. Die insgesamt zur Finanzausstattung der Länder notwendigen Mittel sollen diesen unmittelbar zufließen und in einem einstufigen Verfahren umverteilt werden. Die oben dargestellten, zum Teil absurden Verteilungsergebnisse sind wesentlich in der Zweistufigkeit – zunächst horizontaler Finanzausgleich, dann Bundesergänzungszuweisungen – begründet.

    • Beschränkung der bundesstaatlichen Vorgaben für Art und Umfang der Aufgabenerfüllung der Länder. Finanzschwache Länder müssen die tatsächliche Möglichkeit besitzen, auch in den Kernaufgaben der staatlichen Aufgabenerfüllung andere Akzente zu setzen als reichere Länder. Für die Sozialhilfe z.B. wäre eine allgemeine bundesrechtliche Rahmenregelung grundsätzlich ausreichend.

    • Lockerung der bundeseinheitlichen besoldungsrechtlichen Vorgaben, Möglichkeit zum Abschluß abweichender Tarifverträge durch die Länder.

    • Mehr Möglichkeiten zur eigenständigen Gestaltung der Steuereinnahmen, z.B. durch eigene Hebesätze oder Zuschlagsmöglichkeiten analog zum amerikanischen Beispiel.

    Noch sympathischer wäre allerdings eine Lösung, bei der die Steuerquellen von Bund und Ländern vollständig getrennt werden. Im Jahr 1996 hatten die gemeinschaftlichen Steuern, die Bund und Ländern (bzw. Gemeinden) zu je unterschiedlichen Anteilen gemeinsam zustehen, ein Gesamtaufkommen von 555 Mrd. DM. Davon flossen 201 Mrd. DM dem Bund zu, der Rest (einschließlich Bundesergänzungszuweisungen und Beteiligung der Länder an der Mineralölsteuer) an Länder und Gemeinden. Außerdem nahm der Bund aus dem Solidaritätszuschlag 26 Mrd. DM ein. Im gleichen Jahr betrug das Aufkommen aus der Umsatzsteuer 237 Mrd. DM.

    Falls man nun

    • die Umsatzsteuer zu einer reinen Bundessteuer,

    • alle Steuern auf das Einkommen zu reinen Ländersteuern (inkl. Gemeinden) machte und

    • den Solidaritätszuschlag (Ergänzungsabgabe) ebenfalls den Ländern zuwiese,

    dann verbliebe gegenüber der bisherigen Verteilung noch ein Betrag von 11 Mrd. DM zugunsten des Bundes, der allerdings den seit 1991 eingetretenen strukturellen Verlust in der relativen Einnahmeposition des Bundes nicht annähernd ausgleichen würde.

    Man hätte dann die gesamte Einnahmenverteilung radikal vereinfacht und entflochten. Der Bund würde sich künftig ausschließlich aus Verbrauchsteuern, Länder und Gemeinden im wesentlichen aus Steuern auf das Einkommen finanzieren.

    Der Bund hätte dann jederzeit die Möglichkeit, seinen Finanzbedarf über veränderte Steuersätze bei den spezifischen Verbrauchsteuern und der Umsatzsteuer in angemessener Weise zu decken, müßte sich dafür aber auch jeweils unmittelbar politisch rechtfertigen.

    Wegen der Einheitlichkeit der Besteuerung sollte die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Bemessungsgrundlage und die Tarife der Steuern auf das Einkommen auch künftig dem Bund (mit Zustimmungspflicht des Bundesrates) zustehen. Länder und Gemeinden müßten bundesrechtlich definierte und durch die eigene Gesetzgebung (Rechtsverordnung) zu aktivierende Zuschlagsrechte zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erhalten. Die Zuschlagsrechte müßten so ausgestaltet sein, daß die bisherigen Zuschußempfänger im Finanzausgleich ihre bisherigen Einnahmevolumen durch Nutzung der Zuschläge sichern könnten. Eine Zuschlagsmöglichkeit von 10 Prozent zu den Tarifen der Einkommen- und Körperschaftsteuer wäre hierzu ausreichend.

    Zusammenfassend:

    • Länder und Gemeinden verfügen allein über die Steuern auf das Einkommen.

    • Der Bund verfügt allein über die Steuern auf den Verbrauch.

    • Ein einstufiger horizontaler Länderfinanzausgleich füllt die Steuereinnahmen der ärmeren Länder auf 90 Prozent des Bundesdurchschnitts auf.

    • Der Bund behält die Gesetzgebungskompetenz für Bemessungsgrundlage und Tarif bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Die Länder erhalten die Möglichkeit, in eigener Zuständigkeit Zuschläge von bis zu 10 Prozent zu erheben.

    Damit können Bund und Länder ihre Finanzierungsnotwendigkeiten aus eigenen Steuerquellen decken und insoweit eigenständig handeln. Sie stehen andererseits gegenüber der Öffentlichkeit in einer transparenten und eindeutigen Verantwortung. Es kann sicher vorhergesagt werden, daß dies auf die Qualität der Entscheidungsfindung in Bund und Ländern einen erheblich – und positiven – Einfluß haben wird.


©Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1998

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