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5. Ergebnisse einer Umfrage:
Reaktionen und Erwartungen der Nord-Süd-Institutionen zum Nord-Süd-Zentrum Bonn


A. Bekanntheit des Konzepts "Nord-Süd-Zentrum Bonn"

Von den 77 befragten Institutionen und Personen im Bonner Raum und in Berlin gab die große Mehrheit an, von der Idee, die Bundesstadt Bonn zu einem Nord-Süd-Zentrum bzw. zu einem Standort für den Politikbereich Entwicklungspolitik und für nationale und internationale Einrichtungen zu machen, gehört zu haben (z.T. mit dem Zusatz: "aber nicht sehr viel", "nebulös" oder "offensichtlich fehlt ein Konzept zur praktischen Umsetzung").

Mehrere Interviewpartner empfahlen, neben den Nord-Süd-Aspekten auch die internationale Dimension der Bundesstadt zu entwickeln.

B. Reaktion/Vor- oder Nachteile für die betr. Institution/Erwartungen

Im allgemeinen wurde die Idee begrüßt, und zwar im doppelten Sinne. Einmal sieht man in dementsprechenden Beschlüssen seitens der deutschen Politik den Willen, der Nord-Süd-Aufgabe ein größeres politisches Gewicht zu geben und in den internationalen Beziehungen eine neue Rolle zu spielen; zum anderen verspricht man sich Vorteile für die eigene Organisation bzw. für den Bonner Raum insgesamt. Die räumliche Trennung von AA und BMZ könnte sogar die Bedeutung des Politikbereichs Entwicklungspolitik erhöhen.

Jetzt, in der nahen Zukunft – so hörte man – gelte es, innovative entwicklungspolitische Strukturen (z.B. im Sinne eines Nord-Süd-Verbundes der verschiedenen entwicklungspolitischen Institutionen) und neue Fakten zu schaffen. Eine Institution hielt eine Vorsorge dafür nötig, daß ostdeutsche Entwicklungsinstitutionen und -Organisationen nicht von der Nord-Süd-Politik in Bonn abgekoppelt werden.

Besondere Erwartungen verbinden nicht nur die Verantwortlichen in der Politik mit der Ansiedlung von UN-Organisationen wie dem UNV-Freiwilligen-Programm oder dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention der UNO, sondern auch Nichtregierungsorganisationen und die Universität (vor allem das neu gegründete Nord-Süd-Zentrum für Entwicklungsforschung ZEF). Einige verbanden damit die Hoffnung, eine Reihe von Botschaften in Bonn halten zu können.

Es gab auch Stimmen, die davor warnten, zu viel von den angestrebten Synergieeffekten und Vernetzungen zu erwarten, und die deutlich machten, man werde die Arbeit relativ unbeeinflußt von geänderten Rahmenbedingungen fortsetzen. Es könnte sich auch die Chance ergeben, bislang bestehende unnütze Überschneidungen und Doppelarbeiten zu korrigieren.

C. Standortwechsel Bonn/Berlin bzw. Berlin/Bonn

Einige wenige, deren Hauptarbeitsgebiet nicht die Entwicklungspolitik bzw. die Nord-Süd-Beziehungen ist, kündigten an, wegen des Umzugs von Regierung (insbesondere des AA) und Parlament auch nach Berlin umzuziehen (so z.B. die DGAP, der DIHT und das DRK, jeweils unter Beibehaltung von Repräsentanzen oder Teilen der Organisation). Andere, etwa aus dem Bereich der politischen Stiftungen, werden in Bonn verbleiben, aber Repräsentanzen in Berlin eröffnen.

Deutlich wurde: Je attraktiver Bonn als Standort für Entwicklungspolitik und internationale Einrich-

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tungen wird, desto stärker könnte der Wunsch werden, in Bonn zu bleiben oder gar nach Bonn umzusiedeln. Letzteres könnte sich etwa für entwicklungsrelevante Institutionen ergeben, die bislang im Kölner oder Frankfurter Raum beheimatet sind.

Laut Berlin/Bonn Gesetz hat die Bundesregierung sich zu bemühen, daß der DED, das DIE und die DSE ihren Sitz in Bonn nehmen, um zur Stärkung des Politikbereichs "Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen" in der Bundesstadt Bonn beizutragen. In den drei betroffenen Institutionen gibt es auf der einen Seite eine Abwehrhaltung gegen einen Umzug von Berlin nach Bonn, auf der anderen auch Zustimmung zu der politischen Entscheidung. Der Wunsch wurde laut, angemessen in Bonn untergebracht zu werden – auch etwa auf einem Campus am Rande Bonns. Auf jeden Fall ist man unabhängig vom Umzug bzw. Standort zu einer Kooperation bereit.

D. Ansiedlung weiterer internationaler Organisationen

Die Befragten hielten die Ansiedlung folgender Institutionen in Bonn für besonders wichtig:

  • Society for International Development (SID), Rom

  • Inter Press Service, Rom

  • Institut für europäisch-lateinamerikanische Beziehungen IRELA, Madrid

  • Neue IFC-Tochter "African Management Service Corporation", Amsterdam

  • UN-Abrüstungs- und Forschungszentrum, Genf.

Es wurde empfohlen, auch die Ansiedlung von EU-Institutionen in Bonn zu betreiben.

E. Wünsche an das zukünftige Nord-Süd-Zentrum/Vorschläge für die Ausgestaltung des Nord-Süd-Zentrums Bonn

  1. Die Bündelung der Nord-Süd-Politikbereiche in Bonn muß angestrebt werden. So müßte das sehr aufgesplitterte Problemfeld "Migration" zumindest im Nord-Süd-Bereich im BMZ gebündelt oder Zuwendungsempfänger, deren Hauptaktivitäten im Süden liegen, vom BMZ gefördert werden.

  2. Eine internationale Imagekampagne bzw. eine Mobilisierungskampagne für Bonn als internationale Stadt und Nord-Süd-Zentrum ist nötig.

  3. Es gilt, die Koordination aller relevanten Einrichtungen oder zumindest, wenn dies zu ambitiös ist, eine Informationsvernetzung zwischen entwicklungspolitischen Organisationen zu ermöglichen. Aber bei dem Versuch, zu einer besseren Kommunikation der verschiedenen Einrichtungen zu kommen, muß der zusätzliche Arbeitsaufwand bedacht werden.

  4. Ein entwicklungspolitischer "gesellschaftlicher Rat" oder (und) ein "runder Tisch" mit den Botschaften, den entwicklungspolitischen Institutionen und der Regierung sollte geschaffen werden, um Fragen der Zusammenarbeit und der Zukunft zu erörtern (oder sogar ein Service-Center für die Botschaften).

  5. Bonn sollte sich ähnlich wie Genf und Wien als internationale Konferenz- und Verhandlungsstadt präsentieren. Hinsichtlich bedeutender Weltkonferenzen könnten Vor- und Anschlußkonferenzen in Bonn stattfinden.

  6. Bonn als Stadt des Dialogs (z.B. nach dem Muster der Davos-Gespräche; Sommerschulen; es sollte versucht werden, das Entwicklungspolitische Forum der DSE nach Bonn zu holen; eine Abstimmung mit den bereits bestehenden oder geplanten "Dialogen" oder "Foren" – bei den politischen Stiftungen, dem Nord-Süd-Forum e.V. oder dem Gustav-Stresemann-Institut und SID Bonn – ist nötig). Es sei auch an den interkulturellen/interreligiösen Dialog zu denken.

  7. Die Förderung der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit könnte ein neuer Schwerpunkt sein. Dabei sollten Fragen der Wirtschaftsförderung (Bonner Unternehmen), der Jugendarbeit und Schulen (Partnerschaften) mitberücksichtigt werden. Ein "Markt der Möglichkeiten" zur Selbstdarstellung der Dritte-Welt-Institutionen in Bonn könnte auch zu einem größeren Standortbewußtsein beitragen.

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  8. Kulturaktivitäten sind eine Möglichkeit, das Bewußtsein für die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zu stärken (zu nutzen gilt es u.a. den "Bonner Sommer" und die Museumsmeile – Umgestaltung des Museums König in ein "Haus der Umwelt" bzw. ein Ökologie-Zentrum).

  9. Das ZEF sollte Nukleus der Nord-Süd-Aktivitäten in Bonn werden und z.B. auch als Gesprächspartner in Grundsatzangelegenheiten der Entwicklungspolitik zur Verfügung stehen.

  10. Wenn es schon ein großes Nord-Süd-Haus oder Eine-Welt-Zentrum nicht geben wird, dann sollten einige attraktive gebäudliche Schwerpunkte gebildet werden, in unmittelbarer Nähe des BMZ und der Museumsmeile, im Umfeld des Hauses Carstanjen oder etwa im Bereich des Schürmannbaus/Wasserwerks.

  11. Ausbau Bonns als Informations- und Dokumentationszentrum unter Nutzung vorhandener Einrichtungen wie der DSE in Beuel.

  12. Ermöglichung informeller und persönlicher Kontakte.

  13. Ein festes Büro mit Ansprechpartner, eine Infostelle für alle (internationalen) Interessenten ist dringend nötig.

F. Themendesiderate in der Entwicklungspolitik

Auf die Frage, welche entwicklungspolitischen Themen bislang zu wenig bearbeitet würden, gab es folgende Antworten:

  1. Neues Entwicklungsparadigma ("nachhaltige", menschliche Entwicklung).

  2. Krisenvorbeugung und -management, Frühwarnsysteme – Konfliktprävention, auch wenn einige Forscher oder das INEF in Duisburg schon daran arbeiten.

  3. Sofort-, Not- und humanitäre Hilfe und Kombination mit der Entwicklungszusammenarbeit.

  4. Wirkung(sanalysen) der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit – eine unabhängige Evaluierungsforschung und Erfolgsmessung.

  5. Ökologische und soziale Marktwirtschaft und stärkere Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit (Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft).

  6. Entwicklungspolitische Bildungsarbeit.

  7. Angesichts der rasanten technischen Veränderungen verdient die (auswärtige) mediale Zusammenarbeit einen höheren Stellenwert.

  8. Globale Strukturpolitik, faire Weltwirtschaft.

  9. Stärkere Konzentration auf den Mittelmeerraum, die Armuts- und Hungergürtel in der Welt oder die dynamischen asiatischen Ökonomien.

  10. Die Trendwende zur Bedeutung des informellen Sektors aufgreifen; die Landwirtschaft und das Handwerk nicht länger vernachlässigen.

Es wurde empfohlen, die Frage zu klären, ob und inwieweit die Länder Zentral- und Osteuropas sowie die Nachfolgestaaten der ehemaligen SU zum "Süden" gehören.

G. Partner der Zusammenarbeit

Neben den entwicklungspolitischen Akteuren im nationalen und internationalen, staatlichen und privaten Bereich sollte stärker mit der Wirtschaft und den Medien im Nord-Süd-Bereich kooperiert werden. Von zwei Institutionen wurde die Bedeutung einer engeren Zusammenarbeit mit Frankreich auch in den frankophonen Entwicklungsländern betont.

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6. Aufgaben für einen Bonner Verbund der Nord-süd-Institutionen

Laut Berlin/Bonn-Gesetz (§ 6 Abs. 2) und Ausgleichsvertrag (Art. 1 Abs. 2) soll der Ausgleich für die Bundesstadt Bonn in vier Bereichen realisiert werden:

  1. Bonn als Wissenschaftsstandort,

  2. Bonn als Kulturstandort,

  3. Bonn als Standort für Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen,

  4. Entwicklung Bonns zu einer Region mit zukunftsorientierter Wirtschaftsstruktur.

Dementsprechend könnte das Nord-Süd-Zentrum Bonn sich auf folgenden Säulen stützen:

Die Säule Institutionen der staatlichen Entwicklungspolitik

  • BMZ;

  • Abteilungen, Referate bzw. Arbeitseinheiten anderer Ministerien;

  • Koordinierungsstellen der Entwicklungsarbeit der Länder;

  • Von nach Berlin übersiedelnden Ministerien sollten gemäß § 4 Berlin/Bonn-Gesetz jene Arbeitseinheiten in Bonn, möglichst dann in noch engerer Kooperation mit dem BMZ als heute, verbleiben, die in den Politikbereich Entwicklungspolitik fallen.

Die Säule nichtstaatlicher nationaler Einrichtungen

  1. Entwicklungsorientierte Einrichtungen: die Bundesregierung muß einen verbindlichen Zeitplan für die Übersiedlung von DIE, DED und DSE nach Bonn aufstellen.

  2. Wissenschaftliche Nord-Süd-Säule

    • Universität Bonn: ZEF, eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Uni Bonn, als Nukleus.

    • Außeruniversitäre Einrichtungen: z.B. politische Stiftungen, Bonn International Center for Conversation (BICC). Das zu gründende Bonner Menschenrechtsinstitut (BMRI).

  3. Bonn als Zentrum für kommunale Nord-Süd-Arbeit: z.B. Verlagerung des Europäischen Büros für Kommunale Entwicklungszusammenarbeit.

Die Säule internationale und supranationale Einrichtungen

  1. UN-Einrichtungen: u.a. Das UN-Freiwilligenprogramm , UN- Klima-Rahmenkonvention-Sekretariat.

  2. Europäische Einrichtungen, u.a. Bemühungen um Übersiedlung des Regionalausschusses der EU.

Dialogsäule

u.a. Petersberg-Konferenzen zu Entwicklungspolitik und Nord-Süd-Beziehungen auszurichten.

Mediensäule

Int. Zusammenarbeit der Nord-Süd-Redaktionen erforderlich.

Die Substanz dieser Säulen besteht aus erfahrenen Institutionen, wobei einzelne Institutionen durchaus in mehreren Säulen den Bonner Nord-Süd-Verbund mittragen.

Synergieeffekte werden auf zwei Ebenen möglich:

  • Durch räumliche Nähe und Gelegenheiten zu zwanglosen Begegnungen. Bei Besuchen, Vor-

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    trägen und Veranstaltungen, die Leitungen und Mitarbeiter einer größeren Zahl von Institutionen interessieren, werden Kontakte geschaffen und gepflegt, die zu gegenseitiger Hilfeleistung und Zusammenarbeit spontan oder auch über einen längeren Zeitraum führen.

    Das kann durch eine anregende und angenehme Atmosphäre in der Nord-Süd-Stadt Bonn gefördert werden, ist aber darüber hinaus nicht gezielt zu planen (siehe auch 5.2 und 5.5).

  • Durch gemeinsame Bearbeitung entwicklungspolitischer Fragestellungen, die sich aus der Situation und Dynamik des Nord-Süd-Verhältnisses ergeben. Arbeitsgemeinschaften können sich auf Initiative einer oder mehrerer Institutionen bilden und zu gemeinsamen Beratungen, dem Entwurf von Konzeptionen und ihrer Vertretung in der Öffentlichkeit führen. Der räumlich vorgegebene Verbund entwicklungspolitischer Institutionen innerhalb und zwischen den Säulen ermöglicht ohne zu großen Aufwand die Arbeit an der Fortführung der entwicklungspolitischen Konzeption, die Verbesserung der Grundfragen einer vernünftigen Nord-Süd-Arbeit und die Vertretung der Ergebnisse (Politikberatung) insbesondere bei den Entscheidungsträgern. Es gibt auch heute schon solche Arbeitsgemeinschaften, zum Teil institutionalisiert, zum Teil in Form regelmäßiger Zusammenkünfte ohne eigene Organisation. Zu unterscheiden ist auch zwischen institutionalisierten Dachverbänden von Organisationen und Einrichtungen und Personengemeinschaften und Kreisen, in denen sich verantwortliche Personen aus Nord-Süd-Organisationen informell zu bestimmten Aufgaben zusammenschließen, wobei diese Kreise oft offen für jedermann sind.

Zur weiteren Entwicklung der entwicklungspolitischen Konzeption und der Nord-Süd-Politik insgesamt und zur Verbesserung des Stellenwertes dieser Politik in politischem System und öffentlichem Bewußtsein der Bundesrepublik wird vorgeschlagen, einige wichtige Themen im Verbund von amtlichen Stellen, Wissenschaften und NROs kontinuierlich zu bearbeiten mit dem Ziel, ein Konzept und Konzeptalternativen zu erstellen, die Chancen auf politische Umsetzung, Impulse für Bewußtseinsschübe der entwicklungspolitischen Diskussion in Deutschland und ein Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit erwarten lassen, das der Nord-Süd-Stadt Bonn Profil verleiht.

Die folgenden Themen stellen eine Auswahl dar. Zwei oder drei Themen könnten auch parallel von interessierten Institutionen behandelt werden, ohne daß die zumeist schon voll ausgelasteten Verantwortlichen der Einrichtungen in Bonn mit Aufgaben überfrachtet werden.

6.1 Die asiatische Herausforderung

Die bedeutendste Herausforderung der Nord-Süd- und Entwicklungspolitik wird durch den ökonomischen und kulturellen Machtzuwachs und die schnelle Entwicklung in den asiatischen, insbesondere den süd- und südostasiatischen volkreichen Ländern bewirkt.

Obwohl noch auf lange Zeit dem "Süden" zugehörig und in Ländern wie China, Indonesien, Indien im Pro-Kopf-Vergleich eindeutig auf Entwicklungsländerniveau, verstärkt sich hier die Wachstumsdynamik schnell und nachhaltig. Über Nachfragemacht und das Angebot qualifizierter Fachkräfte auf niedrigem Lohnniveau für das sogenannte Outsourcing, aber auch durch das schnelle Anwachsen des Zugriffs auf Umwelt und Ressourcen wird dieses zum Teil dramatische Wachstum die Befindlichkeit der Industrieländer und das Bild der internationalen Entwicklung nachhaltig beeinflussen.

Dabei ist in diesen Ländern und ihren Nachbarstaaten gleichzeitig noch das größte Ausmaß an Armut auf der Erde konzentriert.

Wachsende Bevölkerungen mit erheblichen Fortschritten im Gesundheits- und Bildungsstand bestimmen trotz aller gravierenden Probleme unvermeidlich das künftige Gewicht Asiens in der Weltgesellschaft. Zugleich finden wir aber in weiten Bevölkerungskreisen traditionell gestützte Mentalitäten, die leistungsorientiert, innovativ, kulturbewußt, und daher modernisierungsfähig und bereit sind, in den Wettbewerb der Industrienationen hineinzuwachsen. Im Konflikt mit Demokratiebestrebungen und überzeugt von der Legitimität ihres Gehorsams und Harmonieverlangens, weigern sich die Führungen oft, den individuellen Menschen-

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rechten nach der Charta der Vereinten Nationen volle Berechtigung zuzuerkennen, regieren aber ihre Länder weithin, wenn auch vielleicht nur mittelfristig "erfolgreich". Entscheidend für die Zukunft wird die Stärkung und das Wachstum von Mittelschichten.

Die erfolgreichen und volkreichen asiatischen Staaten haben das Bild der derzeitigen Nord-Süd-Verhältnisse nachhaltig verändert und das Bild einer einheitlichen Dritten Welt verblassen lassen.

Jenseits bloßer Exportgeschäftigkeit, pauschaler Bedrohungsängste und sensationsheischender Mythoskonstruktionen werden die Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd politisch, ökonomisch, militärisch und auch im "Wettbewerb der Kulturen" (Weiss) durch nichts so nachhaltig verändert wie durch die asiatische Herausforderung.

Nirgendwo werden heute auch bessere Voraussetzungen zur Armutsbekämpfung geschaffen und mehr aussichtsreiche Initiativen in dieser Richtung verwirklicht als in Asien.

Die asiatischen Staaten zu fördern, heißt bei allen berechtigten Bedenken in der Menschenrechtsfrage auch starke selbsthilfebereite Kräfte zu stützen. Nirgendwo sind die Chancen, das gesamte Ausmaß an Armut in der Welt nachhaltig zu bekämpfen, größer als in Zusammenarbeit mit den leistungsbereiten asiatischen Staaten, auch dann, wenn diese Zusammenarbeit sich auf technische und fachliche Engpässe und Infrastrukturmaßnahmen erstreckt und nicht immer auf direkte, unmittelbare Armutsbekämpfung beschränkt.

Bekanntlich kam in der bisherigen Geschichte die unmittelbare Armutsbekämpfung durch Entwicklungshilfe vor allem dort ins Blickfeld, wo die Regierung und die Oberschichten nicht bereit oder nicht in der Lage waren, nachhaltig die Armut im eigenen Lande zu bekämpfen (s. u.a. Myrdal, Asian Drama).

Die asiatische Dynamik, die bisher den klassischen Industrialisierungs- und Konsummustern folgt, bringt zwar eine erhebliche Verschärfung der Umweltgefährdungen mit sich und konkurriert um die Ressourcen der Welt. Gleichzeitig aber läßt gerade die sehr schnelle Zuspitzung der Umweltprobleme, verbunden mit der beschriebenen Mentalität und Führungsstruktur, möglicherweise eher Schritte einer radikalen Umkehr und ökologischer Neuerung erwarten als in den wählerabhängigen Demokratien des Westens, wo man sich an den notwendigen drastischen Veränderungen noch eine Zeit vorbeimogeln kann. Es ist zu erwarten, daß uns in Beiträgen zur ökologischen und sozial verträglichen Entwicklung nach harten Konflikten und Anpassungsphasen Asien den Rang abläuft, aber auch Chancen gibt, technologische Vorsprünge in der Umweltsicherung zur Geltung zu bringen.

Unter welchen Gesichtspunkten auch immer, auch bei kontroversen Standpunkten werden Nord-Süd- und Entwicklungspolitik gegenüber Asien ein eigenes Profil erfordern, wie auch die bereits vorhandenen Asienkonzeptionen der Bundesregierung und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ausweisen. Es ist bemerkenswert, daß sich die Community der entwicklungspolitischen Organisationen damit bisher erst ansatzweise auseinandergesetzt hat.

Mit der Arbeit an der "asiatischen Herausforderung" kann Bonn – in Zusammenarbeit mit den Institutionen in anderen Städten, die sich auf die Länderkunde Asiens spezialisiert haben, und einigen neueren Asienzentren – Impulse geben und Profil gewinnen. Auf der Grundlage der vorliegenden Asienkonzeptionen und in Auseinandersetzung damit könnten etwa BMZ, ZEF, DSE, DED, DIE, die politischen Stiftungen, die kirchlichen Einrichtungen und einige bedeutendere Entwicklungsorganisationen an der Fortentwicklung einer deutschen Asienpolitik arbeiten.

6.2 Afrika

Für die meisten Menschen ist Afrika der Vorzugskontinent für klassische Entwicklungspolitik. Fast vollständig von europäischen Ländern kolonialisiert und Europa näher als Nordamerika oder dem Fernen Osten, wird es hier auf lange Zeit einer europäisch abgestimmten, zielstrebigen und geduldigen Zusammenarbeit bedürfen, um eine tragfähige Trendumkehr nach der zusätzlichen Verarmung in den achtziger Jahren zu bewirken.

Im Vergleich sind in Afrika nur begrenzt jene kul-

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turellen, mentalen und leistungsbezogenen Voraussetzungen anzutreffen, die den Aufschwung in Asien und bis zu einem gewissen Grade auch in Lateinamerika bewirken.

Darauf muß man sich einstellen. Der Typ Zusammenarbeit, der nicht auf kurzfristige Erfolgsnachweise setzen kann, sondern sehr langfristig und geduldig Hilfen gewährt, bis sich die stammesbestimmten Gesellschaften Afrikas zu einer dauerhaften entwicklungsorientierten Struktur gewandelt haben, verlangt eine eigene Art von Entwicklungspolitik und auch von entwicklungspolitischem Bewußtsein in der Öffentlichkeit. Das spezifische Konzept einer Afrika gerecht werdenden Entwicklungspolitik auf lange Frist herauszuarbeiten, wäre sicher eine Aufgabe für den Verbund von Entwicklungsinstitutionen im Nord-Süd-Zentrum Bonn, in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen, den internationalen Organisationen und auch vor allem Frankreich.

6.3 Lateinamerika

Auch in Lateinamerika ist ein Differenzierungsprozeß festzustellen: Schwellenländer und am wenigsten entwickelte Länder stehen neben Ländern, die einen Mittelplatz auf der Skala wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung einnehmen. Der Subkontinent zog in der Vergangenheit die Masse deutscher in der Dritten Welt getätigter Auslandsinvestitionen an; die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit spielte demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Demnach sollte von deutscher Seite aus verstärkt die Förderung demokratischer, auf sozialen Ausgleich zielender Strukturen und Gesellschaften, die regionale Zusammenarbeit sowie eine umweltverträgliche Entwicklung unterstützt werden.

6.4 Entwicklungspolitische Grundsatzfragen

Eine menschenwürdige Entwicklung und Umweltpolitik ist erneut durch die Agenda 21 der UN-Konferenz in Rio als unverzichtbarer Bestandteil nationaler und internationaler Politik zur Aufgabe gemacht worden. Alle folgenden Ausführungen sind in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Neben den beiden für Deutschland und Europa wichtigsten Schauplätzen von Entwicklungszusammenarbeit – das dynamische Asien und das stagnierende Afrika – stehen einige übergreifende Grundsatzfragen erneut im Mittelpunkt der Diskussion. Dies führt oft schnell zu künstlichen und unsinnigen Polarisierung wie zwischen "Armutsbekämpfung und Außenwirtschaftsinteressen", "nationalem Interesse oder internationaler Strukturpolitik", wobei dann im Hintergrund schnell bekannte politische Positionskämpfe aufleuchten.

In der Tat wollen Forderungen, wie die des Wissenschaftlichen Beirats beim BMZ, das praktisch politisch unverzichtbare "Sowohl als auch" zugunsten einer völligen Neuorientierung im Interesse der exportierenden Wirtschaft und ihrer außenpolitischen Absicherung aufgeben. Dabei kann man sich auf weiten Strecken auf sehr scharfsinnige und zutreffende Analysen stützen, die vor allem die dauerhafte Legitimation erheblicher entwicklungspolitischer Leistungen in der eigenen Bevölkerung zum Hintergrund haben.

Es dürfen aber die unbezweifelbaren Erfolge bei der Armutsbekämpfung oder besser bei Hilfen zur Mobilisierung der Armen und ihrer Selbsthilfe in einigen Teilen der Welt und die ebenso unbezweifelbaren Notwendigkeiten einer internationalen Strukturpolitik, d.h. der Durchsetzung von Spielregeln und Rahmenbedingungen für eine globale umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung nicht übersehen werden. Zusammen mit ähnlichen Diskussionen im Ausland und bei den internationalen Organisationen liegen eine Fülle von Argumenten und Erkenntnissen vor, die im Verbund der entwicklungspolitischen und nord-süd-interessierten Institutionen der Nord-Süd-Stadt Bonn diskutiert und in Optionen für praktisches Handeln umformuliert werden sollten. Dies ist ein Thema entwicklungspolitischer Streitkultur, aber mit der Tendenz, die Entweder-Oder-Klischees zugunsten brauchbarer Perspektiven zu überwinden.

  • Die offizielle Entwicklungspolitik muß sich natürlich am deutschen Interesse orientieren. "Das Wohl des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden", heißt es im Amtseid der Minister. Vom Interesse anderer Völker ist dabei vorerst nicht die Rede.

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  • Ob aber das Wohl des deutschen Volkes auch langfristig gesichert ist, bleibt immer auch von günstigen internationalen Rahmenbedingungen abhängig, zu denen auch ein Mindestmaß an Entwicklungschancen für den Süden, an sozialem Ausgleich und Schutz der Umwelt gehören. Eine Dauererkenntnis der Entwicklungspolitik seit ihrem Beginn ist ins Gedächtnis zu rufen: Es geht nicht so sehr um Eigeninteresse versus Interessen der anderen, sondern um kurzfristige Augenblicksinteressen und aufgeklärte langfristige Eigeninteressen in einer interdependenten Welt. Hier scheiden sich Partei- und Gruppeninteressen der Kurzstreckenpolitik, von den tatsächlichen auch an den kommenden Generationen orientierten nationalen Interessen.

Vor diesem Hintergrund sind im Bonner Verbund die Konzeption der Armutsbekämpfung und die Synchronisation von Außenwirtschaft, Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik mit Zielrichtung Gesamtkonzeption neu durchzuarbeiten.

Dabei sind die kritischen Fragen des entwicklungspolitischen Beirats beim BMZ durchaus hilfreich.

Zu einseitig war die entwicklungspolitische Diskussion und Legitimation auf "Input" orientiert. Wo ist Not, was tun wir, und das vor allem gemessen an den Finanzaufwendungen. Zu wenig war Output gefragt, was können wir und was können wir nicht, welche Ergebniserwartungen sind realistisch und erreichbar und, vor allem auch im Verhältnis zum Gesamtumfang der Probleme, relevant.

Es ist dem Wissenschaftlichen Beirat sicher zuzustimmen, wenn er Förderungen zur Verbesserung der Infrastruktur – auch Großvorhaben – und eine Politik, die auf die Stärkung der Mittelschichten vor allem in den Ländern mittleren Entwicklungsstandes und den Schwellenländern hinzielt, aus dem Halbdunkel des entwicklungspolitisch schlechten Gewissens herausholt. Mehr als 80 Prozent des Etats des Entwicklungsministeriums sind eben nicht der direkten selbsthilfeorientierten Bekämpfung der absoluten Armut gewidmet. Hier gilt es den Beschlüssen des Deutschen Bundestages und seiner Ausschüsse für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Armutsbekämpfung stärkere Beachtung zukommen zu lassen. Wirtschafts- und Strukturförderung einerseits und Anstrengungen zur Armutsbeseitigung müssen nicht Gegensatz sein. Auch in Ostdeutschland hat am Anfang die Verbesserung der Infrastruktur Vorrang, um Investoren den Weg zu ebnen.

Die Zusammenarbeit mit dem ZEF der Universität Bonn gibt dem Verbund entwicklungspolitischer Institutionen in Bonn eine einmalige Gelegenheit, aus der Lähmung einer an einseitigen Inhalten festgefahrenen Diskussion zu neuen offenen Szenarios für Orientierungshorizonte der Entwicklungspolitik zu gelangen, wie Dieter Weiss sie kürzlich formuliert hat: "Wir gehen auf eine Welt zu, die schon bis Ende der neunziger Jahre erheblichen weiteren Verwerfungen ausgesetzt sein dürfte. Kreative Intelligenz wird gefragt sein, also die Fähigkeit, sich an das Neue heranzutasten, Unbestimmtheit auszuhalten, Fluktuationen und Selbstorganisation zuzulassen, Fließgleichgewichte zu beachten, Entropie (d.h. endgültiger Energieverlust, die Vf.) zu minimieren und Potential aufzubauen, letzteres verstanden als die Fähigkeit, auf unvorhersehbare Problemlagen aus einer Position relativer Stärke antworten zu können. Was die Zukunft inhaltlich ausmachen wird, wissen wir nicht. Antworten bestehen immer in der Verknüpfung von Anpassung und Ausgreifen. Das Ausgreifen in neue Lebensräume geht heute vielerorts Hand in Hand mit einer geistigen Rückbesinnung (religio) auf die kulturellen Quellen, auf den Rückhalt im Eigenen.

Sie findet ihren Ausdruck auch in religiösen Erneuerungsbewegungen. Zugleich verändern sich an der Front der Forschung grundlegende Sichtweisen der Wirklichkeit. Wir können davon ausgehen, daß die Evolution weitergehen wird, begleitet von menschlicher Kreativität, die daran teilhat und deren Ausdruck sie ist. Entwicklung wird immer weniger inhaltlich bestimmbar. Entwicklung ist das, was geschieht, wenn Kreativität sich entfalten kann."

Zu verweisen ist auch auf die Abhandlungen des Symposiums über Wissenschaft im internationalen kulturellen Dialog Dezember 1993 bei der Grundlegung des ZEF, wo u.a. von der Aufgabe die Rede ist, "mitzuarbeiten am seismographischen Aufspüren von sich andeutenden tektonischen Beben" (der Weltordnung).

Das kann nur Wissenschaftlern, Politikern, Medienleuten und Praktikern der Entwicklungsarbeit

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gemeinsam gelingen. Ein Ort dafür ist der Verbund von Institutionen in Bonn.

Dabei müssen ministeriale Grundsätze, politische Beschlußlagen und formulierte Verbandsinteressen zur Disposition stehen.

Es wird aber auch darauf ankommen, daß bei der Diskussion auch die auf Spendenmitteln angewiesenen NROs bereit sind, über ihre eigenen Werbeinteressen hinaus vor dem Horizont einer gesamtpolitischen Ausrichtung der Entwicklungspolitik zu diskutieren.

6.5 Mehr Aufmerksamkeit für die UNO

Internationale Strukturpolitik als Schwerpunkt verlangt eine sehr viel intensivere Befassung mit den UN-Organisationen, vor allen den Sonder- und Spezial-Organisationen, die außerhalb von Weltkongressen nicht so sehr in den Schlagzeilen stehen wie etwa der Status-quo-orientierte Aufgabenbereich des Sicherheitsrats. Die UNO-Reformdiskussion wird zu sehr unter organisationstechnischen und haushaltsrelevanten Gesichtspunkten geführt, zu sehr auch von oben von den Aufsichtsräten und Organisationszentralen her und zu wenig und fast gar nicht von der Situation der Mitarbeiter der Organisationen vor Ort, ihren Erfolgen und Wirkungsmöglichkeiten.

Die Spezial- und Sonderorganisationen haben zwar in einzelnen Fällen deutsche Nationalkomitees und sogar örtliche Freundeskreise wie UNICEF und UNESCO, werden aber als politische Instrumente der internationalen Politik sträflich vernachlässig, ja sogar abgewertet, wie Parlaments-Beschiüsse in der vergangenen Legislaturperiode belegen. Ihr Rückhalt in der Administration ist angesichts einiger weniger unterbesetzter Arbeitseinheiten ebenso schwach wie ihr Echo in der Bevölkerung, vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF vielleicht abgesehen.

Diesen Teil der UNO durch vermehrte Aufmerksamkeit zu stärken und mehr Echo in den politischen und gesellschaftlichen Institutionen der Bundesrepublik zu befördern, müßte ebenso eine Aufgabe des Verbundes sein wie die kritische, laufende Beobachtung der Entwicklungspolitik der Europäischen Union und die Förderung der deutsch-französischen Zusammenarbeit in der internationalen Politik, auch über die sicherheitsrelevanten Fragen hinaus.

6.6 Deutschland – Frankreich und der Süden

Die entwicklungspolitische Diskussion in der Wissenschaft ist – abgesehen von einigen bemerkenswerten Ausnahmen – überwiegend auf die angelsächsische Literatur und die NROs im angelsächsischen und nordischen Raum einschließlich der Niederlande orientiert. Das hat Sprachgründe, wird aber auch durch die Zurückhaltung der Franzosen, früher gegenüber den Vereinten Nationen, aber auch bei der Zusammenarbeit mit NROs und durch etatistisches Denken und nationale Nostalgien der "französischen Gemeinschaft" gefördert. Durch die Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit in Bonn, die ein gleichberechtigtes Büro in Paris hat (B.I.L.D) und mit ihrer Zeitschrift "Dokumente/Documents" als erste Trägerin des Adenauer-De Gaulle-Preises politisch gut eingeführt und auch mit anderen NROs (wie etwa dem Gustav-Stresemann-Institut) eng verbunden ist, könnte der Bonner Verbund einen Schub in der deutsch-französischen Zusammenarbeit bewirken.

6.7 Entwicklungspolitik als Beitrag zur Sicherheit

Bleibt noch der sicherheitspolitische Aspekt einer entwicklungspolitischen Gesamtkonzeption über die tagtäglichen "harten" Staatenbeziehungen hinaus.

Für die Arbeit an einem sicherheitspolitischen Gesamtkonzept, in dem neben Außenpolitik, Wirtschaftspolitik, internationaler Kulturpolitik, der Militärpolitik auch die Entwicklungspolitik ihren Platz hat, bestehen in Bonn gute Voraussetzungen. Orientiert an einem Konzept für "Deutschlands Rolle in der Welt" wirkt im Hintergrund nicht so sehr der Begriff der Verteidigung im engeren militärischen Sinn als vielmehr der der Selbstbehauptung Europas und des Westens im Wettbewerb der Kulturen und der nützlichen und wachsamen Arbeit an einer internationalen Strukturpolitik.

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6.8 Zusammenfassend stehen mit den Themen:

  • die asiatische Herausforderung für Europa,

  • Langfristaufgaben in Afrika und Zusammenarbeit mit Lateinamerika,

  • Grundsatzfragen der Entwicklungspolitik, u.a.

    • die Zukunft der Armutsbekämpfung,

    • eine realistische Gewichtung von Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik,

    • kulturelle Grundlagen, interkultureller und interreligiöser Dialog,

  • die Aufwertung der multilateralen Dimension, die Sonder- und Spezial-Organisationen der UNO,

  • die Intensivierung der deutsch-französischen Beziehungen in der Entwicklungspolitik über die formellen staatlichen Konsultationen hinaus und

  • Gesamtaspekte der Entwicklungspolitik unter Einschluß von Sicherheitspolitik in Staatenwelt und Weltgesellschaft

sechs Themen zur Diskussion, die je nach Interesse und Kapazität von unterschiedlichen Gruppen des Verbundes der Nord-Süd-Institutionen im entwicklungspolitischen Zentrum Bonn aufgegriffen und nicht nur diskutiert, sondern zu tragbaren Konzeptionen für die nächste Periode der Entwicklungspolitik ausformuliert werden sollten.

6.9 Organisation der Entwicklungspolitik der Bundesregierung

Die Frage nach der Organisation der Entwicklungspolitik im Regierungs- und Verwaltungssystem der Bundesrepublik, zumeist aktuell vor und nach Wahlen, sollte vorerst kein Schwerpunktthema der Diskussion sein, da sie im Verhältnis zu den wichtigen Problemen nachrangig ist und zu viele unmittelbare Karriere- und Förderungsinteressen berührt. Nach dem Umzug der Regierungsspitzen nach Berlin und der Konsolidierung des entwicklungspolitischen Zentrums in der Nord-Süd-Stadt Bonn wird das Thema sicher wieder aktuell und auch reif für eine emotionslos sachliche Diskussion.

Doch ist auch hier daran zu erinnern, daß nach Berlin/Bonn-Gesetz und Ausgleichsvertrag jene Arbeitseinheiten der nach Berlin übersiedelnden Ministerien in Bonn verbleiben sollten (in engerer Kooperation mit dem BMZ als heute), die in den Politikbereich Entwicklungspolitik entfallen. Das müßte auch für die Referate gelten, die etwa im Auswärtigen Amt für einschlägige Organisationen zuständig sind, wie für UNICEF, UNESCO u.a. Die meisten Ministerien haben noch nicht endgültig entschieden, welche Arbeitseinheiten in Bonn verbleiben.


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