von Dietmar Kneitschel, FES Sri Lanka
23.Mai 2002
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Seit dem 24. Dezember 2001 schweigen in Sri Lanka die Waffen. Eine mit dem Beginn dieses Tages von der tamilischen Rebellen-Organisation "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) erklärte einseitige Waffenruhe wurde von der kurz vorher neugewählten "United National Front"(UNF)-Regierung erwidert. Am 22.Februar 2002 unterzeichneten Premierminister Ranil Wickremesinghe im Namen der Regierung und LTTE-Führer Vellupillai Prabhakaran für die tamilische Guerilla in getrennten Treffen mit dem als Vermittler agierenden norwegischen Botschafter Jon Westborg einen unbefristeten Waffenstillstand.
Der Waffenstillstand und die Ankündigung von Friedensverhandlungen zwischen Regierung und LTTE fanden zunächst breite Zustimmung in der Bevölkerung. Eine im Januar vom Centre for Policy Alternatives (CPA) durchgeführte Meinungsumfrage zeigte denn auch eine hohe Unterstützung des Friedensprozesses. Mehr als 80% der befragten Personen befürworteten Verhandlungen zwischen Regierung und LTTE, während sich weniger als 10% für die Option einer militärischen Niederschlagung der Rebellen durch die Regierungstruppen aussprachen.
Inzwischen machen sich jedoch Enttäuschung und Skepsis breit, und es wird zunehmend bezweifelt, dass der Waffenstillstand den erhofften Durchbruch zu einer gerechten und stabilen Konfliktlösung am Verhandlungstisch bringen könnte. Besorgnis erregen Nachrichten über die anhaltende Rekrutierung von Kindern sowie über massive Waffeneinfuhren und Menschenrechtsverletzungen durch die LTTE. Zunehmend wachsen aber auch die Zweifel daran, dass die ‚Tigers' ihr bisher angestrebtes Ziel, einen eigenen Staat ‚Tamil Eelam' im Norden und Osten der Insel zu konstituieren, wirklich aufgegeben haben und dazu bereit sind, eine demokratische politische Kompromisslösung im Rahmen der Souveränität und territorialen Integrität Sri Lankas zu akzeptieren.
Verhandlungen über eine Lösung, die die Ursachen des ethno-nationalistischen Konfliktes dauerhaft beseitigt, stehen noch nicht auf der Tagesordnung. Beide Konfliktparteien gehen davon aus, dass ihre Positionen zu gegensätzlich sind und es deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Sinn machen würde, in Verhandlungen über eine permanente Konfliktlösung einzutreten.
In pragmatischer Beurteilung der Realität akzeptiert die Regierung die nach wie vor starre Position der LTTE. Denn die Waffenruhe verschafft ihr die Möglichkeit, die am Boden liegende Wirtschaft wiederzubeleben. Um ihre wirtschaftlichen Ziele erreichen zu können (Wachstum von 3,4% im Jahre 2002 nach Rückgang des Brutto-Inlands-Produkts um 1,4% im vergangenen Jahr ), ist die Regierung bestrebt, den militärischen Konflikt zu de-eskalieren.
Mit dieser "Zwischenlösung" eines ‚negativen Friedens' wird die Hoffnung verknüpft, dass das Schweigen der Waffen und das Engagement der LTTE in Projekten zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Nord-Ost-Gebiete auch zu einer Konflikttransformation führen könnte. Dies hieße Mäßigung der LTTE sowie die Aufgabe extremistischer Positionen und maximalistischer Forderungen. Auf diesem Wege könnten die Voraussetzungen geschaffen werden, um später in Verhandlungen für einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss, einzutreten.
Die Strategie der Regierung Wickremesinghe gegenüber der LTTE unterscheidet sich damit grundsätzlich von der ihrer Vorgängerin. Während die "Peoples' Alliance" (PA) - Regierung das Ziel verfolgte, die LTTE nicht nur militärisch in die Knie zu zwingen, sondern auch politisch von der tamilischen Bevölkerung zu isolieren, unternimmt die seit Dezember 2001 amtierende UNF-Regierung weder militärische noch politische Versuche zu ihrer Schwächung, sondern setzt auf ‚friedliche Ko-Existenz'. Das dem Waffenstillstand zugrundeliegende ‚Memorandum of Understanding' gewährt der LTTE sogar Privilegien, die ihre Position stärken. So z.B. die Möglichkeit zur politischen Arbeit außerhalb ihres direkten Herrschaftsbereiches. Mit dem Verzicht auf die Schwächung der LTTE zieht die Regierung die Konsequenz aus der Erfahrung, dass die vergangenen Anstrengungen zur militärischen Niederschlagung der LTTE erfolglos geblieben sind und auch die von der PA-Regierung vorgelegten Verfassungsreformvorschläge nicht zu einer politischen Lösung des Konfliktes geführt haben.
Die Regierung scheint aber die damit verbundene Gefahr zu unterschätzen. Eine solche mit weitreichenden Konzessionen an die LTTE erkaufte Waffenruhe friert nicht einfach den Status Quo ein. Sie könnte die Position der LTTE stärken, ohne dass diese ihrerseits weitergehende Konzessionsbereitschaft als die vorübergehende Einstellung von Gewaltanwendung zeigen muss. Das wohl wichtigste im Waffenstillstandsabkommen enthaltene Zugeständnis an die LTTE ist die Bestimmung, dass die von der vorherigen Regierung als Alternative zur LTTE massiv unterstützte "Eelam Peoples' Democratic Party" (EPDP) sowie die anderen bisher als Hilfstruppen der Armee im Kampf gegen die LTTE fungierenden politisch-militärischen Gruppierungen entwaffnet werden. Der LTTE würde damit ein Waffenmonopol auf tamilischer Seite eingeräumt.
Eine Antwort auf die Frage, was die LTTE wolle, wurde von der internationalen Pressekonferenz erwartet, zu der LTTE-Supremo V. Prabhakaran und der sogenannte ‚Theoretiker' und voraussichtliche LTTE-Verhandlungsführer A. Balasingham am 10. April in die von der LTTE beherrschte Vanni-Region eingeladen hatten. Auf die Frage, ob die LTTE als Alternative zu einem separaten tamilischen Staat eine Regelung akzeptieren könne, die auf der Zusammenlegung der insgesamt mehrheitlich von Tamilen besiedelten Nord-Ost-Provinzen und der Gewährung substantieller politischer Autonomie für eine solche fusionierte Provinz basiere, antwortete der ,national leader' der LTTE, dass dafür die Zeit noch nicht reif sei. Damit die LTTE eine Alternative zur Eigenstaatlichkeit in Betracht ziehen könne, müsse jeglicher Lösungsvorschlag auf der Anerkennung eines tamilischen ‚homeland', einer eigenen tamilischen Nationalität und des Rechtes auf Selbstbestimmung fußen. Im Übrigen sei sein vor Jahren gegebener Befehl an die LTTE-Kader, ihn zu erschießen, sollte er jemals das Ziel eines eigenen Staates ‚Tamil Eelam' aufgeben, nach wie vor gültig.
Mit ihren Äußerungen machten Prabhakaran und Balasingham deutlich, dass die LTTE nach wie vor an ihren essentiellen Positionen festhält und die Suche nach einer dauerhaften Lösung des ethno-nationalistischen Konflikts durch einen Kompromiss gegenwärtig noch nicht auf ihrer Agenda steht. Vielmehr scheint sie bestrebt zu sein, ihre politische und wirtschaftliche Position in den von ihr kontrollierten Gebieten zu konsolidieren, ihre geographische Einflussbasis auszuweiten und ihr Image insbesondere vor der internationalen Öffentlichkeit zu verbessern.
Balasingham erklärte, dass auch eine ‚interne' Selbstbestimmung von der LTTE in Betracht gezogen werde. Sie sollte aber den essentiellen Prinzipien der Anerkennung der Tamilen als eigenständige Nation mit der Hoheit über ein eigenes Territorium und dem uneingeschränkten Recht zur Bestimmung des eigenen Schicksals gerecht werden. Damit gehen die von der LTTE gehegten Vorstellungen bezüglich interner Selbstbestimmung ganz offensichtlich wesentlich über das hinaus, was üblicherweise darunter verstanden wird. Sie bergen reale Gefahren für den Fortbestand Sri Lankas als staatliche Einheit. Sowohl die im Jahre 1987 im Rahmen des Indo-Sri Lanka Accord vereinbarte semi-föderale Lösung wie auch das von der PA-Regierung im Jahre 2000 vorgelegte weitergehende ,devolution package' waren von der LTTE als völlig unzureichend abgelehnt worden.
Was die LTTE unter Selbstbestimmung versteht, hatte Prabhakaran schon in seiner Heldengedenktags-Rede im November 2001 deutlich gemacht. Er betonte damals, dass das ,tamilische Volk' seine nationale Identität bewahren und in seinem ‚historisch ihm zustehenden Territorium' sein eigenes politisches und wirtschaftliches Leben ohne Fremdbestimmung führen möchte.
Ein Autonomiekonzept, das innerhalb eines ungeteilten Staatsverbandes ‚interne' Selbstbestimmung verwirklicht, kann aber nicht darauf reduziert werden, dass eine Volksgruppe in einem von ihr als exklusives ‚homeland' definierten Territorium zwar Autonomie zur Entfaltung und Pflege der eigenen Identität, Sprache und Kultur beansprucht, sich aber ansonsten vom Rest des Landes und seiner Bevölkerung abkapselt. Vielmehr erfordert ein solches Konzept gleichzeitig ein ethnien-übergreifendes Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit, zu gemeinsamen Grundwerten und zur Loyalität gegenüber dem Staat als Ganzem. ‚Interne' Selbstbestimmung beruht somit auf dem Gestaltungsprinzip der vertikalen Gewaltenteilung. Regionale Selbstbestimmung wird mit Mitbestimmung und Mitverantwortung für den Staat als Ganzes kombiniert. Das Spannungsverhältnis und Konfliktpotential von Vielfalt und Einheit wird durch Kooperation und Kompromiss ausbalanciert.
Zudem würde jede auf dem Prinzip der ethnischen territorialen ‚inneren' Selbstbestimmung' basierende Lösung zwangsläufig neue Minderheiten schaffen und wahrscheinlich neue ethnische Diskriminierungen und damit Konflikte hervorrufen. Dies gilt insbesondere für die im Osten der Insel siedelnde muslimische Bevölkerung, aber auch für die erst im letzten Jahrhundert eingewanderten und zumeist im Hochland lebenden Tamilen ‚of recent Indian origin' sowie für die große Anzahl der Tamilen, die heute in überwiegend von Singhalesen besiedelten Regionen, also außerhalb der von der LTTE als tamilisches ‚homeland' reklamierten Gebiete leben. Die massiven ethnischen Säuberungen, die die LTTE in der Vergangenheit in dem von ihr beherrschten Territorium durchgeführt hat, sind eine deutliche Warnung vor den Gefahren einer Föderalisierung oder Autonomieregelung, die auf der Grundlage ethnischer Homogenität bzw. ethnischer Enklaven konstruiert wird.
Regionale Autonomie müsste deshalb notwendigerweise durch klare und durchsetzbare Vorkehrungen zum Minderheitenschutz begrenzt und durch wirksame Strukturen der politischen Teilhabe der Minderheits-Ethnien im politischen Zentrum ergänzt und relativiert werden. Die von der LTTE aufgestellte messianische Verheißung, nach der ein eigener ‚angestammter' Lebensraum für die Tamilen die endgültige Lösung des Konfliktes bedeute, greift angesichts der aktuell existierenden Siedlungsstreuung und der divergierenden Interessen der unterschiedlichen Gruppen von Tamilen zu kurz.
Obwohl der LTTE-Führer auf seiner internationalen Pressekonferenz erklärt hatte, dass seine Organisation auch anderen tamilischen Parteien "erlauben" werde, sich im Norden und Osten der Insel politisch zu betätigen, deutet gegenwärtig vieles darauf hin, dass die LTTE ein politisches Herrschaftsmonopol anstrebt, das allenfalls durch die Existenz gleichgeschalteter Blockparteien einen "demokratischen" Anstrich erhalten könnte. Sein Demokratieverständnis hatte Prabhakaran schon im Jahre 1986 gegenüber der indischen Tageszeitung India Today offenbart. Er sprach sich gegen eine Mehrparteien-Demokratie aus, da eine Einheitspartei den erstrebten Tamilen-Staat ‚Tamil Eelam' schneller entwickeln könne.
Nicht zuletzt aufgrund der von der LTTE in der Vergangenheit betriebenen radikalen Verfolgung und Eliminierung Andersdenkender, gibt es gegenwärtig keine nennenswerte tamilische Opposition gegen den von der LTTE erhobenen Anspruch, ‚sole representative' der Tamilen zu sein. Das im Parlament mit 15 Abgeordneten vertretene tamilische Parteienbündnis "Tamil National Alliance" hat sich der LTTE unterworfen und eigenständige Positionen und Politiken aufgegeben. Befangen in einem unverarbeiteten kollektiven sozialen Trauma scheint auch der überwiegende Teil der tamilischen Bevölkerung, insbesondere im Norden und Osten der Insel, emotional hinter der LTTE zu stehen. Nur kleine Gruppen wie die "University Teachers for Human Rights (Jaffna)" warnen vor dem ‚totalitären Frieden', den die LTTE in den von ihr kontrollierten Gebieten etablieren könnte.
Sinnvolle Verhandlungen über eine dauerhafte und demokratische Konfliktlösung können jedoch kein Vertretungs - und Verhandlungsmonopol der LTTE zur Grundlage haben, sondern müssen zumindest mittelfristig auch auf tamilischer Seite pluralistischen Charakter haben.
Verhandlungen zwischen Regierung und LTTE werden noch kein Schritt zur permanenten Lösung des Konfliktes sein, sondern sich auf die Aushandlung der Konditionen für das Funktionieren einer Übergangs-Administration im Norden und Osten der Insel konzentrieren. Die Schaffung eines solchen ‚Interim Council' war Teil des politischen Programms, das die "United National Party" (UNP) vor den Wahlen im Jahre 2001 vorgelegt hatte.
Die Regierung Wickremesinghe scheint der LTTE schon vorab zumindest in Aussicht gestellt zu haben, dass ihr in einer Übergangs-Administration der Nord- und Ost-Provinzen eine dominante Stellung eingeräumt wird. Die LTTE behielte damit nicht nur über die ihr bereits unterstehenden Gebiete Kontrolle, sondern könnte ihre Herrschaft sogar auf bisher von der Regierung kontrollierte Gebiete im Norden (Jaffna, Vavuniya) und Osten (Trincomalee, Batticaloa, Ampara) der Insel ausdehnen. Mit diesem territorialen Zugewinn besäße die LTTE de facto die Herrschaft über einen großen Teil der Gebiete, die sie als tamilisches ‚homeland' und ‚Tamil Eelam' reklamiert.
Die Befürworter einer LTTE-dominierten Übergangs-Verwaltung weisen darauf hin, dass ein solches Zugeständnis eine notwendige vertrauensbildende Maßnahme sei, die es der LTTE überdies ermögliche, ihre bisher ausschließlich militärische in eine politische Organisation umzuwandeln. Außerdem, so die Argumentation, sei die Übergangs-Administration eine Schule für die LTTE, um in der Praxis die Notwendigkeit zur Respektierung demokratischer Normen zu erlernen.
Dabei wird aber wohl die nicht zu unterschätzende Gefahr übersehen, dass die LTTE in einer von ihr dominierten Übergangs-Verwaltung ihre Hegemonie - im Einklang mit ihrem totalitären Anspruch - auch zur absoluten Alleinherrschaft ausbauen und in dem von ihr kontrollierten Gebiet kaum noch umkehrbare Fakten schaffen könnte. Die theoretisch als Instrument zum graduellen Eintritt der LTTE in den politischen mainstream des Landes konzipierte Übergangs-Administration würde damit in ihr Gegenteil verkehrt. Sie wäre nicht Vorstufe der langfristig angestrebten dauerhaften und auf demokratischen Prinzipien basierenden Friedenslösung im Rahmen der Souveränität und territorialen Integrität Sri Lankas, sondern eher Chance zur Konsolidierung der oppositionsfreien politischen Herrschaft der LTTE in einem "Staat im Staat" und ein Sprungbrett zur Sezession.
Zunächst könnte die Aufnahme von Verhandlungen schon an der von der LTTE hierfür aufgestellten Bedingung scheitern, das im Jahre 1997 in Sri Lanka verhängte Verbot der Organisation aufzuheben. Zwar scheint die Regierung Wickremesinghe dazu bereit zu sein, der LTTE-Forderung nachzugeben, wenn sonst die Verhandlungen nicht zustande kämen, doch stößt die Legalisierung der LTTE nicht nur auf den Widerstand radikal-singhalesischer Gruppen und Parteien, sondern wird auch von einem Teil der größten Oppositionspartei "Sri Lanka Freedom Party" (SLFP) sowie der Präsidentin abgelehnt. Nach Ansicht der Präsidentin und der SLFP sollte das Verbot erst aufgehoben werden, nachdem Fortschritte bei Verhandlungen erzielt wurden und die LTTE terroristischen Aktivitäten abgeschworen habe. Die SLFP spricht sich auch dagegen aus, die Übergangs-Verwaltung der Nord-Ost-Provinzen vor Gesprächen über die substantiellen Fragen der Konfliktlösung zu bilden. Zunächst müsse über die Kernfragen verhandelt werden, und erst nach ersten Verhandlungsfortschritten könne über die Zusammensetzung und Aufgabenstellung der Übergangs-Verwaltung gesprochen werden.
Nicht auszuschließen ist auch, dass die SLFP wieder in die in der srilankischen Politik traditionell übliche destruktive Rolle einer Fundamentalopposition zurückfallen könnte, die die gesamtgesellschaftlichen Interessen dem eigenen Machtinteresse unterordnet. Während in der Vergangenheit die UNP die Friedensinitiativen der PA-Regierung torpedierte, würde der Part des Verweigerers und Saboteurs diesmal der SLFP zufallen. Eine solche Situation würde insbesondere dann wahrscheinlich, wenn aufgrund von überzogenen Forderungen der LTTE die Unterstützung der singhalesischen Bevölkerung für den Friedensprozess weiter nachließe und Opposition dagegen einen künftigen Wahlsieg verspräche.
Die bisher von der Oppositionspartei und der Präsidentin (die gleichzeitig Staats- und Regierungschefin sowie Oberkommandierende der Streitkräfte ist) gezeigte Toleranz gegenüber den vom Premierminister unternommenen Initiativen könnte auch schnell einer Konfrontation Platz machen, sollte Wickremesinghe nicht auf die Forderung der SLFP eingehen, ein gemeinsam von Präsidentin und Premierminister geleitetes ‚Standing Committee' zur parteiübergreifenden Diskussion, Orientierung und Steuerung des Friedensprozesses zu etablieren.
Skeptiker erinnern auch daran, dass die LTTE in der Vergangenheit abgeschlossene Waffenstillstandsabkommen (1985, 1990,1995) regelmäßig gebrochen und Gespräche beendet habe, bevor überhaupt Verhandlungen über Kernfragen einer Konfliktlösung begonnen hatten. Sie ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass Waffenruhen für die LTTE nur taktische Manöver zur Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln sind, d. h. zur Auffüllung der Waffenarsenale, zur Rekrutierung neuer Kader und zur militärischen Re-Gruppierung missbraucht werden.
Auf die Gefahren einer nur kurzsichtigen politischen und begrenzten wirtschaftlichen Zielen dienenden Appeasement-Politik, die demokratische Prinzipien und Menschenrechte hintanstellen könnte, verweisen auch Gruppen und Personen in- und außerhalb Sri Lankas, die ansonsten entschieden für eine verhandelte politische Konfliktlösung eintreten.
Der Waffenstillstand und die von beiden Konfliktparteien bekundete Absicht, demnächst in Verhandlungen über eine "Zwischenlösung" einzutreten, lassen somit noch keineswegs den Schluss zu, dass sich darin auf beiden Seiten der politische Wille zu einer gewaltfrei ausgehandelten demokratischen und gerechten Kompromisslösung manifestiert.
Angesichts der wachsenden Kritik an vermeintlich zu weitgehenden Vorleistungen und Zugeständnissen an die LTTE tritt auch die Regierung auf die Bremse. Vor dem obersten buddhistischen Priester-Kollegium Maha Sangha erklärte der Premierminister, dass eine Vereinbarung mit der LTTE über die Übergangs-Administration in den Nord-Ost-Provinzen nur nach Zustimmung durch das Parlament und nach Abhaltung eines Referendums erfolgen werde. Zudem versicherte er, dass das von der LTTE vertretene geographisch definierte Konzept eines ‚Tamil homeland' nicht von der Regierung akzeptiert werde. Es existiere nur ein sich über das gesamte Territorium Sri Lankas erstreckendes ‚homeland', das allen ethnischen Gruppen Sri Lankas gehöre. Damit könnte aber die von der LTTE angestrebte und ihr von der Regierung wohl auch in Aussicht gestellte Dominanz in der Administration eines de facto-‚homeland' nicht mehr realisierbar sein. Wickremsinghe würde sich damit aus dem Blickwinkel der Tamilen in die unrühmliche Reihe der ihre Versprechen brechenden singhalesischen Politiker wie Premierminister S.W.R.D. Bandaranaike einreihen, die schon in der Vergangenheit Zusagen gemacht hatten (z.B. das Bandaranaike-Chelvanayakam-Agreement 1957), diese dann aber auf Druck des buddhistischen Klerus und der singhalesischen Opposition zurücknahmen.
Immerhin stehen aber die Chancen für einen längerfristig andauernden Waffenstillstand gut. In der gegenwärtigen Situation ist die Aufrechterhaltung der Waffenruhe für beide Konfliktparteien überlebensnotwendig. Die Regierung Wickremesinghe wird sich nur an der Macht halten können, wenn sie wirtschaftliche Erfolge vorweisen kann, die ohne ein Schweigen der Waffen unerreichbar sind. Eine Aufkündigung des Waffenstillstandes durch die LTTE hätte wohl unweigerlich zur Folge, dass die USA die LTTE nicht länger verschonen, sondern als Ziel in ihren weltweiten Kampf gegen terroristische Organisationen einbeziehen würden. Es ist kaum denkbar, dass sich die LTTE dieser Gefahr aussetzen wird.
Für eine dauerhafte und auf demokratischen Prinzipien basierende Lösung des Konfliktes wird es aber erforderlich sein, extremistische nationalistische Positionen auf beiden Seiten zu überwinden. Es müsste eine sowohl von Singhalesen als auch von Tamilen und den anderen Volksgruppen getragene de-ethnisierte Perspektive der ‚Einheit in Vielfalt' für Sri Lanka entwickelt werden. Eine solche Perspektive müsste einerseits den gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der verschiedenen Ethnien gerecht werden sowie Privilegien und Benachteiligungen aufgrund der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit ausschließen, und andererseits die freie eigenständige kulturelle Entfaltung aller Volksgruppen gewährleisten.
Die Ziele und Positionen, die gegenwärtig von beiden Seiten proklamiert werden, sind noch weit von einer derartigen Vision entfernt.
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