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IV. Aufgaben und Perspektiven zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Demokratieentwicklung in Westafrika

Nach den politischen Parteien und den Verfassungsinstitutionen wandte sich die Tagung der Rolle der Zivilgesellschaft zu. Amsatou Sow-Sidibé, Senegal, ehemals Mitglied der unabhängigen Wahlkommission ONEL und nun Vorsitzende einer Nicht-Regierungsorganisation (NRO), gab einen Überblick über die derzeitige Lage in ihrem Land. Es sei in den letzten Jahren zu einer Explosion von NROs gekommen. In ihrem Land gebe es allein 550 Organisationen nur zur Unterstützung frauenpolitischer Anliegen. Bedauerlicherweise werde das Ansehen der Zivilgesellschaft durch verschiedene Faktoren negativ beeinflusst: Hierzu zähle erstens die fehlende Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationen, die Geschäftstüchtigkeit vieler Gruppen, eine Konzentration auf die Hauptstadt und die fehlende Bereitschaft, auch mit staatlichen Organen einen Dialog zu suchen. Mittelfristig werde die Zivilgesellschaft beweisen müssen, dass sie fähige politische Führer hervorbringen, das Bürgerbewusstsein stärken und ein zuverlässiger watchdog für freie Wahlen und eine effektive Regierungspolitik sein kann. Es brauche dazu nicht nur eine stärkere Partnerschaft zwischen NROs im Norden und Süden, sondern auch finanzielle Unterstützung durch die afrikanischen Staaten selbst.

Der ivorische Gewerkschaftsführer Messou N’Guessan Nyamien betonte hingegen stärker die notwendige finanzielle und organisatorische Autonomie, die gesellschaftliche Akteure gegenüber dem Staat bräuchten. Er räumte freilich auch ein, dass es oft an Professionalität und Verantwortung fehle. Auch zivilgesellschaftliche Akteure seien in ihrem internen Reglement auf demokratische Strukturen verpflichtet, wenn sie denn einen Beitrag zur Demokratisierung leisten wollten. Nyamien skizzierte den Weg der ivorischen Gewerkschaftsbewegung, die nach der dreißigjährigen Einparteienherrschaft des PDCI den Aufbruch zu mehr Pluralismus

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seit 1990 als echte ‚Befreiung’ wahrgenommen hätte, obwohl sie bereits vorher das einzig legale Instrument einer politischen Gegenmacht gewesen sei. Neben die traditionellen, z. B. gewerkschaftlichen Organisationen, trete nun eine Vielzahl neugegründeter NROs, deren Schwächen offensichtlich seien, und die kaum eine effektive Kontrollfunktion gegenüber staatlichen Einrichtungen zu behaupten vermochten.

Hadja Sall, Vorsitzende einer guineischen Frauen-NRO, unterstrich ebenfalls die zentrale Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure, die neben den politischen Parteien wichtig für die Erklärung der Regierungspolitik und die Sensibilisierung der Bevölkerung seien. Anders als Tiebile Dramé, der in den Parteien die einzige Möglichkeit zur Aggregation ethnienübergreifender gesellschaftlicher Interessen sah, argumentierte Frau Sall mit Blick auf die Situation in Guinea, alle Parteien (außer der Regierungspartei) seien ethnisch-regionalistische Akteure. Sie erklärte freilich nicht, inwiefern zivilgesellschaftliche Akteure im Gegensatz zu den Parteien tatsächlich zu einer weniger partikularistischen Interessendefinition und -verfolgung in der Lage seien.

Der Erlanger Politologe Pierre Jadin versuchte sich abschließend an einer stärker begrifflichen und historischen Klärung des Terminus Zivilgesellschaft, der die beiden Hauptaufgaben Demokratisierung und wirtschaftliche/soziale Entwicklung zukämen. Freilich fehle es in Afrika an der für das europäische Verständnis des Begriffs zentralen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Es sei offensichtlich, dass beide durch zahlreiche horizontale und klientelistische Verbindungen zusammengehalten würden, die eine echte Unabhängigkeit gesellschaftlicher Gruppen vom Staat verhinderten. Folglich, so die Schlussfolgerung Jadins, dürfe man in Afrika eigentlich gar nicht von Zivilgesellschaft sprechen; viele Organisationen seien materiell und ideologisch eher Produkte externen Einflusses als Repräsentanten authentischer sozialer Bewegungen.

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In der Diskussion zeigte sich schnell, dass keiner der afrikanischen Teilnehmer auf dem Podium einer solch radikalen und engen Verwendung des Begriffs zu folgen bereit war. Die fehlende Trennschärfe von Staat und Gesellschaft sei sicherlich ein zentrales Problem für die praktische Arbeit solcher Organisationen, aber kein hinlänglicher Grund zur Abkehr von der Terminologie. Wie schillernd der Begriff bleibt, wurde an der sehr unterschiedlichen Verwendung durch die Diskutanten deutlich. Während er für manche schlechterdings mit allen gesellschaftlichen Akteuren, außer dem Militär und den politischen Parteien gleichzusetzen ist, setzten andere auch eine spezifisch politische Zielrichtung der betreffenden Gruppen voraus. Nur eine Minderheit forderte die explizite Positionierung als Gegengewicht zum Staat, während andererseits, z. B. von Tiébilé Dramé, Mali, eine positive Stärkung (rechts-)staatlicher Funktionen eingefordert wurde. Zwar wurde die historische Rolle der Zivilgesellschaft in den Systemwechselprozessen einiger Staaten ausdrücklich hervorgehoben. Aber Kritik an der fehlenden oder zu strengen staatlichen Gesetzgebung zur Regelung der Aktivitäten und Finanzierung von NROs führte keineswegs zur Schlussfolgerung, dass offensichtlich auch die demokratisierten Regime unabhängige gesellschaftliche Gegenmacht fürchteten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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