FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 1-2 = Titel]
[Seite der Druckausg.: 3 ]


I. Demokratischer Wandel im frankophonen Afrika in den letzten zehn Jahren - Demokratisierung als Systemreform oder Fassadendemokratie als Machterhaltungsstrategie?

Volker Vinnai, Referat Afrika der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), betonte in seinen begrüßenden Worten die Bedeutung, die eine Konferenz zum frankophonen Afrika gerade angesichts der schwierigen Vermittlung des Kontinents in der deutschen Öffentlichkeit einnimmt. Das frankophone Afrika zeige eine ganze Bandbreite möglicher Entwicklungen seit 1990. Senegal als einzige langjährige Mehrparteiendemokratie bewies, dass ein Regierungswechsel an der Urne auch nach mehr als 20-jähriger Dominanz durch nur eine Partei möglich ist. Mali und Benin sind als positive Beispiele einer Demokratisierung und Schaffung funktionierender rechtsstaatlicher Institutionen zu sehen, Kamerun und Guinea als Beispiele blockierter Demokratisierungsbemühungen und der Beibehaltung von Fassadendemokratien und Côte d'Ivoire als bisheriges Musterland in der Region ist inzwischen von Staatszerfall bedroht. In allen Ländern der Region zeige sich aber als "französisches Erbe" eine starke Präsidialexekutive gegenüber einem personell und finanziell schlecht ausgestatteten Parlament. Die Zivilgesellschaft sei in den offeneren, demokratischeren Ländern sehr aktiv und einflussreich, in anderen schwach und manipulierbar, in den Fassadendemokratien aber wichtiger Bestandteil der Opposition. Dies gelte vor allem für die Presse. Vor dem Hintergrund der Reformdiskussionen innerhalb der deutschen Entwicklungszusammenarbeit über die Bildung von Schwerpunktländern sei eine gründliche Analyse der sehr unterschiedlichen Prozesse in den Ländern der Region und der darin beteiligten Akteure dringlicher denn je.

Wer hätte besser in die Thematik der Konferenz einführen können als Joseph Ki-Zerbo, der aus Burkina Faso stammende engagierte Intellektuelle und seit vielen Jahren in der Politik seines Landes

[Seite der Druckausg.: 4 ]

aktive Doyen der afrikazentrierten Geschichtswissenschaft. Er spannte in seinem oft philosophischen Vortrag einen weiten Bogen von der historischen Entwicklung der Demokratie bis hin zu den aktuellen Herausforderungen der politischen Reformen in der Region. Dabei wurde der lange Weg der politischen Reformen und Rückschläge seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts am Ende der Kolonialzeit deutlich. Der Aufstieg ziviler und militärischer Diktaturen sei dann maßgeblich durch den Ost-West-Konflikt verursacht worden, der jede Möglichkeit eines wirklichen politischen und wirtschaftlichen Nationalismus in Afrika zunichte machte.

In der heutigen Diskussion über die politischen Entwicklungen drohe oftmals unterzugehen, dass es jedoch bereits eine Welle der Demokratisierung am Ende der 70er Jahre gegeben habe, die für viele politische Akteure (darunter wohl auch ihn selbst) eine wichtige Rolle als Moment der Besinnung zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit sowie als Katalysator neuer Tendenzen gespielt habe. Vor dem Hintergrund einer desaströsen wirtschaftlichen Entwicklung wisse Afrika nun aber nicht mehr wirklich, ob es sich in einer ‘zweiten Befreiung’ oder vielmehr einer ‘zweiten Kolonisierung’ befinde. Demokratisierung sei in diesem Sinne ebenso die Aspiration der afrikanischen Völker wie das Produkt einer politischen Konditionalität aus dem Norden.

Im zweiten Teil seines Vortrags ließ Professor Ki-Zerbo die einzelnen Themenfelder der Konferenz Revue passieren. Die politischen Institutionen seien von einer Dominanz der Exekutive gekennzeichnet, die der höchste und einzige Preis des politischen Ringens sei. Politische Macht werde als persönlicher Besitz angesehen, der in Dauer und Ausmaß prinzipiell unbegrenzt sei. Dies sei auch der Hauptgrund, warum die rechtsstaatlichen Institutionen bislang machtlos geblieben seien. Die Frage, warum einige Staaten der Logik militärischer Machtergreifung entronnen seien, werde viel zu wenig untersucht. Dezentralisierung sei prinzipiell der richtige

[Seite der Druckausg.: 5 ]

Weg, führe aber nur unter den Bedingungen effektiver Parteienkonkurrenz zum Aufbruch der Machtkonzentration, denn andernfalls ende man in einer Situation wie der in Burkina Faso, wo die Regierungspartei praktisch alle Lokalparlamente kontrolliert.

Die Parteien seien zumeist eher Anhängsel und Teil der gerade herrschenden Staatsmacht, als Ausdruck gesellschaftlicher Kräf-te(-verhältnisse). Parteipolitische Opposition stelle eine der zentralsten Errungenschaften der Demokratisierung dar, doch fehle dem heroischen Kampf der Opposition bislang noch die nötige Ressourcenbasis, da sich die Wirtschaftsakteure regimetreu oder neutral verhielten. Die Medien spielten keine eindeutige Rolle, da sie oft den Status quo stabilisierten, oft aber auch subversiv wirken könnten. Dennoch seien hier zahlreiche Fortschritte gemacht worden, zumal bei den Printmedien. Die Zivilgesellschaft habe sich zwar als politischer Akteur etabliert, sei aber noch zu wenig organisiert. Ein großer Teil der Gesellschaft, die Bauern nämlich, sei wenig repräsentiert. Zehn Jahre nach der Liberalisierung müsse zudem kritisch hinterfragt werden, was an den vielen gesellschaftlichen Gruppen ‘zivil’ und was ‘politisch’ sei. Vor diesem Hintergrund stehe die Demokratie vor vielen Herausforderungen, deren wichtigste die Suche nach einem gesellschaftlichen Konsens sei. Dieser Konsens dürfe weder der ‘maximalistische’ Konsens der Tradition sein noch der ‘absolute’ Konsens der Diktatur, sondern ein notwendiger, aber ‘minimaler’ Konsens der Spielregeln, der in andauernder Diskussion konkretisiert werden müsse.

Dem Vortrag folgte das Ko-Referat von Andreas Mehler, Institut für Afrika-Kunde Hamburg, das sich im Gegensatz zu Ki-Zerbos allgemeinen Überlegungen um eine genauere Einordnung und vergleichende Bewertung der einzelnen Demokratisierungsprozesse in der Region bemühte. Dabei griff er zunächst auf den vom amerikanischen Freedom House Institute entwickelten Katalog zurück, der trotz der prinzipiell problematischen Bewertungskriterien insgesamt doch die positive Entwicklung der letzten zehn

[Seite der Druckausg.: 6 ]

Jahre deutlich mache. Dem übertriebenen Enthusiasmus der beginnenden 90er Jahre folge nun eine Phase der Desillusionierung. Die politischen Systeme kämpften mit der schweren Hinterlassenschaft klientelistischer Strukturen und manche unter ihnen seien auf der Stufe des reformierten Neopatrimonialismus stehen geblieben. Diese länderübergreifende Perspektive ergänzte Mehler mit einer Klassifizierung der frankophonen Staaten in eine Typologie vier unterschiedlicher Demokratisierungswege: Den Hoffnungsfällen (Benin, Madagaskar, Mali, Senegal) stellte er eine Gruppe der ‚halben Demokratien im schwachen Staat’ (Niger, ZAR) und eine Gruppe der Fassadenerrichter (Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Djibouti, Gabun, Guinea, Kamerun, Mauretanien, Togo, Tschad) entgegen. In einer letzten Gruppe von Staaten (Burundi, Komoren, DR Kongo, Kongo, Ruanda) fliehe man vor der Reform in den (Bürger-) Krieg. Angesichts dieses differenzierten Szenarios sei nun eine Strategie der schrittweisen Reformen erforderlich. Die heroischen Zeiten seien in der ersten Gruppe vorüber, in der dritten Gruppe der Fassadenerrichter dominiere öffentlicher Zynismus und Apathie, in der letzten Gruppe stehe Demokratie ganz einfach nicht auf der Tagesordnung.

In der Diskussion wurden die unterschiedlichen Akzente der beiden Vorträge hervorgehoben. Ki-Zerbo hatte sich in seinen Ausführungen auf seine eigenen historischen Erfahrungen (und damit die seines Landes) berufen und im übrigen relativ allgemeine und stark normative Überlegungen angestellt, worin ihm die meisten Diskussionsbeiträge Recht gaben. Mehler wählte dagegen eine eher empirische und erklärende Perspektive und stellte den Vergleich konkreter Prozesse in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Der Versuch einer vergleichenden ‘Messung’ afrikanischer Staaten stieß - wenig überraschend - auf den prinzipiellen Protest einiger afrikanischer Diskutanten. Eine Reihe von ‘positiven’ Guthaben der afrikanischen Gesellschaften sei nicht kodifiziert und daher wissenschaftlicher Bewertung unzugänglich. Dass jedes Land seine ‘eigene Geschichte’, seinen ‘eigenen Rhythmus’ und seine

[Seite der Druckausg.: 7 ]

Höhen und Tiefen hat, ist einerseits wahr, aber andererseits immer wieder zur Rechtfertigung der schlimmsten Missstände angeführt worden. Und nicht nur die Entwicklungspolitik braucht klare und transparente Maßstäbe. Für den europäischen Beobachter überraschend bleibt, dass auch die Teilnehmer aus Togo oder Guinea trotz der Situation in ihren Heimatländern die Entwicklung solcher Kriterien nicht einklagen. Tatsächlich zeigte die Diskussion, dass hier weniger um Begriffe gestritten wird, als vielmehr um den theoretischen Zugriff auf das Thema und um angemessene Kriterien und Indikatoren, die auch gesellschaftliche Entwicklungen einbeziehen können. Es wurde auch beklagt, wie sehr der Diskurs über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von den politischen Reformen abgekoppelt worden sei. Ki-Zerbo betonte noch einmal, wie notwendig die Suche nach einer geeigneten territorialen Ebene für die Ausübung demokratischer Herrschaft sei. Man dürfe nicht nur dezentralisieren und lokal handeln und denken, sondern müsse die Balkanisierung überwinden, und in größeren Räumen denken.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

TOC Next Page