Dokumentation einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Marie-Schlei-Verein am 13. November 2000 in Bonn
Vorbemerkung
Peter Schlaffer,
Friedrich-Ebert-Stiftung
Kein
Krieg ohne Frauen – ohne Frauen kein Frieden? Die Rolle der Frauen in bewaffneten
Konflikten
Christa Randzio-Plath,
Vorsitzende des Marie-Schlei-Vereins und Europaabgeordnete
Frauen als Akteurinnen in und nach gewaltsamen Konflikten
(überarbeitete autorisierte Fassung der Autorin)
Cordula Reimann,
Professorin für Gender und Konfliktberatung, Brighton/Großbritannien
Das
Beispiel Sri Lanka
Beulah Moonesinghe,
Agromart
Das
Beispiel Mosambik
Zelia Langa, Organisacao
das Muhlheres de Mocambique (OMM), Vizepräsidentin der Gemeindeversammlung
Maputo
Das
Beispiel Israel
Irit Keynan, Mitbegründerein
der internationalen Zeitung “Coexistenz” und Professorin an der Universität
Haifa
Trauma
und Retraumatisierung – Menschenrechtsverletzungen an Frauen im Krieg
Monica Hauser, MedicaMondiale
Schwerpunkte aus der Diskussion
Podiumsdiskussion
Monica Hauser, Zelia
Langa, Irit Keynan, Beulah Moonesinghe
Moderation: Kay Fölster,
Marie-Schlei-Verein
Internetadressen und Buchtipps
Seit einer ganzen Reihe von Jahren veranstaltet die Friedrich-Ebert-Stiftung regelmäßig Fachtagungen mit dem Marie-Schlei-Verein, die menschenrechtsrelevante Themen im Zusammenhang mit der internationalen Entwicklungszusammenarbeit behandeln. Entsprechend der Aufgabenstellung des Marie-Schlei-Vereins liegt dabei der Schwerpunkt immer auf der Situation von Frauen und Mädchen und ihrer Familien.
Die diesjährige Fachtagung zur Rolle der Frauen in bewaffneten Konflikten stand unter der Überschrift: „Kein Krieg ohne Frauen – ohne Frauen kein Frieden?“. Damit wurde ein Themenbereich aufgegriffen, der bei der Weltfrauenkonferenz in Peking eine zentrale Bedeutung hatte.
Frauen aus unterschiedlichen Weltregionen und Arbeits- und Lebenszusammenhängen trugen zu einer lebhaften Diskussion dieses Menschenrechtsthemas bei und es wurde deutlich, dass die Problematik weit über die schematische Einteilung in Opfer und Täter hinausgreift. Insbesondere führte die Debatte zur Bestätigung der These, dass Vermeidung und Überwindung von Konflikten nur in fairer und gleichberechtigter Zusammenarbeit aller Beteiligten – Männer und Frauen gleichermaßen – gelingen kann.
Einmütig waren die Anwesenden der Meinung, dass das provokante Fragezeichen im Titel einem Ausrufungszeichen zu weichen habe: Ohne Frauen kein Frieden!
Die Fachbeiträge und die Diskussion werden in dieser Broschüre dokumentiert, um sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit will die Friedrich-Ebert-Stiftung einen Beitrag leisten zu mehr Anstrengungen für die Früherkennung und Vermeidung von Konflikten, indem ihre Ursachen identifiziert und nach Möglichkeit beseitigt werden, bevor sie in bewaffnete Gewaltausbrüche münden, deren Folgen um ein Vielfaches dramatischer und schmerzlicher sind.
Peter Schlaffer
Kein
Krieg ohne Frauen – ohne Frauen kein Frieden?
Die Rolle der
Frauen in bewaffneten Konflikten
Christa Randzio-Plath
Frauen haben auch in bewaffneten Konflikten Geschichte geschrieben, häufiger allerdings als Opfer denn als Täterinnen. Bekannt waren die Amazonen, aber auch die listige Lysistrata, die mit einem Liebesstreik die Männer von der Kriegsführung abzuhalten versuchte oder die schöne Helena, die Krieg und Leid in der Antike auslöste. Königinnen gaben Kriegsbefehle. Eine Jeanne d'Arc versuchte sich als Retterin Frankreichs, Lady Godiva rettete ihre Stadt Coventry durch einen mutigen Ritt in nackter Schönheit vor dem Feind. Aber auch im Kongo oder in indianischen Gebieten zeigten Frauen Mut und Widerstand gegen Unterdrückung. Das galt auch für Indien, wo Gandhi die Frauen der Unabhängigkeitsbewegung "Schmetterlinge aus Stahl” taufte. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Frauen in den ehemaligen Kolonien, die Krieg und Bürgerkrieg ausgesetzt waren und die sich nicht entmutigen ließen, den Befreiungskampf zu gewinnen: Die einfallsreichen Händlerinnen in Ghana waren dabei genauso erfolgreich wie die kämpfenden Frauen auf Kuba, in Algerien oder Mosambik.
Die
Präsenz der Frauen in den Verhandlungen steigt
In Europa gab es in den
70er Jahren eine Friedensbewegung, die eine Frauenfriedensbewegung war.
Aber es jubelten zur selben Zeit auch Frauen und Töchter in Großbritannien
und in Israel den Frauen zu, die den Falkland-Krieg und den Yom Kippur
Krieg verantworteten. Die Forderungen der Friedensnobelpreisträgerin
Bertha von Suttner sind aktuell wie nie zuvor. Krieg ist keine Naturkatastrophe.
Er wird vorbereitet.
Inzwischen ist die Rolle
der Frauen für Frieden und Entwicklung anerkannt – vor allem in den
Weltkonferenzen der UN. Die Weltfrauenkonferenz in Peking und die Aktionsplattform
der vierten UN-Weltfrauenkonferenz sowie das Abschlussdokument der UN-Sondersitzung
Peking + 5 unterstützen zu Recht die Notwendigkeit, Frauen an der
Lösung von bewaffneten Konflikten zu beteiligen. Denn weder im Kongo
noch in Burundi, weder in Sierra Leone oder Salvador, weder in Ost-Timor
noch in Korea durften Frauen mitentscheiden. Selbst in Europa ist das nicht
anders - wenn man an den Kosovo, den Balkan insgesamt oder an Belfast denkt.
Die "Friedensfrauen" waren immer nur marginalisierte Streiterinnen für
den Frieden, weil die Mehrheit der Soldaten Männer waren und sind.
Dabei werden in bewaffneten Konflikten eher Zivilisten als Soldaten getötet.
Sexualisierte
Gewalt ist ein Kriegsverbrechen
Frauen sind im Krieg zusätzlichen
Risiken durch sexuelle Gewalt ausgesetzt. Massenvergewaltigungen von Frauen
sind aus der Geschichte als systematisches Mittel der Kriegsführung
weltweit bekannt: in Bangladesch, Liberia, Peru, Somalia, Mosambik, Sudan
und Uganda wie in Sri Lanka und El Salvador. Ich habe persönlich Frauen
getroffen, die 150 Vergewaltigungen in El Salvador erlebten. Ich habe Frauen
aus Algerien getroffen, die täglich mit Morddrohungen gelebt haben
und trotzdem weiter gekämpft haben.
Das Europäische Parlament
fordert eine stärkere Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen
Fragen bei allen friedens- und sicherheitspolitischen Initiativen der EU
und im Rahmen der Flüchtlingshilfen. 80% aller Flüchtlinge sind
Frauen und Kinder, die vielfach sexueller Gewalt ausgesetzt sind und die
an den Entscheidungsgremien in den Flüchtlingslagern kaum beteiligt
sind. Ihre Anliegen kommen kaum zur Sprache. Auch bei den Einsätzen
für Frieden, Sicherheit und Wiederaufbau muss die soziale, wirtschaftliche
und politische Marginalisierung der Frauen überwunden werden, weil
diese Marginalisierung im Rahmen von Konflikten zunimmt.
Zunahme
von sexueller Gewalt und Prostitution in Krisengebieten
Frauen müssen an Friedens-
und Polizeitruppen, aber auch an Friedenseinsätzen, bei Untersuchungs-
und Hilfsteams besser beteiligt werden. Denn auch die Stationierung von
Friedenstruppen kann dazu beitragen, dass geschlechtsbedingte Gewalt zunimmt.
Selbst beim Eintreffen der UN-Friedenstruppen kam es zu einem raschen Anstieg
von Kinderprostitution, von Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs, wie
in Kambodscha, Somalia, Mosambik, im ehemaligen Jugoslawien und anderen
Regionen dokumentiert wurde. Tatsächlich wurden Soldaten aus Mitgliedstaaten
der Europäischen Union z.B. aus den Niederlanden wegen solcher Vorfälle
entlassen. Vergewaltigungen in Kriegszeiten werden häufig von Politikern
und hohen Militärs als unvermeidlich hingenommen. Der Leiter der UN-Mission
in Kambodscha machte diese Tendenz deutlich, als er zu den sexuellen Übergriffen
der UN-Friedenstruppen auf Frauen und Mädchen befragt wurde und diese
praktisch als Kavaliersdelikte billigte. Zunahme übertragbarer Krankheiten,
insbesondere AIDS, Gewalt, Grausamkeit, Prostitution, Frauenhandel, Drogensucht
sind die Folgen. Frauen flüchten und verstecken sich, vor allem wenn
der Vergewaltigung Schwangerschaften folgen.
Genderfragen
müssen ein Bestandteil der Ausbildung werden
In den Genfer Konventionen
wird Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Würde des Menschen verboten.
Der Verhaltenskodex für die Friedenstruppen der Vereinten Nationen
legt fest, dass UN-Mitarbeiter auf keinen Fall die einheimische Bevölkerung,
insbesondere Frauen und Kinder missbrauchen oder ausbeuten dürfen.
Dieser Verhaltenskodex muss bei den Friedenseinsätzen nun auch effizient
umgesetzt werden. Dazu müssen die Mitgliedstaaten die Sensibilisierung
für Geschlechterfragen zu einem zentralen Bestandteil der Ausbildung
für die Friedenstruppen ausbauen. Ferner sollten Friedenstruppen -
entsprechend einem Vorschlag der italienischen Regierung - von Untersuchungsrichtern
und Menschenrechtsbeobachtern begleitet werden, um die Beachtung des internationalen
Rechts zu gewährleisten. Nur so kann die Europäische Union vermeiden,
dass sich die peinlichen Vorfälle wiederholen, beispielsweise der
Missbrauch somalischer Frauen und Kinder durch europäische Friedenstruppen.
Keine
Straffreiheit von sexueller Gewalt
Allerdings kommt die große
Mehrheit der Täter, die sexuelle Gewalt gegen Frauen verüben,
straffrei davon. In den Verträgen über das humanitäre Völkerrecht
ist sexuelle und geschlechterbezogene Gewalt nur unzureichend geregelt.
Weder in den Haager Übereinkommen über die Gesetze und Gebräuche
des Landkrieges noch in den Nürnberger Prozessen über die Verfolgung
und Bestrafung von Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sexuelle
Gewalt überhaupt erwähnt. Ähnliches gilt auch für die
Genfer Konventionen von 1949 und die darauffolgenden Protokolle aus dem
Jahre 1977 über das Kriegsrecht. Sexuelle Gewalt wird nicht als Verbrechen
bezeichnet wie Terrorismus und Folter. Diese Verbrechen gelten als "schwere
Verletzungen", d.h., sie sind so schwerwiegend, dass sie die internationale
Gemeinschaft betreffen. Vergewaltigung wiederum wird als Verbrechen gegen
die Würde und Ehre definiert, nicht als Gewaltverbrechen. Auch die
Statuten der Tribunale für Verbrechen in Ruanda und dem ehemaligen
Jugoslawien weisen diesbezüglich erhebliche Defizite auf. Geschlechterbezogene
Gewalt muss endlich international geahndet werden wie andere Kriegsverbrechen.
Der Artikel 75 des Vierten Genfer Protokolls muss geändert werden,
damit Vergewaltigung, erzwungene Schwangerschaft und sexuelle Sklaverei
als folterähnliche Kriegsverbrechen definiert werden.
Ständiger
Internationaler Gerichtshof für Gewaltverbrechen
Ein ständiger Internationaler
Strafgerichtshof muss sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen betrachten,
auf gleicher Stufe mit Folter und Terrorismus. Ein solcher Gerichtshof
muss in der Lage sein, die Täter zu verfolgen - unabhängig davon,
ob diese eine der kriegsführenden Parteien, einer fundamentalistischen
Gruppe oder einer Friedenstruppe angehören.
Der Ständige Internationale
Gerichtshof (ICC), auf den man sich im Jahre 1998 geeinigt hat, kann diese
Lücken im internationalen Rechtswesen ausfüllen. Der ICC definiert
Vergewaltigung, erzwungene Schwangerschaft und sexuelle Sklaverei als schwere
Verstöße gegen das Völkerrecht. Um rechtskräftig zu
werden, muss dieses Abkommen jedoch von 60 Staaten ratifiziert werden.
Bislang haben nur 21 Länder dieses Abkommen ratifiziert. Nur vier
davon sind EU-Staaten. Ebenso muss auch die Erklärung zum Schutz von
Frauen und Kindern in Notlagen und bewaffneten Konflikten geändert
werden, um sexuelle Verbrechen und geschlechtsspezifische Bedürfnisse
von Frauen und Mädchen vorbeugend in alle Lebensbereiche einzubeziehen.
Folgende Verbrechen sollten aufgenommen werden: Vergewaltigung, sexuelle
Folter, erzwungene Schwangerschaft, sexuelle Sklaverei und geschlechtsbedingte
Verfolgung. Zu den geschlechtsspezifischen Bedürfnissen gehören
angemessene Beleuchtung aller Wege und öffentlicher Räume, Betreuung
von traumatisierten Opfern, sichere Verteilung von Vorräten, Hygieneartikeln
und separate Unterbringung von alleinstehenden Frauen in Flüchtlingslagern.
Beteiligung
von Frauen an Verhütung und Beilegung bewaffneter Konflikte
Das Geschlecht ist eine
wichtige Variable, die in Friedensprozessen oft übersehen worden ist.
Eine "Gender-Analyse" sollte automatisch Bestandteil von Planung und Praxis
externer Interventionen in Konfliktsituationen und beim Wiederaufbau nach
einem Konflikt sein. Dies würde sicherstellen, dass diejenigen, die
im allgemeinen schutzlos sind und häufig beim Wiederaufbau ihrer Gesellschaft
eine zentrale Rolle spielen, nicht durch falsche Entscheidungen noch weiter
marginalisiert werden.
Bei Friedenstruppen und
Friedenseinsätzen werden zunehmend nicht-militärische Fähigkeiten
verlangt, um Krisenmanagement erfolgreich zu gestalten. Deswegen müssen
Frauen hieran gleichmäßig beteiligt werden. Frauenorganisationen
müssen aufgebaut werden, um bei der Lösung der Konflikte zu helfen
und eine demokratische und egalitäre Gesellschaft zu gestalten. Bei
den Befreiungsbewegungen, zum Beispiel in Algerien, in Kuba, in früheren
portugiesischen Kolonien durften die Frauen in der Regel gleichberechtigt
am Kampf gegen Unterdrückung teilnehmen. Nach der Revolution wurden
sie wieder diskriminiert.
Das Personal von Kommission
und Mitgliedstaaten, das für die internationale Sicherheit und für
Bereiche im Zusammenhang mit der Entwicklung zuständig ist, sollte
darin ausgebildet werden, wie man eine geschlechtsdifferenzierte Analyse
von Konfliktsituationen vornimmt. Mangelndes Gender-Training hat zu fehlerhaften
Interventionen geführt.
Südafrika
als erfolgreiches Beispiel
Wenn jedoch Einsätze
unter dem Kommando einer für Geschlechterfragen sensibilisierten Führung
stattfinden, sind die Ergebnisse verblüffend. Bei der UN-Mission in
Südafrika beispielsweise war die Leiterin dieser Mission fest entschlossen,
nicht nur weibliche Friedenskräfte zu ernennen und zu unterstützen,
sondern sie entsandte sie als Verantwortliche in diejenigen Gebiete, in
denen die meisten Gewalttätigkeiten bei den Wahlen vorkamen. Der friedliche
Verlauf während der ersten demokratischen Wahlen in Südafrika
waren ein Erfolg. Übrigens: Von Anfang an galt im African National
Congress (ANC) eine Frauenquote von 25% für Ämter und Mandate.
Um Frauen das gleiche Recht
auf diplomatische Einflussnahme bei der Beilegung von Konflikten und bei
Wiederaufbauinitiativen zu sichern, müssen Frauen für die Ausübung
der Funktionen Verhandlungsführung, Vermittlung und Schlichtung geschult
werden. Die Mitgliedstaaten der EU müssen Frauen im Diplomatischen
Dienst der Mitgliedstaaten ausbilden und ein Verzeichnis von Frauen anlegen,
die für friedens- und sicherheitsbezogene Aufgaben qualifiziert sind.
Außerdem sollten sie mehr Frauen in den Diplomatischen Dienst ernennen
und internationale Posten berufen. Der Frauenanteil soll nicht nur in den
Delegationen zu internationalen Friedens- und Sicherheitskonferenzen erhöht
werden, sondern auch in den förmlichen Friedensverhandlungen. Auch
wenn Frauen nicht unbedingt die friedlicheren Menschen sind, so haben sie
durch ihre Machtlosigkeit und Unsichtbarkeit in der Geschichte eine andere
Sozialisation. Sie mag friedenserhaltend und sogar friedenstiftend sein,
auch wenn die britische Ex-Premierministerin Magret Thatcher und die noch
amtierende US-Außenministerin Madeleine Albright nicht die besten
Beispiele dafür sind.
Frauen als Akteurinnen in und nach gewaltsamen Konflikten *
* = [Teile dieses Vortrages wurden übernommen aus Cordula Reimann (1999) oder Cordula Reimann (2000). Siehe auch Cordula Reimann (2001).]
Cordula Reimann Department of Peace Studies
|
Hinweis zur Online-Ausgabe
Der Beitrag von C. Reimann weicht in der Online-Ausgabe der Publikation von der gedruckten Ausgabe ab.
Die Internet-Redaktion (Bonn, 6.3.2002) |
Um die folgenden Fallstudien Sri Lanka, Mosambik und Israel in eine Art analytischen Rahmen zu stellen, wird mein Vortrag einen Überblick über die komplexen und dynamischen Rollen von Frauen in und nach gewaltsamen Konflikten geben. Mit dieser Kategorisierung ist kein Anspruch auf Vollständigkeit oder Endgültigkeit verbunden.
Bevor wir uns jedoch der gestellten Aufgabe zuwenden, sind zwei Vorbemerkungen erforderlich.
Zunächst: Was sind die wichtigsten Merkmale dieser gewaltsamen Konflikte?
Die meisten gewaltsamen Konflikte der Gegenwart sind innerstaatliche Inter-gruppenkonflikte, die - in unterschiedlichem Umfang - aus dem Versagen bestehender staatstragender Strukturen herrühren: Der Staat ist politisch und wirtschaftlich nicht in der Lage, ein Mindestmaß an sozialer und politischer Sicherheit einschließlich Rechte für Minderheiten zu gewährleisten. Mit anderen Worten entzünden sich die meisten dieser ethno-politischen Konflikte aufgrund bestimmter sozialer und politischer Komponenten unterschiedlicher ethnischer Gruppen wie z.B. ihrer Sprache, Religion, Stammeszugehörigkeit, politischen und sozialen Identität etc.. Das alltägliche Leben in solchen Kriegszonen wird zu einer Kultur der Gewalt [Carolyn Nordstrom (1994).]: Drogenhandel und Waffenschmuggel nehmen zu, Kleinwaffen sind überall erhältlich und können von fast jeder/m, auch Kindern [Meredith Turshen, „Women´s War Stories„, in: Meredith Turshen und Clotilde Twagiramariya (Hg.) (1998), S. 8.], bedient werden, Kinder werden als Soldaten [Zur weitergehenden Beschäftigung mit dem Thema „Kinder als Soldaten„ Siehe z.B. Ed Cairns (1995).] instrumentalisiert, grundlegende Menschenrechte werden massiv verletzt, Kollateralschaden scheint eher Absicht zu sein, Landminen töten Zivilisten oder hinterlassen ihre Opfer mit massiven, lebenslänglichen Körperschäden etc..
Zweitens: Um die komplexen Rollen von Frauen in gewaltsamen Konflikten, bei Friedensbemühungen und Konflikttransformationsprozessen zu verstehen, ist es wichtig, die Gesamtdynamik der Geschlechterbeziehungen (einschließlich veränderter Vorstellungen und Formen von Weiblichkeit und Maennlichkeit) zu berücksichtigen. Angesichts der begrenzten Zeit konzentriere ich mich hier allerdings auf die Rolle der Frauen als Akteurinnen.
Lassen Sie mich gleich am Anfang betonen, dass man nicht allgemein von der Rolle von Frauen in Konflikten sprechen kann. Es gibt zunehmend Forschungsergebnisse, die auf die vielfältigen Aktivitäten und neuen Erfahrungen von Frauen im Laufe von Konflikten hinweisen.
In der Vergangenheit standen die diversen, aktiven Rollen von Frauen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen nur selten im Vordergrund bzw. waren sie nur wenig und begrenzt dokumentiert und erforscht. Man konzentrierte sich bei den meisten der Analysen auf Frauen als passive Akteurinnen und hier v.a. auf ihre Rolle als ohnmächtige und unschuldige Opfer von Kriegshandlungen.
Das hat sich geändert: Zunehmend werden die verschiedenen Rollen von Frauen in Kriegen als Händlerinnen, Gemeinderätinnen, Lehrerinnen und Pflegerinnen von Verletzten und Kranken (Erwachsenen und Kinder) aber auch als (Guerilla)kämpferinnen, Friedenstifterinnen oder UN Peace-keeperinnen dokumentiert [Bzgl. der geschlechterbezogenen Dimension der Friedenssicherung Siehe Judith Stiehn Hicks (1997) und das Lester B. Pearson Canadian International Peace-keeping Training Centre (1999/2000).]. Die veränderten und diversen Rollen von Frauen lassen sich am besten mit den Worten von Amina aus Somaliland beschreiben: Die Kriege haben das Leben der Frauen von Grund auf verändert. Vorher haben nur wenige Frauen gearbeitet. Es war eine gewisse Schande, wenn eine Frau arbeitete, mit Ausnahme einiger älterer Frauen, die Händlerinnen waren ... oder einiger gebildeter Frauen, die in Büros arbeiteten. (...) Unsere Ehemänner arbeiteten und wir blieben zu Hause. Aber seit Beginn der Unruhen findet man nur selten eine Frau, die zu Hause bleibt. Die Umstände zwangen sie, das Haus zu verlassen. Eine Frau mit Kindern arbeitet für ihre Kinder und eine kinderlose Frau muß für sich selbst sorgen. [Olivia Bennett; Jo Bexley; Kitty Warnack (Hg.) (1995), S. 63 (Uebersetzung C.R.).]
Die im Zusammenhang mit Konflikten und Friedensbemühungen wichtigsten und gleichzeitig umstrittensten Rollen sind die als Friedensstifterinnen, Peace-keeperinnen und Kämpferinnen.
Empirische Forschung über geschlechtsspezifische Unterschiede von Drittparteien wie z.B. MediatorInnen im Hinblick auf Fragen des Verhandlungsstils und seine Auswirkungen auf die Effektivität der Konfliktbearbeitung kam zu dem Schluß, dass es entscheidende geschlechtsspezifische Unterschiede in Verhandlungen und der Bewältigung von Konflikten gibt [Siehe H.R. Weingarten und E. Douvan (1985), N.A. Burrell (1998), Victor D. Wall und Marcia L. Dewhurst (1991) und David Maxwell (1992).] : Einige Untersuchungen zeigten, dass die von Frauen vermittelten Abkommen mit größerer Wahrscheinlichkeit hielten als die von Männern ausgehandelten. Darüber hinaus zeigten sich die betroffenen Parteien zufriedener über den Verhandlungsstil und -prozess von Frauen [Siehe Victor D. Wall und Marcia L. Dewhurst (1991).] . Es ist allerdings festzuhalten, dass, so wichtig und richtig die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Einzelfall sein mögen, die Unterschiede sehr stark von unabhängigen Variablen, wie z.B. dem Kontext der Konfliktsituation, der Konfliktart, der Macht, dem Status und dem Geschlecht der anderen betroffenen Parteien, abhängig sind. Unabhängig davon spiegeln die obigen Ergebnisse die allgemein-populäre Annahme wider, dass Frauen (von Natur aus) friedfertiger und friedliebender sind als Männer.
Es gibt ohne Zeifel viele Beispiele, insbesondere im afrikanischen und lateinamerikanischen Kontext, die die Rollen von Frauen in der Konfliktbearbeiung und der Konfliktlösung zwischen und innerhalb von lokalen und nationalen Gruppen illustrieren. [Siehe Tsehai Berhane-Selassie (1994).] Hier muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass es wenig historische Beweise für die These von Frauen als das friedliche Geschlecht gibt: Die Dokumentation über die Beteiligung von Frauen an tatsächlichen Gewaltakten und deren direkte Unterstützung in den jüngsten gewaltsamen Intergruppenkonflikte zeichnen ein wesentlich anderes Bild. [Siehe Olivia Bennett u.a. (1995), bes. S. 20-21.] Viele Frauen haben z.B. aktiv den Völkermord 1994 in Ruanda organisiert, unterstützt und gesteuert. [Siehe Afrian Rights (1995).]
In vielen anderen Konflikten, wo Frauen nicht selber direkte Gewalt ausüben, stacheln sie Männer zu gewaltsamen Taten an. [Siehe J. Vickers (1993).] So gesehen ist die These von der sozialisierten oder biologisch bestimmten Friedfertigkeit von Frauen nicht (länger) haltbar. [Siehe Donna Pankhurst und Jenny Pearce (1998), S. 158.] Vielmehr muss festgehalten werden, dass, wenn Frauen nicht das stereotypische weibliche Verhalten wie Kooperation, Empathie, Gewaltfreiheit etc. an den Tag legten, sie von entscheidenden gesellschaftspolitischen Diskussionen über Leben und Tod v.a. in der unmittelbaren Gewaltsituation ausgeschlossen wären. Die angebliche Friedfertigkeit öffnet in einigen Konflikten vielen Frauen Türen begrenzter politischer Macht und Verantwortung, die ihnen sonst verschlossen blieben. Die logische Schlussfolgerung dieser These ist, dass die angebliche Friedfertigkeit von Frauen das unmittelbare Ergebnis ihres Ausschlusses von weitgreifender politischer und sozialer Macht, d.h. ihrer abhängigen und untergeordneten Rolle in einer hierarchischen Geschlechterbeziehung ist.
Angesichts der vielfältigen Rollen, die Frauen und Männer in gewaltsamen Konflikten spielen, scheint es sinnvoll zu sein, zwischen disempowering (ent-mächtigenden) und empowering (stärkenden oder er-mächtigenden) Auswirkungen gewaltsamer Konflikte auf die Rollen von Frauen und Männern in der Konfliktbearbeitung und den allgemeinen Geschlechterbeziehungen zu differenzieren.
Wenn man sich die eher stärkenden oder er-mächtigenden Auswirkungen gewaltsamer Auseinandersetzungen anschaut, so geht es zunächst darum, diese Konflikte als positive Momente eines (radikalen) gesellschaftlichen Bruchs mit dem sozialen und politischen Status Quo zu verstehen auch wenn dieser gesellschaftspolitische Wandel mit unbeschreiblichen Grausamkeiten, Brutalität, schwersten Menschenrechtsverletzungen, größtem Leid und Terror einhergeht: In Abwesenheit der Männer übernehmen viele Frauen im Laufe vieler Kriege traditionell männlich dominierte Rollen und brechen mit der alten (geschlechtsspezifischen) Gesellschaftsordnung. Oder, um es mit den Worten von Esmeralda aus El Salvador zu sagen: (...) Ich glaube, wir haben einiges darüber erfahren, was es heißt, in diesem Land zu leben,... dass einige Leute mehr Chancen als andere haben und wie Menschen aus den armen Schichten leben. (...) Ich habe auch gelernt, zu arbeiten (...). Ich kenne keine Angst mehr. (Ich habe gelernt,) vor fremden Menschen den Mund aufzumachen und meine Meinung zu sagen und weiß jetzt mehr über andere und über mich selbst. [Siehe Olivia Bennett, Jo Bexley und Kitty Warnock (Hg.) (1995), S. 203. (Uebersetzung C.R.)]
Die Beendigung eines gewaltsamen Konfliktes fördert also nicht nur Veränderungen in der geschlechtsspezischen Arbeitsteilung, der politischen (Um)strukturierung und der Beteiligung von Frauen an diesen Prozessen, sondern kann auch zu einem (grundlegenden) Wandel in den Geschlechterverhaeltnissen führen. [Bzgl. des positiven Beispiels von Eritrea Siehe Judy El Bushra (1998), S. 28-29.]
Die Tatsache, dass Frauen (persönliche und direkte) Gewalt, menschliches Leid, soziale und wirtschaftliche Härten überlebt haben, kann ihnen helfen, stereotypische Geschlechterrollen in Frage zu stellen und nicht-traditionelle Rollen zu übernehmen, wie z.B. als Kämpferinnen oder Familienvorstände, und so (mehr) Selbstbewußtsein und neue wirtschaftliche und politische Fähigkeiten zu entwickeln. In Sri Lanka sind tamilische Frauen aktiv als LTTE- Selbstmordattentäterinnen an den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung von Sri Lanka und der Befreiungsbewegung LTTE beteiligt. Durch den anhaltenden ethno-politischen Krieg stehen Frauen in vielen Familien dem Haushalt vor, tragen einen wesentlichen Anteil zum Familieneinkommen bei und übernehmen somit traditionell männlich besetzte Rollen und Pflichten.
Die Beteiligung von Frauen im aktuellen Kriegsgeschehen deutet auf die Tatsache hin, dass Frauen, die vor Kriegsausbruch sozial und kulturell unterdrückt und diskriminiert wurden, wie z.B. sexuellem Mißbrauch und/oder Gewalt in der Familie ausgesetzt waren, gewaltsame Auseinandersetzungen in manchen Fällen als Momente von Befreiung wahrnehmen. Die Beendigung eines gewaltsamen Konfliktes führt somit nicht nur zu Veränderungen in der geschlechtsspezischen Arbeitsteilung, der politischen (Um)strukturierung und der Beteiligung von Frauen, sondern kann auch zu einem (grundlegenden) Wandel in den Geschlechterverhältnissen beitragen. Diese sozial-politischen Veränderungen sind meistens allerdings nicht von Bestand und stärken Frauen langfristig nur begrenzt. [Zum Beispiel Mosambik Siehe C. Dolan und J. Schafer (1997).] Hier scheint es wichtig, die sozio-kulturellen Veränderungen im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit zu hinterfragen.
Was die ent-mächtigenden (disempowering) Auswirkungen betifft, so führen gewaltsame Konflikte bei Männern und Frauen zu post-traumatischen Stresssymptomen (PTSD), einschließlich manifester oder latenter Suizidgefahr, Depressionen, verschiedenen Formen psychosomatischer Störungen etc.. [Judy El Bushra und Eugenia Piza Lopez (1993), S. 22] Auffallend sind aus geschlechtssensitiver Perspektive die unterschiedlichen Formen sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen, z.B. Vergewaltigung, erzwungene Prostitution und sexuelle Demütigung. In Bosnien war z.B. der sexuelle Mißbrauch von Frauen Teil der ethnischen Säuberungen - versteckt unter dem Deckmantel nationaler und ethnischer Überlegenheit und Kriegsführung.
In den letzten Jahren ist der Vergewaltigung als systematischer Kriegsstrategie und ihren sozio-psychosomatischen und physischen Spätfolgen für Frauen größere wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit geschenkt worden. [Bzgl. des „Einsatzes„ von Vergewaltigung as Kriegsstrategie in Bosnien Siehe Euan Hague, „Rape, Power and Masculinity. The Construction of Gender and National Identities in the War in Bosnia-Herzegovina„, in Ronit Lentin (1997), S. 50-63. Für einen Bericht zur Situation in Ruanda Siehe Clotilde Twagiramariya und Meredith Turshen „‘Favours‘ to Give and ‚Consenting‘ Victims. The Sexual Politics of Survival in Rwanda„, in Meredith Turshen und Clotilde Twagiramariya (Hg.) (1998), S. 101-117.] Auch die Vergewaltigung von Männern stellt einen wesentlichen Aspekt gewaltsamer Konflikte dar, wenn auch immer noch relativ dürftig und unzureichend dokumentiert. [Obwohl sowohl die Vergewaltigung von Männern wie auch Frauen oft darauf abzielt, den Gegner zu demütigen und zu demoralisieren, scheint die Motivation für diese zwei Formen der Vergewaltigung unterschiedlich zu sein. Die Vergewaltigung von Frauen scheint die Demütigung und sogar Zerstörung der Gemeinschaft insgesamt zum Ziel zu haben. Die Vergewaltigung von Männern könnte andererseits eher als Mittel der Demütigung von und zwischen Männern gesehen werden. Siehe dazu Judy El Bushra (1998), S. 10, Fußnote 1.] Wesentlich ist hier, dass Vergewaltigungen von Frauen und andere Formen sexueller Gewalt (z.B. Gewalt in der Familie) auch nach Kriegsende weiterhin vorkommen, wenn nicht sogar tendenziell noch zunehmen.
Mädchen werden während des Krieges nicht nur gegen ihren Willen zu Tätigkeiten im Haushalt und zu sexuellen Diensten und zur Zwangsarbeit gezwungen. In gewaltsamen Konflikten, wie z.B. in Mosambik und Kambodscha, sind Fälle von sexuellem Missbrauch seitens der dort stationierten UN-Friedenstruppen bekannt geworden. [Siehe M.M. Poston (1994) und A. Betts Fetherston (1995).]
Ein weiterer auffallender ent-mächtigender (disempowering) Effekt gewaltsamer Auseinandersetzungen auf die Geschlechterverhältnisse ist der soziale Ausschluss und die sozio-kulturelle Diskriminierung (einschließlich deutlich geringerer wirtschaftlicher Möglichkeiten und Heiratschancen) von Frauen, die als Kämpferinnen an Konflikten betweiligt waren. [Judy El Bushra (1998), S.8.]
Die unterschiedlichen Erfahrungen von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern im Laufe gewaltsamer Auseinandersetzungen haben wiederum beträchtliche, gendered [Gendered wird hier mit geschlechtsspezisch und machtasymetrisch uebersetzt. Die Machtasymmetrie bezieht sich auf die gesellschaftspolitischen, ungleichen Machtverhaeltnisse zwischen Maennern und Frauen in der Privats- und Oeffentlichkeitssphaere.] Auswirkungen auf (internationale) Friedensverhandlungen. Friedensverhandlungen sind geschlechtsspezisch kodiert und bestimmt: Die Mehrzahl der von außen vermittelten Friedensabkommen sind gendered deals, d.h. unterschiedliche Rechte und Aufgaben für Männer und Frauen werden in den (neu geschaffenen) politischen und wirtschaftlichen Institutionen, Verfassungen und Staaten festgeschrieben. [Donna Pankhurst und Jenny Pearce (1998), S. 161.] In internationalen Friedensverhandlungen, wie z.B. in den Osloer Israelisch-Palästinensischen Friedensabkommen, ist die Frage der Geschlechtergleichheit explizit oder nur implizit kein Thema gewesen. Bei den Verhandlungen von Rambouillet, die der NATO Bombardierung von Kosovo folgten, war nur eine einzige Frau in der Verhandlungsdelegation. Und im Stabilitätspakt für Südosteuropa kamen Frauen trotz ihrer einzigartigen Erfahrungen in lokalen Friedensbemühungen auf der Grasswurzelebene überhaupt nicht zu Wort.
Der eindeutige Ausschluss von Frauen aus den von der UN veranstalteten, geleiteten und geförderten Friedenskonferenzen trug z.B. in Somalia dazu bei, dass die Legitimität und Autorität der Warlords noch gestärkt wurde. [Siehe Wolfgang Heinrich (1997).] Das ist insofern entscheidend, als Warlords im Gegensatz zu Frauen häufig nicht den lokalen Gemeinden angehörten und nur begrenzten Kontakt zu lokalen Gruppen hatten.
Trotz zunehmenden Interesses an Friedenabkommen als gendered peace deals muss ernüchtert festgehalten werden, dass es immer noch keine detaillierten Untersuchungen über die verschiedenen und teilweise widersprüchlichen Rollen von Frauen in diesen deals gibt. Es muss z.B. gefragt werden, wie sich die Beteiligung von Frauen an bzw. ihr Ausschluss von formellen Friedensverhandlungen im Einzelnen auf den Erfolg und Misserfolg von Friedensbemühungen auswirkt. [Brigitte Sørensen (1998), Kapitel 2.] Was würde anders laufen, wenn Frauen von Anfang an den formellen und informellen Verhandlungen teilnähmen? Inwiefern würden Frauen in männlich dominierten Verhandlungen einen wirklichen Unterschied machen (können)? Was würde diesen Unterschied ausmachen?
In diesem Zusammenhang zeigte das Beispiel Somalia, wie wenig Drittparteien, wie z.B. UN-Mitarbeitern, geschlechtsbezogene/-spezifische Themen bekannt und bewusst waren (wie z.B. geschlechtsspezifische Gewalt, Frauenrechte).
Bezüglich der Präsenz internationaler Organisationen und Friedenstruppen ist es ein offenes Geheimnis, dass eine Art Sexualisierung der Kriegszonen, z.B. zunehmender kommerzialisierter Sexhandel (einschließlich Kinderprostitution), selbst in der Phase der Gewalteskalation zu beobachten ist. Die zunehmende Prostitution geht in in den meisten Kriegszonen mit einem auffallender Anstieg an Geschlechtskrankheiten, v.a. aber HIV/AIDS, einher.
Dank der Arbeit von transnationalen Frauen-NROs zu Gewalt in der Familie, Frauenrechten, reproduktiven und wirtschaftlichen Rechten von Frauen in Laendern des Südens sind sich viele RegierungsvertreterInnen, PolitikerInnen und AkademikerInnen der geschlechtsspezifischen Dimensionen von Entwicklungs- und Friedenspolitik auf nationaler und internationaler Ebene stärker bewußt geworden.
Die Vierte UN-Weltfrauenkonferenz in Peking im September 1995 konzentrierte sich auf die geschlechtsspezifischen Aspekte bewaffneter Auseinandersetzungen, wie z.B. den notwendigen zusätzlichen Schutz von Frauen und die notwendige, stärkere Beteilung der Frauen an Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung. [Siehe UN (1995), bes. Artikel 132-141.] In der Aktionsplattform hat sich die Bundesregierung förmlich verpflichtet, eine geschlechts-sensitive Perspektive zu einem entscheidenen Bestandteil ihrer Friedens- und Außenpolitik zu machen (Paragraph 141 der Aktionsplattform).
Internationale Organisationen wie die UN [Siehe Vereinte Nationen (1985) und (1995).] und die EU [Siehe Europäische Kommission (1996a) und (1996b). Das Europäische Parlament hat vor kurzem eine Sonderberichterstatterin für Frauen und Konfliktlösung ernannt.] haben umfangreiche politische Empfehlungen zu unterschiedlichen Themen erarbeitet, bei denen es um die Lage der Frauen in gewaltsamen Auseinandersetzungen und der allgemeinen Einbeziehung von geschlechtsspezifischen Aspekten in politische Prozesse der Konfliktbearbeitung, Entwicklung und Friedensschaffung geht.
Gender Mainstreaming ist in diesem Zusammenhang als eine Doppelstrategie zur Förderung der Geschlechtergleichheit zu verstehen: Auf der einen Seite geht es darum, die Analyse der Geschlechterbeziehungen zum integralen Bestandteil jeder Planung, Umsetzung und Evaluierung von politischen Entscheidungen, Projekten und Prozessen zu machen. Auf der anderen Seite ist es das Ziel, Frauen und Männer gleichberechtigt zu konsultieren und ihre geschlechtsspezifischen Bedürfnisse und Anliegen als Querschnittsaufgabe in alle Entscheidungsprozesse und Themenbereiche einfließen zu lassen.
Ebenso haben internationale NROs wie OXFAM [Siehe Judy El Bushra und Eugenia Piza Lopez (1993).], amnesty international [Siehe amnesty international (1995).] und International Alert [Siehe International Alert (1997) und (1998a) und (1999) und bezgl. Ihrer Aktionskampagne siehe homepage http://international-alert.org/women.] in den letzten Jahren begonnen, sich verstärkt mit den geschlechterspezifischen Dimensionen von Konflikten (v.a. den psychosomatischen und physischen Auswirkungen gewaltsamer Auseinandersetzungen auf Frauen [Siehe Jduy El Bushra und Eugenia Piza Lopez (1993).]) und den geschlechtsspezifischen Auswirkungen auf die Friedensbemühungen zu beschäftigen: Die politischen Empfehlungen, Projektplanungen und auswertungen dieser und ähnlicher internationaler und lokaler NROs haben in unterschiedlichem Maße die vielfältigen Erfahrungen von Frauen in Zeiten des Krieges aufgegriffen und in den Mittelpunkt ihre eigenen Friedens-, Menschenrechts-, und Entwicklungsarbeit gerückt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass man sich bewusst sein sollte, wie wenig eindeutig und wie komplex sich gewaltsame Konflikte auf Frauen als Akteurinnen auswirken: Kriege werden vornehmlich als verheerende menschliche Tragödie, grenzenlose Grausamkeit und massive (geschlechtsspezifische) Menschenrechtsverletzungen (wie z.B. sexuelle Gewalt, Vergewaltigung und erzwungene Prostitution) erlebt. Einige gewaltsame Auseinandersetzungen können tatsächlich und nachhaltig als Katalysator für die sozial-politische Stärkung (empowerment) der Frauen wirken.
Wenn man sich mit der Rollen der Frauen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen und Friedensbemühungen beschäftigt, scheint es daher entscheidend, sich ständig der prekären Spannung zwischen einerseits der Verletzbarkeit/ Opferrrolle von Frauen und andererseits ihrer Stärkung/Emanzipation bewußt zu sein, ohne einem der beiden Aspekte mehr Gewicht beizumessen. Vor allem zeigt uns die Erfahrung von Frauen in Kriegszeiten deutlich, dass ...die Teilung der Macht nach Geschlecht ein politisches Kunstgebilde ist und nicht eine natürliche Auswirkung physischer und persönlicher Unterschiede zwischen Männern und Frauen. [Harriet Bradley (1989), S. 48 (Uebersetzung und Ergaenzung in Kursiv C.R.)]
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Beulah Moonesinghe
Ich möchte Ihnen hier
einen Eindruck vermitteln, was wir in unserer Organisation tun, um die
Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts besser bewältigen zu können.
Sri Lanka hat seit den letzten
zwei Jahrzehnten kriegerische Auseinandersetzungen. Die Folgen treffen
insbesondere arme Frauen und wir versuchen, daran zu arbeiten. Aber eine
Lösung ist nicht in Sicht. Zwischen 1988 und 1991 erlebte Sri Lanka
eine heftige Periode politischer Gewalt. Ein Grund dafür ist der von
der JVP (Jana Vimukti Peramuna Partei) initiierte Aufstand, um die kapitalistische
Entwicklung des Landes zu verhindern. Die Brutalität, mit der die
staatliche Seite diesen Aufstand niederschlug, hatte es in der neueren
Geschichte Sri Lankas bis dahin nicht gegeben. Im Norden und Osten des
Landes gab es Fälle, wo Leute verschwanden oder einfach abgeschlachtet
wurden. Dabei gab es Konflikte zwischen der Polizei, der Armee und den
Tamil Tigers. Seit 1983 werden in diesem Konflikt sehr viel Eigentum wie
auch viele staatlichen Einrichtungen zerstört – sowohl von der JVP
als auch von den Tamil Tigers. Im Norden und Osten wüteten die Tamil
Tigers und im Süden die JVP. Der von der JVP hervorgerufene Aufstand
im Süden Sri Lankas wurde von einem totalen Zusammenbruch von Recht
und Gesetz begleitet. Die Gewalt wurde 1991 gestoppt jedoch durch den Terror
des Staates fortgesetzt. Das ist bis heute so. Polizei und Armee werden
gezwungen, derartige Aktionen durchzuführen, und natürlich werden
diese Aktivitäten selten zum Gegenstand von Gerichtsverhandlungen
gemacht. Vor kurzem wurden auch Zwischenfälle mit Frauen bekannt.
Sie wurden nachts gezwungen, sich nackt auszuziehen und durch die Straßen
zu laufen. Obwohl die Täter identifiziert werden konnten, sind bisher
keine juristischen Schritte eingeleitet worden.
Zerstörung
von persönlichen Beziehungen durch Gewalt und Terror
Diese Gewalt hat das normale
Leben in der Gesellschaft zerstört. Obwohl viele Gemeinden sich gegen
diese Entwicklung gewehrt haben, gab es keinerlei Unterstützung. Die
Frauen haben immer wieder gesagt, dass ihnen niemand hilft und selbst ihre
Verwandte wurden eingeschüchtert, damit sie ihnen nicht helfen. Dazu
kamen die großen Probleme durch das Verschwinden der Ehemänner.
Eine Umfrage im Süden Sri Lankas hat ergeben, dass 25 Prozent der
Frauen, die interviewt wurden, keine gute Beziehungen mehr zu den Familien
ihrer Ehepartner hatten. Sie wurden häufig von ihnen angeklagt, sie
hätten Unglück über die Familien gebracht. Frauen haben
also durch diesen Konflikt viele Verletzungen erfahren. Die Großfamilie
hörte auf zu existieren, nach dem der Ehemann verschwunden war. Eine
Frau aus einem kleinen Dorf im Süden erklärte, dass der Status
dieser Frauen beträchtlich sinkt. Sie müssen dann die Familie
ernähren. In einem Fall wurde eine Frau sogar ihrer Einkommensquelle
- ein kleiner Lebensmittelladen, den ihr Mann aufgebaut hatte - beraubt.
Diese Art von Drangsalierungen findet man im südlichen Sri Lanka häufig.
Sie gehen von der Polizei oder von der Armee aus. Die Männer in diesen
Einheiten sehen diese Frauen als leichte Beute an. Sie schlagen nachts
an die Türen und erzwingen Einlass.
Wirtschaftlicher
Kahlschlag
Frauen können unter
diesen Umständen wirtschaftlich und psychisch total zerstört
werden. Viele sind vollkommen verschuldet, sie sind schlecht ernährt
und ihre Kinder ebenfalls. Die Hauptgebiete für diesen Terror sind
die Provinzen Hambantota und Amparai, wo politische Gewalt weit verbreitet
ist. Zwischen 1988 und 1990 war die JVP in diesen Regionen und heute gibt
es hier keine Arbeit. Die einzigen, die dort arbeiten sind die Bauern.
Neue Jobs werden nicht geschaffen. Aber selbst die Arbeit in der Landwirtschaft
ermöglicht kein nachhaltiges Einkommen: Es gibt kein Wasser und für
die Heranwachsenden keine Möglichkeit, neue Anbauverfahren einzuführen.
Die Ausbildung ist so schlecht, dass die Universitäten nur bestimmte
Quoten aus diesen Gegenden zulassen, was bislang nur eine kosmetische Lösung
für die vielen Probleme darstellt.
Wir wissen von einem Fall,
wo der Vater einer jungen Frau verstümmelt aufgefunden wurde, weil
er über Gewaltanwendungen von Seiten der JVP gesprochen hat. Sechs
Männer haben ihn nachts entführt und grausam getötet. Dieses
Trauma wirkt in der gesamten Familie fort. Sie waren lange Zeit desorientiert
und suchen immer noch nach Möglichkeiten des Überlebens. Solche
Vorfälle könnte ich viele aufzählen und die betroffenen
Frauen müssen lernen, wie sie mit so einer Situation fertig werden.
Die
Aktivitäten von AGROMART
1989 hat unsere Stiftung
AGROMART Überlegungen angestellt, wie man den von der politischen
Gewalt betroffenen Frauen helfen könnte. Deshalb konzentrieren sich
unsere Ausbildungsprogramme auf Frauen und die Rollen, die Frauen in bewaffneten
Konflikten spielen. Wir versuchen in diesen Programmen, die mentalen Fähigkeiten
der Frauen zu stärken, damit sie auch selber vorwärts kommen.
AGROMART bietet Programme an, die Frauen dazu geführt hat, selbständig
zu werden und ihr eigenes Einkommen zu sichern. Aber die Belästigungen
und Hindernisse, die ich bereits erwähnte, haben die freie Entwicklung
dieser Frauen gestört. Wir haben versucht, ihnen Selbstbewusstsein
zu geben und ihnen klar zu machen, welche politischen Rechte sie haben,
damit sie aktiver werden können.
Die Frauen müssen hier
zwei Dinge lernen: Einmal müssen sie ihre Unsicherheit und ihren Stress
überwinden und andererseits ihre wirtschaftliche Not bewältigen.
Im Laufe der Jahre ist AGROMART gewachsen, viele Frauen verdienen jetzt
eigenes Geld. Zur Zeit arbeiten wir in sieben Provinzen Sri Lankas, die
ca. 23.200 Quadratkilometern umfassen und insgesamt eine Bevölkerung
von 5,5 Millionen Einwohnern zählen, die sowohl in Städten als
in Dörfern leben.
Dort, wo der Terror der
Tamil Tigers andauert, gibt es so gut wie kein wirtschaftliches Wachstum
und das hat die schon bestehende Armut noch weiter verschlimmert. Die Furcht
vor einem erneuten Ausbruch von Gesetzlosigkeit wird wieder größer
und die Unzufriedenheit der Jugendlichen ist mit den Händen zu greifen.
Neues
Selbstbewusstsein schaffen
Wir versuchen deshalb, unsere
Ausbildungsprogramme ganzheitlich zu gestalten und die Frauen auch als
Arbeitgeberinnen auszubilden. Wir bieten Seminare zum Thema der Menschenrechte
und der Geschlechterrollen an. 40.000 Frauen haben bisher an diesen Seminaren
teil genommen und wir sind fest entschlossen, in den nächsten Jahren
noch vielen weiteren Frauen zu helfen. Wir versuchen, die Frauen zu ermächtigen,
eine Aufgabe in der Gemeinde zu übernehmen, Selbstbewusstsein dafür
zu schaffen, an den Prozessen der Entscheidungsfindung und dem Friedensaufbau
aktiv teilzunehmen. Langfristig möchten wir erreichen, dass die Frauen
ihre politischen Rechte kennen und einsetzen, auch für die Kontrolle
ihrer Ressourcen. Das ist die einzige Lösung, die wir anbieten können,
den Frauen in den Konfliktgebieten zu helfen.
Abschließend möchte
ich noch ein Beispiel für einen gesellschaftlichen Erfolg geben. Am
30. Oktober 1996 wurde in Colombo der erste öffentliche Prozess gegen
die sri lankische Armee geführt. Am 3. Juli 1998 wurde die Ermordung
einer jungen Frau sowie ihrer Mutter, ihres Bruders und des Nachbarn verhandelt,
der zu einer Verurteilung der fünf Angeklagten zum Tode führte.
Die anderen wurden zu zehn und zwanzig Jahren Zuchthaus wegen Vergewaltigung
verurteilt. Das war ein mutiger Schritt, öffentlich gegen die Verbrechen
von Mitgliedern der Sri Lanka Armee vorzugehen. Der Prozess wurde von spontanen
Demonstrationen von Frauen aus dem Süden begleitet, die damit ihre
Solidarität für die Frauen aus dem Norden bekundeten. Auf dem
Marktplatz von Colombo entstand eine Mahnwache, die bis zum 23. Dezember
1996 fortgeführt wurde. Diese Aktionen haben als Dominoeffekt auf
internationaler Ebene als auch in unserem eigenen Land gewirkt. Frauenorganisationen
aus Schweden und Kanada haben uns unterstützt.
Das war ein bitterer Sieg,
aber es war ein Sieg. Denn die politische Relevanz des Protests von Frauen
wird hier gerne ignoriert. Das hat uns gezeigt, dass wir Ungerechtigkeit
und Gewalt bekämpfen, statt sie einfach hinzunehmen. Nach diesem Prozess
hat die Regierung das System verbessert, was uns erneut von der Notwendigkeit
überzeugt hat, für unsere Grundrechte zu kämpfen.
Zelia Langa
Mosambik ist ein Land des südlichen Afrika, das an der Küste des Indischen Ozeans liegt. Es umfasst ca. 800 000 Quadratkilometern und eine Einwohnerzahl von 16,5 Millionen. Davon sind 52 Prozent Frauen. Die Hauptstadt heißt Maputo und hat knapp eine Million Einwohner. Mosambik ist in elf Provinzen aufgeteilt.
Die
beiden Kriege von Mosambik
Der erste Kampf unseres
Landes war der zehnjährige nationale Befreiungskampf und wurde von
der FRELIMO (Freiheitsfront von Mosambik) geführt.
Der zweite Konflikt war
ein Bürgerkrieg, in dem die FLELIMO gegen die RENAMO (Nationaler Widerstand
Mosambik) ausgefochten´hat. Die RENAMO wurde von Apartheid-Südafrika
und der rassistischen Regierung Ian Smiths in Rhodesien unterstützt.
Der Konflikt hat Mosambik zutiefst destabilisiert, denn er dauerte 16 Jahre.
Während des nationalen Befreiungskampfes wurde die “Organisation der
mosambikanischen Frau” gegründet, eine demokratische Massenorganisation.
Sie vertritt die Frauen aufgrund einer freien Mitgliedschaft und stellt
eine Basisorganisation dar. Sie hat sich seit der Staatsgründung für
den Frieden, die Entwicklung und Emanzipation der Frauen eingesetzt. Während
der Konflikte war diese Organisation stark präsent, wenn es um Mütter,
die Frau in der Familie und die Frau als Kämpferin ging, aber auch,
wenn Frauen Opfer von Kriegen wurden.
In den insgesamt 26
Jahren des bewaffneten Konflikts haben die Frauen in Mosambik große
Schwierigkeiten durchleben müssen. Wegen ihrer traditionellen Rolle
war sie zunächst nicht direkt im Kampf vertreten. Aber Frauen mussten
an der politischen und militärischen Ausbildung teilnehmen, um sich
selbst und ihre Kinder verteidigen zu können.
Als der Bürgerkrieg
begann, hatte sich die Rolle der Frau schon verändert. In ihm wurden
Frauen die häufigsten Opfer, denn sie mussten der sexuellen Befriedigung
der Soldaten dienen. Schwangeren Frauen wurde der Bauch aufgeschlitzt,
sie wurden gezwungen, ihre eigenen Kinder zu töten – natürlich
verloren sie ihren ganzen Besitz. Das hat die Frauen ungeheuer traumatisiert.
Alphabetisierung
der Frauen als erstes Ziel
Den Frauen zu helfen heißt,
sie zu organisieren. Zum Beispiel muss die Betreuung der Kinder, die durch
den Krieg ihre Eltern verloren haben, organisiert werden. Es müssen
Institutionen geschaffen werden, die sie aufnehmen können. Trotzdem
leben immer noch viele Kinder auf der Straße, weil man nicht allen
helfen kann. Für die Witwen, die jetzt ihre Familien alleine durchbringen
müssen, sind Arbeitsplätze besonders wichtig. Aber viele Frauen
sind nicht ausgebildet. Der größte Teil von Frauen auf dem Lande
sind Analphabeten. Die Frauen müssen also erst einmal Lesen und Schreiben
lernen, wenn sie an diesem Kampf für ihre Rechte teilnehmen wollen.
Das ist ein ganz wichtiges Ziel. Die Frauen haben sich erst einmal in der
Landwirtschaft und im informellen Sektor betätigt. Sie haben eigene
kleine Geschäfte aufgebaut und sich so ernährt. Diese Frauen,
die versuchen, die Voraussetzungen für ihren Unterhalt zu schaffen,
müssen unterstützt werden. Die Flutkatastrophe hat ein Übriges
getan und die Situation noch desolater gemacht, als sie ohnehin schon war.
Es gibt praktisch keine Arbeitsmarkt mehr, die Infrastruktur und alle Einrichtungen
- Fabriken und andere Produktionsstätten - sind durch den Krieg zerstört.
Männer erhalten immer noch eher einen Arbeitsplatz als Frauen. Die
bezahlten Arbeitnehmer machen 16 Prozent der Bevölkerung aus, davon
sind fünf Prozent Frauen. Das größte Problem sind die Mädchen,
die während des Krieges – wie alle anderen Frauen – vergewaltigt wurden.
Viele haben ihre Schule aufgegeben und haben weder eine Aussicht auf eine
Heirat noch auf einen Arbeitsplatz. Durch die Arbeit der Organisation haben
wir es erreicht, dass immerhin 60 Prozent der Schüler in den Schulen
ihre Ausbildung auch beendet haben. Aber das ist doch immer noch zu wenig,
um die Armut wirksam zu lindern.
Häusliche
Gewalt gilt als selbstverständlich
Unsere Organisation hat
als eines ihrer Ziele definiert, die Zusammenarbeit mit anderen Frauenorganisationen
und Institutionen aufzubauen. So haben wir ein Instrument des politischen
Drucks gegen Gewalt an Frauen schaffen können.
Die Kultur des Friedens
beginnt im häuslichen Leben, in der Familie. Deshalb haben wir in
unseren Aktivitäten die häusliche Gewalt thematisiert, um daraus
eine Plattform gegen die allgemeine Gewalt zu schaffen. Gewalt in der Familie
ist eine selbstverständliche Realität in unserem Lande und sie
richtet sich ausschließlich gegen die Frau. Wir möchten, dass
dieser Tatbestand als Verbrechen definiert und vom Gesetz verurteilt wird.
Dialog
als Kultur des Friedens
Wir haben es geschafft,
große Veränderungen im Familienrecht in Gesetzesvorlagen einfließen
zu lassen, die zur Zeit im Parlament diskutiert werden. Damit die Probleme
der Frauen tatsächlich in die Tagespolitik Eingang finden, wurde von
der Regierung ein Institut der Frau geschaffen. Wir von der Organisation
der mosambikanischen Frau glauben, dass die Veränderungen in der Familie
allein von den Frauen, von ihrem Dialog mit den Männern abhängen.
Dafür ist es notwendig, Bildung und Ausbildung auf allen Ebenen voran
zu treiben, nicht nur für die Jugend und die zukünftigen Generationen.
Frauen müssen ihre Rechte kennenlernen, am Friedensprozess teilnehmen
und den Dialog in ihren Familien beginnen und aufrecht erhalten. Auch die
Regierung muss für ihre Rechte und deren Umsetzung Verantwortung zeigen.
Frauen
in Führungspositionen
Wir haben zwar nur eine
Frau in der Regierung – das ist die Finanzministerin. Doch Dank der Entwicklungsarbeit
der Frauen sind wir jetzt auch in allen sozialen, politischen und wirtschaftlichen
Bereichen – auch auf den Führungsebenen – vertreten. Im Parlament
sind 30 Prozent der Abgeordneten Frauen, 43 Prozent davon sind Abgeordnete
der FRELIMO. Das bedeutet, dass die Stimme der Frau in den unterschiedlichsten
Bereichen gehört wird. Trotzdem gibt es immer noch große Schwierigkeiten,
den Männern klar zu machen, dass Macht nicht nur mit Waffengewalt
zu erreichen ist, sondern auch über den Dialog. Nur der Dialog kann
eine Kultur des Friedens aufbauen helfen.
Irit Keynan
Ich wurde in Israel geboren, aber ich bin die Tochter eines überlebenden Holocaustopfers, der seine gesamte Familie verloren hat. Mein Vater überlebte wundersamerweise vier Jahre in Zwangsarbeiterlager in Deutschland.
Schmerz
und Trauer als kollektive Erfahrung
Seit Beginn seiner Existenz
hat die junge Nation Israel Trauer erfahren und Soldaten verloren. Über
die Jahre änderte sich die Meinung der Bevölkerung zum Krieg
und der Tatsache, die eigenen Kinder im Krieg zu opfern. Was am Anfang
wie ein unausweichliches Schicksal aussah, hat sich im Laufe der Zeit als
etwas herausgestellt, das man ändern kann. Viele Jahre lang haben
die Frauen in Israel zu den Themen geschwiegen, die mit Krieg assoziiert
sind. Obwohl die Frauen Militärdienst leisten, wurden ihre Stimmen
zu militärischen Angelegenheiten nie gehört. Vielleicht liegt
es daran, dass sie die Armee nach zwei Jahren Pflichtdienst wieder verlassen.
Es bleibt nur eine kleine Minderheit in der Berufsarmee zurück. Oder
es liegt daran, dass es den Frauen nicht erlaubt ist, in Kampfeinheiten
zu dienen. Die Frauen dürfen nur in bestimmten Diensten arbeiten,
etwa in der Logistik. Die ganzen Verteidigungsangelegenheiten werden also
von Männern bestimmt. Die Frauen waren die Mütter und Ehefrauen
und man erwartete von ihnen, dass sie den Schmerz der Kriegsverluste mit
heroischem Gleichmut ertragen. Aber es waren nicht nur die Frauen, die
Trauer und Schmerz fühlten – es war die gesamte israelische Gesellschaft.
Neue
Opfer für den Libanonkrieg 1982
Bis zum Libanonkrieg 1982
hat sich die israelische Gesellschaft immer verfolgt gefühlt – eine
Nation, die immer um ihr Überleben kämpfen musste. Der kollektive
Schmerz hatte auch die Funktion, den persönlichen Schmerz, den jeder
Betroffene zu überwinden hatte, gesellschaftlich zu integrieren. Aber
als die Israelis ihre Kinder 1982 in den Libanon schicken wie bereits 1973,
hatte sich etwas verändert: Man hatte ja bereits gekämpft, die
Jugendlichen, die Freunde und Verwandten bereits mit dem Ziel geopfert,
eine freie Gesellschaft ohne Krieg aufzubauen. Nun griff eine neue Generation,
diese Fragestellung wieder auf.
Krieg
als notwendige Voraussetzung für den Staat Israel
Die israelische Armee weist
eine Besonderheit auf: Ihre Soldaten werden in Israel nicht Soldaten genannt,
sie heißen ‚unsere Kinder‘ oder ‚unsere Söhne‘. Diese Terminologie
ist nicht zufällig. Sie entstammt den Besuchen der Eltern, die ihre
Kinder jeden Sonntag in der Kaserne besuchen. Die Väter dieser jungen
Soldaten sind in der Regel Reservesoldaten oder ehemalige Offiziere. Viele
dienen bis zu ihrem 45. Lebensjahr in der Armee. Die Väter glauben
deshalb, dass sie ein Mitspracherecht haben. Alle militärischen Entscheidungen
werden als familiäre Angelegenheit betrachtet und die Armee steht
permanent in der öffentlichen Debatte. Die Mütter beginnen jetzt
auch, Kritik zu äußern. Ganz allmählich haben sie erkannt,
welche Macht sie haben und sie beginnen, das Leben ihrer Kinder zu schützen.
Diese fundamentale Kritik ist neu, und die Frauen, die ein Ende dieser
nutzlosen Politik fordern, haben dadurch großen Einfluss erlangt.
Krieg
ist nicht mehr selbstverständlich
Während des zweiten
Libanonkrieges kamen Proteste auf, weil viele diesen Krieg inzwischen als
unnötig empfanden. Das war etwas ganz Neues und in den 30 Jahren vorher
nicht passiert. Die Armee wurde als Bollwerk Israels angesehen und war
ein heiliger Mythos, der außerhalb jeder Kritik stand. Das war das
Ergebnis eines nationalen Traumas, dem Holocaust und der Tatsache, dass
Israel von feindlichen Staaten umgeben war. In der Armee zu dienen war
eine Ehre und keine Pflicht. Alle Kriege wurden als notwendig für
das Überleben Israels angesehen - so notwendig wie das Eingreifen
der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Israel hat seine Unabhängigkeit
drei Jahre nach dem Holocaust erlangt und die Armee wurde dabei zu
einem machtvollen Symbol für die Wiederbelebung der jüdischen
Bevölkerung. Sie umfasste einen nationalen Eid, der besagte, dass
Juden nie wieder wie Schafe zu ihrer Hinrichtung geführt werden sollten.
Dieser Mythos beginnt jetzt zu bröckeln.
Der
nationale Konsens bricht
Durch diese Veränderung
im Selbstverständnis der Israelis wurde das Land zu einer normalen
Nation. Es wurde wie viele andere Demokratien materialistischer, individualistischer,
offener gegenüber der Welt. Die liberalen Kräfte wurden stärker
und die Rolle der Armee wie auch einige Entscheidungen der Regierung wurden
hinterfragt. Zu Beginn der 80er Jahre fragte man auch danach, ob es immer
noch eine Notwendigkeit sei, zu kämpfen. Als Israel in den Libanon
einmarschierte, brach der nationale Konsens auseinander. Denn dieser Krieg
war ein vorsätzlicher Krieg - ohne Notwendigkeit zur Verteidigung.
Hier haben die Mütter zum ersten Mal ihre Stimme erhoben und die Armee
aufgefordert, sich aus dem Libanon zurück zu ziehen. Die Mütterorganisationen
wurden 1977 von vier Frauen gegründet, deren Söhne im Libanon
dienten. Diese Mütter riefen eine nationale Bewegung von 25.000 Mitgliedern
ins Leben. Auch Männer wurden davon angezogen und zusammen stellten
sie eine öffentliche Debatte über die Libanonpolitik her, die
von den Medien aufmerksam verfolgt wurde. Barak konnte überzeugt werden,
aus Libanon abzuziehen und zivile Grenzen festzulegen. Diese lagen dem
Abzug der Truppen zugrunde und wurden genau definiert.
Der
Aufstand der Palästinenser
Kurz nach dem Beginn des
Aufstandes der Palästinenser im September diesen Jahres lebte die
Mütterbewegung erneut auf. Sie forderte, dass Israel die Gebiete am
Ufer des Jordan freigeben sollte. Diese Kampagne und das Thema der besetzten
Gebiete ist viel komplizierter als der Libanonkrieg und löst sehr
ernsthafte Debatten in Israel aus. Es gibt Stimmen, die verlangen, die
Gebiete der gesamten Westbank zu verlassen - je früher desto besser,
weil dadurch Leben gerettet werden können. Schwierig ist, dass die
Situation bei der Westbank einen Rahmenvertrag erfordert, um eine Koexistenz
mit den Palästinensern herzustellen, was vermutlich sehr lange dauern
wird. Aber zweifellos können die Frauen viel bewegen. Sie können
zu einer treibenden Kraft werden. Die gegenwärtigen Aufstände
in Israel sind ganz anderer Natur als das, was wir seit der Unabhängigkeit
gesehen haben.
Koexistenz
als Diskussionsgrundlage
Wir müssen einen Rahmen
für Koexistenz schaffen. Viele Araber leben in Israel und machen es
nötig, die emotionalen Barrieren aufzulösen, die Stereotypen
zu hinterfragen und die Traumata zu bearbeiten, die in beiden Gesellschaften
existieren. Ich glaube, dass die Frauen hier einen wichtigen Beitrag leisten
können. Sie sollten gleichberechtigte Partner in der Politik werden,
was bislang noch nicht Wirklichkeit geworden ist. Im Nahen Osten gibt es
sowohl in der jüdischen wie in der palästinensischen Gesellschaft
viel zu wenig Frauen, die Entscheidungen beeinflussen können. Aber
sie bekommen immer mehr Macht im sozialen und öffentlichen Leben und
sie können das Verhalten und die Beziehungen zwischen den Gruppen
verändern. Es ist interessant zu sehen, dass die Frauen sich stark
für einen Dialog zwischen Juden und Arabern wie zwischen weltlichen
und religiösen Israelis einsetzen.
Dialoggruppen
zwischen Juden und Palästinensern
Letzte Woche habe ich an
einem Parlamentsausschuss über den Status der Frauen teilgenommen.
Sowohl jüdische wie arabische Frauen waren bei diesem Treffen zugegen.
Der Ausschuss wurde von der Tochter des verstorbenen Moshe Dayan geleitet.
Es war kein einfaches Treffen: Es gab viel Schmerz und Wut, gegenseitige
Beschuldigungen, Verdächtigungen und Schuldzuweisungen, auch viel
Furcht. Aber es gab keine Verzweiflung. Frauen verschiedener Herkunft,
aus verschiedenen Berufen und andersartigem Aussehen haben über ihre
Gefühle gesprochen und darüber, was man in Zukunft tun sollte.
Das Reden ist natürlich nur ein Anfang für einen weiten Weg.
Bei diesem Treffen gab es
zwei hervorragende Stimmen. Eine Ärztin von 45 Jahren schilderte,
wie sie bei einer der letzten Aufstände von israelischen Soldaten
zusammen geschlagen wurde. Die andere Frau hat ihre Tochter von 23 Jahren
bei einem Bombenschlag in einem Café in Tel Aviv 1996 verloren.
Die Ärztin ist eine bekannte Aktivistin in der israelischen Frauenbewegung
in der jüdische und arabische Frauen zusammenarbeiten. Sie fand es
sehr erniedrigend und empörend, als Friedensaktivistin zusammengeschlagen
zu werden. Trotzdem setzt sie ihre Arbeit fort.
Die Frau, die ihre Tochter
verloren hat, ist vorher nie öffentlich oder politisch aktiv gewesen.
Auch nach dem Tod ihrer Tochter versuchte sie zunächst nur, mit ihren
Gefühlen fertig zu werden. Dann aber erkannte sie, dass Handeln nötig
ist, um das Töten zu beenden. Ihre Tochter ist eine Friedesnaktivistin
gewesen und sie beschloss, ihrem Weg zu folgen. Sie richtete ein Frauenforum
für Frieden mit jüdischen und arabischen Mitgliedern ein, das
nach ihrer Tochter benannt ist. Sie treffen sich und gehen von Dorf zu
Dorf und in die Städte, um Gespräche zu führen.
Weitere
Anstrengungen sind nötig
Das sind nur zwei Beispiele
für Dialoggruppen, die versuchen, mit der andere Seite in Kontakt
zu kommen, um diesen Konflikt zu beenden. Eine der überraschendsten
Initiativen ist die, die von jüdischen und palästinensischen
Eltern geschaffen wurde. Sie teilen ihren Schmerz miteinander, gehen zusammen
an Schulen und mahnen immer wieder an, dass Gewalt und Krieg keine Lösungen
sind. Ihre Hoffnung liegt auf den zukünftigen Generationen. Man bedenke,
dass es sich hier um Menschen handelt, deren Söhne sich gegenseitig
umgebracht haben. Das Tragische ist, dass trotz all dieser Bemühungen
immer noch alles so ist wie bisher, sogar noch schlimmer. Ist es jetzt
so schlimm, dass ein Friede unbedingt herbei geführt werden muss?
Haben wir zu wenig getan? Ich denke, wir haben nicht genug für den
Frieden getan.
Frauen
werden zu einer politischen Kraft
Können Frauen etwas
anders machen als die Männer? Theoretisch ist die Antwort: Nein. Für
mich haben Männer und Frauen die gleichen Quellen des Gefühls
und Intellekts. Mir fällt kein Grund ein, warum Frauen den Frieden
besser fördern könnten als Männer. Frauen haben ihre Völker
in den Krieg geführt wie die Männer auch. Aber wenn ich auf die
israelischen Frauenorganisationen schaue, dann haben sie eine moralische
Autorität als Mütter. Es gibt Frauen, die nicht immer nur als
Mütter und Ehefrauen gesehen werden wollen und lieber an den Entscheidungen
teil nehmen wollen, aber die Mütterorganisationen sind zu einer politischen
Kraft in Israel geworden. Wenn diese Frauen tatsächlich einen Weg
für die Koexistenz finden sollten, wer könnte sie dann noch kritisieren
wollen als einfache Mütter und Ehefrauen?
Monica Hauser
Für Überlebende von sexualisierter Gewalt – sei es im Frieden oder im Krieg – ist das Trauma nicht mit dem Tag des Verbrechens zu Ende. Gerade weibliche Überlebende sind der fortgesetzten Traumatisierung durch politische und soziale Faktoren ausgesetzt. Ich beziehe mich hier in erster Linie auf meine Erfahrungen aus Bosnien und dem Kosovo, doch lässt sich vieles auch auf die Realität von Frauen aus anderen Krisengebieten übertragen. Sexualisierte Gewalt und Folter gegen Frauen und Mädchen ist Bestandteil jeder kriegerischen Auseinandersetzung. Diese geschlechtsspezifische Gewalt kommt für die betroffenen Frauen als zusätzliche Traumatisierung zu den übrigen Formen der Kriegsgewalt hinzu. Dies ist spätestens seit Bosnien nicht mehr zu leugnen. Dem Mut der Verzweiflung einiger kroatischer und bosnischer Frauen ist es zu verdanken, dass die Verbrechen, die sie überlebt haben, eine weltweite Öffentlichkeit erreichten. Doch leider führte dieses Wissen nicht zu adäquaten Unterstützungen.
Opfer
von sexualisierter Gewalt sind nicht krank
Durch die gewaltsame Annexion
ihrer Dörfer wurden bosnische Frauen ab 1992 aus ihrem Lebenskontext
heraus gerissen, Familienmitglieder wurden vor ihren Augen umgebracht,
sie selbst wurden in Konzentrationslager verschleppt, erlebten dort tägliche
physische und psychische Folter, darunter auch immer sexualisierte Gewalt.
Massive körperliche und seelische Verletzungen, der Verlust jeglicher
Selbstkontrolle und ständige Todesangst bestimmten ihre Realität
über Monate.
Um Überleben zu können,
mussten die Frauen die erlittenen Gewalterfahrungen unter Verschluss halten
und von sich abspalten. Dieses Verdrängen führte zu schwerwiegenden
gesundheitlichen Folgen. Hier sehe ich den Ansatzpunkt, die Frau zu unterstützen,
sie fachlich zu begleiten - aber nicht als Kranke, deren Symptome ich heilen
will, sondern als eine, die schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen
überlebt hat und deren eigene Kraftquellen ihr zum Überleben
geholfen haben. Diese Ressourcen zusammen aufzufinden, um sie auch im Sinne
der Traumabewältigung nutzen zu können, ist Ziel unserer psychosozialen
und therapeutischen Begleitung.
Doch nur allzuoft werden
traumatisierte Frauen als unzurechnungsfähig und wie Objekte behandelt
– es wird über sie gesprochen, anstatt mit ihnen. Oft genug wird ihnen
Expertenwissen übergestülpt. Als Frau Menschenrechte zu haben,
bedeutet auch, als handlungsfähiges Subjekt betrachtet zu werden –
ob vergewaltigt oder nicht.
Die These der US-amerikanischen
Autorin Susan Brownmiller aus den 70er Jahren hat leider nichts an Brisanz
verloren: Sie besagt, dass die Verbrechen an Frauen im Krieg nur dann von
öffentlichem Interesse sind, wenn sie bestimmten Zwecken dienen. Dies
mussten gerade die bosnischen Frauen schmerzlich erfahren. Von der Politik
über die Medien bis zu therapeutischen Fachkreisen wurden sie oft
genug instrumentalisiert. Ihre persönlichen Grenzen wurden auch nach
der Vergewaltigung immer wieder aufs neue überschritten.
Die
Faktoren der Retraumatisierung
Zu den wesentlichen Faktoren
der Retraumatisierung zählen neben der generellen weltweiten Tabuisierung
der Thematik die Lebensbedingungen im deutschen Exil als auch die Nachkriegssituation
in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo.
Die internationale Politik
sah dem Wüten der serbischen und kroatischen Aggressoren tatenlos
zu und ignorierte völkerrechtswidrige Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
Es sah sich auch niemand zum Eingreifen genötigt, als die Berichte
über Konzentrations- und Vergewaltigungslager weltweit bekannt wurden.
Wenn es um bedrohte Bevölkerung in Osteuropa oder gar Afrika oder
Asien geht, ist Wegschauen zur politischen Routine geworden. Sämtliche
internationalen Organe und humanitäre Organisationen vom UN-Weltsicherheitsrat
bis zum Internationalen Roten Kreuz haben sich 1992 nicht um die internierten
gefolterten Frauen gekümmert.
Unterlassene
Hilfeleistung
Obwohl die NATO zum Schutze
der Menschen im Kosovo eingegriffen hat, bleibt die Klärung der Frage,
in wie weit das Leiden der kosovarischen Frauen zur Rechtfertigung des
Einsatzes der NATO-Bomben benutzt wurde. Auch muss es sich erst zeigen,
ob die Regierenden der NATO-Staaten weiterhin bereit sind, diesen tatkräftig
zu helfen.
Die grossen internationalen
Hilfsorganisationen waren nur in seltenen Ausnahmefällen bereit, die
gefolterte Bevölkerung zu schützen. Selbst direkte Hinweise auf
den Aufenthaltsort von uns namentlich bekannten verletzten und gefolterten
Frauen reichten oft nicht aus. Die Begründung Neutralität diente
in all diesen Situationen nicht den Opfern, sondern nur den Tätern.
Um nicht missverstanden
zu werden: Die von mir zitierten humanitären Organisationen tun täglich
sehr viel Sinnvolles weltweit, aber durch ihren schwerfälligen Verwaltungsapparat
können sie in vielen Notsituationen nicht adäquat handeln. Auch
werden ihre Reaktionen immer wieder von einer bestimmten Interessenspolitik
bestimmt, anstatt von den Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung.
Die
Rolle der Medien
Grenzüberschreitungen,
denen die Überlebenden nach dem eigentlichen Trauma wiederholt ausgesetzt
waren, sind Verletzungen durch die Medien. Das Schweigen über Verbrechen
durch sexualisierte Gewalt ist 1992 von mutigen kroatischen und bosnischen
Frauen durchbrochen worden, die ihr Leid nicht länger verschwiegen.
Doch in vielen Fällen waren die darauffolgenden internationalen Presseberichte
in einem sensationslüsternen und detailversessenen Stil gehalten,
der auf frauenfeindlichen Klischees beruhte und sie damit selber reproduzierte.
Damit wurden die Frauen ein weiteres Mal ausgebeutet. Ich habe selbst erlebt,
wie Kamerateams in Albanien in die Zelte der weinenden und sie abwehrenden
Flüchtlingsfrauen eindrangen. Die Frauen hatten keine Chance gegen
die eindringenden serbischen Männer und auch keine Chance gegen die
eindringenden Journalisten.
Sexualisierte
Gewalt ist Menschenrechtsverletzung
Aus der Holocaust-Forschung
wissen wir, dass Folter darauf abzielt, die Identität eines Menschen
zu zerstören. Dies geschieht planmäßig und systematisch.
Vergewaltigung als eine Form der Folter löst massive Erniedrigung
aus und verletzt das Schamgefühl. Im Asien-Pazifik-Krieg wurden Koreanerinnen
durch Soldaten der japanischen Armee in Zwangsbordellen physisch und psychisch
zerstört, ebenso im Golfkrieg, in Ruanda, in Somalia. Obwohl sexualisierte
Gewalt als Menschenrechtsverletzung zu jedem Krieg gehört, haben internationale
Hilfsorganisationen wie Amnesty International oder auch das UNHCR diese
Menschenrechtsverletzungen an Frauen erst in den letzten Jahren in ihre
Agenda aufgenommen.
Vergewaltigung
als Machtzuwachs der Kriegspartei
Die Soziologin Ruth Seiffert
und andere Wissenschaftlerinnen haben zur Funktion von Vergewaltigungen
im Krieg konstatiert, dass sie in jedem Krieg Machtzuwachs für die
gegnerische Kriegspartei bedeuten. Je nach spezifischem Kriegsziel können
Vergewaltigungen strategisch eingesetzt und funktionalisiert werden. Diese
Strategie müssen wir als ein gezieltes Mittel der ethnischen Vertreibungen
in Bosnien ab 1992 und auch im Kosovo 1999 konstatieren. Vergewaltigungen
bedürfen keines expliziten Befehles, sie werden von einer stillschweigend
zustimmenden Armeeführung gefördert. Diese Funktionalisierung
ist nur aufgrund der weltweit vorherrschenden ungleichen Geschlechterverhältnisse
möglich. Daher ist es unerlässlich, im Kontext der Traumatisierung
von Frauen die gesellschaftlichen, sprich: patriarchalen Zusammenhänge
mit einzubeziehen.
Sexualisierte
Gewalt als Tabu
Nach wie vor werden das
Ausmaß und die Folgen von sexualisierter Gewalt in großen Teilen
unserer Gesellschaft - in der deutschen genauso wie in der bosnischen -
ignoriert, negiert und verharmlost. Dieses Verschweigen bedeutet Macht,
auf die Männer bisher immer bauen konnten. In der Bundesrepublik wird
alle zwei bis drei Minuten eine Frau vergewaltigt - von Fremden, Bekannten,
Ehemännern. Ich könnte auch sagen: Wenn drei von uns zusammensitzen,
dann ist immer eine unter uns, die entweder selbst Gewalt erlebt hat oder
eine kennt, die Gewalt erfahren hat - im Kriegsgebiet Bosnien wie im Friedensland
Deutschland
Unsere Gesellschaft tut
alles, um die von Frauen und Mädchen erlittene Gewalt als individuelles
Verbrechen darzustellen. Diese Tragik, Gewalt als Bestandteil des eigenen
Lebens zu wissen, sie weder öffentlich benennen zu können, noch
sie von jemanden wahrgenommen zu wissen, verursacht zusätzliche Isolation
und Traumatisierung. Dieser Umgang lenkt von eigener und gesamtgesellschaftlicher
Verantwortung ab. Solange aber dieser Bezug zur Gesellschaft nicht hergestellt
wird, bleibt das Problem allein bei den Opfern. Obwohl Vergewaltigung ein
Problem der Männer ist, tragen allein die Frauen die Folgen dieser
Gewalt. Und hier zeigt sich deutlich die Verbindung von Gewalt gegen Frauen
im Frieden und im Krieg.
Das
Klima in der Gesellschaft entscheidet
Entscheidend ist, ob das
Klima in der Gesellschaft der Frau ermöglicht, zu sprechen. Im Nachkriegs-Deutschland
war es nicht anders. Erst ein halbes Jahrhundert später deckten Journalistinnen
und Historikerinnen die Existenz von Zwangsbordellen in den Konzentrationslagern
im Nationalsozialismus auf. Die überlebenden Frauen hatten nie die
Chance zu trauern, weil sie nie darüber sprechen konnten. Sie selbst
tabuisierten die Zwangsprostitution aus Scham vor der erlittenen Erniedrigung.
Ihre Umgebung wollte nach 1945 nicht an die Methoden der nationalsozialistischen
Vernichtungsmaschinerie erinnert werden, schon gar nicht an die eigene
Verwicklung in das Verbrechensregime. Ebenso erging es den deutschen Frauen,
die zu Tausenden von Soldaten der alliierten Streitkräfte, überwiegend
von sowjetischen Soldaten, vergewaltigt wurden. Auch sie hatten kaum eine
Möglichkeit ihr Leid öffentlich zu machen.
Flucht
und Exil als neues Trauma
Flucht und Exil können
als neue Verletzungen Retraumatisierungen auslösen. Sie sind selbst
Teil der traumatischen Sequenz, so der Psychologe David Becker. Hier muss
ich das traurige Kapitel der Abschiebungen von traumatisierten Frauen aus
der BRD ansprechen. Als Flüchtlinge in Deutschland absolvieren die
Überlebenden bei den Behörden einen Spießrutenlauf. Ihr
tägliches Denken kreist zwangsläufig und unaufhörlich um
die Begriffe Duldung, Abschiebung, Asylantrag. Alleine der Zwang, die Duldung
immer wieder verlängern zu müssen, verstärkt das Gefühl,
nur noch provisorisch zu leben. Psychosomatische Erkrankungen, Depressionen,
schwere Schlafstörungen und Ängste werden verstärkt. Im
Verhalten der Behördenvertreter paart sich rassistisches mit sexistischem
Verhalten. Unsensible Befragungssituationen mit meist männlichen Beamten
und Dolmetschern in einem engen Raum machen es Frauen nahezu unmöglich,
über erlittene sexualisierte Gewalt zu sprechen. Auch ist der staatliche
Anspruch eines detaillierten, möglichst widerspruchsfreien Berichts
über das Geschehene völlig abwegig und nicht erfüllbar.
Gehören Widersprüche und nur sukzessive Benennung des Erlebten
doch gerade zum Krankheitsbild der schweren Traumatisierung.
Solche Vorgänge haben
auf die Psyche von gefolterten Menschen verheerende Auswirkungen. In den
Beratungsstellen wird immer wieder registriert, dass es bei vielen Klientinnen
alleine bei der Abschiebungsandrohung zu Krankheitsverschlimmerung und
suizidalen Tendenzen kommt. Schwer traumatisierte Menschen brauchen Ruhe,
um ihre psychischen Traumata verarbeiten zu können. Dies ist nicht
nur ein professioneller Anspruch, sondern auch ein ethischer Grundsatz.
Abschiebung
ist unterlassene Hilfeleistung
Ein Skandal ist es auch,
wenn Polizeiärzte abzuschiebende Frauen auf ihren Traumatisierungsgrad
hin untersuchen solle - so geschehen in Hamburg und Berlin. Dies wird in
einer Studie des Berliner Behandlungszentrums für Folteropfer dokumentiert.
Dabei wird offensichtlich, dass diese Polizeiärzte in den allermeisten
Fällen nicht aus medizinischen, sondern aus politischen Gründen
die Reisefähigkeit bescheinigen. Ich zitiere: “Die Beurteilung des
Gesundheitszustandes wird isoliert auf die Fragestellung der Flug- und
Reisefähigkeit. Diese scheint dann gegeben, wenn die Person lebend
im Zielland ankommt.”
Nahtlos schliesst sich hier
in der Serie der unterlassenen Hilfeleistung die erneute Verletzung durch
eine völlig verantwortungslos organisierte Repatriierung an. Meines
Erachtens wird hier von der Bundesrepublik gesetzeswidrig abgeschoben,
denn traumatisierte Menschen werden in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo
mit einer völlig katastrophalen Infrastruktur konfrontiert. Hier kann
ich nur von unterlassener Hilfeleistung sprechen. Die Bundesrepublik
Deutschland macht sich damit für neue Menschenrechtsverletzungen an
den Überlebenden verantwortlich.
Geschlechtsspezifische
Gewalt als Asylgrund
Geschlechtsspezifische Gewalt
ist in Deutschland leider immer noch kein Asylgrund. Schutzsuchende Frauen
werden meistens abgewiesen, weil sie keine asylrechtlich relevante Verfolgung
durch staatliche Behörden nachweisen können – wie wenn sexualisierte
Gewalt und Folter gegen Frauen nicht gesellschaftliche Norm in den meisten
Männerhierarchien wäre und nicht staatlicherseits stillschweigend
akzeptiert würde. Wer hier Hoffnung in die neue Bundesregierung hatte,
wurde bis jetzt bitter enttäuscht. Auch unter dieser Regierung wird
kräftig abgeschoben.
Aber gerade die westlichen
Industrieländer müssten meines Erachtens nach die Verantwortung
für die Überlebenden übernehmen. Schließlich verdanken
sie einen Teil ihres Reichtums durch Waffenlieferungen.
Internationales
Kriegsverbrechertribunal Den Haag
Einer besonders schwierigen
Situation sehen sich die Frauen gegenübergestellt, die sich dem Den
Haager Kriegsverbrechertribunal zur Verfügung gestellt haben als Zeuginnen.
Es ist erfreulich, dass unter der damaligen Leitung von Richard Goldstone
ein gender unit eingerichtet wurde, die sich um Aufklärung von sexualisierte
Gewalt bemüht. Erleichternd ist auch, dass es mittlerweile Verurteilungen
gibt. Dies ist einmalig in der Geschichte von geschlechtsspezifischen Verbrechen
bei Kriegstribunalen.
Aber nach wie vor gibt es
für potentielle Zeuginnen keinen physischen Schutz im eigenen Land.
Entwürdigend ist auch, dass die Zeuginnen in erster Linie als lebendes
Beweismaterial dienen und nicht als Subjekte in den Prozessen betrachtet
werden. Die unzulässigen Befragungen, zum Beispiel über die Einnahme
von Antibabypillen oder Schwangerschaften sind diskriminierend und werden
von den Richtern kaum unterbunden. Skandalös ist auch die Strategie
der Verteidiger, die Glaubwürdigkeit der Zeugin aufgrund ihrer Traumatisierung
in Frage zu stellen. Noch skandalöser ist allerdings, dass die Richter
dieser Logik wiederholt folgten. So musste eine Zeugin in einem Prozess
gegen einen kroatisch-bosnischen Kommandanten tatsächlich die Wiederaufnahme
des Prozesses und ein zweites Kreuzverhör über sich ergehen lassen
- zur Debatte stand einzig ihre Glaubwürdigkeit. Dies zeigt, dass
niemand wirklich die Rechte und Interessen der Frauen vertritt und letztendlich
auch niemand sie vor Racheakten und Retraumatisierungen schützt.
Begleitende Stützung
während des Prozesses ist hier dringend erforderlich, doch leider
gibt es nur wenige therapeutische Einrichtungen wie Medica in Bosnien-Herzegowina
und im Kosova. Dabei ist die Mitarbeit für die Überlebenden beim
Tribunal elementare Voraussetzung, um die Täter zu überführen.
Die
Situation der Opfer nach dem Krieg
In der bosnischen Nachkriegsgesellschaft
sind patriarchale Normen und Wiederaufbau angesagt. Gefolterte Frauen stören
in dieser Sehnsucht nach Normalität, statt dessen herrscht der Wunsch
nach Vergessen und Frieden vor. Aber ohne gesellschaftliche Aufarbeitung
wird es für den größten Teil der bosnischen Frauen keinen
Frieden geben. Die bosnische Gesellschaft ist hier mit allen ihren Institutionen
gefordert, ein Klima des Verständnisses zu schaffen. Dies gilt
auch für jede andere Nachkriegsgesellschaft. Hierzu ein Wort auch
an die Institutionen der EU und der UN: Eine großzügige finanzielle
Unterstützung verbunden mit politischer Einflussnahme im Sinne von
gezielter Förderung von frauenorientierten Projekten und die Forderung
nach frauenfördernden staatlichen Maßnahmen kann hier von großem
Nutzen sein.
Die
Folgen eines Traumas
Vergewaltigung bedeutet
den schwerstmöglichen Angriff auf das intime Selbst. Die Opfer erleben
und erleiden Todesängste, Panik, Ekel, Gefühle extremer Hilflosigkeit,
tiefe Verzweiflung und existentielle Sinnlosigkeit. In unserer gynäkologischen
Ambulanz in Zenica sind von 1993 bis 1999 über 40.000 Untersuchungen
durchgeführt worden. Die untersuchten Frauen zeigten gynäkologische
Erkrankungen wie monatelange schwere Blutungen, Infektions- und Geschlechtskrankheiten,
Menstruationstörungen. Über 95 % der Frauen, die durch eine Vergewaltigung
schwanger geworden sind, wollten einen Abbruch. Zu den langfristigen Folgen
gehören unter anderem das gehäufte Auftreten von Karzinomen und
definitive Reproduktionsstörungen wie Sterilität. Wir haben gesehen,
dass insbesondere der Gebärmutterhalskrebs und seine Vorstufen enorm
zugenommen haben.
Die psychosomatischen Symptome
werden dem Krankheitsbild des ‚post traumatic stress disorder‘ (Nachtraumatische
Stresserkrankung) zugeordnet. Bekannt ist dieser Begriff aus der Trauma-Literatur
von Soldaten, KZ-Überlebenden und Folteropfern. Doch von post kann
keine Rede sein, solange der traumatisierende Prozess von Exil, Angst vor
Abschiebung und Perspektivlosigkeit anhält. Dazu kommt die ständige
Angst vor Stigmatisierung.
Posttrauma
und Depersonalisierung
Auch wenn der äußere
Anlass der Bedrohung eines Traumas weg ist, wird diese weiterhin als real
empfunden. Das Traumaerlebnis ist sozusagen in den Körper des Menschen
eingepflanzt, so Norbert Gurris vom Berliner Behandlungszentrum für
Folteropfer. So können beispielsweise bedeutungslose Alltagsreize
bei traumatisierten Menschen Empfindungen wie in der Foltersituation auslösen.
Zur Vermeidung solcher Angstreaktionen entwickelt jeder Mensch umfangreiche
Abwehrstrategien. Um zu überleben und den Alltag bewältigen zu
können, müssen die Gewalttaten zumindest zeitweilig verdrängt
und von der eigenen Person abgespalten werden - es kommt zur Depersonalisierung.
Doch dies gelingt nur unvollständig, immer wieder kommt es zu überfallartigen
Erinnerungen, den ‚flash-backs‘.
Das
Projekt MedicaMondiale
Das Projekt Medica entstand
als Reaktion auf die massenhaften Vergewaltigungen von bosnischen Frauen
und Mädchen im Krieg in Bosnien-Herzegowina und der Tatsache, dass
es keine (frauen)adäquate Unterstützung gab. Weder existierten
Modelle, noch theoretische Entwürfe, auf die wir zurückgreifen
konnten. Wir mussten also ein eigenes Konzept entwickeln. Von Beginn an
war dieses Konzept auf Ganzheitlichkeit ausgerichtet. Uns, das heisst 20
bosnische Fachfrauen und ich, die sich Anfang 1993 zusammengetan hatten,
war klar, dass die verletzten Frauen ein Angebot von Beratung und Behandlung
im medizinischen sowie psychosozialen Bereich erhalten müssen und
dies nicht nur als Krisenintervention, sondern auch mit längerfristigen
Perspektiven. Heute arbeiten in diesem Projekt 70 bosnische Frauen aller
drei Ethnien. Im letzten Sommer eröffneten wir aufgrund der Kriegsverbrechen
an Frauen im Kosovo in der Stadt Gjakova ein Projekt mit ähnlicher
Konzeption, in dem 35 Fachfrauen tätig sind.
Im April 1993 eröffneten
wir unter Kriegsbedingungen das Frauentherapiezentrum Medica Zenica. In
der gynäkologischen Ambulanz bestanden neben Untersuchungen auch die
Möglichkeit zu Schwangerschaftsabbrüchen und Familienplanungsberatung
. Aufgrund der professionellen und parteilichen Betreuung ist die Ambulanz
auch bei städtischen Klientinnen beliebt, wenngleich wir traumatisierte
Mädchen und Frauen beziehungsweise Flüchtlingsfrauen prioritär
versorgen. Doch zur Vermeidung von Stigmatisierungen stand das Zentrum
von Beginn an allen Frauen offen. Mit einem gynäkologisch ausgestatteten
Ambulanzfahrzeug betreut ein mobiles Team Flüchtlingsfrauen in abgelegenen
Gebieten.
Interdisziplinäres
Arbeiten
Eine psychosomatische Orientierung
halten wir für unerlässlich. Diese kann nur interdisziplinär
erreicht werden, indem Gynäkologinnen, Internistinnen und Psychiaterinnen
eng mit den Psychologinnen, den Krankenschwestern, der Sozialarbeiterin
und ggf. der Mualima, einer islamischen Theologin, zusammenarbeiten. Fortbildungen
sind dabei unerlässlich, um Retraumatisierungen zu vermeiden.
Ein einfaches Beispiel:
Die Tatsache, dass eine gynäkologische Untersuchung eine Retraumatisierung
auslösen kann, musste in den Arbeitsalltag integriert werden und löste
bei den mehrheitlich schulmedizinisch ausgerichteten Mitarbeiterinnen ganz
neue Reflektionsprozesse auf die eigene Arbeit aus.
Im stationären Bereich
haben schwer traumatisierte Frauen mit ihren Kindern erstmalig die Möglichkeit,
in einer solidarischen Atmosphäre zur Ruhe zu kommen. Dafür ist
die Kommunikation mit den Mitbewohnerinnen elementar. Hier können
Erfahrungen ganz anders als im therapeutischen Umfeld zur Sprache kommen.
Ein
soziales Umfeld anbieten
Medica bietet neben individueller
Therapie ein soziales Umfeld von Empathie, Respekt, Wertschätzung
und Solidarität. Erst auf dieser Basis können die Psychologinnen
die Krisenintervention bzw. das therapeutische Gespräch beginnen.
In der Kriegssituation und auch nach dem Krieg geht es hier weit mehr um
begleitende Stützung und vorsichtiges Verbalisieren des Traumas denn
um wirkliche Aufarbeitung. Das bedeutet Krisenintervention als therapeutisches
Maximum in einem traumatisierenden Umfeld: Die Möglichkeit zu einer
wirklichen therapeutischen Verarbeitung und Integration ist noch gar nicht
gegeben.
Von Beginn an setzten wir
uns für die Dokumentation von Kriegsverbrechen an Frauen als politisch
unverzichtbare Aufgabe ein. Wir sehen es als unsere Verantwortung, die
Menschenrechtsverletzungen an den Frauen zu benennen und öffentlich
zu machen.
Notwendigkeit
eines frauenspezifischen Konzeptes
Die Grundidee des interdisziplinären
Arbeitens - die Verknüpfung von gynäkologischer, psychologischer
und psychosozialer Unterstützung - hat sich als richtig erwiesen.
In der Folge jedoch erkannten wir, dass dieses Spektrum für eine umfassende
Traumabehandlung und eine realistische Neuorientierung in der Lebensperspektive
für die Klientinnen erweitert werden muss. Die verletzenden Faktoren
durch Politik, Justiz, Medien etc. müssen mit berücksichtigt
werden. Zum einen muss die Frau in ihren eigenen Ressourcen gestärkt
werden, zum anderen betrachten wir es als unseren politischen Auftrag,
als Institution und als renommierte Fachfrauen gegen Retraumatisierungen
anzugehen. Wir wollen feministische Netzwerke und Fachgremien zu den einzelnen
Arbeitsgebieten unterstützen oder mit aufbauen. Unser Ziel ist, Fortbildung
für Fach- und Projektfrauen in Kriegs- und Krisengebieten anzubieten.
Wir wollen uns weiterhin öffentlich einmischen.
Schwerpunkte aus der Diskussion
Die Diskussion im Anschluss an die gehaltenen Referate diente dazu, Fragen an die Referentinnen zu richten und Anmerkungen zu ergänzen.
Die
Bedeutung von Bildung
Die TeilnehmerInnen griffen
zunächst das Thema ‚Bedeutung der Bildung für Frauen‘ auf. Hierzu
gab es zwei Meinungen. Die eine vertrat die Ansicht, dass Bildung absolut
notwendig sei, um kämpferisch für seine Rechte eintreten zu können.
Frau Langa wies darauf hin, dass selbst für den Lebensunterhalt ein
Minimum an Bildung nötig sei. Wie man sein häusliches Leben organisiert
und wie man Produkte verkauft, sein Geld verwaltet, könne ohne Bildung
nicht bewältigt werden.
Die andere Ansicht machte
geltend, dass Bildung Gewalt bisher nicht verhindert habe und keine Garantie
für Friedfertigkeit sei. Auch in den entwickelten Ländern sei
häusliche Gewalt ein Problem, dass in allen Bildungsschichten existiere.
In diesem Zusammenhang tauchte
auch die Frage auf, wie Alphabetisierung in den Entwicklungsländern
verwirklicht werde. Da Sri Lanka kein Bildungsproblem hat, nahm Frau Langa
dazu Stellung. Tatsächlich habe man sich besonders um die Alphabetisierung
in den ländlichen Gebieten Mosambiks während des Befreiungskrieges
gekümmert. Tutoren wurden in die Dörfer gesandt, um dort in den
Schulen zu unterrichten. Der zweite bewaffnete Konflikt habe diese Bemühungen
weitgehend zerstört. Menschen wurden auf dem Weg zu den Bildungsprogrammen
getötet, es kam zu vorher nie gekannter Gewalt. Dennoch wurde die
Analphabetenrate von 90 auf 50 Prozent gesenkt.
Frau Fölster wies darauf
hin, dass Frauen im Nationalsozialismus systematisch von Wissen ausgesperrt
wurden und die Frauenbewegung in den 50er Jahren in Deutschland darum gekämpft
habe, Mädchen gleichberechtigt an der Bildung teihaben zu lassen.
Das
Rollenverständnis der Geschlechter
Hinterfragt wurden auch
die Rollen von Männern und Frauen: Die Männer als Feindbilder,
als Urheber von Gewalt und Terror zu definieren und die Frauen als ihre
Opfer, enthebe die Frau ihrer Eigenverantwortung. Es wurde angemerkt, dass
Frauen zu sehr in ihrer Instrumentalisierung für Männer untersucht
würden. So käme ein zu einseitiges Rollenverständnis von
Frauen als Komplizinnen oder Opfer zustande.
Befragt, ob es eine Studie
über die Gründe von Frauen für den Kampf gebe und was sich
dadurch verändert habe und nach dem Ende eines Konflikts davon übrig
bliebe, antwortete Frau Reimann, dass eine solche Studie ihres Wissens
nach nicht existiere. Auch sei die Forschung für eine solche Studie
der Gefahr ausgesetzt, Indikatoren, die man an vergangenen Konflikten festgestellt
habe, einfach auf die Gegenwart zu projizieren.
Immer wieder kamen auch
die Frauen zur Sprache, die tatsächlich Macht besitzen wie die sri
lankische Präsidentin Kunamaratunga oder Madeleine Albright. Auch
wies ein Konferenzteilnehmer auf die auffällig hohe Zahl von weiblichen
Führungskräften in Südostasien hin. Übereinstimmend
wurde festgehalten, dass diese Frauen sich bislang nicht besonders in Genderfragen
hervorgetan hätten. Auch Frau Moonesinghe bestätigte das. Zu
den ausgesprochen gewalttätigen Frauen im Widerstand und bei den Tamil
Tigers, deren Taten grausamer anmuteten als die ihrer männlichen Kollegen,
erläuterte sie den sozialen Hintergrund: Viele der Selbstmordattentäterinnen
seien unter dem hohen Druck, der in den Widerstandsorganisationen herrsche,
gezwungen, besonders gefährliche und grausame Aktionen auszuführen.
Von vielen Attentäterinnen wisse man, dass man ihre Familie als Geisel
genommen hatte.
Was
können Frauen verändern?
Die These von Frau Reimann,
dass die Beteiligung von Frauen in der Konfliktverarbeitung möglicherweise
gar nichts verändern würde, provozierte viele Stellungnahmen.
Zum einen wurde festgehalten, dass Frauen - unabhängig davon, ob eine
Veränderung in den Prozess der Friedenskonsolidierung eintrete oder
nicht – beteiligt werden müssten. Auch wenn, wie Frau Reimann ausführte,
der Machtgewinn von Frauen nach dem Konflikt wieder schwinde, müsse
man weiter daran arbeiten, selbst wenn es ergebnislos sei. Denn Männer
unterstünden Kriterien wie der ihrer Effizienz als in den entsprechenden
Gremien erst gar nicht. Dazu gab ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes,
der dort für Frauenfragen zuständig ist, genauer Auskunft: Er
widerlegte, dass Frauen in den Entscheidungsprozessen nichts ändern
könnten. Ab 30 Prozent Frauenbeteiligung verschöben sich die
Inhalte der Tagesordnung bereits erheblich. Schwerpunkte, die bei Männern
immer unter den Tisch fielen, kämen unter einer ganz anderen Gewichtung
zur Sprache. Dazu gehörten zum Beispiel die Organisation von Flüchtlingslagern,
der Schutz für die Kinder sowie Aufstellungspläne für die
Posten der Friedenstruppen. Er legte auch einen Fall dar, den das Handeln
einer Frau erheblich hätte beeinflussen können. So wurde in einem
Lager von Vertriebenen im letzten Jahr untersucht, welche Kriegsverbrechen
an den Betroffenen begangen wurden. Ein Mann, der das Wort ergriffen hatte,
forderte die anwesenden Frauen auf, sich im Falle von Vergewaltigungen
zu melden. Keine Frau habe sich auf diese offensive und wenig einfühlsame
Aufforderung gerührt. Damit sei eine entscheidende Chance, Kriegsverbrechen
vor einem Tribunal zur Anklage zu bringen, vertan worden. Denn wo keine
Kläger seien, käme es nicht zur Anklage.
Am Beispiel Südafrika
verdeutlichte eine andere Konferenzteilnehmerin, dass Frauen etwas verändern
könnten. Die Ereignisse während der Transition hätten aber
auch deutlich werden lassen, dass Frauen niemals ohne Kampf zu gesellschaftlicher
Macht gelangten. Um dies zu erreichen, bedürfe es eines politischen
und feministischen Bewusstseins. Frauen ohne dieses Bewusstsein richteten
nichts aus, weil sie die Notwendigkeit einer Veränderung gar nicht
erkennen würden. Um in Ländern mit bewaffneten Konflikten etwas
bewirken zu können, sei eine Frauenbewegung mit langem Atem erforderlich,.
Frau Reimann ergänzte
dazu, dass mit Männern nur strategische Bündnisse eingegangen
werden dürften. In vielen Punkten - und einer davon sei die Gewalt
gegen Frauen – müssten Frauen eine klare feministische Haltung vertreten.
Monica Hauser, Irit Keynan,
Zelia Langa, Beulah Moonesinghe
Moderation: Kay Fölster
Gewaltfrei
an Konflikten arbeiten
Das erste Thema, dem sich
die Podiumsteilnehmerinnen widmeten, war die Frage: Wie kann man mit zivilen
Kräften und gewaltfrei an der Bewältigung von Konflikten arbeiten?
Dabei kamen die verschiedensten Überlegungen und Erfahrungen zur Sprache.
Beulah Moonesinghe
berichtete, dass in Sri Lanka kleine Geschichten für Kinder geschrieben
werden, in denen Konfliktpartner zu Freunden werden. Auch in einigen sprachlichen
Wendungen versteckten sich Vorurteile, die auf ähnliche Weise bearbeitet
würden.
Zelia Langa betonte,
wie wichtig die Ausbildung der Kinder sei. Es müssten Formen für
eine Kultur des Friedens gefunden werden.
Die Projekte des Marie-Schlei-Vereins
und der FES seien von Krisensituationen in den jeweiligen Ländern
immer wieder betroffen. Um so dringender müssen Rahmenbedingungen
geschaffen werden, damit dem Problem Gewalt gegen Frauen erfolgreich begegnet
werden könne. Das Europäische Parlament, dass sich nächste
Woche mit diesem Thema befasse, solle auf eine Forderung des Marie-Schlei-Vereins
eingehen und sexuelle Gewalt und sexuelle Sklaverei im Rahmen von Konflikten
als folterähnliche Kriegsverbrechen definieren und ahnden. Dafür
müsse der ständige Internationale Gerichtshof zuständig
sein.
Die
Förderung von Gewaltbereitschaft
Kay Fölster
warf die Frage auf, wie Gewaltbereitschaft entstehe. Bei der Mobilisierung
von Armeen und im Kriegszustand werde Gewaltbereitschaft systematisch funktionalisiert.
Dabei könne die Armeeführung bestimmen, ob Gewalt an Zivilisten
opportun sei. Auch gäbe es Studien, in denen die Zusammenhänge
von Krieg und Gewalt untersucht worden seien. Die Männer würden
systematisch desensibilisiert, wozu auch die zahlreichen Bordelle in Krisengebieten
beitrügen. Kambodscha habe beispielsweise durch die UN-Soldaten eine
enorme Verbreitung von Prostitution und Aids erfahren. Das UN-Personal
solle in Seminaren zu diesen Themen auf ihre Friedenseinsätze vorbereitet
werden. Deshalb arbeite man heute teilweise daran, UN-Soldaten in einem
Programm bestimmte Probleme ins Bewusstsein zu rufen. Auch die Anwesenheit
von Frauen während der Einsätze sei ein wichtiger Schritt.
Irit Keynan merkte
zum schwierigen Friedensprozess Israels an:
“Wir sind alle Bürger
Israels, Juden wie Araber. Das heißt, wir haben auch eine gemeinsame
Verantwortung. Aber dieses gemeinsame Verantwortungsgefühl ist nicht
vorhanden; die Juden versuchen die Araber zu dominieren, die Araber die
Juden. Der erste Schritt zum Frieden wäre, diese gemeinsame Staatsbürgerschaft
anzuerkennen. Die Frauen könnten viel zu einer Friedenskultur beitragen.
Die Erziehung der Kinder obliegt selbst Frauen, die Karriere machen und
im Berufsleben stehen. Wir können in dieser Rolle eine zivile Agenda
aufbauen. Aber zum Aufbau eines zivilen Forums brauchen wir auch eine politische
Rolle, finanzielle Mittel und Unterstützung in den Medien.”
Gewalt
in den Familien
Ein weiteres Thema in dieser
Diskussionsrunde betraf die Gewalt in Familien. Wie bei dem Bericht von
Frau Langa bereits deutlich wurde, hat Mosambik ein großes Problem
mit häuslicher Gewalt. Im Podium nahm sie dazu noch einmal Stellung:
“Wir haben große finanzielle
Probleme. Wir haben Zentren für die Rehabilitierung für Frauen
errichtet. Die Familien sind überlastet, weil viele zusätzlich
noch Kinder betreuen, die ihre Eltern durch den Krieg verloren haben. Auch
die Alphabetisierung versuchen wir voran zu treiben, damit Frauen Kenntnisse
erwerben, die sie geschäftstüchtig machen können. Neue Arbeitsplätze
sind für den sozialen Frieden dringend notwendig. Unsere Möglichkeiten,
dies alles zu schaffen, sind äußerst schlecht. Deshalb versuchen
wir mit unseren internationalen Partnern zusammen zu arbeiten, weil wir
ihre Unterstützung brauchen.”
Frau Moonesinghe
bekräftigte, dass die Frauen in Konfliktländern unbedingt eine
Lobby bräuchten und ein Netzwerk zur Unterstützung für die
angesprochenen Probleme. Auch in Sri Lanka werde Gewalt immer alltäglicher.
Monica Hauser legte
dar, von welchen Überlegungen das Projekt Medica Zenica dazu ausgeht,
um Frauen zu helfen. Die Traumatisierung von Opfern sexueller Gewalt sei
nur bedingt heilbar. Das wichtigste sei nicht unbedingt, Frauen zum Sprechen
zu bringen. Wichtig sei eine Atmosphäre des Vertrauens, in der das
Leiden der Frauen nicht weiter stigmatisiert und tabuisiert werde. Medica
Zenica arbeite inzwischen autonom und verhindere so, dass sexualisierte
Gewalt als Thema vergessen werde. Sie selbst habe ein Pilotprojekt zum
Thema ‚häusliche Gewalt‘ durchgeführt, für das sie mit der
Kriminalpolizei, Krankenhäusern und Schulen zusammengearbeitet habe,
um das jeweilige Personal beim Erstkontakt mit Opfern zu schulen.
Gendertraining
für die Medien
Ein weiterer Schwerpunkt
war der Umgang der Medien mit dem Thema ‚Frauen und Frieden‘. Die Medien
können Tabuthemen wie sexuelle Gewalt thematisieren. Dies tun sie
aber oft sensationslüstern. Frau Hauser forderte einen angemessenen
Umgang mit den Problemen sowie Gender-Trainings, um nicht neue Traumata
bei den Betroffenen hervorzurufen. Dazu müssten männliche Journalisten
sich ihrer eigenen Geschlechtlichkeit bewusst werden. Obwohl die Medien
in Konfliktgebieten oft eine unliebsame Rolle gespielt hätten, sei
die Dokumentation solcher Vorgänge absolut notwendig. Dies sei aber
gerade durch grobe und unsensible Recherche oft verhindert worden. Ein
Gender-Training Mitarbeiter für Mitarbeiter von Institutionen und
Medienvertreter, so Frau Hauser, müsse daher auch Selbsterfahrungsarbeit
einbeziehen und mit einem abschließenden Zertifikat bescheinigt werden.
Frau Langa erzählte
von den Bemühungen in Mosambik, weibliche Journalisten zu erreichen,
um vergewaltigte Frauen zu interviewen, da diese sonst nicht sonst nicht
aussagten. Auch Frau Moonesinghe berichtete, dass Vergewaltigungen
in sri lankischen Medien ein Tabu seien. Viele Organisationen arbeiteten
aber daran, die Frauen zum Sprechen zu bringen und ihnen ein Bewusstsein
für sexuelle Belästigung zu geben. “Jeden Sonntag gab es bei
uns eine spezielle Radiosendung zum Thema Traumatisierung und zu dem hohen
Preis, den die Frauen aufgrund der bewaffneten Konflikte bezahlen müssen.
Nach der Wahl mussten wir diese Sendung unter der neuen Regierung leider
einstellen. Zur Zeit kämpfen wir gegen diese Einschränkung, denn
das Radio ist das wichtigste Medium für uns. Unser Verhältnis
zu den Medien ist ambivalent, weil sie quotenabhängig arbeiten. Wir
haben oft den Eindruck, dass sie die Dinge manchmal extremer darstellen
als sie sind und nur bestimmte Aspekte heraus greifen. Damit wird manches
verschlimmert. Gute Nachrichten tauchen gar nicht erst auf.”
Keine
Entwicklung ohne Frieden
Abschließend wurde
noch einmal das Thema Bildungsarbeit für Frauen im Zusammenhang von
Friedenskonsolidierung aufgegriffen: Es bestand Einstimmigkeit darüber,
dass Bildung nicht automatisch friedensfähig macht. Frau Hauser
merkte dazu an, dass Unterdrückung von Frauen und sexualisierte Gewalt
keine ‚Ausrutscher‘ einer patriarchalischen Gesellschaft, sondern konstitutive
Bestandteile unserer Kultur seien. Frauen seien dialogfähiger und
auch fähiger, grenzüberschreitend zu arbeiten. Das müsse
in gesellschaftliche Prozesse einfließen.
Einig waren sich die Podiumsteilnehmerinnen
darüber, dass das Thema Krieg und Konfliktprävention in der Entwicklungspolitik
zunehmend wichtiger werde, weil Entwicklung ohne Frieden gar nicht möglich
sei.
Keynan: “Bildung
wird immer als weniger machtvoll angesehen als die Politik - da müssen
wir umdenken lernen. Vielleicht sollten wir statt Bildung den Begriff Bildungsmacht
verwenden. Diese Bildungsmacht kann genauso groß werden wie die politische
Macht. Aber es ist notwendig, dass die Frauen noch viel größere
politische Macht brauchen.”
Dr. Monica Hauser
Fachärztin für
Gynäkologie, Spezialistin für ganzheitliche Traumatologie; Mitbegründerin
und Mitglied im Vorstand von Medica mondiale, Köln
Dr. Irit Keynan
Historikerin, Dozentin an
der Universität Haifa / Israel
Gründerin und Projektleiterin
des internationalen Magazins „CoExist“
Zelia Langa
Mitglied im Sekretariat
der Frauenorganisation Organisação da Mulher Moçambicana
(OMM), Vizepräsidentin der Gemeindeversammlung der Hauptstadt Maputo
/ Mosambik
Beulah Carmen Moonesinghe
Volks- und Betriebswirtin,
Expertin für landwirtschaftliche Produktion und Export, Beraterin
der Regierung, Mitglied in der Industrie- und Handelskammer für Frauen
Vorsitzende der „Agromart
Outreach Foundation“, Colombo / Sri Lanka
Cordula Reimann
Friedens- und Konfliktforscherin,
Dozentin an der Universität Bradford / Großbritannien, Abteilung
für Friedensstudien
Internetadressen und Buchtipps
Agromart Foundation, Sri Lanka: http://www.agromart.com
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Politikschwerpunkt ‚Schutz von Frauen vor Gewalt‘): http://www.bmfsfj.de/swpkt/blickp/inhalt00.htm
Friedrich Ebert Stiftung: http://www.fes.de (Frauenthemen und Gender unter ‚Aktivitätsfelder‘)
International Alert (Frauenthemen): http://www.international-alert-org/women/home.html
IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War): http://www.ippnw.org
Marie Schlei Verein: http://www.marie-schlei-verein.de
MedicaMondiale: http://www.medicamondiale.org
UN-Dokumente der Weltfrauenkonferenz
1995 in Peking: http://www.un.org/Depts/german/conf/beijing/beij1.htm
Das Handwerk des Krieges, Cora Stephan, Rowohlt Verlag, ISBN 3-87134-370-6
Der Krieg ist männlich. Ist der Friede weiblich?, Hilde Schmölzer. Verlag für Gesellschaftskritik, ISBN 3-85115-231-X
Die friedfertige Frau, Margarete Mitscherlich, Fischer Verlag, ISBN 3-596-24792-0
Frauen und Krieg. Weibliche Kriegsästhetik, weiblicher Rassismus und Antisemitismus, Ellen de Visser, Verlag Westf. Dampfboot, ISBN 3-89691-410-3
Krieg, Geschlecht und Traumatisierung. Erfahrungen und Reflexionen in der Arbeit mit traumatisierten Frauen in Kriegs- und Krisengebieten, Dokumentation von MedicaMondiale, IKO-Verlag, ISBN 3-88939-615-1
Sag nie, du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, Ingrid Strobl, Fischer Verlag, ISBN 3-596-24752-7
Verletzungen. Lebensgeschichtliche Verarbeitung von Kriegserfahrungen, Ulrike Jureit und Betae Meyer, Dölling und Galitz Verlag, ISBN 3-926174-91-9
Zur Logik sexueller Gewalt in Kriegen, Ruth Seifert in: Vierteljahreszeitschrift für Sicherheit und Frieden Nr.2, 1993
Herausgeber: Friedrich-Ebert-Stiftung
Adresse
Godesberger Allee 159
53175 Bonn
Redaktion: textlink Ina Zeuch
Koordination: Peter Schlaffer
ISBN 3-86077-967-2