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[INTERNATIONALE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT]
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Vorwort

In der entwicklungspolitischen Diskussion um eine Weltarbeitsteilung gilt allgemein die Textil- und Bekleidungsindustrie als geeigneter Einstieg für die Industrialisierungsbemühungen der Länder des Südens. Nicht zuletzt deshalb, weil dieser Bereich sehr beschäftigungswirksam ist und in vielen Ländern als einer der wichtigsten Devisenbringer gilt. Für Investoren aus Industrie- und Schwellenländern wurden großzügige Ansiedlungsbedingungen geschaffen. Hinzugekommen ist ein kalkulierbarer Zugang zu den zahlungskräftigen Märkten der Industriestaaten, der die Erwirtschaftung von dringend benötigten Devisen ermöglicht. Insbesondere über die Errichtung von Freihandelszonen, den sog. "Free Trade Zones" (FTZ), bieten interessierte Staaten ausländischen Investoren einen attraktiven Rahmen für die Industrieansiedlung. Im wesentlichen sind es Industrien im Textil-, Bekleidungs- und Elektronikbereich, die das Modell der Freihandelszonen nutzen. Die Praxis der letzten Jahre zeigt folgendes Spannungsfeld:

Angebote zur Ansiedlung von Textil- und Bekleidungsindustrien wurden von ausländischen Investoren in großem Umfang angenommen. Parallel hierzu wurden Betriebe in den Industrieländern stillgelegt. Dies bewirkte einen dramatischen Beschäftigungsabbau und Strukturwandel im Textil- und Bekleidungssektor in den Industrieländern. Je nach wirtschaftspolitischer Regierungsphilosophie wurden die sozialen Auswirkungen über sozialpolitische Maßnahmen abgemildert oder aber hohe Arbeitslosigkeit in den nationalen Produktionssschwerpunkten hingenommen.

Schnell wurde deutlich, daß teilweise frühkapitalistische Arbeitsbedingungen und Niedrigstlöhne wesentliche Gründe für den Erfolg des FTZ-Konzepts sind. Über Lohn- und Sozialdumping erzielen die Investoren zusätzliche Gewinne und Wettbewerbsvorteile. Gleichzeitig wird den Beschäftigten in den meisten Freihandelszonen die Vereinigungsfreiheit, das heißt das Recht, Gewerkschaften zu gründen, verweigert oder Gewerkschaftsrechte werden stark beschränkt. Von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedete Mindestnormen in den Bereichen Arbeitsrecht, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz werden von vielen Unternehmen vorsätzlich mißachtet. Daß die Regierungen vieler Entwicklungs-, aber auch Schwellenländer, diese Verletzungen von Grundrechten nicht nur tolerieren, sondern in internationalen Foren aggressiv als notwendigen Investitionsanreiz verteidigen, verschärft zunehmend die internationale Auseinandersetzung zwischen Regierungen auf der einen sowie bei Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen auf der anderen Seite.

Für die Regierungen in den südlichen Ländern sind die exportorientierten Industrien in den Freihandelszonen eine wichtige Devisenquelle. Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in den Freihandelszonen sind junge Frauen. Der arbeitsintensive Charakter der Textil- und Bekleidungsindustrie ermöglicht "lohnende" Vorteile, da Frauen nahezu ausschließlich auf schlecht bezahlten und mit geringeren Qualifikationsanforderungen verbundenen Arbeitsplätzen tätig sind. Ihre Arbeit wird in der Regel auch gesellschaftlich unterbewertet. Doch selbst wenn die Löhne auch niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht sind, so ist das bezogene Einkommen angesichts verbreiteter Arbeitslosigkeit in den meisten Ländern ein wichtiger Beitrag zur Versorgung des in der Regel großfamiliären Familienverbandes. Trotz Gewerkschaftsverbotes und hoher Risiken kämpfen Arbeiterinnen für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und für höhere Löhne. Ihre Bestrebungen knüpfen an die lange Tradition von sozialen Auseinandersetzungen im Textil- und Bekleidungsbereich an.

Der Internationale Frauentag erinnert an die sozialen Kämpfe der Arbeiterinnen in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Mehrere tausend Frauen legten 1857 in New York ihre Arbeit nieder und kämpften unter der Parole "Brot und Rosen" für gerechte Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen. Obwohl internationale ILO-Übereinkommen zum Schutze erwerbstätiger Frauen, wie das Übereinkommen 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf und das Übereinkommen 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit seit nunmehr 40 Jahren vorliegen, sind viele der Arbeiterinnen im Textil- und Bekleidungssektor in völlig ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen tätig. Auszüge dieser Übereinkommen sind aufgrund ihrer richtungsweisenden Bedeutung im Anhang dieser Publikation aufgenommen worden.

Die ausgewählten Länderbeiträge zeigen, daß dort wo Frauen bereits gewerkschaftlich organisiert sind, sie die Erfahrung machen, daß frauenspezifische Probleme in den Gewerkschaften nicht ausreichend behandelt werden und Frauen nur ungenügend in Entscheidungspositionen vertreten sind. Innerhalb der Gewerkschaften ringen sie um die Anerkennung ihrer Interessen. Langfristig muß es um die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens gehen, der Fragen nach Verbesserungen von Eltern-, Mutterschafts- und Elternurlaubsregelungen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Chancengleichheit bei Aus- und Fortbildung und Beschwerdeverfahren bei sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz aufgreift.

Gewerkschaften in Industrie- und Entwicklungsländern befinden sich in dem Spannungsfeld zwischen angestrebter Weltarbeitsteilung und Unterstützung des Südens bei Entwicklung der Volkswirtschaften einerseits und Verwirklichung der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte, wie sie durch die ILO formuliert worden sind, andererseits. Vor dem Hintergrund menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen fordern Gewerkschaften international die Aufnahme von Sozialklauseln in Handelsabkommen. Gefordert wird ebenfalls ein Sanktionskatalog, um Regierungen zur Einhaltung von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten notfalls über Einschränkung der Handelsvorteile oder Marktzugänge zu verpflichten. Neben den Gewerkschaften bemühen sich auch Menschenrechtsorganisationen und Verbraucherinitiativen um die Bindung des Welthandels an Menschenrechtsnormen. Sie setzen sich u.a. für die Einführung von Gütesiegeln ein, die Erzeugnisse auszeichnen, die unter menschenrechtskonformen Bedingungen hergestellt werden.

Überlagert werden diese Auseinandersetzungen von dem Protektionismus auf den Weltmärkten: Weniger als zehn Prozent des gesamten Welthandels entsprechen den Grundsätzen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT). Das Welttextilabkommen läuft Ende 1992 aus. Mit diesem Abkommen erhält die Textil- und Bekleidungsindustrie in der Europäischen Gemeinschaft einen gewissen Schutz, der außer von der Landwirtschaft von keinem Sektor in Anspruch genommen wird. Wohin wieviel geliefert werden darf, wird von dem Welttextilabkommen geregelt. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt in dem diesjährigen "Bericht zur menschlichen Entwicklung" die Verluste der Entwicklungsländer, die durch den Protektionismus des Nordens verursacht werden auf jährlich 75 Mrd. US Dollar. Nach Berechnungen von UNDP könnte die Aufhebung des Welttextilabkommens das Exportvolumen des Südens jährlich um ca. 24 Mrd. US Dollar erhöhen. Die Industriegesellschaften tragen die primäre Verantwortung zum Abbau des Protektionismus, um die Exportmöglichkeiten für Verarbeitungsprodukte der südlichen Länder zu erhöhen. Die langfristig anstehende Überführung des Welttextilhandels unter die allgemeinen Regeln des Freihandels muß sich den Herausforderungen stellen, die sich mit den völkerrechtlich kodifizierten Rechten von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen verbinden.

Bei den Neuverhandlungen zum Welttextilabkommen drängen Gewerkschaften international auf die Aufnahme von Sozialklauseln. Dafür werden die Gewerkschaften der Industriestaaten von einigen Regierungen der Länder des Südens des verdeckten Protektionismus beschuldigt: Man fordere höhere Entlohnung und verbesserte Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den Entwicklungsländern, um letztlich die Produktion zu verteuern und dadurch die Abwanderung von Textil- und Bekleidungsfertigung aus den Industrieländern aufzuhalten. Zunehmend werden Gewerkschaften in Ländern des Südens von den jeweiligen Regierungen beschuldigt, mit ihren Forderungen, die im Kern angeblich protektionistischen gewerkschaftlichen Slogans der Industrieländer zu übernehmen und damit gegen die Entwicklungsinteressen der eigenen Länder zu handeln. In der Textil- und Bekleidungsindustrie werden somit im Arbeits- und Sozialbereich internationale Konfliktlinien exemplarisch sichtbar, die zu einer weiteren Verschärfung der Nord-Süd-Beziehungen beitragen können.

Mit Beiträgen aus verschiedenen Ländern wollen wir insbesondere auf die Lage der Arbeiterinnen im Textil- und Bekleidungssektor aufmerksam machen. Eine gerechte Weltarbeitsteilung muß auf menschenwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten basieren. Die Verbindung von Welthandel und Achtung der internationalen Konventionen zum Schutz der Arbeitnehmerrechte muß aufbauen auf dem Recht auf Vereinigungsfreiheit, das heißt dem Recht zur Bildung freier Gewerkschaften, einer von den Tarifparteien frei ausgehandelten Arbeitsentlohnung und dem Recht zu Kollektivverhandlungen.

An Stelle der vorgestellten Länderbeiträge hätten auch andere Staaten in Afrika, Latein- und Mittelamerika und Asien ausgewählt werden können. Die Beiträge zeigen die Bedeutung des Textil- und Bekleidungssektors für die wirtschaftliche Entwicklung des Südens und zugleich, daß die Auseinandersetzungen um eine gerechte Weltarbeitsteilung und menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen keinesfalls abgeschlossen sind. Berichtet wird über Arbeitsbedingungen und gewerkschaftliche Forderungen der Arbeiterinnen. Hierbei wird deutlich, daß weltweit ein Handlungsbedarf besteht, um zum einen den Ausbau des Arbeitsschutzes für Frauen und zum anderen das Recht auf freie und unabhängige Gewerkschaften zu sichern. Nur so kann im Rahmen der Weltarbeitsteilung für Textilarbeiterinnen ein menschenwürdiges Leben garantiert werden.

Zu dieser Publikation haben u.a. Kolleginnen und Kollegen beigetragen, die als Projektmitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brasilien, Indien, Mexiko und Sri Lanka tätig sind. Im Inland hat uns das Archiv der sozialen Demokratie bei der Materialsuche unterstützt. Monika Riedenklau und Gerd Ernst haben bei der Fertigstellung des Manuskriptes interessiert und sachverständig mitgewirkt. Die Gewerkschaft Textil- und Bekleidung hat uns freundlicherweise themenbezogene Dokumente zur Verfügung gestellt, die auszugsweise in den Anhang der Publikation aufgenommen wurden. Heike Kupfer hat englische Beiträge ins Deutsche übersetzt. Ihnen allen möchten wir für die Unterstützung und Mitarbeit an dieser Publikation herzlich danken.

Bonn, im Oktober 1992

Ludgera Klemp und Bernd Reddies


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