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[Seite der Druckausg.: 21]



Philippe Viallon
Deutsche Akademiker in Frankreich/Französische Akademiker
in Deutschland


Die Internationalisierung ist als Begriff allgegenwärtig. Auch im akademischen Bereich ist es "in", global zu denken oder, und das ist ein großer Unterschied, vorzugeben, dass man global denkt. Bei näherer Betrachtung merkt man, dass solche Konzepte, selbst wenn sie ehrlich gemeint sind, ganz unterschiedlichen Wirklichkeiten entsprechen. Im Hochschulbereich kann eine Internationalisierungsstrategie folgendes meinen: eine auf andere Länder erweiterte, aber nicht immer vergleichende oder kontrastive Thematik der Lehre, ein an einem internationalen Muster orientiertes Hochschul- oder Diplomierungssystem, eine kurzfristige oder langfristige Mobilität von Professoren und Studenten usw. Alle Verbindungen zwischen diesen einzelnen Elementen sind auch möglich. Dieser Artikel ist der langfristigen Mobilität der Hochschullehrer zwischen Frankreich und Deutschland gewidmet. Die Ergebnisse, die dargestellt werden, sollten jedoch im breiteren Kontext der Internationalisierung der Hochschulen verstanden werden.

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man behaupten, dass der deutsch-französische akademische Austausch sehr umfangreich ist. Das Interesse am anderen Land ist jeweils groß, und Spezialisten des DAAD oder der Deutsch-Französischen Hochschule sorgen seit vielen Jahren für eine aktive Unterstützung der Kooperation. Die Eckdaten sind die folgenden: es kommen jedes Jahr ca. 6 000 französische Studenten nach Deutschland, 5 300 deutsche Studenten nach Frankreich, vielleicht noch mehr. Mehrere Hundert Wissenschaftler besuchen auch jedes Jahr das Nachbarland. Wir haben es mit einem regen Austausch zu tun. Wie sieht es mit den Lehrern aus? Sind manche Fächer aktiver als andere? Gibt es Unterschiede zwischen den Bundesländern oder den französischen Regionen? Wie stehen grundsätzlich unsere beiden Länder zum Thema "internationale Beziehungen"? Wurde überhaupt eine Politik entwickelt oder ist die heutige Lage das Ergebnis einer sich selbst tragenden Entwicklung? Der folgende Beitrag wird sich im Rahmen dieser Fragestellungen orientieren und möchte einen ersten Überblick geben. Um alle Fragen beantworten zu können, müsste eine ausführlichere Analyse durchgeführt werden.

Bevor der Kern der Fragestellung behandelt wird, muss eines vorausgeschickt werden: bei Vergleichen sollte man darauf achten, dass man Vergleichbares vergleicht. Damit stoßen wir auf ein erstes Problem: Frankreich und Deutschland haben unterschiedliche Hochschulsysteme. In Frankreich gibt es als Lehrpersonal "Professeur des universités", "Maîtres de conférences", "ATER", "ANM", "PAST", "vaca-

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taires", usw. In Deutschland gibt es Professoren C4, C3, C2, C1, akademische Räte, wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte, usw. Versucht man den jeweiligen Status zu vergleichen, so stellt man, selbst bei den Professoren, grundlegende Unterschiede fest. Man kann daher eigentlich nur Kategorien vergleichen. In dieser Studie wurden in Frankreich die beamteten Hochschullehrer ("professeurs" et "maîtres de conférences" titulaires) in Betracht gezogen, in Deutschland die Professoren auf Lebenszeit (C4 und C3). Dass die Habilitation eine Voraussetzung für eine C3-Professur ist, aber nicht für die Stelle eines "maître de conférences", ist bekannt, aber beide Kategorien werden immer wieder von der jeweiligen Regierung in der Statistik erwähnt. Alle anderen Kategorien (Gastprofessoren, Lektoren usw.) wurden nicht mitgezählt. Obwohl beide Gruppen unterschiedliche länder- und kulturspezifische Eigenschaften umfassen, werden sie hier der Verständlichkeit halber alle als "Professoren" bezeichnet.[Fn_1]

TOP 1: Wie viel Prozent ausländischer Professoren gibt es im jeweiligen Land ?

Frankreich (1997)

5,5 %

Frankreich (2001)

8,5 % (das sind 3487)

Deutschland (2001)

5,5 %


Baden-Württemberg (2001)

7,4 %

Saarland (2001)

7,0 %

Bayern (2001)

6,9 %

Bemerkungen :

International gesehen ist es um beide Länder nicht sehr gut bestellt : in den USA sind über 25 % der Professoren Ausländer.

Eine Durchschnittsquote von 5,5 % bedeutet, dass, wenn die wissenschaftlich aktivsten Länder (Bayern und Baden-Württemberg) vorne sind, viele andere Bundesländer nur ganz wenige ausländische Professoren haben und überhaupt keine Internationalisierung der Universität anstreben.

Obwohl die französische Botschaft Kontakte mit vielen Universitäten pflegt, schicken ihr nur zwei davon regelmäßig eine Liste der offenen Stellen: die Universität des Saarlandes und die Freie Universität Berlin). Letztere hat sich zum Ziel gesetzt hat, 15 % ihrer Professoren aus dem Ausland zu rekrutieren.

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TOP 2: Woher kommen die ausländischen Professoren ?

Grundsätzlich scheint das Thema "ausländische Professoren" bei den verschiedenen offiziellen Stellen nicht sehr beliebt zu sein. Gastprofessoren werden dagegen immer wieder erwähnt.

FRANKREICH

Herkunft

Zahl, Prozentsatz, Rangordnung

Deutschland

256

(6,6 %) (3)

Österreich

20


Schweiz

74


Deutschsprachige Länder

300[Fn_2]

(8,6 %)

Italien

231

(4)

Belgien

205

(5)

Großbritannien

159


Europäische Union

1137

(32 %)

Algerien

510

(1)

Marokko

368

(2)

Tunesien

144


Maghreb

1022

(29 %)

Afrika insgesamt

1227


Russland

116


USA

127


Kanada

54


China

105


Asien

338


Gesamt

3487


Bemerkungen :

Die Geschichte Frankreichs bestimmt die Ergebnisse. Algerien und Marokko kommen an erster Stelle. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich durch den Bürgerkrieg in Algerien in den letzten fünf Jahren der Zustrom algerischer Professoren nach Frankreich verstärkt hat. Viele Doktoranden, die in Frankreich ausgebildet werden, bleiben auch dort.

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Die geographische Nähe ist ein entscheidender Faktor: auf Platz 3, 4, 5 und 6 befinden sich unsere nächsten Nachbarn, darunter Deutschland an dritter Stelle.

Die wissenschaftliche Macht ist ein weiterer Faktor: gut platziert sind die USA, Russland, China.

TOP 3: Das Verhältnis Frankreich Deutschland

Wie viele Deutsche gibt es in Frankreich, wie viele Franzosen in Deutschland?
Was lehren sie?

Man könnte sich gut vorstellen, dass die "native speakers" im Sprachunterricht sehr begehrt sind. Das ist der Fall in Frankreich. Nicht in Deutschland.

Deutsche in Frankreich

256

Davon in der Germanistik

125

Franzosen in Deutschland

~10 !

Davon in der Romanistik

1 !!

Wie kann man diese akute Diskrepanz erklären? Die Antwort ist sehr kompliziert. Es mischen sich viele unterschiedliche Elemente, die hier in Erwartung einer ausführlichen Studie nur ganz kursorisch angedeutet werden können.

Es wurde bereits festgestellt, dass deutsche Universitäten sich nicht besonders durch die Internationalisierung der Hochschullehrer auszeichnen. Diese Tatsache kann auch als die negative Folge eines positiven Elements gedeutet werden. Die Lehre in Deutschland gehört sicher zu den besten der Welt, und viele deutsche Wissenschaftler sind mit Recht davon überzeugt. Die Gefahr, dabei zu einem egozentristischen Standpunkt zu kommen, ist groß.

Selbst wenn die Zahl der ausländischen Professoren höher sein könnte, warum ist die Zahl von französischen Professoren so niedrig? Es gibt komplizierte Hintergründe auf deutscher und auf französischer Seite.

Auf deutscher Seite: Die Romanistik, die in Deutschland als wissenschaftlich fundierte Epistemologie des Französischen betrachtet wird, erweist sich für viele französische Professoren, die nur "Lettres modernes" oder "Lettres classiques" studiert haben, als ein kaum zu überwindbares Hindernis. Die zwei Fächer, die viele deutsche Studenten haben müssen, sind ebenfalls ein Nachteil für die Franzosen. Ferner reproduzieren sich deutsche Universitäten über Hausberufungen ihrer eigenen Doktoranden und Habilitanden oft selbst. Die allgemeinen Zahlen zeigen aber, dass dieser Trend in Deutschland nicht höher ist als in Frankreich. Ein weiterer Grund liegt in der Struktur des deutschen Hochschulsystems. Für eine feste Stelle reicht die Promotion nicht aus, aber selbst die Habilitation ist dafür keine Garantie. So gibt es

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in Deutschland z. B. allein im Fach Geschichte über 200 Privatdozenten, die mit 40, 45 Jahren, manchmal mehr, immer noch auf eine erste feste Anstellung warten. In Frankreich hingegen ist man mit einer Stelle als "Maître-de-conférences" nach der Promotion bereits verbeamtet. Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, dass deutsche Wissenschaftler den Brain Drain in Europa nutzen und ins Ausland gehen.

Um Erklärungen auf französischer Seite zu finden, wurde von dem französischen Historischen Institut in Göttingen (Mission historique française) und der französischen Botschaft über 400 französische Wissenschaftler aus allen Fächern, aber mit Schwerpunkt Geschichte, Französisch und Kommunikationswissenschaft, befragt. Ziel dieser Untersuchung war, ihre grundsätzliche Einstellung zum Ausland, insbesondere zu Deutschland, zu klären. Die ersten Ergebnisse stichpunktartig:

  • Die meisten Franzosen haben Probleme mit Fremdsprachen, natürlich auch die, die den Fragebogen beantwortet haben und sich für das Ausland interessieren. Kaum 5 % sind in der Lage, eine Vorlesung auf Deutsch zu halten.
  • Selbst wenn die Sprache kein Problem ist, gehen viele ungern für längere Zeit ins Ausland. Familiäre Bindungen, zahlreiche Aufgaben, besonders in der akademischen Selbstverwaltung, werden als Erklärung angegeben. Dass einige "Vorteile", die man sich in seiner Universität mit Mühe ergattert hat (Büroräume, finanzielle Unterstützung, Posten in den wichtigen Gremien,...) dabei verloren gehen, wird auch mündlich oft erwähnt, nach dem französischen Sprichwort "Qui va à la chasse, perd sa place" (wer auf Jagd geht, verliert seine Stelle).
  • Kaum einer hat daran gedacht, sich für mehrere Jahre in Deutschland niederzulassen. Wenn man nachfragt, kommt als Erklärung: "On vit si bien en France !" In Deutschland bekannt als das Argument: "Man lebt wie Gott in Frankreich." Dieses Leben schätzen anscheinend auch viele deutsche Professoren in Frankreich und nehmen selbst ein deutlich niedrigeres Gehalt in Kauf.
  • Die Hypothese, dass manche Franzosen historisch bedingte Vorurteile gegen Deutschland hätten, wurde jedenfalls nicht bestätigt.
  • Das mangelnde Interesse am Ausland hat noch andere Konsequenzen. Es besteht in Deutschland ein Netz von Hochschulattachés, Professoren, die für vier Jahre von ihrer Universität beurlaubt werden, damit sie sich um den deutsch-französischen Austausch kümmern. Trotz der Versicherung, dass sie danach ihre Stelle an der Universität wieder finden und der Tatsache, dass sie in Deutschland ein wesentlich höheres Gehalt bekommen, hat das französische Außenministerium Schwierigkeiten, diese Stellen in Deutschland zu besetzen.

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Mit diesen eher vorläufigen Bemerkungen wollte ich auf einige Probleme der deutsch-französischen Hochschulbeziehungen hinweisen, die ihre Wurzeln zum Teil in der unterschiedlichen Struktur beider Systeme, zum Teil im sozialen und kulturellen Umfeld haben. Die Internationalisierung ist eine politische Entscheidung, die von den Hochschulen selbst getroffen wird. Leider wird viel lieber beim DAAD eine Gastprofessur beantragt als ein ausländischer Professor rekrutiert.

In Frankreich hört man manchmal von einigen Professoren, es gäbe zu viele Deutsche in der französischen Germanistik. Ich glaube im Gegenteil, es gibt zu wenige Franzosen in der deutschen Romanistik. In beiden Ländern herrschen ernsthafte Probleme mit dem Erlernen der Nachbarsprache. Die Zahl der Spezialisten sinkt, die anderen beschäftigen sich immer weniger mit Deutsch bzw. Französisch. Mehr Deutsche sollten in Frankreich Jura, Geschichte oder Kommunikationswissenschaft lehren und umgekehrt. Damit würde vermieden, dass die unvermeidliche und positive Internationalisierung zu einer negativen Anglo-Amerikanisierung wird. Mit einer Internationalisierung, die an Europa vorbeigehen würde, schaden wir nicht nur dem Nachbarn, sondern uns selbst. Das ist der Sinn meines Plädoyers.



    [Fußnoten]

    1. - Alle Angaben stammen aus statistischen Übersichten des französischen Kultusministeriums.

    2. - Der Schweizer Anteil wurde auf 2,4 % geschätzt, da sicher der größere Teil frankophon sein dürfte.



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