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Die Sozialdemokratie in Mittel- und Osteuropa zwischen Triumph und Krise / Michael Dauderstädt - [Electronic ed.] - Bonn, 2002 - 11 S. = 45 KB, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 104) - ISBN 3-89892-092-5 Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002.
[Seite der Druckausg.: 1-2 = Titelseiten] 104 Juli 2002
Die Sozialdemokratie Michael Dauderstädt
Politikinformation Osteuropa Eine frühere Fassung dieses Beitrags erschien in:
ISBN: 3-89892-092-5
[Seite der Druckausg.: 3] Die Sozialdemokratie in Mittel- und Osteuropa zwischen Triumph und Krise *
Als die kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa zusammenbrachen, hofften viele Sozialdemokraten im Westen wie im Osten, dass sie das Erbe der alten Regime antreten würden. Waren doch die Menschen in den vormals kommunistischen Gesellschaften eher an ein hohes Maß von sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit gewohnt und vor allem an der politischen Freiheit interessiert, die der Kommunismus verweigert hatte, die Sozialdemokratie jedoch bot und durch die sie sich am klarsten von ihm unterschied. Die bekannteste und stärkste antikommunistische Oppositionsbewegung, die polnische Solidarnosc, war zunächst eine Gewerkschaft und verkörperte somit die Tradition der demokratischen Arbeiterbewegung. Tatsächlich widersetzte sie sich nach 1990 auch den neoliberal inspirierten Reformprogrammen der "eigenen" Regierung (Balcerowicz). Die tatsächliche Entwicklung der ersten Jahre nach dem Umbruch enttäuschte diese Hoffnungen. Bei den meisten "founding elections", den ersten freien Wahlen, siegten liberal-national-konservativ orientierte Kräfte.
[Die postkommunistischen Länder, in denen gar nicht erst freie Wahlen stattfanden (z.B. Zentralasien) bleiben hier unberücksichtigt. Es gibt dort auch keine nennenswerte, organisierte Sozialdemokratie.]
Drei Ursprünge der Sozialdemokratie in Mittel- und Osteuropa Im Ergebnis organisierten sich Sozialdemokraten in drei, von ihren Ursprüngen her zu unterscheidenden Parteitypen [Dies gilt nicht nur für sozialdemokratische Parteien (vgl. Dieter Segert und Csilla Machos "Parteien in Osteuropa: Kontext und Akteure" Darmstadt/Opladen 1995)], nämlich in den schon erwähnten historisch-traditionellen Parteien, als "linker", d.h. sozial orientierter Teil der demokratischen, antikommunistischen Oppositionsbewegungen und als "rechter", d.h. reformorientierter, demokratischer Flügel der alten kommunistischen Parteien. Im Zuge des Transformationsprozesses entwickelten und veränderten sich diese drei Strömungen deutlich:
[Seite der Druckausg.: 4]
ten. In der ersten Phase der Transformation gehörten sie oft den antikommunistischen Oppositionskoalitionen an. Im Extremfall (z.B. Bulgarien) kam es zur Spaltung, wobei ein Teil mit der konservativ-liberalen ("demokratischen") früheren Opposition und der andere mir den sich reformierenden Ex-Kommunisten koalierte. In den zwölf Jahren nach dem Umbruch verloren die Wähler ihre anfängliche Skepsis gegenüber Parteien und sozialistischen Konnotationen und wandten sich unter dem Eindruck der Transformationskrise mit ihrem Einkommensrückgang, wachsender Ungleichheit und Arbeitslosigkeit wieder stärker sozialdemokratischen Kräften zu. Davon profitierten aber in erster Linie die reformkommunistischen Parteien dank ihrer oben genannten Vorteile. Sie siegten in Litauen, Polen und Ungarn und läuteten damit eine zweite Phase der Transformation ein, die sich deutlich von der liberalen Markteuphorie der ersten Phase unterschied. Nur im Falle Tschechiens gelang es einer historischen sozialdemokratischen Partei (CSSD), an die Macht zu kommen, allerdings erst viel später wegen einer Währungs- und Bankenkrise und auch nur in Form einer fragilen Minderheitsregierung. Der tschechische Sonderfall zeichnet sich auch durch eine besonders wenig reformierte kommunistische Partei (KSCM) aus, von der sich daher immer weiter mehr reformorientierte Fraktionen abspalteten, ohne jedoch im engen linken Spektrum zwischen CSSD und KSCM Einfluss gewinnen zu können. Unterschiedliche Transformationen unterschiedliche Sozialdemokratien Die bisherigen Betrachtungen konzentrierten sich auf die Hauptkonfliktlinie innerhalb des frühen Transformationsprozesses, den Gegensatz zwischen Kommunisten und antikommunistischer Opposition. Tatsächlich dominierte in vielen Ländern jedoch ein zweiter Konflikt die Politik, nämlich die Frage der nationalen Unabhängigkeit. Der Zerfall der drei Föderalstaaten UdSSR, Jugoslawien und Tschechoslowakei Anfang der 90erJahre veränderte die staatliche Landschaft in Mittel- und Osteuropa weitgehend und mit ihr die Rahmenbedingungen und die Agenda der jeweiligen nationalen Politik. Viele Parteien definierten sich weniger über ihre gesellschaftspolitische Programmatik im links-rechts-Spektrum als durch ihre Position zu den Zielen und Wegen der Unabhängigkeitspolitik. [Seite der Druckausg.: 5] In den vielen [Bis auf die fünf Länder Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien existierten die übrigen Staaten Mittel- und Osteuropa vor 1989 nicht in den heutigen Grenzen. Selbst in diesen fünf Ländern spielten ethnische und territoriale Fragen aufgrund des historisch jungen Charakters der heutigen Grenzen oft noch eine wichtige Rolle.] neuen Nationalstaaten bestand die Transformation nicht nur oder sogar in geringerem Maße im Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft und von der Parteidiktatur zur Demokratie, sondern im Aufbau eines unabhängigen Nationalstaates mit seinen vielfältigen rechtlichen und verwaltungsmäßigen Problemen. Vor allem im ehemaligen Jugoslawien vollzog sich dieser Prozess angesichts fortgesetzter serbischer Herrschaftsansprüche in einer gewaltförmigen, kriegerischen Weise, die das politische Leben über Jahre prägte. Diese doppelte Transformation erschwerte die Artikulation sozialdemokratischer Politik, für die in der Regel die nationale Unabhängigkeit nur eine Voraussetzung für eine autonome Gesellschaftspolitik ist und die daher keine spezifische eigene nationalpolitische Programmatik aufweist. Die zweite wichtige Differenzierung unter den postkommunistischen Ländern hinsichtlich ihrer Transformationsprozesse betrifft die Geschwindigkeit der Reformen. Während vor allem die mitteleuropäischen und baltischen Länder versuchten, rasch die Institutionen und Strukturen einer demokratischen Marktwirtschaft zu etablieren (nicht zuletzt, um eine historische Gelegenheit sowjetisch/russischer Schwäche zu nutzen) ließen sich die meisten Länder Südosteuropas und der ehemaligen Sowjetunion mehr Zeit. Dort kam es mangels starker Oppositionsbewegungen auch oft erst mit mehrjähriger Verzögerung zu einem wirklichen Machtwechsel, der die Ex-Kommunisten ablöste. Die Geschwindigkeit der Reformen ist dabei nicht unabhängig von der Entwicklung der Parteistrukturen in dem jeweiligen Land. So ist die verspätete Transformation in Rumänien und Bulgarien nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass kaum reformierte exkommunistische Parteien dort noch länger an der Macht blieben und sich auch in der Opposition nur langsam einem sozialdemokratischen Profil annäherten. Tabelle 1: Unterschiedliche Transformationen in Mittel- und Osteuropa
"Langsamer Reformer" ist definiert durch weniger als 27 Punkte "Alte Nationalstaaten" sind definiert als schon unabhängig zwischen 1950 und 1990 "Neue Nationalstaaten" sind definiert als unabhängig nach 1990 Es fällt auf, dass die größten Erfolge der Sozialdemokratie in den Ländern des linken oberen Quadranten, also in den sich schnell reformierenden alten Nationalstaaten stattfanden (wenn man Tschechien als Folgerepublik der alten CSFR ansieht und einschließt; vgl. auch unten Tabelle 3). In Polen (2001) und Ungarn (2002) gelang ihnen sogar der in Mittel- und Osteuropa seltene Erfolg, nach einer Oppositionsphase ein zweites Mal an die macht zu [Seite der Druckausg.: 6] kommen. In Tschechien konnten sie den bis dato einmaligen Triumph des konservativen V. Klaus von 1996 wiederholen und sich im Juni 2002 an der Regierung behaupten. Der rasche Reformprozess im Zuge einer zunächst liberalen Orientierung (ggf. sogar "Schocktherapie") hat bei den Wählern auch rascher den Wunsch nach einem auf sozialen Ausgleich abzielenden Politikwechsel hervorgerufen. Die geklärten nationalen Identitäten haben weiter dazu geführt, dass sich die soziale (und nicht die nationale) Frage als zentrale Konfliktlinie der Politik etabliert hat. Beides bietet einer sozialdemokratischen Partei bessere Handlungsbedingungen. Dabei sind nationalpolitische Themen auch in den territorial und ethnisch weitgehend abgeklärten Ländern selten ganz von der Agenda. Sie bieten Politikern immer wieder Möglichkeiten, von anderen, kaum lösbaren Problemen abzulenken und mit dem Ausspielen der "nationalen Karte" auf Stimmenfang zu gehen. Dazu dienten in Tschechien etwa die Benes-Dekrete, in Ungarn der Status der ungarischen Minderheit in den Nachbarländern und in einer Reihe von Ländern Probleme der wirtschaftlichen Integration, insbesondere auch des EU-Beitritts, die sich etwa an der Frage des Aufkaufs nationaler Vermögenswerte durch ausländische Investoren entzünden. Der sozialdemokratische Charakter von Parteien in Mittel- und Osteuropa Bisher wurde implizit unterstellt, es sei klar, was unter "sozialdemokratisch" in Mittel- und Osteuropa und damit im Kontext der Transformation zu verstehen sei. Dies ist weder grundsätzlich selbstverständlich noch im Hinblick auf die Qualifizierung bestimmter politischer Parteien als "sozialdemokratisch". Eine deduktive Definition müsste zunächst bestimmen, was die Rolle der Sozialdemokratie im Transformationsprozess wäre, um daraus abzuleiten, ob einer Partei dieses Prädikat zukommt dann nämlich, wenn sie diese Rolle erfüllt. Schon die Antwort auf die erste Frage ist partiell umstritten. Während der einfachere Teil, der Aufbau und die Sicherung der politischen Demokratie, klar, aber nicht spezifisch sozialdemokratisch ist, ist der gesellschaftspolitische Auftrag deutlich unklarer. Da sich die Sozialdemokratie historisch in Auseinandersetzung mit dem bestehenden Kapitalismus entwickelte und ihre Aufgabe in dessen Zähmung oder gar Überwindung sah, ist ihre soziale Aufgabe im Kontext des Aufbaus des Kapitalismus auf den Ruinen einer Planwirtschaft neu zu bestimmen. Grundsätzlich besteht sie in einer Begrenzung der Durchsetzung der Markt- und Warenlogik (Kommodifizierung). Aber insbesondere in der frühen Phase der Transformation wäre der Versuch einer vorzeitigen Bremsung gefährlich gewesen. Die modernen Sozialdemokraten (nach Godesberg, ganz zu schweigen vom "Dritten Weg") gehen von einer gemischten Wirtschaft aus, die einen großen Privatsektor mit einem ebenfalls großen Staatssektor verbindet, der nicht nur wischen einem Drittel und der Hälfte des Volkseinkommens "verwaltet", sondern auch den privaten Sektor in vielfältiger Weise reguliert. Ausgehend von einer kommunistischen Zentralverwaltungswirtschaft geht es zunächst darum, durch Liberalisierung und Privatisierung den "privaten", marktförmig organisierten Teil der Wirtschaft zu schaffen. Dazu hatte die Sozialdemokratie weder ein besonderes Programm noch eine besondere Kompetenz. Aber wenn man das in sich noch recht breit variierende Modell westlicher Wohlfahrtsstaaten als Ziel unterstellt, so ergibt sich als sozialdemokratische Aufgabe in der Transformation in der ersten Phase die Unterstützung der Reformen, insbesondere auch gegen Bremsversuche der alten Nomenklatura, in der nächsten Phase die Festigung der neuen Struktur bei gleichzeitigem Schutz der besonders Betroffenen und sozial Schwachen und schließlich nach Abschluss der Reformen Stärkung des sozialen und ökologischen Charakters der Marktwirtschaft. [Seite der Druckausg.: 7] Dies unterstellt, kann eine Partei als "sozialdemokratisch" gelten, die sich subjektiv-programmatisch als sozialdemokratisch versteht und objektiv diese Strategie verfolgt und unterstützt. Im realen Verlauf der Transformation gab es sowohl Parteien, die das sozialdemokratische Etikett für sich beanspruchten, aber tatsächlich den Reformprozess mit Skepsis betrachteten und ihn nur halbherzig unterstützten (z.B. die postkommunistischen Parteien in den langsamen Reformländern wie Rumänien und Bulgarien), als auch solche, die sich selbst nicht als Sozialdemokraten verstanden, de facto aber eine Politik der sozial abgefederten Reformen verfolgten (z.B. die Solidarnosc-Regierung Olszewski 1991/92 in Polen oder auch Vaclav Klaus, der bei aller Marktrhetorik z.B. die Preise für Mieten und Energie weiter kontrollierte, oder die erste ungarische Regierung des christdemokratischen MDF). Naturgemäß boten sich die Sozialdemokraten erst in der zweiten Phase der Transformation als Träger des Wandels an. Trotzdem blieb es ihnen in Ausnahmefällen auch überlassen, die schmerzhaften Schritte der Transformation selbst durchzuführen. So sahen sich die ungarischen Sozialisten gezwungen, die von der ersten Regierung hinterlassene makroökonomische Schlamperei durch ein hartes Austeritätsprogramm aufzuräumen. In Ländern mit verspäteten Reformen bildeten die Sozialdemokraten meistens einen Teil der weiter gegen die fortgesetzte Dominanz der Postkommunisten kämpfenden Oppositionskoalition, die sich für eine Beschleunigung der Reformen einsetzte. Letztlich kann der Politikwechsel zwischen Sozialdemokraten und Liberalen als Suchprozess für ein akzeptables Gleichgewicht zwischen Markt (Aufbau des Kapitalismus) und sozialer Abfederung der Transformation verstanden werden, der sich auch nach Abschluss der eigentlichen Transformation analog wie in entwickelten demokratischen Marktwirtschaften weiter fortsetzt. Geht man über diesen engeren gesellschaftspolitischen Definitionsrahmen hinaus und nimmt noch die offensichtliche demokratische sowie die real oft wichtigere nationalpolitische Dimension mit auf, so zeichnen sich drei Kriterien ab, für die eine Partei, Gruppe oder Person in Ostmitteleuropa eintreten sollte, wenn sie als sozialdemokratisch gelten will:
Damit unterscheiden sich die Sozialdemokraten von den wichtigsten politischen Alternativen:
Für die weitere Betrachtung bietet sich jedoch ein formales Kriterium an, das mit den genannten inhaltlichen Kriterien weitgehend zusammenfällt, nämlich die Anerkennung einer Partei als "sozialdemokratisch" durch die (west-)europäische und internationale Sozialdemokratie, was seinen formellen Ausdruck in der Aufnahme in die "Sozialistische Internationale" findet, wobei mehrere Grade vom einfachen "Beobachter" über die beratende Mitgliedschaft zum Vollmitglied zu unterscheiden sind. [Seite der Druckausg.: 8] Tabelle 2: Mitgliedsparteien der Sozialistischen Internationale in Mittel- und Osteuropa
[Seite der Druckausg.: 9] Diese Hierarchie muss nicht durchlaufen werden, jedoch drückt ein geringerer Grad aus, dass die Organisation (sprich: einige Mitgliedsparteien) die entsprechende Partei (noch) nicht für voll sozialdemokratisiert halten. Schließlich kann die Mitgliedschaft auch suspendiert werden, wenn eine Partei nicht mehr den Ansprüchen genügt (so geschehen bei der ungarischen MSZDP). Die Tabelle 2 gibt einen Überblick über die 25 nach diesen Kriterien derzeit (2002) sozialdemokratischen Parteien in Mittel- und Osteuropa, wobei zusätzlich noch eine slowenische Partei (SDSS) aufgeführt ist, die sich inzwischen von der SI getrennt hat. Der historische Hintergrund ordnet dabei die Parteien nach ihrem Ursprung (s.o.) ein, während die letzte Spalte einen Hinweis auf ihre Stärke im Sinne von Wahlergebnissen gibt. Diese aktuelle Tabelle gibt einen Zustand an, der das Resultat vieler Veränderungen ist und sicher auch weitere Veränderungen erfahren wird. Nach 1989 stand die SI immer wieder vor der Frage, welche Parteien aufzunehmen (sehr selten auch wieder auszuschließen) wären. Die Beurteilung war oft umstritten und im Ergebnis ein Kompromiss verschiedener Einschätzungen und Interessen. Wahlerfolge und gute Kontakte zu westlichen Sozialdemokraten spielten ebenso eine wichtige Rolle wir programmatische Korrektheit und "Linientreue", außenpolitische Kompatibilität und tatsächliche sozialdemokratische Politik. Winzige Parteien konnten sich naturgemäß fast nur durch guten Willen und die richtigen Worte legitimieren. Es ist zu erwarten, dass bei weiteren Reformfortschritten weitere Nachfolgerparteien der kommunistischen Parteien in die SI aufgenommen werden (z.B. die Bulgarische Sozialistische Partei). Es liegt im Interesse der SI und wohlverstanden auch der Sozialdemokraten in Mittel- und Osteuropa, dass alle sozialdemokratischen Kräfte eines Landes in einer Partei vereinigt sind und nicht gegeneinander konkurrieren. Schon aus Gründen des Wahlrechts ist es in vielen Ländern angezeigt, die oft ohnehin nicht zahlreichen Stimmen weiter zu zersplittern und damit parlamentarische Vertretungsmöglichkeiten (ganz zu schweigen von Regierungsbeteiligung) zu verschenken. Tatsächlich ist es in einigen Ländern zumindest phasenweise gelungen, die traditionellen Konflikte zwischen reformkommunistischen und traditionellen bzw. aus der antikommunistischen Opposition hervorgegangenen Parteien zu überwinden und zwischen ihnen Koalitionen oder gar Vereinigungen zustande zu bringen (z.B. Polen, Slowakei, Bulgarien, Rumänien). Erfolgsbedingungen der Sozialdemokratie in Mittel- und Osteuropa Betrachtet man die Wahlergebnisse der im SI-Sinne sozialdemokratischen Parteien in Mittel- und Osteuropa (vgl. die Tabelle 3), so fallen einige Triumphe auf (Polen, Ungarn, Tschechien, Makedonien) und eine Fülle von relativen Niederlagen, die auf eine dauerhafte Krise der Sozialdemokratie in den jeweiligen Ländern hindeuten. Schon eingangs wurde auf einige Gründe für die unterschiedlichen Erfolge der Sozialdemokratie hingewiesen, die in den unterschiedlichen Transformationsverläufen liegen. Ein positiver Transformationsverlauf korreliert in der Regel mit einer erfolgreichen internationalen Integration vor allem in Form der Assoziierung und Beitrittsvorbereitung zur EU. Dies bestätigt sich auch in der Tabelle 3, in der die Parteien nach Regionen gruppiert sind. Dabei wird deutlich, dass in den Beitrittsländern der langfristige Wahlerfolg (gemessen am Anteil der Parlamentssitze) höher liegt als in Südosteuropa und erst recht in der GUS, die praktisch kaum einflussreiche sozialdemokratische Kräfte aufweist. Trotz der erheblichen Unterschiede in den Transformationsverläufen bestehen eigentlich in allen postkommunistischen Ländern gute Basisvoraussetzungen für erfolgreiche sozialdemokratische Politik. Die Sozialstruktur ist durch hohe Anteile von Personen gekennzeichnet, die entweder von Löhnen oder von Sozialleistungen (Renten, Arbeitslosenunterstützung) [Seite der Druckausg.: 10] abhängen und die das "natürliche" Wählerpotenzial der Sozialdemokratie darstellen. Die Transformationskrise hat die Realeinkommen dieser Gruppen fast überall erheblich geschmälert, so dass Anlass für Umverteilungswünsche besteht. [Vgl. Delhey, Jan "Osteuropa zwischen Marx und Markt. Soziale Ungleichheit und soziales Bewusstsein nach dem Kommunismus" Hamburg 2001] Tabelle 3: Wahlerfolge sozialdemokratischer Parteien in Mittel- und Osteuropa
Es ist den verschiedenen sozialdemokratischen Parteien aber nur selten gelungen, dieses Potenzial für sich zu mobilisieren. Selbst einige Erfolge sind eher dem Wahlrecht und der konkreten Parteienkonkurrenz geschuldet, die die Rechte zersplittert und einen relativen Erfolg der Sozialdemokratie verstärkt haben (etwa in Polen 1993 oder in Ungarn 1994). [Seite der Druckausg.: 11] Aber in vielen Ländern waren die sozialdemokratischen Parteien weit davon entfernt, auch nur einen relativen Erfolg zu erzielen. In der Politologie [Vgl. Kitschelt, Herbert u.a. "Post-Communist Party Systems. Competition, Representation, and Inter-Party Cooperation" Cambridge 1999.] werden drei sich auch nicht ausschließende - Hauptwege unterschieden, mit denen Parteien Wähler an sich binden können:
Die sozialdemokratischen Parteien haben generell, insbesondere aber in Mittel- und Osteuropa, meist den dritten Weg genutzt und sich als Programmparteien verstanden. Ihre "Klientel" war nicht eine kleine Elite, sondern die breiten Schichten der Lohnabhängigen (ggf. in entwickelten und alternden Wohlfahrtsstaaten auch im Zustand der Rente). Eine charismatische Bindung des Wählers gelang dagegen selten. In Mittel- und Osteuropa dominieren zahlenmäßig zwar ebenfalls die Parteien mit programmatischer Wählerbindung, aber sie sind auch meist die schwachen Parteien. Mit Ausnahme Tschechiens, wo die sozialdemokratische CSSD auch enge Bindungen an den Gewerkschaftsbund CMKOS unterhält, sind die erfolgreichen Parteien ehemalige Kommunisten, die sich durch Mitgliederstärke und eine ausgeprägtere Klientelbindung auszeichnen. Zu ihrer Klientel zählen einmal die Beschäftigten, vor allem der früheren Staatsunternehmen, wo auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad höher ist als in den neuen privaten Unternehmen. Reformkommunistische Parteien haben oft enge Bindungen zu den ebenfalls reformierten alten Gewerkschaften (in Polen gehörte die OPZZ dem von der Nachfolgepartei "Sozialdemokratie der Republik Polen" geführten Wahlbündnis an; ähnlich eng sind die Beziehungen in Ungarn zwischen MSZP und MSZOSZ). Die Nachfolgeparteien unterhalten aber auch enge Beziehungen zu der ex-kommunistischen, technokratischen Elite, die wichtige Positionen in der Verwaltung, im Bildungssystem und dank der spezifischen Formen der Privatisierung oft auch in der Wirtschaft hat. Letztlich leiden aber alle Parteien an einer relativ schwachen Bindung der mittel- und osteuropäischen Wähler an "ihre" Parteien. Die Volatilität des Wahlverhaltens ist hoch und wird durch den Mangel an echten Politikalternativen und die Aussichtslosigkeit rascher Erfolge noch erhöht. Für einen dauerhafteren Erfolg benötigt die Sozialdemokratie vor allem eine erfolgreiche Strategie für die soziale Entwicklung in ihren jeweiligen Ländern. In den mit der EU assoziierten Ländern besteht diese Strategie heute weitgehend in der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien. Die Sozialdemokratie in den Beitrittsländern unterstützt den EU-Beitritt nachdrücklich, oft deutlicher als national-konservative Parteien (gerade in Polen, Ungarn oder Tschechien). Sie übersieht dabei allerdings oft die nicht unproblematischen Verteilungseffekte der Integration. Angesichts wachsender Ängste und Skepsis in der Bevölkerung stellt sich für die Sozialdemokratie die zusätzliche Aufgabe, die Chancen, die der Beitritt bietet, zu nutzen und gleichzeitig die sozialen Risiken zu minimieren. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2002 |