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I. Kalter Krieg und Ostpolitik


Vor dem historischen Umbruch 1989/90 stand die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gegenüber Ostmitteleuropa im Zeichen des Ost-West-Konflikts. Die BRD selbst war Ausfluss dieses Konflikts und der dadurch bedingten Teilung Europas und Deutschlands. Von Anfang an musste die deutsche Außenpolitik ihr wichtigstes Ziel, die deutsche Wiedervereinigung, mit den durch den Kalten Krieg geprägten Konfliktkonstellationen versöhnen. Insbesondere die SPD befürchtete, dass die von Adenauer verfolgte Westintegration der BRD und die darin implizierte Konfrontation mit der Sowjetunion die Wiedervereinigung verhindern würde.

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1. Kalter Krieg

Im Ergebnis setzte sich die CDU/CSU mit ihrer Politik der Westintegration (Wiederaufrüstung, NATO-Beitritt, westeuropäische Einigung) durch, wobei Deutschland innerhalb des Rahmens dieser Grundentscheidung immer versuchte, seine spezifischen Ziele (Ausbau der deutsch-deutschen Beziehungen, Berlin-Status, Anerkennung der Grenzen von 1937, Vertriebenenproblematik, Rückkehr der Kriegsgefangenen, etc.) zu erreichen. Dabei ging es nicht nur um die Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, sondern zunehmend auch um die besonderen Probleme eines „Frontstaates„ im Kalten Krieg. Aber bis zum Beginn der „Ostpolitik„ Willy Brandts versuchte die christdemokratisch geführte bundesdeutsche Außenpolitik, auch diese spezifischen deutschen Interessen eher durch Konfrontation als durch Annäherung zu verfolgen. Unter Adenauer neigte die BRD dazu, „dem Osten„ gegenüber unnachgiebiger zu sein als viele ihre westlichen Verbündeten, ja sogar als die Vormacht USA während der Kennedy-Administration (Pittman 1992:8).

Die Beziehungen zu Ostmitteleuropa waren entsprechend gespannt. Die Hallstein-Doktrin, die zur Durchsetzung des Alleinvertretungsanspruches der BRD die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Ländern, die die Deutsche Demokratische Republik (DDR) anerkannt hatten, untersagte, führte dazu, dass die BRD zunächst keine offiziellen Beziehungen zu den Staaten Mittel- und Osteuropas unterhielt. Auch die sonstigen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen litten unter dem Konflikt. Die in der Vorkriegszeit bedeutsamen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Mittel- und Osteuropa erreichten in den 50er Jahren einen Tiefstand (Baconnier 1995:25-26). 1949 musste die junge BRD dem Cocom beitreten, das die Ausfuhren des Westens in den Ostblock mit dem Ziel überwachte, rüstungsrelevante Hochtechnologieexporte zu unterbinden. Nur zur Sowjetunion bestanden nach dem Besuch Adenauers seit 1955 diplomatische Beziehungen und seit 1958 ein Handelsabkommen. Erst nach Adenauers Rücktritt 1963 kam es unter der Regierung Erhard (Außenminister Gerhard Schröder) zum Austausch von Handelsmissionen mit weiteren Ländern Ostmitteleuropas.

Umgekehrt hatten auch die Länder Ostmitteleuropas als Teile des sowjetisch kontrollierten Ostblocks kaum eine Wahl, betrachteten aber teilweise auch aus nationalem Interesse die westdeutschen Revisionsziele als „revanchistisch„. Vor allem gegenüber Polen vertrat die BRD klare Ansprüche auf die „deutschen Ostgebiete unter polnischer Verwaltung„ jenseits der Oder-Neisse-Grenze. Die Beziehungen der Ostblockstaaten zu Deutschland konzentrierten sich auf die DDR, mit der sie durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Warschauer Pakt und im RGW verbunden waren, während die BRD als „imperialistische„ Bedrohung galt. Versuche zu Alleingängen wurden brutal unterdrückt (Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968). Lediglich Jugoslawien sowie später und schwä-

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cher ausgeprägt Rumänien (King 1993: 300-308) leisteten sich eine eigenständige Außenpolitik gegenüber dem Westen und Deutschland. Sie traten beide dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank bei. Die Regierung der Großen Koalition unter Kiesinger/Brandt nahm 1967 diplomatische Beziehungen mit Rumänien und 1968 mit Jugoslawien auf. Der Einmarsch des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei bremste jedoch diesen ersten Annäherungsversuch.

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2. Entspannung und Ostpolitik

Erst mit der Entspannungspolitik änderte sich die Lage grundsätzlich. Die westdeutsche Politik folgte und ergänzte dabei die von den USA getragene Entspannungspolitik, die sich vorsichtig nach dem Höhepunkt der Konfrontation Anfang der 60er Jahre (Bau der Mauer und Kubakrise) entwickelt hatte und Anfang der 70er Jahre unter Nixon an Dynamik gewann. Die Ostpolitik der neuen, seit 1969 von Willy Brandt geführten Bundesregierung, die sich auf eine Koalition von SPD und FDP stützen konnte, schuf durch ihre Anerkennung der Nachkriegsrealitäten (Oder-Neisse-Grenze, zwei deutsche Staaten) die Voraussetzung für eine tiefer greifende Entspannung, wobei wichtige deutsche Interessen wie der deutsch-deutsche Austausch und der Status von Berlin geregelt werden konnten (Vier-Mächte-Abkommen von 1971, Grundlagenvertrag 1972).

Im Zuge der Ostpolitik normalisierten sich die Beziehungen der BRD zu den Staaten Ostmitteleuropas. Dem deutsch-sowjetischen Abkommen vom September 1970 folgte im Dezember desselben Jahres der Vertrag mit Polen. Der Vertrag schloss die Anerkennung der deutschen Westgrenze und der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen ein, obwohl es sich nicht um eine Grenze der BRD selbst handelte und die DDR diese Grenze bereits 1950 im Görlitzer Abkommen anerkannt hatte. Außerdem betonte die Bundesrepublik sowohl im Vertrag als auch in der von allen Parteien getragenen Erklärung des Bundestags anlässlich seiner Ratifizierung am 17.5.1972, dass der Vertrag nicht für das Deutsche Reich spreche und keine friedensvertragliche Regelung der Grenzfrage präjudiziere. Damit blieb die Grenzfrage für den Fall der Wiedervereinigung offen.

Im Vertrag mit der Tschechoslowakei von 1973 betrachteten beides Seiten das Münchener Abkommen von 1938 als nichtig. Der Vertrag schränkte jedoch die Rechtswirkungen für natürliche und juristische Personen stark ein und klammerte somit kritische Probleme wie die Frage der Entschädigung und Rechte deutscher Vertriebener aus. Ebenfalls Ende 1973 nahm die BRD diplomatische Beziehungen zu Ungarn und Bulgarien auf.

Dieser bilaterale Entspannungsprozess wurde multilateral durch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ergänzt. Sie begann am 3.7.1973 in Helsinki, wo sie nach zweijährigen Verhandlungen in Genf mit der Unterzeichnung der Schlussakte am 1.8.1975 auch abgeschlossen wurde. Unterzeichner waren alle Staaten Europas sowie Kanada und die USA. Nachfolgetreffen fanden 1978 in Belgrad, 1983 in Madrid und 1989 in Wien statt. Dazwischen widmete sich 1986 eine Konferenz in Stockholm den vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen und der Abrüstung. Die KSZE-Akte bekräftigte eine Reihe grundsätzlicher Prinzipien wie Souveränität, Nicht-Anwendung von Gewalt, Anerkennung der Grenzen, territoriale Integrität, friedliche Regelung von Streitfällen, Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten, Achtung der Menschenrechte, Gleichberechtigung der Völker. Sicherheitspolitisch wurden eine Reihe vertrauensbildender Maßnahmen wie die vorherige Ankündigung von Manövern und militärischen Bewegungen sowie die Entsendung von Beobachtern vereinbart. Die Zusammenarbeit sollte vor allem auf den Gebieten des Handels, der industriellen Koopera-

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tion, der Wissenschaft und Technik, der Umwelt, der menschlichen Kontakte, der Information, Kultur und Bildung vertieft werden.

Dieser Entspannungsprozess erlebte nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1980 einen Rückschlag. Die US-Regierung unter Reagan verfolgte einen deutlich konfliktiveren Kurs gegenüber dem Ostblock, der die ideologischen Gegensätze wieder stärker betonte und den Rüstungswettlauf beschleunigte. Die BRD folgte diesem Kurs unter der SPD-Regierung Schmidt nur zögerlich, ab 1982 dann unter der Regierung Kohl etwas entschlossener, doch ebenfalls mit kritischer Distanz. Vor allem den wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen der US-Regierung wollte sie sich nicht anschließen. Mit dem sich beschleunigenden Reformprozess in der Sowjetunion unter Gorbatschow entspannten sich die Beziehungen wieder.

In den 70er Jahren entwickelten sich auch die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen, was umgekehrt von der deutschen Regierung als Stärkung ihrer politischen Entspannungsbemühungen gesehen und unterstützt wurde. Die BRD wurde zum wichtigsten westlichen Handelspartner der RGW-Länder. Sie importierte von dort vor allem rohstoffintensive Güter (z.B. sowjetische Gaslieferungen), später stärker arbeitsintensive Produkte und exportierte vor allem Investitionsgüter. Sie erzielte zunehmend Exportüberschüsse, die sie partiell durch Vergabe von Krediten finanzierte, wodurch die Verschuldung vor allem Polens und Rumäniens kritisch anwuchs. Sowohl aus politischen (US-Boykott) als auch aus wirtschaftlichen Gründen stockten Anfang der 80er Jahre die Wirtschaftsbeziehungen mit Ostmitteleuropa, als die Länder ihre Zahlungsbilanz und Verschuldung durch Importeinschränkungen zu sanieren versuchten. Insgesamt blieb der Anteil des RGW (ohne DDR) am deutschen Außenhandel mit unter 7,5% bescheiden, wenn auch deutlich höher als bei anderen westlichen Ländern (Ash 1993: 360-361; Pittman 1992: 169-175).

Nach dem Umbruch wurde die deutsche Außenpolitik mit neuen Augen gesehen. Kritiker fragten, ob sie die kommunistischen Regime eher stabilisierte oder dazu beitrug, den ab 1989 sich vollziehenden Systemwandel voranzutreiben. Der Ostpolitik wurde vorgeworfen, die Interessen der kleineren Länder Ostmitteleuropas zugunsten guter Beziehungen zur Sowjetunion und die Interessen der in diesen Ländern für Demokratie und Menschenrechte eintretenden Oppositionskräfte (vor allem die polnische Solidarnosc) zugunsten guter Beziehungen zu den Regierungen vernachlässigt zu haben. Dieser Vorwurf (Ash 1993) galt besonders der SPD, die ab 1982 in der Opposition angesichts der erneut steigenden Ost-West-Spannung eine „neue Ostpolitik„ (Bender 1996) im Sinne einer Friedenspolitik betrieb. Dagegen ist zu halten, dass insgesamt die Entspannungspolitik sowohl einzelnen Ländern wie auch der inneren Opposition neue Spielräume eröffnet hat (Larrabee 1993: 207). Mit der Aufgabe deutscher Revisionsansprüche verlor der sowjetische Schutz für die betroffenen Länder an Bedeutung. Und der KSZE-Prozess war Anlass für zahlreiche „Helsinkigruppen„, in ihren kommunistischen Gesellschaften auf die Umsetzung der in der Schlussakte verbürgten Menschenrechte zu drängen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2002

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