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Faktormobilität schafft zusätzlichen Wohlstand und zusätzliche Konflikte


Eine Zunahme des nationalen Wohlstands entstand in unserem Modell bisher aus Spezialisierungsgewinnen bei gleichbleibender Faktorausstattung und gegebenen Produktivitäten. Längerfristige Wachstumsprozesse ergeben sich aus einer Zunahme der eingesetzten Produktionsfaktoren (z.B. mehr Arbeit) und Produktivitätssteigerungen. Soweit diese Prozesse national durch Investitionen, Bevölkerungswachstum und technischen Fortschritt stattfinden, führen sie im Ergebnis zu veränderten Variablen, die dann in unser Modell einfließen und zu einer neuen Spezialisierung führen.

Läßt man aber internationale Faktorströme zu, so ändert sich das Bild erheblich. Um den weltweiten Wohlstand (d.h. die Produktion) zu maximieren, müssen alle Produktionsfaktoren an die Standorte mit der höchsten Produktivität verschoben werden. Bei sinkenden Grenzerträgen führt diese Verschiebung zu einem neuen Gleichgewicht, wenn sich die Produktivitäten international angeglichen haben. Damit begrenzt sich der notwendige bzw. sinnvolle Faktorstrom. Vorstellbar sind aber auch steigende Erträge (Agglomerationsvorteile etc.).

Im Gegensatz zum Ricardomodell werden dabei die absoluten Vorteile (Produktionskosten / Produktivitäten) maßgebend. Die Faktoren sind im Optimalfall dort einzusetzen, wo sie die höchste absolute Produktivität haben. Dadurch werden prinzipiell Produktionszuwächse möglich, die Spezialisierungsgewinne im Handel weit übertreffen. Diese Wohlfahrtsgewinne wären dann international zu verteilen, in der Regel als Faktoreinkommen. Die Höhe der Faktorentlohnung stellt einen möglichen Konfliktgegenstand zwischen den Ländern dar.

Zwei Ströme wären zu unterscheiden:

  1. Die Arbeit wandert aus dem weniger produktiven Land in das produktivere, um dort mit höherer Produktivität eingesetzt zu werden.

  2. Das Kapital wandert aus dem Land mit der produktiveren Hochlohn-Arbeit in das Land mit der weniger produktiven Niedriglohn-Arbeit, um dort deren Produktivität und damit die Produktion zu erhöhen.

Migration von Ost/Süd nach West/Nord

Wenn alle Arbeiter aus Ost/Süd nach West/Nord wandern und dort die Produktion mit der gleichen Produktivität (was der eher unwahrscheinliche Extremfall wäre)wie die dortigen Arbeiter aufnehmen, so wächst die Weltproduktion erheblich von 375 Fahrrädern und 55 Computern im Autarkiefall bzw. 400 Fahrrädern und 70 Computern bei Spezialisierung ohne internationale Faktormobilität auf 500 Fahrräder und 100 Computer. Für die Arbeiter aus Ost/Süd würde sich die Wanderung lohnen, wenn sie mehr konsumieren Könnten (Lohn erhielten) als im Autarkiefall oder bei der Handelsspezialisierung. Dies erlaubt aber immer noch auch einen erhöhten Konsum für den Westen/Norden.

Land/Region

Produktion bei Autarkie

Produktion bei
Handelsspezialisierung

Produktion nach Migration

Produkt

Arbeiter/
Fahrräder

Arbeiter/
Computer

Arbeiter/
Fahrräder

Arbeiter/
Computer

Arbeiter/
Fahrräder

Arbeiter/
Computer

Ost/Süd

500/125

500/5

1000/250

0/0

0/0

0/0

West/Nord

500/250

500/50

300/150

700/70

1000/500

1000/100

Summe/Welt

1000/375

1000/55

1300/400

700/70

1000/500

1000/100

Das genaue Ergebnis hängt von der Verteilung des Mehrprodukts ab. Insgesamt könnten 125 Fahrräder und 45 Computer mehr produziert werden als im Autarkiefall. Werden sie produziert und konsumiert, dann erhöht sich das Realeinkommen der Konsumenten/Arbeiter in diesem Umfang. Bleibt der Konsum auf dem Autarkieniveau, so können 700 Arbeiter eingespart oder die Arbeitszeit entsprechend reduziert werden.

Führt man Geld in das Modell ein, so erhielten die Arbeiter in Ost/Süd früher 100 Kronen Lohn. Das entsprach dort im Autarkiefall einem Viertelfahrrad oder einem Hundertstel Computer. In West/Nord betrug der Lohn 100 €, was dort einem halben Fahrrad oder einem Zehntel Computer entsprach. Wenn die Migranten mit dem gleichen Konsum zufrieden sind, erhalten sie zwischen 10 € (Preis eines Hundertstel Computer in West/Nord) und 50€ (Preis eines viertel Fahrrads in West/Nord). Das Gesamtkonsumvolumen der 1000 Ost/Süd-Arbeiter betrug im Autarkiefall 125 Fahrräder und 5 Computer, also 100.000 Kronen zu dortigen Preisen oder 30.000€ zu West/Nord-Preisen. Bei einem Produktionswert von 100.000€ entsteht also ein „Mehrwert" von 70.000€. Das ist der Lohn der 700 überflüssigen West/Nord-Arbeiter.



Wandert die gesamte Arbeit aus dem armen (weniger produktiven) Land aus, so führt das im Extrem dort zur Entvölkerung. Die Zuwanderung kann im produktiveren Land zu Verteilungsproblemen führen. Zunächst könnten die „Gastarbeiter" mit einem Konsum wie in ihrem Ursprungsland zufrieden sein, wie er ihrer alten Produktivität entsprach. Dann würde der gesamt Überschuß an die eingesessenen Arbeiter (bzw. Unternehmer) fließen und diesen ein deutlich höheres Einkommen oder weniger Arbeit ermöglichen. Stellt sich im zweiten Fall Arbeitslosigkeit ein, so sähen die einheimischen Arbeiter wahrscheinlich in den Zuwanderern Konkurrenten, die sie um ihre Arbeitsplätze bringen.

Kapitalzufluß von West/Nord nach Ost/Süd

Geht das Kapital nach Ost/Süd und erhöht dort die Produktivität auf das West/Nord-Niveau, so steigt die Produktion dort auf das gleiche Volumen wie in West/Nord, da ja ebenfalls 1000 Arbeiter zum Einsatz kommen. Diese produzieren dann 250 statt 125 Fahrräder und 50 statt 5 Computer. Das entspricht einer Steigerung des Volkseinkommens von 100.000 auf 500.000 Kronen. Bliebe die Lohnsumme der einheimischen auf den alten 100.000 Kronen, so könnten 400.000 Kronen als Gewinn nach West/Nord fließen (in Form von z.. 125 Fahrrädern und 45 Computern). Selbst bei einer Lohnverdoppelung auf 200.000 Kronen blieben noch 300.000 Kronen (z.B. 250 Fahrräder und 10 Computer) übrig.




Wenn die Arbeit nicht wandert, kann alternativ das Kapital zur Arbeit gehen. In diesem Fall könnte durch den Kapitalzustrom die Produktivität der Arbeiter am Investitionsstandort steigen - im unwahrscheinlichen Extremfall bis auf das Niveau im Herkunftsland. Der gewaltige Produktionszuwachs könnte zwischen den - inzwischen viel produktiveren - Arbeitern und den ausländischen Investoren verteilt werden. Das Problem ist spiegelbildlich das gleiche wie bei der Wanderung der Arbeit. Wenn die einheimischen Arbeiter mit dem alten Konsumniveau (d.h. Lohnniveau) zufrieden sind, entsteht ein gewaltiges Mehrprodukt, was beim Transfer ins Land der Investoren dort entweder die Realeinkommen steigen läßt oder - bei gleich bleibendem Konsum - einen großen Teil der Arbeit überflüssig macht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2001

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