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TEILDOKUMENT:
Fortgeschrittene Harmonisierung der Verbrauchsteuern Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer Seit Mitte der sechziger Jahre wurden die nationalen Umsatzsteuersysteme in der EU weitgehend harmonisiert. Dies wurde als erforderlich angesehen, um den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im gemeinsamen europäischen Markt zu gewährleisten. Die umfassende Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen wurde ferner durch die Finanzierung des EU-Haushalts mit Mehrwertsteuer-Eigenmitteln begründet. Seit den siebziger Jahren praktizieren alle EU-Länder das Konzept der (Allphasen-)Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug (Mehrwertsteuer). Umsatzsteuersätze
1) Ohne regionale Sondersätze.
[Seite der Druckausg.:4] Eine grundsätzliche Alternative zum Mehrwertsteuer-System ist die Einphasen-Verkaufsteuer, wie sie etwa in den meisten Einzelstaaten der USA als sales tax" praktiziert wird. Die nationalen Mehrwertsteuersätze unterscheiden sich allerdings erheblich (vgl. Tabelle). Die EU konnte bisher nur Mindeststeuersätze durchsetzen. Diese betragen 15 % für den Normalsteuersatz, bei den ermäßigten Steuersätzen werden 5 % angestrebt. Für grenzüberschreitende Transaktionen gilt grundsätzlich das Bestimmungslandprinzip: Güter und Dienstleistungen sind dort zu besteuern, wo sie verbraucht werden. Exporte werden entlastet: Sie sind steuerfrei, bei vollem Vorsteuerabzug. Im Gegenzug werden Importe durch die Einfuhrumsatzsteuer belastet, was früher durch die Zollkontrollen an den Grenzen gewährleistet wurde.
Dieses Verfahren gilt heute nur noch gegenüber Drittstaaten. Denn mit dem Inkrafttreten des Europäischen Binnenmarktes im Jahre 1993 wurden die Kontrollen an den EU-Binnengrenzen aufgehoben. Eine weitgehende Annäherung der Mehrwertsteuersätze, die von der Europäischen Kommission angestrebt wurde, war aus finanzpolitischen Gründen nicht realistisch. Da sich die Mitgliedsländer nicht auf ein binnenmarktkonformes Mehrwertsteuersystem einigen konnten, jedoch massive Wettbewerbsprobleme der Hochsteuerländer durch Importe aus Niedrigsteuerländern verhindert werden mußten, verständigte man sich zunächst auf eine Übergangsregelung. Diese hätte eigentlich bis zum 1.1.1997 durch eine endgültige Mehrwertsteuerregelung ersetzt werden sollen. Da sich die Mitgliedstaaten bis heute nicht über deren Ausgestaltung einigen konnten, bleibt sie bis auf weiteres bestehen.
Nach dieser Übergangsregelung gilt für den Großteil der grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb der EU weiterhin das Bestimmungslandprinzip, nämlich für den Handel zwischen steuerpflichtigen Unternehmen. Daneben kommt bei ausländischen Direktkäufen privater Haushalte, öffentlicher Körperschaften oder bestimmter Unternehmen (dies sind Unternehmen, die ausschließlich steuerfreie Umsätze ausführen, Kleinunternehmer sowie pauschal besteuerte Land- und Forstwirte) in stärkerem Maße das Ursprungslandprinzip zur Geltung. Das heißt, es gelten die Steuersätze des Landes, in dem die Produkte gekauft werden, ein Grenzausgleich findet nicht statt. Zwar besteht für diese Fälle ein teilweise erhebliches Steuersatzgefälle, wenn man die deutlich unterschiedlichen Steuersätze betrachtet (Tabelle). Doch selbst in bestimmten sensiblen" Grenzregionen mit hohen Steuersatzunterschieden lassen sich bisher kaum nennenswerte Wirkungen beobachten - etwa an der deutsch-dänischen Grenze sowie entlang der Grenzen von Deutschland oder Luxemburg mit Belgien oder Frankreich. So gesehen kann die Übergangsregelung zunächst weiter praktiziert werden, ohne daß unmittelbarer Handlungsdruck besteht. Kritisch an der Übergangsregelung sind die hohen Vollzugskosten. Die Unternehmen klagen darüber, daß die neuen komplizierten steuerrechtlichen Regelungen für innergemeinschaftliche Transaktionen höhere Kosten auslösten als das alte Regime. Praktisch wurde ein Teil des Verwaltungsaufwandes, den früher die Zollbehörden hatten, nun auf die Unternehmen verlagert. Beklagt wird ferner, daß kleine und mittlere Unternehmen, für die das Ausfuhr- und Einfuhrgeschäft nur ein geringes Gewicht hat, stärker von den Problemen der Übergangslösung betroffen sind. Zudem zeigen die Erfahrungen, daß die Übergangsregelung für die Finanzverwaltung mit erheblichen Problemen verbunden ist. Da eine effektive Kooperation zwischen den nationalen Steuerbehörden bisher schwer fällt, eröffnen sich erhebliche Potentiale zur Steuerhinterziehung.
Wie soll nun die endgültige Mehrwertsteuerlösung für den Binnenmarkt aussehen? Die Überlegungen aus der Wissenschaft sowie auch die politischen Willensbildungsprozesse laufen letztlich auf die Einführung eines modifizierten Ursprungslandprinzips hinaus. Dabei sollen die vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen für ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe die in Rechnung gestellte ausländische Umsatzsteuer gegenüber dem heimischen Fiskus als Versteuern geltend machen können - es kommt also zu einem grenzüberschreitenden Vorsteuerabzug. Vor der Einführung des modifizierten Ursprungslandprinzips muß aber noch eine Hürde überwunden werden, die politisch äußerst hochgesteckt ist: Durch die inländische Verrechnung ausländischer Vorsteuern kommt es zu merklichen Verschiebungen im Steuerauf- [Seite der Druckausg.:5] kommen zwischen den Mitgliedsländern. Sie hängen von den Handelsströmen einerseits und den Steuersatzunterschieden andererseits ab. Gelöst werden könnte dies zum einen durch eine Angleichung der Mehrwertsteuersätze, zum anderen werden verschiedene Verfahren der Zahlungsverrechnung (Clearing") diskutiert, mit denen die Einnahmenverteilung nach dem Bestimmungslandprinzip wiederhergestellt werden könnte. Eine weitgehende Annäherung der Steuersätze ist derzeit kaum realistisch. Zwar werden in einzelnen Ländern Erhöhungsspielräume bei der Mehrwertsteuer diskutiert oder sind bereits realisiert worden, wie zuletzt in Deutschland im April 1998. Angesichts der weiten Spanne der Mehrwertsteuer-Normalsätze, die gegenwärtig von 15 % (Luxemburg) bis 25 % (Dänemark und Schweden) reicht (Tabelle l), sind Verpflichtungen zur Senkung oder Erhöhung um mehrere Prozentpunkte derzeit aber kaum vorstellbar. Offen bleibt auch die Frage nach dem Clearingsystem. Dazu kommen entweder mikro- oder makroökonomische Verfahren in Frage.
Die Diskussion der letzten Jahre hat gezeigt, daß praktisch nur ein Makro-Clearing in Frage kommt. Als Basis dafür bieten sich die Grundlagen der nationalen Mehrwertsteuerbemessung an, wie sie für die Berechnung der Mehrwertsteuereigenmittel der EU ermittelt werden. Auch die Europäische Kommission favorisiert ein solches makroökonomisches Clearingsystem. Allerdings fehlt es am erforderlichen Vertrauen in die Verläßlichkeit. Es besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf, um die Modelle detaillierter zu entwickeln und zu testen. Die gegenwärtige Übergangsregelung wird wohl noch lange Bestand haben. In näherer Zukunft sind daher bei der europäischen Mehrwertsteuerharmonisierung nur kleine Schritte zu erwarten. Sonderverbrauchsteuern Anders als bei der Umsatzsteuer wurde für die Sonderverbrauchsteuern - Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Steuern auf alkoholische Getränke - das Bestimmungslandprinzip endgültig festgeschrieben. Steuertechnisch wird dies dadurch erleichtert, daß die besteuerten Produkte bereits einem speziellen Besteuerungsverfahren unterliegen. Hier spielen Steuerlager" eine wesentliche Rolle, in denen die erzeugten oder eingeführten Güter steuerfrei aufbewahrt werden können. Errichtung und Betrieb eines Steuerlagers sind indes mit erheblichen Kosten verbunden. Kleinere Produktions- und Handelsbetriebe, insbesondere Versandhändler, die an ausländische Kunden liefern wollen, werden dadurch stark benachteiligt.
Ebenso wie bei der Mehrwertsteuer sind auch bei den Sonderverbrauchsteuern mit dem Binnenmarkt die Höchstmengen für grenzüberschreitende Direktkäufe von Privatverbrauchern entfallen. Auch hier gilt also das Ursprungslandprinzip. Dazu gibt es nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zwar keine Alternative; im Gegensatz zur Mehrwertsteuer unterscheiden sich die Sätze der Sonderverbrauchsteuern zwischen den Ländern aber teilweise erheblich. Dadurch sind spürbare Wirkungen in einzelnen grenznahen Regionen nicht zu vermeiden. Es entsteht ein Bedarf zur Harmonisierung der Steuersätze in gewissen Bandbreiten. Die EU rührte dazu 1993 Mindestsätze ein. Energiebesteuerung und ökologische Steuerreform Inzwischen haben eine Reihe von EU-Ländern aus umweltpolitischen Überlegungen bestimmte Steuern und Abgaben eingeführt. Im Mittelpunkt steht die Belastung des Energieverbrauchs. In Verbindung mit einer ökologi- [Seite der Druckausg.:6] schen Steuerreform" tritt der finanzpolitische Aspekt hinzu: dauerergiebige Einnahmen aus den Ökosteuern sollen bestehende Steuern und Abgaben senken (Aufkommensneutralität"). In der Regel denkt man dabei an die Belastung der Arbeitseinkommen mit Sozialabgaben oder an die direkte" Besteuerung durch Einkommensteuern und Unternehmenssteuern. Da Ökosteuern zu spürbaren Belastungen in einzelnen umwelt-intensiven Wirtschaftszweigen führen können, ist eine Koordinierung auf europäischer Ebene sinnvoll, um Wettbewerbsnachteile der heimischen Wirtschaft zu vermeiden. Die Europäische Kommission hat seit Anfang der neunziger Jahre mehrere Initiativen für eine Ausweitung der Energiebesteuerung unternommen.
Das entstehende Steueraufkommen soll die Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen senken. Zwar ist bisher keiner dieser Vorschläge auf Ebene der EU umgesetzt worden. Die Mitgliedsländer werden aber zur Einführung eigener Konzepte ermuntert.
Die deutsche Bundesregierung will im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 darauf hinwirken, daß die Energiebesteuerung innerhalb der EU stärker harmonisiert wird. Zum April 1999 wird in Deutschland die erste Stufe der ökologischen Steuerreform eingeführt. Die bestehende Energiebesteuerung wird erhöht und eine Stromsteuer eingeführt. Die Steuereinnahmen dienen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge um 0,8 Prozentpunkte. Vielfalt der Einkommen- und Unternehmensbesteuerung Gemeinsamkeiten und Unterschiede der direkten Steuersysteme innerhalb der EU Während die EU-Harmonisierung die indirekte Besteuerung der Mitgliedsländer deutlich geprägt hat, ist Vergleichbares bei den direkten Steuern bisher nicht erfolgt. Weder in den nationalen Steuervorschriften, noch in den Normen des internationalen Steuerrechts hat das Europarecht wesentliche Spuren hinterlassen. Zwar weisen die nationalen Steuersysteme in ihren Grundmustern ähnliche Strukturen auf - dies gilt nicht nur für die Mitgliedsländer der EU, sondern auch für die übrigen Industrieländer - und ist insoweit Ausdruck des Entwicklungsstandes von Wirtschaft und Gesellschaft. Im Detail unterscheiden sich die direkten Steuern aber teilweise erheblich, sowohl hinsichtlich der konkreten Abgrenzung der Besteuerungsobjekte und deren Besteuerungsgrundlagen als auch in der fiskalischen Gewichtung der Teilkomponenten des Steuersystems (vgl. Kasten).
Bei grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Beziehungen sind ferner Normen des internationalen Steuerrechts von maßgeblichem Interesse, insbesondere die Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (vgl. Kasten auf Seite 9). Die Mitgliedsländer der OECD, die meisten osteuropäischen Transformationsländer sowie die großen Schwellenländer haben untereinander bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, in denen die Besteuerungsansprüche der Vertragspartner für einzelne Einkunftsarten geregelt werden. Dabei kommt dem OECD-Musterabkommen eine zunehmende Leitbildfunktion zu. Deutschland hat gegenwärtig mit knapp 80 Ländern Doppelbesteuerungsabkommen, darunter sämtliche wichtigen Handelspartner. Das Europarecht spielt in diesem Bereich so gut wie keine Rolle. Vorschläge, die bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den EU-Ländern durch eine einheitliche Regelung zu ersetzen, sind bisher nicht ernsthaft konkretisiert worden.
Vereinfacht läßt sich sagen, daß für internationale Direktinvestitionen (in Form von Betriebsstätten oder wesentlichen Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften) in der Regel die Quellenlandbesteuerung in Verbindung mit der Freistellungsmethode im Sitzland gilt, während für Portfolioinvestitionen das Wohnsitzlandprinzip greift. Für Arbeitseinkünfte gilt als Grundregel das Arbeitsortprinzip", nach dem der Staat denjenigen besteuern darf, in dessen Hoheitsgebiet die unselbständige Arbeit ausgeübt wird. Gewerbesteuern, Grundsteuern und vergleichbare Besteuerungsformen sind zumeist als Objektsteuern mit regionalem Bezug konzipiert. Diese werden in den Doppelbesteuerungsabkommen nicht berücksichtigt; die inländische Belastung wird somit definitiv. Initiativen der EU zur Harmonisierung der direkten Besteuerung Die Vielfalt der direkten Besteuerung innerhalb der EU erscheint bemerkenswert, ist doch die Möglichkeit zur unbeschränkten Mobilität von Produktionsfaktoren - die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr - neben der Warenverkehrsfreiheit zentrales Element des Binnenmarktprogramms. Unterschiede in den nationalen Systemen der Besteuerung oder in den bilateralen Doppelbesteuerungsregelungen können vor diesem Hintergrund spürbaren Einfluß auf Umfang und Richtung des internationalen Einsatzes der Produktionsfaktoren nehmen. Dies gilt zumal angesichts der fortschreitenden wirtschaftlichen Integration, die durch den Binnenmarkt sowie die Währungsunion maßgeblich gefördert wird und das Potential für Faktormobilität beträchtlich erhöht. Hinzu kommen - wie unten ausführlich beschrieben - die gezielten Maßnahmen einzelner Mitgliedsländer, mittels Steuervergünstigungen mobile Produktionsfaktoren anzulocken. Im Gegensatz zur indirekten" Besteuerung von Gütern und Dienstleistungen sieht der EG-Vertrag (EGV) für die direkten" Steuern keine ausdrückliche Harmonisierungskompetenz der EU vor. Gemeinschaftliche Maßnahmen auf diesem Gebiet können sich daher allein auf die allgemeinen Vorschriften der Art. 100 und 101 EGV stützen. Danach sind jene Rechts- und Verwal- [Seite der Druckausg.:9] tungsvorschriften anzugleichen, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken" (Art. 100) oder die Wettbewerbsbedingungen auf dem Gemeinsamen Markt verfälschen und dadurch eine Verzerrung hervorrufen" (Art. 101). Zwar ist unbestritten, daß diese Vorschriften grundsätzlich auch die direkte Besteuerung tangieren können; es ist jedoch unklar, was als Wettbewerbsbeschränkung oder als Verzerrung im Sinne dieser Vorschriften zu interpretieren ist.
Tatsächlich verfolgte die Europäische Kommission seit den späten sechziger Jahren weitreichende Pläne zur Harmonisierung der direkten Besteuerung. Dabei stand vornehmlich die Unternehmensbesteuerung im Mittelpunkt. Entsprechende Vorstöße der Europäischen Kommission scheiterten jedoch an der Einstimmigkeitsregel im Rat. Zu Beginn der neunziger Jahre revidierte die Europäische Kommission ihr Ziel einer weitgehenden Harmonisierung. Die EU-Steuerpolitik beschränkte sich im Vorfeld des Binnnenmarktes auf die Beseitigung der größten steuerlichen Hindernisse für grenzüberschreitende unternehmerische Aktivitäten und Konzernbildungen (Fusionsrichtlinie, Mutter-Tochter-Richtlinie).
Eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Harmonisierungsziele leitete die Europäische Kommission im März 1996 mit ihrem Diskussionspapier Steuern in der Europäischen Union" ein. Seitdem wird der unfaire" Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsländern betont, der die Steuereinnahmen aushöhle und zu einer Verlagerung der Steuerbelastungen auf den weniger mobilen Produktionsfaktor Arbeit geführt habe. Im Europäischen Rat werden diese Entwick [Seite der Druckausg.:10] lungen inzwischen auch als Problem erkannt. Im Dezember 1997 einigte man sich grundsätzlich über einen Verhaltenskodex zur Vermeidung eines unfairen Steuerwettlaufes sowie über Leitlinien für eine Richtlinie zur Zinsbesteuerung:
Indes ist die getroffene Einigung bisher nur politisch, nicht aber rechtlich bindend. Die Details müssen noch erarbeitet werden. Einige Regierungen haben Vorbehalte angemeldet. Da noch eine Reihe von Differenzen zu klären sind, ist eine gesetzliche Regelung derzeit nicht abzusehen.
Entwicklungstendenzen in den Steuer- und Abgabensystemen Faktormobilität und Steuerwettbewerb Wie wirken sich nun Steuer- und Abgabenbelastungen einerseits und wirtschaftsbezogene öffentliche Ausgaben andererseits auf die internationale Mobilität von Produktionsfaktoren aus, insbesondere auf die Kapitalbewegungen?
Aus einzelwirtschaftlicher Sicht sind Steuern und Sozialabgaben ein Standortfaktor unter vielen. Auch und gerade in Zeiten des shareholder value" sind international operierende Investoren letztlich an der Netto-Rendite interessiert, die sie nach Steuern erzielen und an der sich der Marktwert der Investition orientiert. Positiv gesprochen heißt dies aber auch, daß ausländische Investoren durchaus bereit sind, höhere Abgaben zu bezahlen, wenn sie eine entsprechende Gegenleistung in Form von hoher Produktivität erhalten. Steuer- und Abgabenbelastungen sowie das Angebot an öffentlichen Leistungen sind also im Zusammenhang zu sehen - dies ist auch der Grundgedanke des Äquivalenzprinzips der Besteuerung. Unternehmensbefragungen und Fallstudien zu den Motiven von Direktinvestitionen und Produktionsverlagerungen zeigen, daß bei der Standortentscheidung zumeist die Erschließung von Marktpotentialen der Zielländer im Vordergrund steht (Absatzorientierung"). Die konkreten Produktionskosten im Ausland weisen demgegenüber eine geringere Bedeutung auf. Auch innerhalb der Kosten werden die Lohnkosten in der Regel höher gewichtet als die Besteuerung. Zugleich legen die Investoren ebenso großen Wert auf produktivitätssteigernde Standortfaktoren wie wirtschaftsnahe Infrastrukturausstattung, Humankapital, FuE-Umfeld etc. Wichtig erscheinen nicht zuletzt die Infrastrukturangebote in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur - etwa wenn es darum geht, spezialisierte Arbeitskräfte zum Wohnortwechsel zu bewegen. Makroökonomische Analysen zu Struktur- und Entwicklungstendenzen der internationalen Kapitalbewegungen ergeben für die Vergangenheit noch deutliche Beschränkungen der internationalen Kapitalmobilität, insoweit Sach- bzw. Direktinvestitionen betrachtet werden. Dabei ist insbesondere zu beobachten, daß Veränderungen der inländischen Ersparnis kaum Auswirkungen auf den Leistungsbilanzsaldo oder die ausländischen Direktinvestitionen dieses Landes haben. Grund dafür dürfte neben den Unterschieden in den rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen vor allem risikoaverses Verhalten der Anleger sein (Risiko von Wechselkursveränderungen, Politik-Risiken). Diese Risiken sind für Inländer leichter abzuschätzen als für Ausländer. Im Zuge der Internationalisierung ist aber davon auszugehen, daß zukünftig diese Hemmnisse an Bedeutung verlieren werden. Dies gilt vor allem für die europäische Integration: Der Binnenmarkt wird immer mehr zur Realität, mit [Seite der Druckausg.:11] der Währungsunion entfallen die Wechselkursrisiken; auch die übrigen wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken werden infolge der einzuhakenden Konvergenzbedingungen wie auch der fortschreitenden rechtlich-institutionellen Vereinheitlichung geringer. Neuere Entwicklungen in der Verkehrs- und Kommunikationstechnologie (z.B. electronic commerce" über das Internet) dürften diese Entwicklung fortsetzen. Das Potential für Faktormobilität erhöht sich damit beständig. Neben den übrigen - realwirtschaftlichen - Produktionsfaktoren kommt dann der Steuer- und Finanzpolitik eine wachsende Bedeutung zu.
Schon seit einigen Jahren lassen sich verschiedene Tendenzen eines internationalen Steuerwettbewerbs beobachten. In den meisten Ländern der EU sowie der OECD sind die Unternehmen in den letzten Dekaden steuerlich entlastet worden. Insbesondere sahen sich Staaten mit hohen Körperschaftssteuersätzen zu Tarifsenkungen veranlaßt. Entlastungen der Unternehmen wurden auch durch Veränderungen bei den Bemessungsgrundlagen und bei den übrigen Steuern erreicht. Auch in Deutschland wurde der Körperschaftssteuersatz für einbehaltene Gewinne von 50 % Anfang der neunziger Jahre auf zuletzt 40 % (seit 1999) verringert. Im Zuge der Einkommens- und Unternehmenssteuerreform, die in Deutschland gegenwärtig ansteht, sind weitere Senkungen geplant. Deutlicher als bei grundlegenden Reformen der Unternehmensbesteuerung offenbart sich ein Steuerwettbewerb über spezifische Steuervergünstigungen. Diese werden gezielt auf die Attrahierung von Finanzkapital, zugehörigen Dienstleistungen, hochqualifizierten Arbeitnehmern oder einkommens- und vermögensstarken Privathaushalt zugeschnitten. Dabei zeigt sich: Mobilität oder multinationale wirtschaftliche Beziehungen von Unternehmen oder Haushalten bieten einen Nährboden für Steuerarbitrage zwischen den nationalen Systemen. In vielen Fällen werden die realwirtschaftlichen Investitionsströme davon nicht nennenswert umgelenkt, vielmehr handelt es sich dabei entweder um reine Buchungsvorgänge der Finanzierung (etwa die Zwischenschaltung einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft), oder die auf einem internationalen Finanzplatz angelegten Gelder werden unmittelbar wieder in die Volkswirtschaft der Herkunftsländer zurückgespeist. D. h., lediglich die Steuerbemessungsgrundlagen und damit das Steueraufkommen wird zu Lasten der Hochsteuerländer umverteilt. Die nationalen Steuerpolitiken reagieren darauf, indem sie zum einen diese Aktivitäten zu unterbinden versuchen; zum anderen setzen sie aber auch gezielte Anreize durch Steuervergünstigungen, um mobile Produktionsfaktoren in ihr Hoheitsgebiet zu locken. Letzteres wird inzwischen auch in einer breiteren Öffentlichkeit unter den Stichworten unfairer", unlauterer" oder schädlicher" Steuerwettbewerb diskutiert. Im folgenden sollen die wichtigsten Phänomene skizziert werden. Formen des Steuerwettbewerbs Gestaltung von Geschäftsbeziehungen International verflochtene Unternehmen haben gewisse Möglichkeiten, über die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen ihren Mitgliedern steuerpflichtige Gewinne in Länder mit niedrigerem Besteuerungsniveau zu transferieren. Dies geschieht über die Ausgestaltung der internen Verrechnungspreise, von Kosten- und Gewinnumlagen oder Finanzierungen. Die Steuerrechtsnormen der Hochsteuerländer versuchen dieser Praxis entgegenzuwirken, indem sie den Ansatz von Fremdvergleichspreisen (arm's length prices") vorschreiben - also von Preisen, die unabhängige Dritte (unrelated parties") vereinbaren würden. Dies ist schwierig und enorm verwaltungsaufwendig, wenn es sich um hochspezielle Güter und Leistungen handelt, für die keine Marktpreise zu beobachten sind. So bleibt für die Unternehmen ein Spielraum, in dem die Steuerbelastung mit den Finanzbehörden ausgehandelt" werden kann. Konzerngestaltung Internationale Konzernstrukturen bieten weitere Möglichkeiten zur Steuerminimierung, die nationale Unternehmen nicht haben. Multinationale Unternehmen werden in ihrem Sitz- [Seite der Druckausg.:12] land nicht mit ihrem gesamten Welteinkommen nach inländischem Maßstab besteuert. Vielmehr unterliegen die Gewinne ausländischer Tochterunternehmen häufig ausschließlich der ausländischen Quellenbesteuerung, solange die Gewinnrücklagen im Konzernverbund bleiben. Denn bei Dividenden auf Schachtelbeteiligungen" (das sind wesentliche Beteiligungen an Unternehmen) sehen die Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig die Steuerbefreiung im Sitzland vor (Freistellungsmethode). Es bleibt also bei der Quellenlandbesteuerung mit ausländischer Körperschaftssteuer sowie Kapitalertragssteuern auf die (Netto-)Gewinnausschüttungen, die allerdings nach der Mutter-Tochter-Richtlinie innerhalb der Europäischen Union auf Schachteldividenden nicht mehr zulässig sind. Um Konzern- und Holdingfunktionen zu erleichtern, lassen die nationalen Körperschaftssteuersysteme häufig auch die steuerneutrale Weiterleitung von steuerfreien ausländischen Schachteldividenden an verbundene inländische Kapitalgesellschaften zu, sofern diese unbeschränkt steuerpflichtig sind (Holdingprivileg"). Erst wenn die betreffenden Gewinnrücklagen endgültig an die Teilhaber ausgeschüttet werden, unterliegen sie zusätzlich der Einkommens- oder Körperschaftssteuer. Dann allerdings kommt es zur Doppelbelastung, da die inländischen Steuerpflichtigen die von der ausländischen Tochtergesellschaft im Ausland bezahlten Körperschafts- und Kapitalertragssteuern nicht auf ihre inländische Steuerschuld anrechnen können. Dadurch entsteht ein Anreiz zum gezielten Aufbau von internationalen Holdingstrukturen. Durch Eingliederung ausländischer Töchter in die Beteiligungskette lassen sich Steuerdifferentiale und insbesondere Steuervergünstigungen (vgl. die folgenden Abschnitte) systematisch ausnutzen, um die Gesamtsteuerbelastung des Konzerngewinns zu minimieren. Kleinere und mittlere Unternehmen, die nicht auf der Klaviatur des internationalen Steuerrechts mitspielen können, bleiben auf der teilweise hohen Unternehmenssteuerlast in Deutschland sitzen.
Zwischengesellschaften in Steuer-0asen" Eine traditionelle Strategie der Steuerausweichung besteht darin, Finanzkapital oder bestimmte Finanzdienstleistungen auf von Inländern beherrschte Basis-" oder Zwischengesellschaften" zu verlagern, die in Niedrigsteuerländern oder notorischen Steuer-0asen" (in Europa z. B. die britischen Kanalinseln, Liechtenstein, einzelne Kantone der Schweiz, Andorra, Malta) beheimatet sind. Die Hochsteuerländer haben schon vor Jahrzehnten damit begonnen, diesen Aktivitäten im Rahmen der nationalen Steuergesetzgebung entgegenzuwirken. In Deutschland ist hierzu die Hinzurechnungsbesteuerung" der §§ 7 bis 14 Außensteuergesetz (AStG) entwickelt worden. Die einzelnen Regelungen dieser Materie sind höchst komplex und enorm kompliziert. Festzustellen ist, daß in letzter Zeit zunehmend EU-Mitgliedsländer, die ansonsten durchaus normale" Verhältnisse bei der Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung aufweisen, für Kapitalanlage-, Holding- und Finanzdienstleistungsgesellschaften günstige steuerliche Sonderkonditionen gewähren (siehe Kasten).
Der begünstigten Besteuerung im Rahmen dieser Niedrigsteuerzonen unterliegen Kapitalanlagegesellschaften, Holding- und Konzernfinanzierungsgesellschaften, häufig auch sonstige Finanzdienstleistungen wie bestimmte [Seite der Druckausg.:13] Bankgeschäfte, Geschäfte mit Devisen und Derivaten, Lizenzvergabe oder Versicherungen bis hin zu Factoring, Leasing oder Softwareentwicklung. Die effektiven Steuerbelastungen sind teilweise sehr niedrig: Entweder werden die betreffenden Tatbestände aus der normalen Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung herausgenommen oder es werden pauschale Gewinnermittlungskonzepte angewendet, die lediglich einen Bruchteil des tatsächlich entstandenen Gewinns der (ansonsten normalen) Besteuerung unterwerfen - etwa indem der Gewinn" der Gesellschaften als Aufschlag auf die Geschäftsführergehälter ermittelt wird. Da mit den betreffenden Ländern Doppelbesteuerungsabkommen vorliegen (im Gegensatz zu den traditionellen Steuer-0asen", auf die die Hochsteuerländer im Rahmen des nationalen Steuerrechts mit gesetzlichen Gegenmaßnahmen reagiert haben), können die niedrig versteuerten Gewinne unter dem Schutz des internationalen Schachtelprivilegs häufig steuerfrei ins Inland zurückgeholt werden. Vermeidung deutscher Körperschaftssteuer Die Freistellung der Gewinne ausländischer Tochterunternehmen von der inländischen Besteuerung legt es nahe, diese zu thesaurieren, sofern sie im Quellenland niedrig besteuert sind. Zur Ausschüttung können dann die heimischen Gewinne verwendet werden. Die daraufhin in Deutschland entstehende Körperschaftssteuer von 30 % ist international eher günstig, und unbeschränkt steuerpflichtige Inländer können diese sogar mit ihrer Einkommensteuer verrechnen. Durch Einschaltung einer ausländischen Zwischengesellschaft können deutsche Konzerne auch die hohe inländische Körperschaftssteuerbelastung auf einbehaltene Gewinne von 40 % auf den Ausschüttungssatz von 30 % herabschleusen: Die inländische Konzerngesellschaft schüttet ihre Gewinne an eine Zwischengesellschaft aus, die möglichst in einem EU-Mitgliedsland ansässig ist. Auf die Gewinne fallen dann lediglich 30 % der deutschen Körperschaftssteuer an, eine Kapitalertragssteuer wird innerhalb der EU nicht mehr erhoben (Mutter-Tochter-Richtlinie). Aufgrund der Freistellung entsteht im Ausland keine Zusatzbelastung. Anschließend können die Gewinne - ebenfalls steuerfrei - in die inländische Muttergesellschaft oder Holding geholt und dort thesauriert werden. Die effektive Steuerbelastung beträgt dann 30 %. Wenn die einbezogene ausländische Tochter auch aktive Geschäfte betreibt, fällt es den Finanzbehörden häufig schwer, derartige Gestaltungen mit Hilfe von Mißbrauchsvorschriften zu unterbinden. Gesellschafter-Fremdfinanzierung Das deutsche Steuersystem benachteiligt die Beteiligungsfinanzierung und begünstigt die Fremdfinanzierung. Dies gilt erst recht im internationalen Zusammenhang: Im Vergleich zu Ausschüttungen an Ausländer bleiben entsprechende Zinszahlungen vom deutschen Fiskus unbehelligt, da Deutschland darauf keine Quellensteuern erhebt. Ausländische Konzerne nutzen dies, indem sie ihre inländischen Tochterunternehmen mit Darlehen und anderen Formen von Fremdkapital finanzieren (thin capitalisation"). Im Zuge des Standortsicherungsgesetzes wurde diese eigenkapitalersetzende Fremdfinanzierung bereits eingeschränkt. Vollzug der Besteuerung Im internationalen Vergleich stellt sich auch die Frage nach der tatsächlichen Durchsetzung (enforcement") des formalen Steueranspruchs im Verwaltungsverfahren. Hierbei bestehen erhebliche Unterschiede in der Besteuerungspraxis der einzelnen Länder. Maßvoller" Vollzug kann auch zur gezielten Standortförderung eingesetzt werden. Regionale Wirtschaftsförderung Zu beobachten ist ferner eine Tendenz, im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung neben direkten Subventionen auch differenzierte Steuervergünstigungen einzusetzen. Dies geschieht etwa auf Korsika, den Kanarischen Inseln oder Madeira, aber auch im Rahmen der Gebietsförderung für die neuen Bundesländer, bei der maßgeblich auf das Instrument der Sonderabschreibung zurückgegriffen wurde. Zinsbesteuerung Besonders flexibel auf nationale Besteuerungsunterschiede reagiert das Finanzkapital (scheues Reh"). Da einzelne EU-Mitgliedsländer keine Quellensteuern auf Kapitalerträge aus festverzinslichen Wertpapieren und Spareinlagen erheben, kommt es zu einer spürbaren Steuerausweichung. So verzichtet Luxemburg vollständig auf eine Quellenbesteuerung von Zinserträgen und sichert damit seinem Finanzdienstleistungsgewerbe Einlagekapital aus den Nachbarländern. Aber auch in Deutschland oder [Seite der Druckausg.:14] Österreich sind Gebietsfremde von der Quellenbesteuerung auf Zinsen ausgenommen. Jedes Land eröffnet also eine Steuer-0ase" für die Steuerpflichtigen des Nachbarlandes. Nach Einführung des Zinsabschlages in Deutschland, der nur für inländische Kapitalanleger zu entrichten ist, kam es zu hohen Verlagerungen von Geldvermögen ins Ausland; die deutschen Banken haben diese Steuerflucht teilweise mit organisiert, indem sie die Kunden an ihre ausländischen Töchter empfohlen haben. Das Geld bleibt in diesen Fällen dem Bankkonzern erhalten und wird wohl größtenteils wieder in die - zumeist nationalen - Aktivgeschäfte zurückverlagert, in die es auch vom Inland aus geflossen wäre. Auch hier gilt also, daß lediglich ein steuervermeidender Umweg über ausländische Finanzplätze genommen wird. Die nationalen Kapitalmärkte werden davon kaum betroffen. Das Nachsehen haben aber die nationalen Fisken. Arbeitskräfte, private Haushalte Schließlich sind auch Menschen mobil. Bei Grenzgängern spielt die Vermeidung der Doppelbesteuerung eine Rolle; ferner ist zu regeln, inwieweit persönliche Abzugsbeträge oder andere sozialpolitische Vergünstigungen (Splitting, Kindergeld) im Rahmen der Quellenlandbesteuerung gewährt werden. Daneben kommt es - besonders am oberen Ende der Einkommensskala sowie bei hoch spezialisierten und gut verdienenden Fachkräften - zu steuerlichen Einflüssen der Wohnsitz- oder Arbeitsplatzentscheidung. Einzelne Gebietskörperschaften der Schweiz etwa bieten vermögenden Zuwanderern Sonderkonditionen bei der Besteuerung. Von Wohnsitzverlagerungen wird auch von Berufssportlern und Unterhaltungskünstlern berichtet. Ferner gewähren manche Einkommensteuersysteme unter bestimmten Voraussetzungen Nachlässe bei der Besteuerung von ausländischen Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse ins Land geholt werden. So etwa stellen die Niederlande in derartigen Fällen 35 % des Arbeitslohns steuerfrei. Ähnliches wird auch in Großbritannien praktiziert. Konsequenzen für die öffentlichen Einnahmen Alle diese Entwicklungen führen tendenziell zu einer Verschiebung der Steuerlasten von den mobilen Produktionsfaktoren hin zu immobilen Besteuerungsobjekten wie kleine und mittlere Unternehmen, Arbeit, Boden, anderen natürlichen Ressourcen sowie dem örtlichen Verbrauch. In den Strukturen der Steuersysteme der EU sind derartige Tendenzen zumindest ansatzweise erkennbar. Die Europäische Kommission verweist auf die europaweit zu beobachtende Aushöhlung der Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung sowie auf die zunehmende Abgabenbelastung der Arbeit: In der EU sei von 1980 bis 1993 der Anteil der Steuern auf Lohneinkünfte am Gesamtsteueraufkommen insgesamt um etwa ein Fünftel gestiegen, während der Anteil der Steuern auf andere Produktionsfaktoren - im wesentlichen selbständige Arbeit und Kapital - um mehr als ein Zehntel gesunken sei. Ferner berechnet die Europäische Kommission kalkulatorische Steuersätze" für Produktionsfaktoren und den Verbrauch als Relation der entsprechenden Steuereinnahmen zu den zugehörigen Bemessungsgrundlagen. (vgl. Abbildung 1) Danach ist für die EU von 1980 bis 1995 die kalkulatorische steuerliche Belastung des Faktors Arbeit von 34,7 % auf 40,6 % gestiegen, während sie für die übrigen Produktionsfaktoren (Kapital, selbständige Arbeit, Energie und sonstige natürliche Ressourcen) von 42,8 % auf 37,0 % gesunken ist; die kalkulatorischen Verbrauchsteuersätze sind dagegen nur wenig gestiegen (von 13,5% auf 14,3%).
Diese Entwicklungen spiegeln sich in den nationalen Steuersystemen wider. Betrachtet man die Entwicklung von Niveau und Struktur des deutschen Steuer- und Abgabenaufkommens seit den sechziger Jahren (Abbildungen 2 und 3), so fällt auf, daß die gesamtwirtschaftliche Steuerquote (Steueraufkommen in % des Bruttosozialprodukts) erstaunlich konstant verlief und in den letzten Jahren sogar gesunken ist. Demgegenüber stieg die Belastung mit Sozialabgaben im Verhältnis zum BSP ständig an. Innerhalb des Steueraufkommens verlor die [Seite der Druckausg.:15] Umsatz- und Verbrauchsbesteuerung leicht an Gewicht. Deutlich verringerte sich der Beitrag der Gewinn- und Kapitaleinkünfte zum Steueraufkommen. Innerhalb des Steueraufkommens ist ferner das zunehmende Gewicht der Lohnsteuer bemerkenswert. Der deutsche Steuerstaat hat sich im Laufe der Zeit zunehmend in einen Lohnsteuer- und Sozialabgabenstaat verwandelt.
Steuer- und Abgabenquoten in Deutschland 1960 bis 19991)
Interessant ist das Verhältnis der direkten Steuern zu den jeweiligen Einkommensaggregaten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (Abbildung 3). Die Lohnsteuerquote (Lohnsteuer bezogen auf die Bruttolohn- und -gehaltssumme) stieg von 7 % Anfang der sechziger Jahre kontinuierlich auf zuletzt knapp 17 %. Demgegenüber verringerte sich die Belastung der Gewinn- und Kapitaleinkünfte in Relation zu den Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen von über 34 % Anfang der achtziger Jahre auf gegenwärtig weit unter 15 %. Auch wenn derartige Vergleiche mit großer Vorsicht zu interpretieren sind - dies gilt wohl in gleicher Weise für die kalkulatorischen Steuersätze", die von der Euro- [Seite der Druckausg.:16] päischen Kommission berechnet werden -, so ist doch im Trend der letzten 10 Jahre auch in Deutschland eine deutliche Belastungsverschiebung innerhalb der direkten Steuern zu Lasten der Arbeitseinkommen und zugunsten der Gewinn- und Vermögenseinkünfte zu verzeichnen.
Inwieweit sich in dieser Entwicklung die zunehmende Faktormobilität im Zuge der Internationalisierung sowie ein verstärkter Steuersenkungswettlauf bei der Gewinn- und Kapitaleinkommensbesteuerung niederschlagen, ist schwer zu sagen. In Deutschland machte sich in den letzten Jahren vor allem das zunehmende Gewicht der Steuervergünstigungen bemerkbar, die im Zuge der Investitionsförderung in den neuen Bundesländern erheblich ausgeweitet wurden. Zinserträge sind schon seit längerem weitgehend steuerfrei gestellt: Früher wurden sie massenhaft hinterzogen, da die Finanzverwaltung bei den Banken bis heute nicht effektiv kontrolliert; mit Einführung des Sparerfreibetrags von 6 000 DM ist dieser Zustand mittlerweile bei der Mehrzahl legalisiert worden. In abgeschwächter Form dürfte dies auch für die Besteuerung international verbundener Konzerne gelten. So gibt es Anhaltspunkte dafür, daß die Ertragssteuerbelastungen der deutschen Großunternehmen tendenziell rückläufig sind. Generell sind die größeren Gestaltungsspielräume und die geringere Kontrollintensität der Finanzverwaltung bei den Beziehern von Gewinn- und Kapitaleinkünften zu beobachten, die in den letzten Jahren offenbar verstärkt genutzt werden; auch die Bedeutung der Schattenwirtschaft dürfte zugenommen haben. Demgegenüber werden die Arbeitseinkünfte der Arbeitnehmer von der Lohnsteuer im Wege des Quellenabzugsverfahrens nahezu vollständig erfaßt.
Auf der anderen Seite sollten die Entwicklungen auch nicht dramatisiert werden. Ein ruinöser Steuersenkungswettlauf ist nicht zu beobachten und auch für die nächsten Jahre selbst bei verstärkter Integration innerhalb der Europäischen Union nicht zu erwarten. Dies lassen auch Erfahrungen aus Bundesstaaten wie der Schweiz oder den USA erkennen, deren Gliedstaaten eine sehr weitgehende Besteuerungsautonomie aufweisen - Harmonisierungsbedürfnisse werden dort kaum vorgetragen. Steuerpolitische Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten Die vorangehenden Ausführungen haben zahlreiche Tendenzen der gegenwärtigen Besteuerung vor dem Hintergrund einer sich internationalisierenden Wirtschaft aufgezeigt. Auch wenn die einzelnen Entwicklungen in ihrem komplexen Zusammenwirken teilweise schwierig zu beurteilen sind, so läßt sich doch als Befund festhalten: In einem Umfeld, das durch zunehmende Öffnung der nationalen Güter- und Kapitalmärkte und wirtschaftliche Integration gekennzeichnet ist, verliert die nationale Steuerpolitik tendenziell an Autonomie bei der Besteuerung von relativ mobilen Faktoren wie Kapital, unternehmerischer Tätigkeit oder mobilen Arbeitskräften und Privathaushalten, letztere zumeist mit hohem Einkommen oder Vermögen. Auch zeigen sich gewisse Anzeichen eines Steuersenkungswettlaufs um Investitions- und Finanzkapital, nicht zuletzt mittels der diversen Steuervergünstigungen, die gerade von verschiedenen EU-Ländern für Holding- und Kapitalanlagegesellschaften, Finanzierungsdienstleistungen sowie im Rahmen der regionalen oder sektoralen Wirtschaftsförderung gewährt werden.
Diese Entwicklungen stärken tendenziell das Quellenlandprinzip und das Ursprungslandprinzip der Besteuerung: Unternehmen verlagern ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer; private Haushalte schaffen ihr Geldvermögen in Steuer-0asen" oder kaufen in Ländern mit niedrigen Mehrwert-/ Verbrauchssteuersätzen ein. Der Fiskus hat zunehmend Schwierigkeiten nachzuvollziehen, wieviel seine Unternehmen und Bürger verdienen oder ausgeben, insbesondere wenn sie dies im Ausland tun. Dann muß sich der nationale Fiskus stärker an die inländischen Steuerquellen halten.
[Seite der Druckausg.:17] Dies bedeutet für die direkte Besteuerung die Tendenz zur Abkehr vom Personalsteuersystem, jedenfalls vom Welteinkommensprinzip, hin zum Objektsteuersystem. Die Verbrauchsbesteuerung richtet sich stärker nach dem Ursprungslandprinzip aus. Besteuert wird dort, wo ein physisch greifbarer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung gegeben ist (Produktion, Verkauf). Letztlich bedeutet dies eine Abkehr von der personellen Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, hin zum Äquivalenzprinzip. In den gegenwärtigen Diskussionen über Vor- und Nachteile des Steuer- und Finanzwettbewerbs wird dies nicht unmittelbar als Problem gesehen. In der neueren Theoriediskussion zu internationaler Besteuerung, Finanzverfassung und Finanzausgleich ist eine Renaissance des Äquivalenzprinzips unter den Stichwörtern fiskalische Äquivalenz" und fiskalischer Föderalismus" festzustellen. Die ökonomischen Theorien zum Föderalismus liefern eine Bewertung der Finanz- und steuerpolitischen Konkurrenz von Staaten unter Effizienzgesichtspunkten. Leitidee ist, daß die Nutzer von abgrenzbaren öffentlichen Leistungen über deren Art und Umfang entscheiden und zugleich deren Finanzierungsverantwortung tragen sollten (fiskalische Äquivalenz"). Mit anderen Worten: Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen.
Steuerlicher Wettbewerb wird hier grundsätzlich positiv gesehen. Bürger und Wirtschaft artikulieren dann eher, was sie vom Staat wollen (Voice", Präferenzoffenbarung"), oder sie wandern im Extremfall in ein anderes Land ab, wo sie eine angenehmere Abstimmung von Steuern und öffentlichen Leistungen finden (Exit"). Sowohl das staatliche Angebot öffentlicher Güter als auch das Steuersystem können dadurch effizienter und wachstumsfreundlicher werden. Die Finanzpolitik muß besser auf die Präferenzen von Unternehmen und Bürgern eingehen und stärker auf die Kosten staatlicher Ausgaben sowie die Wirkungen der Besteuerung achten. Nicht zuletzt sollen damit die effiziente Mittelverwendung durch Politik und Verwaltung besser kontrolliert, die Ausweitung des Staatssektors gebremst sowie die Akzeptanz der Steuerbelastung verbessert werden. Probleme des Steuerwettbewerbs
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Hand und die Absicherung des Sozialstaates, schaffen aber ihr Geldvermögen in Steueroasen oder kaufen in Ländern mit niedrigen Mehrwert-/Verbrauchsteuersätzen ein.
Bedenklich am internationalen Steuerwettbewerb erscheint vor allem die Zunahme von Steuerbefreiungen oder -vergünstigungen, die gezielt Finanzkapital sowie einkommens- und vermögensstarke Haushalte anlocken. Diese Entwicklungen tragen deutliche Zeichen einer beggar-my-neigh-bour-policy". Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß derartige Strategien zu einem weiteren Steuersenkungswettlauf Anlaß geben. Dies würde längerfristig das Angebot an öffentlichen Leistungen - also beispielsweise an wirtschaftsnaher Infrastruktur und beruflicher Bildung - gefährden; Defizite in der Sozialpolitik können die soziale Polarisierung und Desintegration verschärfen. Letztlich würden damit wichtige Standortfaktoren der Industrieländer untergraben. Ferner würde eine weitere Verlagerung der Abgabenbelastung hin zu immobilen Faktoren vor allem den Faktor Arbeit stärker belasten. Die Steuerstaaten Europas sind in der vergangenen Dekade immer stärker zu Sozialabgaben- und Lohnsteuerstaaten geworden; angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit ist dies eine bedenkliche Entwicklung. Zwar versuchen die betroffenen Länder im Rahmen ihres nationalen Steuerrechts die Steuerflucht einzudämmen. Die Möglichkeiten dazu sind aber begrenzt. Nationale Maßnahmen treten leicht in Konflikt mit den Doppelbesteuerungsabkommen. Hier sind letztlich internationale Vereinbarungen erforderlich - vor allem innerhalb der EU, möglichst aber auch darüber hinaus, etwa auf OECD-Ebene.
So wäre daran zu denken, die Unternehmensbesteuerung zu harmonisieren und effektive Mindeststeuersätze einzuführen. Zuletzt hatten im Herbst 1998 die Finanzminister Frankreichs und Deutschlands einen Vorstoß in diese Richtung unternommen, waren jedoch vor allem am Widerstand Großbritanniens gescheitert. Eine weitreichende Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der Europäischen Union erscheint auf absehbare Zeit unrealistisch. Letztlich zeigen die EU-Mitgliedsländer bis heute nur wenig Bereitschaft, ihre nationalen Kompetenzen über den finanz- und wirtschaftspolitisch hochsensiblen Bereich der direkten Besteuerung aus der Hand zu geben. Als Kompromiß wäre längerfristig vorstellbar, die Bemessungsgrundlagen der Unternehmensbesteuerung innerhalb der EU stärker zu harmonisieren, wie dies auch in Bundesstaaten mit steuerpolitisch autonomen Einzelstaaten erfolgt ist (etwa den USA oder der Schweiz). Eine Annäherung der Bemessungsgrundlagen würde nicht zuletzt die Transparenz verbessern und die Transaktionskosten für internationale Investoren senken. Offener Steuerwettbewerb könnte dann über die Steuersätze ausgetragen werden, ohne daß ein Subventionswettlauf mittels differenzierter Steueranreize droht. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001 |