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Tadschikistan : weder Bürgerkrieg noch Bürgerfrieden / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Internationaler Dialog. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1995. - 17 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 56)
Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


Als kleinster zentralasiatischer Staat hat Tadschikistan eine Grundfläche von 143.000 qkm (ca. 40% der Bundesrepublik Deutschland), von denen über 70% Gebirgsland sind. Es zählt ca. 5,7 Millionen Einwohner, das Bevölkerungswachstum ist mit 3,26% (1990) sehr hoch.

Ethnische Zusammensetzung Tadschikistans (1989)

Im Unterschied zu den anderen zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ist Tadschikistan der Übergang zu einem eigenständigen, relativ stabilen nationalstaatlichen Gefüge bislang nicht gelungen. Am 9. September 1991 wurde Tadschikistans Unabhängigkeit erklärt. Die alte Garde konnte aber die Macht behalten und verstärkte den Druck auf die Opposition. Das Land geriet 1992 in einen von allen Seiten grausam geführten Bürgerkrieg, seitdem ist es de facto zu einem ''russischen Protektorat'' geworden.

Mit Wirtschaft und Infrastruktur geht es nach wie vor bergab, da ein ausreichendes Maß an Stabilität für den Aufbau höchstens regional gegeben ist. Die Industrieproduktion ging von 1985 bis 1993 über die Hälfte zurück. Besonders betroffen ist der Energiesektor (Gas, Kohle), was neue Abhängigkeiten vom ungeliebten Nachbarn Usbekistan bedeutet. Die Erträge der Baumwoll- und Aluminiumproduktion dienen zur Bezahlung der russischen Truppenpräsenz. Humanitäre Hilfe internationaler Organisationen halten das Land und damit auch das Regime durch Mehl- und Reislieferungen am Überleben. Im Land produziertes Gemüse, Obst, Fleisch und Milchprodukte machen die Versorgungslage bei allerdings steigenden Preisen erträglich. Denn auch die Einführung des tadschikischen Rubels im Mai 1995 konnte die Inflation nicht stoppen.

Von der Unabhängigkeit in den Bürgerkrieg und ins russische Protektorat

Die politische Führung Tadschikistans, die sich seit den 40er Jahren aus der nördlichen Provinz Leninabad rekrutierte, war ähnlich wie die anderer Sowjetrepubliken Zentralasiens 1991 an einer Lösung von Moskau wenig interessiert. ''Glasnost'' hatte auch in Tadschikistan die Entstehung von Oppositionsbewegungen unterschiedlichster ideologischer Richtungen ermöglicht. Gleich zwei politische Richtungen nannten sich programmatisch ''Wiedergeburt'': Einmal die national-tadschikische Partei ''Rastokhez'' (das persische Wort für Wiedergeburt) unter Tohir Abdujabor, in der vorislamische, altiranische Bezüge die Ideologie prägen, und die ''Partei der islamischen Wiedergeburt'' (nahzat, persische Form des arabischen ''nahda''), welche seit 1991 von Sayyid Abdullo Nuri und Hojji Akbar Turajonzoda, dem früheren Leiter des Qaziyat (Behörde für religiöse Angelegenheiten der Muslime) und Begründer des ''Islamischen Instituts in Tadschikistan'', geführt wird.

Beide Parteien mit ihrem unterschiedlichen ideologischen Ansatz einigten sich nach dem August-Putsch in Moskau 1991 mit der säkularen ''Demokratischen Partei Tadschikistans'' unter Shodmon Yusuf auf gemeinsame Opposition gegen die Macht der Altkommunisten. Diese grundlegende Gemeinsamkeit erleichterte der offiziellen, von Moskau geförderten Propaganda, die Opposition pauschal als ''fundamentalistisch'' zu verketzern.

Die ''Mairevolution'' 1992 brachte der islamischen und demokratischen Opposition zunächst Erfolg, sie konnte an der ''Regierung der nationalen Versöhnung'' teilnehmen. Doch die Leninabader politische Elite formierte eine ''Volksfront'', in der vor allem die regionale Gruppe der Kuljabis kämpften. Auf diese setzen auch die Russen, und im Dezember 1992 gelang der ''Volksfront'' dank russischer Hilfe die Einnahme Dushanbes. Damit erreichte der Bürgerkrieg seinen Höhepunkt, erst Ende 1993 konnte ein Waffenstillstand zwischen den Bürgerkriegsparteien geschlossen werden.

Seit der ''Eroberung'' Dushanbes wird Tadschikistan von den Kuljabis, die die Leninabader ausgebootet haben, regiert. An die Spitze des Regimes der Kuljabis gelangte Emomoli Rahmonov, der sich am 6. November 1994 ohne Gegenkandidaten zum Staatspräsidenten wählen ließ. Am gleichen Tag wurde auch die Verfassung, die wie in den anderen zentralasiatischen Republiken ein starkes Präsidialsystem festschreibt, per Referendum angenommen. Mit den Parlamentswahlen (25. Februar 1995), zu denen Kandidaten der Opposition wiederum nicht zugelassen wurden, war der Prozeß der formalen Machtübernahme der Kuljabis in Tadschikistan abgeschlossen. Doch sie können sich nur mit massiver russischer Hilfe an der Macht halten, Tadschikistan hat sich zu einem russisches Protektorat entwickelt.

Eine hauptsächlich von Rußland und in weit geringerem Maße Usbekistan, Kasachstan und Kirgistan gestellte GUS-Friedenstruppe von etwa 25 000 Mann sowie die davon unabhängigen russischen Grenztruppen (8 000 Mann, darunter aber viele Tadschiken) halten die etwa 5 000 Mann der stark zersplitterten Opposition in Schranken. Die Macht kann die Opposition militärisch nicht erringen. Doch Überfälle auf Grenzposten und gelegentliche Anschläge sonst im Land genügen bei entsprechender Berichterstattung vor allem der russischen Medien völlig, um den Eindruck entstehen zu lassen, der Bürgerkrieg gehe weiter, Investitionen seien noch nicht sinnvoll.

Der Bürgerkrieg war von allen Seiten mit äußerster Grausamkeit geführt worden. Dies hatte neben der hohen Zahl von Todesopfern - die Schätzungen schwanken zwischen 100,000 bis 300,000 - Massenflucht von Tadschiken (bis Ende 1994 ca. 400,000) nach Usbekistan und Afghanistan zur Folge gehabt. Die Rückkehr der Flüchtlinge bereitet erhebliche Schwierigkeiten.

''Innertadschikische Gespräche'' im Schatten internationalen Desinteresses

Die notwendige Integration nicht nur der politischen Opposition, sondern weiter Bevölkerungskreise zu einer Nation ist noch nicht in Sicht. Für die Bemühungen um die politische Integration sind die Innertadschikischen Gespräche zwischen Regierung und Opposition unter der Ägide der UN (Sonderbeauftragter Piriz-Ballon) die wichtigste Institution geworden. Bislang haben die Gespräche der Fortschreibung des Waffenstillstands gedient (der jetzige gilt bis Februar 1996), und in Almaty konnte man sich im Juni wenigstens auf Gefangenenaustausch als vertrauensbildende Maßnahme einigen.

Die Hauptforderungen der Opposition sind Beteiligung an der Regierung und Verfassungsänderung. Dies lehnt die Regierung mit der Begründung ab, auf der Basis der neuen Verfassung rechtmäßig durch Wahlen an die Macht gekommen zu sein. Die bisherige Ergebnislosigkeit der Innertadschikischen Gespräche hat eine ganze Reihe von Gründen und Aspekten.

  • Auf der Regierungsseite will man Zeit gewinnen, um eigene Machtpositionen und Bereicherungsmöglichkeiten auszubauen. Präsident Rahmonov nutzte die bilateralen Treffen mit dem Führer der militärischen Opposition Sayyid Abdullo Nuri, um sich nach dem Vorbild anderer zentralasiatischer Präsidenten als ''Landesvater'' zu stilisieren.
  • Die Opposition versteift sich zu sehr auf Regierungsbeteiligung als einzige Lösung. Die in Tadschikistan vorherrschenden politischen Verhaltensmuster legen den Verdacht nahe, daß im Falle einer Regierungsbeteiligung die Opposition offizielle Positionen ausschließlich zur Versorgung der eigenen Klientel nutzen würde. Dies hatte schon 1992 bei der ''Regierung der Nationalen Versöhnung'' in den Bürgerkrieg geführt und dürfte auch heute angesichts wachsender Differenzen in der Opposition kaum dem Land dienen.
  • Moskau ist höchstens halbherzig an einem Erfolg der Innertadschikischen Gespräche interessiert. Es gibt ein ganzes Knäuel handfester Interessen, in Tadschikistan zu bleiben: die Sorge um die in Tadschikistan verbliebenen Russen; die Ansicht, in Tadschikistan auch Rußland zu verteidigen sowie die Ideologie vom ''nahen Ausland''; der strategische Vorteil, in Zentralasien an der afghanischen Grenze militärisch und politisch einen festen Platz zu haben; das materielle Interesse an den (nicht übermäßig bedeutenden) Rohstoffen Tadschikistans, und schließlich auch der Drogenhandel, an dem nicht wenige der Militärs, die die russische Tadschikistanpolitik entschieden mitbestimmen, beteiligt sind.
  • Für die USA ist Tadschikistan zu unbedeutend. Im Verhältnis zu Rußland haben andere Probleme Vorrang. Daher gibt es keinen amerikanischen Druck auf Moskau, die Haltung zu Tadschikistan zu ändern. Der Status quo in Tadschikistan ist für Washington erträglich. Die ''islamische Gefahr'' scheint durch die russische Militärpräsenz in Tadschikistan gebannt und die relative politische Stabilisierung der anderen zentralasiatischen Staaten gefestigt. Auch über die Einflußmöglichkeiten Irans ist man in den USA beruhigter.
  • Iran steht nicht mehr so eindeutig wie zu Beginn des Bürgerkrieges hinter der islamistischen Opposition, deren Unterstützung ohnehin in erster Linie aus Afghanistan (Waffen, Ausbildung) und Saudi-Arabien (Geld) kam. Die Differenz zwischen sunnitischem Islam (Tadschiken) und schiitischem (Iraner) spielt hier hinein. Aus eigenen Sicherheitsinteressen heraus verlegte sich Iran auf eine vermittelnde Rolle. Im Juli schließlich wurde der einst als Marionette Moskaus verketzerte Rahmonov in Teheran als Staatsgast empfangen. Auch in der Tadschikistanpolitik hat sich die iranische Führung Moskau angepaßt.

''Nationale Aussöhnung'' oder Zusammenwachsen?

Trotz der weitgehenden Ergebnislosigkeit der ''Innertadschikischen Gespräche'' ist seit den Parlamentswahlen eine gewisse Klimaverbesserung im Sinne der angestrebten ''nationalen Aussöhnung'' zu beobachten. Seit den bilateralen Gesprächen zwischen Präsident Rahmonov und dem Führer der ''islamischen Wiedergeburtspartei'', Sayyid Abullo Nuri, werden in der öffentlich-offiziellen Wahrnehmung die früheren ''Feinde'' nun als politische Gegner des eigenen Landes behandelt - und sogar mit ''Herr'' tituliert.

Im Juli wurde die Demokratische Partei Tadschikistans wieder erlaubt, jedoch nur der Flügel Shodmon Yusufs, der auf dem Vorstandstreffen der Partei im Mai in Almaty nur drei von fünfzehn Stimmen für sich als Vorsitzenden gewinnen konnte. Derjenige Teil der Demokratischen Partei Tadschikistans, dessen Führung nicht ins Exil gegangen war, könnte eine interessante Rolle im politischen Leben des Landes spielen. Das Zusammengehen mit den Islamisten war durch die Bürgerkriegssituation bestimmt, hatte keine ideologischen Gründe. Die ursprüngliche Anhängerschaft der Demokratischen Partei rekrutiert sich vornehmlich aus Kreisen, die an wirtschaftlicher Liberalisierung und Rechtsstaat interessiert sind.

Die Wiederzulassung diente also kaum der Belebung des politischen Spektrums, sondern war ein Schachzug, mit dem Rahmonov sowohl die Spaltung der Opposition, die Abwehr ausländischer Forderungen, diese zuzulassen, als auch die Gegner in den eigenen Reihen im Visier hatte. Einen der stärksten von ihnen, den gut gehaßten Innenminister Salimov, dessen Sicherheitstruppen stärker als die ''Präsidentengarde'' waren, konnte er zur Überraschung vieler im August entlassen.

Die wachsende politische Konkurrenz findet auch in der Parteienbildung ihren Ausdruck. Bislang war nur die ''Volkspartei'' des 1. stellvertretenden Parlamentspräsidenten, Dostiev, die zu seiner Unterstützung für die Parlamentswahlen vom Februar kurz zuvor gegründet worden war, zu nennen. Mit der im November in Khodjent gegründeten ''Gerechtigkeits- und Fortschrittspartei'' könnte sich die erwartete Rückkehr der Leninabader in die politische Arena Tadschikistans ankündigen, was die auf Dushanbe und Khatlon konzentrierte ''Volkspartei'' mobilisieren dürfte. Die neue Partei wird von Karim Abdulov, ehemals Pressesekretär des Präsidenten, und Safarali Kenjaev, seit April Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Justizwesen und Menschenrechte, geführt.

Bei der Opposition macht sich insgesamt mehr Realitätssinn bemerkbar. Die vorläufige Notwendigkeit russischer Präsens wird stillschweigend anerkannt. Der stellvertretende Vorsitzende der ''Partei der islamischen Wiedergeburt'', Turajonzadeh, hatte während der Innertajikischen Gesprächsrunde in Almaty erklärt, daß er die Präsidentschaft Rahmonovs akzeptieren könne, ohne jedoch die Legitimität seiner Wahl und der Verfassung anzuerkennen. Für ihn sei sogar akzeptabel, daß in der Verfassung festgeschrieben würde, Tadschikistan könne kein islamischer Staat werden; es ist aber fraglich, ob Parteichef Abdullo Nuri, zu dem die Differenzen ohnehin immer offensichtlicher werden, ebenfalls diese Position akzeptieren könnte. Seit dem Herbst trägt die ''Partei der islamischen Wiedergeburt'' den Namen ''Union der Oppositionskräfte''. Das bedeutet Verzicht auf den Hinweis des islamischen Charakters der Partei.

Nach Verfassung und Gesetzeslage wäre ein echtes Parteiensystem in Tadschikistan möglich. Doch es sind neben der Angst der Kuljabis vor Machtverlust vor allem die sozialen Strukturen, die es verhindern. Für die politische Entwicklung Tadschikistans wäre aber eine ordentlich arbeitende Opposition wahrscheinlich besser als die Aufnahme von Teilen der Opposition in die Regierung.

Diese Ausgabe der Politikinformation Osteuropa stützt sich auf einen Aufsatz von Johannes Reissner, Stiftung Wissenschaft und Politik.


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